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Von Wahrzeichen der Linzer Vorstadt zu Schandmalen des oberösterreichischen Wohnbaus: die beiden Hochhäuser am Harter Plateau. Ein Rückblick anlässlich ihrer bevorstehenden Sprengung am 13. April.

Kritik an der Satellitenstadt am Harter Plateau gab es von Anfang an. Schon als die Linzer Nachbargemeinde Leonding Mitte der sechziger Jahre ihrem Ortsplaner Architekt Gustav Lassy den Auftrag für den Masterplan sowie für den Entwurf der Bauten erteilte, protestierte die Zentralvereinigung der Architekten Oberösterreichs: "Eine solch ungeheure Aufgabe wie die Errichtung einer kompletten Stadt für 20.000 bis 30.000 Menschen kann nie und nimmer durch die Hand eines einzigen Architekten und Ortsplaners gelöst werden." Und die Ingenieurkammer forderte einen städtebaulichen Ideenwettbewerb, "um verschiedene soziologische, wirtschaftliche und künstlerisch städtebauliche Lösungen abwägen zu können". Doch der Wohnraumbedarf jener Tage war groß - und die demokratische Durchdringung des Planungs- und Bauwesens wohl noch geringer als heute. Zudem stand mit der VÖEST der mit Abstand größte Arbeitgeber der Region hinter dem Projekt.

Von der Vision ...

Für Empörung sorgte auch, dass just ein Standort gewählt wurde, an dem die VÖEST-eigene Baugesellschaft GIWOG - die Gemeinnützige Industriewohnungs-GesmbH - bereits Grundstücke aufgekauft hatte. Die heißesten Debatten rankten sich allerdings um die Flaggschiffe der geplanten Werkssiedlung: die 60 Meter hohen Wohnhochhäuser. Wie so oft, schrumpfte auch am Harter Plateau das ehrgeizige Bauvorhaben mit Fortdauer der Planungen - und die Vision einer neuen Stadt wich der Realität einer vorstädtischen Wohnsiedlung. Dennoch wurde der Spatenstich zu zwei der ursprünglich geplanten vier Türme im Mai 1972 von der Systembauabteilung der VÖEST als technische Pionierleistung gepriesen, die nachweisen sollte, dass sich industriell vorgefertigte Stahl- und Stahlbetonsysteme auch für den Wohnbau eignen.

In jeweils nur sechs Monaten wurden die zwei spiegelgleichen Stahlskelettbauten mit Stahlbetonkern, mit VÖEST-Universal-Außenwänden und der vorgehängten Fassade aus blau-grauen bzw. braun-grauen VÖEST-Wandelementen montiert: 480 nahezu idente Wohnungen für 1.500 Personen, gestapelt auf je 20 Etagen. 1974 zogen die ersten Mieter ein, 1975 waren beide Hochhäuser bewohnt - zunächst ausschließlich von VÖEST-Mitarbeitern und ihren Familien. Trotz der monotonen Architektur, trotz lieblos gestalteter Außenräume, trotz anfangs fehlender Infrastruktur und trotz der hohen Verkehrsbelastung im Umfeld begannen die Bewohner bald, sich in den als "Monsterbauten", "Wohnsilos" oder "Menschendeponien" verrufenen Türmen wohl zu fühlen.

Die Wende kam 1985 mit der internationalen Stahlkrise und dem massiven Personalabbau der VÖEST. Auch am Harter Plateau verloren viele ihre Jobs und bald auch ihre Wohnungen, die nun auch werksfremden Wohnungssuchenden angeboten wurden. Da Hochhäuser in den späten achtziger Jahren ihr modernes Image jedoch schon verloren hatten, zogen hauptsächlich jene Menschen aufs Harter Plateau, die ansonsten geringe Chancen am Wohnungsmarkt hatten: Gastarbeiter, sozial Schwache sowie Menschen in Krisensituationen, die eine Übergangslösung suchten. Dies setzte eine Spirale aus hoher Mieterfluktuation, wachsender Anonymität und Bewohnerkonflikten bis hin zu Verwahrlosung, Vandalismus und Brandanschlägen, Bandenkriegen und Gewaltverbrechen in Gang - so dass das Harter Plateau binnen weniger Jahre zum sozialen Brennpunkt Oberösterreichs wurde. Die GIWOG - die mittlerweile von der VÖEST ausgelagerte Wohnungseigentümerin - leistete dabei einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zum baulichen und sozialen Niedergang der beiden Hochhäuser.

... zum Desaster

Anstatt längst überfällige Verbesserungsmaßnahmen einzuleiten, schlug Wohnbaulandesrat Erich Haider - der aus seiner Aversion gegen das Harter Plateau nie einen Hehl machte - Ende der neunziger Jahre vor, die Wohntürme schlicht und einfach abzureißen und die nicht enden wollenden Probleme auf diese Weise zu lösen. Doch galt es, dafür zunächst die Bewohner zu gewinnen, die sich in einer ersten Befragung zu 41 Prozent gegen eine Umsiedlung aus dem vermeintlichen Ghetto aussprachen. So unterbreitete die GIWOG ihren Mietern ein Angebot, das bei der Abstimmung 1999 kaum jemand mehr ausschlagen konnte: neue, bessere Wohnungen zum selben Preis wie die alten, abgewohnten; kostenlose Durchführung des Umzugs durch die GIWOG oder Zahlung einer Umzugsbeihilfe; Ablösung von Fliesen, Böden und sonstigen Immobilien; mehr Grünflächen und mehr Sicherheit.

