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Ein Blick ins Familienalbum

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Geboten wurde ein Mammutprogramm: vom 16. bis 26. Oktober wurden über 100 Filme aus 26 Nationen, sieben verschiedene Reihen, an vier Haupt- und einigen Nebenschauplätzen gezeigt. So lief zum Beispiel im Filmmuseum eine Retrospektive über das Boxkampfkino, für stillere Gemüter gab es im Stadtkino eine Reihe mit Filmen von (beziehungsweise zu) dem französischen Regisseur Robert Bresson. Vor allem für religiös Interessierte war diese Werkschau von Interesse, gilt Bresson doch neben Tarkowskij und Berg-man als einer der Großen, die sich mit der Verbindung Film und Spiritualität auseinandersetzten.

Neben diesen Besonderheiten gab es natürlich auch heuer wieder ein thematisch breit gefächertes Hauptprogramm, im Apollo-Kino und heuer erstmals auch im Filmcasino. Wo die Auswahlkriterien gelegen waren (außer in Qualität und Themenvielfalt) wurde dem Besucher nicht ganz klar. Frühwerke von Martin Scorsese waren ebenso zu sehen wie neue Filme von Ist-van Szabo oder Aki Kaurismäki. Dazwischen viel Unbekanntes.

Der Eröffnungsfilm, „Howards End" von „Zimmer-mit-Aussicht"-Regisseur James Ivory, ist die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Familien der britischen Gesellschaft um 1900. Viele ästhetische Bilder, von Gartenfesten und diversen Interieurs. Die Handlung läßt zu wünschen übrig: Gesellschaftskritik und die subtile Schilderung von Beziehungen bleiben im Ansatz stekken.

Ebenfalls viel mit Bildern arbeitet Terence Davies in seinem Streifen „The Long Day Closes". Erzählt wird darin Davies' Kindheit im Liverpool der fünfziger Jahre. In Familienalbum-Manier erhalten wir Einblick in das Alltagsleben eines sensiblen Knaben: die Geborgenheit zu Hause, demütigende Erlebnisse in der Schule und die Leidenschaft fürs Kino. „The Long Day Closes" ist ein Film, bei dem so gut wie alles über die Identifikation läuft. Es gibt keine eigentliche Geschichte. Wer sich mit der Sache identifizieren kann, wird wohl seine eigene Geschichte darin wiederfinden (für die in den langsamen Bilderfolgen viel Platz ist). Ein seltsamer Film, mit weitgehend ungewohnten Bildern kam aus Frankreich: „Die Liebenden von Pont Neuf' von Regisseur Leos Carax. In einer Hinsicht hat diese Produktion bereits jetzt den Vogel abgeschossen; mit einem Budget von 130 Millionen Francs handelt es sich dabei um den bis dato teuersten französischen Film. Grund für diese enormen Ausgaben: die Pariser Brücke Pont Neuf mußte für den Film irgendwo in Südfrankreich nachgebaut werden. Naturgetreu.

Es ist die Liebesgeschichte zweier Pariser Clochards. Sie leben auf, unter und rund um die Brücke, den Pont Neuf. Was anfängt wie eine grauenvoll-ehrliche Dokumentation über das Leben dieser Menschen, mit Hunger und Schmutz, Krankheit und Tod, flacht immer mehr ab, gerät immer mehr ins Klischee. Die Freiheit derer, die nichts mehr zu verlieren haben, das Sandlerpärchen, das auf der Seine Wasserschi fährt. Zum Schluß das Happy-End, unerklärt und unverständlich. Eine Art Märchenende für einen Film, der vielleicht seinem eigenen hohen Anspruch nicht treu bleiben konnte.

Ebenfalls mit dokumentarischen Elementen arbeitet der amerikanische Film „Ruby". Er zeichnet das Porträt von Jack Ruby, der den Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald erschossen hat. Manches an dem Film ist historisch, manches erfunden und vieles ist so, wie es gewesen sein könnte. Trotz der rauhen Sprache und des verbrecherischen Milieus ist es ein sehr fein und feinfühlig gezeichnetes Bild eines einsamen Menschen. Ein bißchen pathetisch manchmal aber trotzdem berührend und glaubwürdig.

„Benny's Video", so heißt der neue österreichische Film, der bei der Viennale seine Erstaufführung erlebte. Regisseur Michael Haneke geht es dabei darum, „das Fortschreiten der emotionalen Vergletscherung meines Landes" zu zeigen. Es geht um Grausamkeit, die entsteht aus menschlicher Entfremdung und dem Konsum blutiger Videos. Ein unbequemer Film, der trotzdem schon in Cannes und auch jetzt in Wien mit viel Lob bedacht wurde.

Weiters empfehlenswert ist der neue Kaurismäki „Das Leben der Boheme".

Wie immer sorgfältig das Programm auch zusammengestellt sein mochte, unter dem Strich wirkte es doch vollgepfropft. Nur allzu leicht verliert der Zuschauer da den Überblick. Und damit möglicherweise auch die Freude am Kinoerlebnis.

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