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An der Front der Wirklichkeit

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Wien und Oesterreich begrüßen in diesen Tagen, in einem Dreiländertreffen, die katholischen Buchhändler Deutschlands, der Schweiz und Oesterreichs. Dankbar und froh empfangen wir die Vertreter eines von Kirche und Welt oft wenig verstandenen, oft unbedankten Standes, dessen Problematik, Chance und Gefährdung mitten hineinführt in die schwierige Lage des Christen heute, mitten in einer Welt fragwürdiger Freunde und vieler verdeckter und offener Gegner.

Der katholische Buchhändler schlägt sein Zelt auf an der Front der Wirklichkeit. Sein „Geschäft”, sein „Laden” liegt in einer von hundert Straßen einer Stadt. Täglich gehen Tausende an ihm vorbei. Christen und Nichtchristen, Kleriker und Laien.

Damit ist, recht verstanden, schon alles gesagt, was sich von der Situation des Tages aus über sein Wagnis sagen läßt: „Man” geht an ihm vorbei, läßt ihn links oder rechts liegen, oder geht, als Christ, höflich grüßend, mitten durch sein Geschäft hindurch.

Die dem Christlichen entfremdete Welt meidet ihn, die christliche Welt erkennt noch kaum seine Wahre Bedeutung.

„Der liebe Gott ist im Detail’ (Aby Warburg). Der Buchhändler hat es mit der Zahl und mit dem lieben Gott zu tun. Gott hat, dem Wort des Psalms gemäß, alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet. Wenn die Zahlen nicht stimmen, „stimmt” es mit dem „lieben Gott”. nicht: das heißt, konkret für uns, stimmt es mit der Beziehung des Christen zu sich selbst, in Kirche und Welt, nicht. Wenn der katholische Buchhändler kein Geschäft machen kann, wenn er schwer um seine Existenz, um seine Unabhängigkeit kämpfen muß, dann kommt in dieser Tatsache zum Ausdruck: der katholische Christ heute versteht sich selbst noch nicht recht. Er weiß sich oft noch nicht richtig zu benehmen in einer Welt, die sehr anders ist, als er sie denkt, träumt. Wie wäre es sonst verständlich, daß heute zwei nackte Phänomene nebeneinander stehen: da ist es, zum einen, die Ballurig großer politischer, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und organisatorischer Machtmittel in der Hand westeuropäischer Katholiken und von ihnen geführter Interessengruppen. Als Generaldirektoren weltweit ausgreifender industrieller Betriebe, als Manager von Organisationen, denen Millionen Menschen angehören und die über viele Millionen Gelder verfügen, besitzen faktisch Katholiken und kirchliche Organisationen heute eine Macht wie nie zuvor in der Geschichte. Da ist es nun, • zum anderen, das Phänomen, welches drastisch und tragikomisch genug mit dieser erstrangigen Tatsache kontrastiert: die redlichen Mittler und Makler christkatholischen Geistesgutes, christlich inspirierter Dichtung, Literatur und Publizistik, die katholischen Buchhändler, zu deren Beruf ,und Berufung es gehört, den beginnenden Weltkampf der Geister und Seelen material zu ermöglichen und anzubahnen, finden sich faktisch in ein ehrenwertes Reduit (um , schweizerisch zu reden), in ein Ghetto (um mit Robert Grosche deutsch zu sprechen), in ein wunderschönes, weltfernes Stift (um österreichisch entgegenzukommen) eingeschlossen.

„Wirtschaft, Horatio f” Laßt Zahlen sprechen. Mögen die Zählen des wirtschaftlich mächtigsten Landes, aus dem die Partner und Freunde zu diesem Wiener Treffen kommen, stellvertretend die Sorgen aller künden.

