Den Blick weiten
FOKUSMichael Haneke: Der die Wunden zumutet
Der filmische Chronist eines Teufelswerks namens Hermetismus ist 80 Jahre alt: Michael Haneke verlangt von sich und seinem Publikum gar viel. Gott sei Dank.
Der filmische Chronist eines Teufelswerks namens Hermetismus ist 80 Jahre alt: Michael Haneke verlangt von sich und seinem Publikum gar viel. Gott sei Dank.
Am 23. März feierte er seinen Achtziger – und gilt längst als so etwas wie eine österreichische Filminstitution: Michael Haneke ist gewiss der erfolgreichste (und vermutlich auch einflussreichste) lebende Filmemacher im Land. Auch wenn es typisch österreichisch erscheinen mag, ihn ausschließlich für hierzulande zu reklamieren, sind seine größten Erfolge untrennbar mit Frankreich („Code: unbekannt – Code inconnu“, 2000, „Die Klavierspielerin“, 2001, „Wolfzeit“, 2003, „Caché“, 2005, „Liebe – Amour“, 2012, und „Happy End“, 2017) sowie mit Deutschland („Das weiße Band“, 2009) verbunden. Ein Oscar, drei Europäische Filmpreise, zwei Goldene Palmen in Cannes und zwei Golden Globes, ein César: Auch wenn Haneke selber jüngst in André Hellers ORF-Sendung „Menschenkinder“ in Bezug auf seine Preise tiefstapelte – die internationale Anerkennung gilt einem Referenzwerk österreichischer Provenienz.
Eine Gesellschaft, die einst Sigmund Freud oder Franz Kafka (dessen „Das Schloss“ Haneke 1997 in einem Fernsehfilm fulminant verhandelte) hervorbrachte, findet nun als zeitgenössisches Pendant diesen Filmemacher vor, der das Thema der verwundeten Seelen in nie gekannter Schärfe auf die Leinwand bringen konnte. All das ist eine kaum verdauliche Kost – aber jedenfalls diesbezüglich nimmt er die Fährte der genannten Altvorderen aus Psychoanalyse und Literatur bloß weiter auf.
Schon Hanekes erster Kinofilm, „Der siebente Kontinent“ (1989), thematisiert die seelische Eiszeit, die in einen individuellen wie gesellschaftlichen Tod als Folge der postindustriellen Konsum- und Mediengesellschaft mündet. Mit den zwei nachfolgenden Opera, „Bennys Video“ (1992) und „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ (1994), gerät die Zeitdiagnose an den Rand der Erträglichkeit.
Über die Grenze der Erträglichkeit hinaus
Diese Grenze überschreitet Haneke in „Funny Games“ (1997), dem Tiefpunkt eines emotionalen Nihilismus, als er sein Publikum im Kino dazu zwingt, der ohne erkenntlichen Grund stattfindenden Ermordung einer trauten Familie durch zwei wie Unschuldslämmer daherkommende Jünglinge zuzusehen. Das ist keine Sektion einer perversen Gesellschaft mehr, wie dieser Film vorgibt, sondern purer Zynismus und Lebensverneinung, eine Weltsicht, die ans Ende kommt, weil außer dem sinnlosen Morden nichts mehr zu sagen ist. Gar nichts. Verstörenderweise hat Haneke das elf Jahre später noch einmal für den US-Markt verfilmt – mit Hollywood-Schauspielern, aber Bild für Bild die Einstellungen von 1997 wiederholend …
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