In Sichtweite der Hochhäuser baute die GIWOG in den letzten drei Jahren nach Plänen des Grazer Architekten Hubert Rieß die neue Siedlung "Wohnen im Park", die nach außen hin das genaue Gegenteil des Harter Plateaus vermitteln soll: 14 sogenannte Stadtvillen fassen jeweils auf vier Geschossen überschaubare 23 Wohnungen zusammen. Die Fassaden leuchten in bunt schillernden Papageienfarben und die Außenräume sind wohl gestaltet. Im Inneren hingegen wurden die Grundrisse aus den alten Wohnungen teils eins zu eins übernommen, damit die übersiedelten Möbel auch in den "Stadtvillen" passen. Doch nicht alle kommen in den Genuss des Wohnens im Park. In den letzten Monaten versuchte die "Gemeinnützige Industriewohnungsgesellschaft" noch, unliebsame Mieter loszuwerden: Manche, so heißt es, wurden wegen Zahlungsrückständen, angeblicher Wohnungsverwahrlosung oder unrechtmäßiger Haltung von Haustieren gekündigt, manche wurden auf Sozialwohnungen in andere GIWOG-Anlagen verteilt - und die befristeten Mietverträge wurden allesamt nicht mehr verlängert. Umzugsbeihilfe, berichtet ein Sozialarbeiter vom Harter Plateau, gab es für diese Menschen natürlich keine.

Nachdem Ende 2002 die letzten Bewohner ausgezogen sind, erfolgt nun am 13. April die aufsehenerregende Sprengung der beiden Hochhäuser vor zahlreich erwartetem Publikum. Mit Dynamit entledigt sich das Land Oberösterreich der Folgen ihrer jahrzehntelang verfehlten Raumplanungs- und Wohnbaupolitik - und tut so, als läge der Niedergang des Harter Plateaus allein in der Architektur der siebziger Jahre begründet. Immerhin - man lässt sich diese Form der Vergangenheitsbewältigung einiges kosten: Der Abbruch der beiden Hochhäuser verschlingt über fünf Millionen Euro, die für die GIWOG aber ebenso wenig zu Buche schlagen wie die Übersiedlungskosten in Höhe von 2,5 Millionen Euro. Beide Summen werden vom Wohnbaureferat des Landes Oberösterreich großzügig beglichen. Für die Errichtung der neuen Siedlung hatte Landesrat Erich Haider bereits 25 Millionen Euro Darlehen aus der Wohnbauförderung bereitgestellt - und der GIWOG angeblich auch die Landeskredite, die noch auf den beiden Hochhäusern lasten, erlassen.

Finanzieller Deal

Als eine der größten Finanztransaktionen von der öffentlichen Hand an Private in den letzten Jahren wertet Michael Shamiyeh den Deal rund um das Harter Plateau - und sieht die Sprengung der beiden Hochhäuser als Vergeudung von Steuergeldern. Denn nicht die bauliche Struktur der Stahlbetontürme sei schlecht gewesen, sondern deren Nutzung - so der Linzer Architekt: "In Wien werden vergleichbare Hochhäuser für 1.500 Euro pro Quadratmeter neu gebaut. Wir hätten hier bereits eine erstklassige Bausubstanz und bräuchten uns nur darüber den Kopf zu zerbrechen, wie wir sie intelligent nutzen. Oder würden Sie Ihren Fernseher wegwerfen, nur weil Ihnen das Programm nicht gefällt?" Shamiyeh hatte nach Bekanntwerden der Abrisspläne ein Konzept für einen radikalen Umbau der beiden Türme erarbeitet. Seine "Vertically Expanded City" hätte großräumigen Büros, einem Seminar- und Konferenzzentrum, Sport, Fitness und Wellness, Entertainment und Erlebnisgastronomie sowie exklusiven Lofts Platz geboten - gegliedert durch "Grüne Oasen" in bis zu 60 Meter Höhe.

Dass so ein Projekt an diesem Standort - zwischen Linz und dem Flughafen Hörsching, unweit der Autobahn - Sinn mache, wurde sogar von der GIWOG bestätigt. Anerkennung gab es auch vom Land Oberösterreich, das Shamiyehs Büro "Bau-Kultur" im Jahr 2000 mit dem Landeskulturpreis auszeichnete. Und es gelang selbst, einen der größten heimischen Baukonzerne und Projektentwickler für die Vertically Expanded City zu interessieren. Doch Wohnbaulandesrat Haider lehnte jegliche Gespräche über eine Umnutzung am Harter Plateau ab, und trug so die Idee - und damit auch die beiden Hochhäuser - zu Grabe.

Der Autor ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist.

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