Dr. Heinz Bauer (Paderborn) weist in einem Aufsatz zur diesjährigen Hauptversammlung der „Vereinigung des Katholischen Buchhandels” in Trier, vom 30. Juni bis 1. Juli, in der bekannten Wochenzeitung „Echo der Zeit” vom 2. Juni auf die „Sorgen der katholischen Buchhändler” hin: „In einer Untersuchung aus dem Jahre 1956 wurde festgestellt, daß in der Bundesrepublik nur drei Prozent aller Firmen als katholische Buchhandelsunternehmen (Verlage und Sortimente) anzusprechen sind. Mit ebenfalls etwa drei Prozent ist der evangelische Buchhandel beteiligt. 94 Prozent aller Buchhandlungen und Verlage sind also, sofern sie dem Christentum nicht feindlich gegenüberstehen, als .neutral’ zu bezeichnen. Für dieses erschreckende Mißverhältnis zwischen der Zahl der katholischen Buchhandlungen und der Größe des katholischen Bevölkerungsanteils können mancherlei Gründe angeführt werden. Das geistig-kulturelle Leben breitester Schichten und somit auch deren Lesebedürfnisse sind nach wie vor liberal, achristlich oder sogar christentumsfeindlich orientiert. Die Welt, in der wir leben, ist weder christlich noch christentumsfeindlich’. In dieser Welt aber steht der katholische Buchhändler, muß sich behaupten und’ durchsetzen. Dabei kann er leider keineswegs immer und für alle Bereiche äüf .das Verständnis und die Förderung seiner eigenen Glaubensbrüder rechnen.”

„Das eindrucksvolle Bild, das manche großer,, katholischen Buchhandlungen in den Städten bieten, darf nicht darüber hiriwegtäuscheri, daß die Basis des katholischen Buchhandels oft erschreckend schmal ist. Wer einen näheren Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse zahlreicher mittlerer und kleinerer Verlage hat, weiß, daß hier häufig ein harter wirtschaftlicher Existenzkampf geführt werden muß, und das bemerkenswerterweise in einet Zeit allgemeiner wirtschaftlicher Prosperität. Es gehört schon ein hohes Maß von buchhändlerischem Können und kaufmännischer Leistung dazu, um sich als katholischer Buchhändler in einer so gearteten -- Umwelt zu behaupten und durchzusetzen.” Dr. Heinz Bauer weist dann nachdrücklich darauf hin, welche folgenschwere Bedeutung diese prekäre Situation des katholischen Buchhandels für das gesamte katholische Verlagswesen, seine Planung und Arbeit, besitzt. „Die Erfahrung zeigt immer wieder, daß ein wirksamer Einsatz für ‘die Produktion der katholischen Verlage fast nur vom katholischen Buchhandel geleistet wird. Das neutrale Sortiment nimmt in der Regel-die Produktion katholischer Verlage nicht auf’ Lager und bietet sie auch nicht ari. Daß das neütrale Sortiment für die Produktion des’katholischen Verlages .nichts tut1, hat praktisch zur Folge,’daß weite Kreise mit dieser Produktion überhaupt nicht bekannt werden. DaS neutrale Sortiment ist offensichtlich doch nicht so .neutral’, wie oft angenommen wird.”

Hier aber fügen wir hinzu: und die katholische, christliche Welt ist offensichtlich nicht so katholisch, nicht so christlich, wie oft angenommen wird. Denn sonst wäre es einfach unmöglich, daß, von einigen an sich, in anderer Weise charakteristischen Massenerfolgen abgesehen, der katholische Buchhandel in eine Erigpaßsituation gedrängt werden konnte (oder, vielleicht geschichtlich richtiger, sich aus den Ghettosituationen des 19. Jahrhunderts nicht wirklich befreien konnte). Das aber ist ein Ausdruck einer folgenschweren Tatsache: die Massen unseres Kirchenvolkes sind viel zuwenig durchgebildet, durchgeformt als Einzelne, zu wachen, Vollreifen christlichen Personen, die sich existentiell interessieren und einsetzen für das, was heute in der Welt vorgeht, lie anspricht, anruft und Bewältigung im Glauben und Wissen verlangt. Dem Konsum an anderen Konsumgütern der industriellen Großgesellschaft; an Automobilen, Eisschränken, an Genußmitteln aller Art, den Milliarden, die da umgesetzt werden, stehen die wenigen hundert und tausend Exemplare hochwertiger christlicher und katholischer Literatur und Dichtung gegenüber, die da wirklich gekauft werden. Es ist bestürzend, wenn man einen Blick in den inneren Haushalt katholischer Prominenter tut: wie viele von ihnen lesen im Jahr auch nicht ein katholisches Buch, ja ziehen es ostentativ vor, Kriminalromane und fragwürdige Reißer aller Art als Reise- und Nachtlektüre zu verzehren. Es ist erschreckend, in die Bücherschränke von finanziell gutgestellten Katholiken zu blicken: was für ein wahlloser Haufen minderwertiger Eintagsliteratur ziert da diė’ schčinč; einladende Wohnung f Der oftmalige1-Hinweis, kein Gefd ztr- hübetf für gute, teure Bücher, wird durch die Wirklichkeit jeden Tages widerlegt: ein einziger Tag des rheinischen Karnevals bringt Gelder in Umlauf, von denen katholische Buchhändler kaum zu träumen wagen. Der tägliche Karneval unseres heutigen christlichen Lebens verschlingt in Drogen, Narkotika, Rauchwaren, Genußmitteln aller Art, Summen, von denen Bruchteile ausreichen würden, um den katholischen Buchhändler in den Stand zu versetzen, in Freiheit und Würde, in Unabhängigkeit sein heikles Geschäft zu treiben: redlicher Makler und Mittler zu sein zwischen Kirche und Welt und zwischen Klerus und Laienwelt. Der gegenwärtig äußerst knappe wirtschaftliche Spielraum, die geringe wirtschaftliche Macht des katholischen Buchhändlers und des hinter ihm stehenden Verlegers ermöglicht es beiden nicht, in Kirche und Welt so frei zu spielen, so frei aufzutreten, als es allen zusammen dienlich, nützlich, heilsam wäre. Es gehört zur Tragik des katholischen Buchhändlers und Verlegers, daß er eben deshalb von Kirche und Welt als ebenbürtiger Partner oft nicht genügend ernstgenommen wird. Er besitzt ja nicht Macht genug, um seinem Anliegen bei beiden mit genügendem Nachdruck zur Anerkennung zu verhelfen: der Kirche erscheint er nicht selten als zu „frei”, zu freiheitlich, zumal wenn er sich erlaubt, darauf aufmerksam zu machen, ‘ daß nicht alle Traktate, Traktätchen und Schmöker druckwürdig und verkaufsreif sind. Der Welt erscheint er als unfrei und als ein Trabant, ein Partisan positionsgebundener klerischer Interessen, als ein Feind der Freiheit des Geistes. Kirchliche Kreise streben deshalb nicht selten an, den katholischen Buchhändler auszuschalten und zu umgehen, durch eigene Verlage und Vertriebsorganisationen, und weltliche, „neutrale” Kollegen verschließen sich, freundlich still, gegen ihn: was kann aus dieser Ecke denn schon Gutes kommen?

Mögen sich christliche Politiker und Manager an ihrer Maght, ihren Zahlen, ihren Massen von Gefolgsleuten berauschen: der katholische Buchhändler steht an der Front der Wirklichkeit und weiß aus harter täglicher Erfahrung, wie es wirklich aussieht in unseren Völkern, in unseren Gemeinden. Wie gering da oft das Interesse für eine tiefere, wurzelstarke Spiritualität ist, welch harter Arbeit es bedarf, um in Kirche und Welt Gedanken, Werke, Autoren bekanntzumachen, die etwas unbequem sind, weil sie froh und heiter es wagen, heiße Eisen anzufassen und Dinge beini rechten Namen zu nennen, die tabu sind, die gerne überschwiegen werden, obwohl die Brandhähne von Weltrevolutionen längst schon auf die Wunden und Fehlleistungen, die hinter ihnen stehen, aufmerksam gemacht haben.

ln dieser prekären Situation, in der sich also der katholische Buchhändler heute befindet, wenig geachtet, gewürdigt, a 1 s P Poni e r, als Vorkämpfer der Kirche in der Welt und als ein aufrichtiger Freund aller Weltkinder, so sie es nur einigermaßen gut mit sich selbst meinen, empfangen nun Wien und Oesterreich die Buchhändler der drei befreundeten und durch mannigfache alte und junge Verbindungen einander zugetanenen deutschsprachigen Völker pjs Gast: Vielleicht sind einige Eigentümlichkeiten des österreichischen Katholizismus und der österreichischen Wesensart befähigt, unseren Gästen und Freunden ein klein wenig Freude und guten Lebensmut mitzugeben für das harte, schwere Geschäft, das Gott, Kirche und Welt, Beruf und Berufung ihnen anlasten.

Der österreichische Katholizismus ist heute ein Katholizismus „kleiner Leute”. Das Echteste, Reinste und Lebendigste in ihm wird durch viele kleine Leute, in der Kleinheit der Tagesarbeit gelebt, in einem unauffälligen, froh opfernden Christenleben, das Wind und Wetter, woher immer sie kommen mögen, Freund und Feind, herzlich geduldig erträgt. Stifters Lob der „kleinen Dinge”, Hofmannsthals Mahnung, „klein”, „leicht” zu sein, demütig, weltfromm, gottfromm zu werden, stehen da als stille Sterne im Hintergrund. Selbstkritik und Selbstironie, Humor, als ein frohes Lachen über eigene Schwäche und kreatürliche Befangenheit, ermöglichen es nicht zuletzt hier Klerus und Laien, innerlich frei einander zu begegnen. Ausländische, welterfahrene Katholiken haben oft das herzlich offene, freimütige, gesunde Verhältnis des österreichischen Klerus und des Kirchenvolkes zueinander bemerkt und es manchmal als unvergleichlich angesprochen. Welche Bedeutung diesem Verhältnis, dieser Lebensbeziehung zwischen kirchlicher Autorität und gläubigem, in der Welt wirkendem Christenmenschen zukommt, weiß jeder katholische Buchhändler und Verleger: geht es ja, im Gelingen oder Mißlingen dieser Beziehung, in jeder Weise um seine Existenz: Wenn zwischen ihm und seiner örtlichen kirchlichen Autorität Vertrauen, ja ein großes Zutrauen herrscht, dann allein kann er froh und im rechten Sinn mutig sein heikles Geschäft betreiben, seinem, Beruf gerecht werden. Nun, der österreichische Katholik ist, als Kleriker und als Laie, ein Mensch eines großen Vertrauens. Er weiß sich so tief im Schoß der Mutter Kirche geborgen — daher auch seine natürliche und übernatürliche Liebe zur Mutter Oesterreichs, zur Mutter Gottes.

Dieses Klima des innerkirchlichen Vertrauens, einer frohen Zusammenarbeit kirchlicher Autorität, von Klerus und Laien, in der Leistung der so schwierigen täglichen Dienste, die beiden von Gott und Welt abverlangt werden, beginnt denn auch nach außen hin zu strahlen — und Räume zu erschließen für das christliche Buch und das Schaffen katholischer Verlage, die ehdem ganz und gar verschlossen waren. Man findet heute in österreichischen Heimen von Sozialisten und „Liberalen” gar nicht so selten Bücher und Werke unserer Provenienz, während zum anderen, alter, eingewurzelter Lässigkeit und „Schlamperei” zufolge (auch diese bilden eine mächtige Tradition, eine fast ehrwürdige Ueberlieferung), in nicht wenigen gutkatholischen Häusern wohl nicht als Grundsatz, aber als Praxis gehandhabt wird: Catholica non leguntur. — Der österreichische Katholizismus verdeckt seine Schwächen nicht: auf der vorbereitenden Tagung zum letzten Allgemeinen gesamtösterreichischen Katholikentag wurden da in Mariazell, wohlgeborgen im Schoß der großen Mutter Oesterreichs, freimütig von berufensten Vertretern der Theologie, dej Klerus und der Ljiienwelt Schwäche und geheime Lebefiskraft dps katholischen Christentums besprochen. Der kommende Wiener Katholikentag steht unter dem Zeichen: „Ihr alle aber seid Brüder.” Brüder in dieser Welt, von Gott berufen zu einer Brüderlichkeit, die mit ihren frohen Diensten die Angst und den Schrecken, die Angstmacher und Geängstigten wandeln, überwinden soll.

Im Zeichen dieser Brüderlichkeit begrüßen wir die Freunde aus Deutschland und aus der Schweiz. Möge das geistige und geistliche, das menschliche Klima hierzulande sie in etwa ergreifen und dann, unsichtbar, leise geleiten in die Arbeit für morgen und übermorgen, die Gott, Kirche und Welt von ihnen erwarten.

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