6716925-1964_47_06.jpg
Digital In Arbeit

Der Bonner Zirkus

Werbung
Werbung
Werbung

Am 1. November hat Altbundeskanzler Dr. Adenauer in einem Interview mit dem Hamburger Groschenblatt „Bild am Sonntag“ den Bonner Regierungsstil schlicht und einfach als Zirkus bezeichnet. Gleichzeitig gab er, um im Bild zu bleiben, einen Peitschenknall in der Manege ab, der das unerfreuliche

Karussell mehr persönlicher als sachlicher Zwistigkeiten um einige Runden weiterdrehen ließ. Interview auf Interview folgte, wobei allenfalls die Blätter, in denen sie erschienen, noch etwas von Verschämtheit zeigten, den parteiinternen Streit entgegen allen Abmachungen und Erklärungen in aller Öffentlichkeit auszutragen. Adenauer und Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier bevorzugten „Bild“, ein nationalistisches Massenblatt, dem bisher noch niemand einen Rang in der geistigen Hierarchie deutscher Journale zuerkannt hat, während Außenminister Schröder die „Mainzer Allgemeine“ benutzte, ein biederes Blatt, das aber für wichtige Äußerungen bisher nicht in Frage kam.

Verlust an Autorität

Diesem Niveauverlust stand in diesen letzten 14 Tagen ein ebenso erschreckender Verlust an Autorität gegenüber, der nicht nur vom „Bonner Zirkus“, sondern auch von so auffallenden Ereignissen ausging wie dem plötzlichen Rücktritt des Wehrbeauftragten des Bundestags Admiral Heye und dem unter spektakulären Umständen erfolgten Rücktritt des Präsidenten des vierten Strafsenats des Bundesgerichtshofes, Dr. Heinrich Jagusch. Die Situation ähnelt in manchem der Regierungskrise vor zwei Jahren, als das etwas außerhalb der Legalität verlaufende Vorgehen der Bundesregierung gegen das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ eine allgemeine Regierungskrise zur Folge hatte. Hatte seinerzeit der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß dem Parlament die Unwahrheit gesagt, der Bundeskanzler Adenauer Erklärungen abgegeben, deren Wahrheitsgehalt umstritten war, und so eine allgemeine Erregung hervorgerufen, so fragt sich diesmal eine erstaunte Öffentlichkeit vergebens nach den Gründen

Was wollte Adenauer?

Es ist bis heute umstritten, was Adenauer mit diesem Interview eigentlich erreichen wollte. Ein Sturz des Kabinetts scheint ebenso im Bereich des Möglichen wie die Absicht, seinen Besuch in Paris am 8. November durch eine politische Mission zu vergolden. Adenauers Hinweis, daß er es für zweckmäßig hielte, wenn ihm Bundeskanzler Erhard einen Brief an de Gaulle mitgebe, schien in diese Richtung zu deuten. Tatsächlich waren die Beziehungen zwischen Bonn und Paris auf dem Gefrierpunkt angekommen, als de Gaulle Mitte Oktober das Zögern Bonns, den Getreidepreis innerhalb der EWG anzugleichen, mit dem Ultimatum beantwortete: Frankreich werde im Fall weiterer Verzögerungen am 15. Dezember die EWG verlassen. Adenauers privater Besuch

dieser Krise. Je mehr sich der Nebel über der Kampfstätte hebt, desto deutlicher scheint sich als Ursache der Krise ein Kampf aller gegen alle in der Regierungspartei, der CDU CSU, abzuzeichnen, bei der der erkrankte Außenminister Schröder und Bundeskanzler Erhard die sichtbarsten Zielscheiben der An

griffe sind. Aus vielen Äußerungen entsteht überdies der Eindruck, als gingen in Bonn einige von langer Hand vorbereitete Minen des CSU- Vorsitzenden Franz Josef Strauß hoch, der selbst, in der Rolle Mackie Messer, „um die Ecke“ nach Formosa unterwegs, sich ein glänzendes Alibi verschafft hat.

Es begann in Hessen

Ausgangspunkt des Debakels waren sicherlich die Kommunalwahlen in Hessen, Rheinland Pfalz und dem _ Saarland am 25. Oktober, bei denen erneut die SPD einen unerwartet hohen Stimmenzuwachs erhielt. Eine Woche später erschien Adenauers Interview, in dem er die Bundesregierung und insbesondere Außenminister Schröder scharf angriff. Die Bundesregierung bekam zu hören, „daß das deutsche Volk eine klare Politik und eine klare Führung verlangt. Wenn ihm wenig geboten wird, ist es unzufrieden“. Weiter meinte Adenauer: „Wenn die jetzige Bundesregierung und die jetzige Regierungskoalition wirklich schlüssig und zügig konsequent arbeiten und Leistungen hinlegen würde, dann sind die Aussichten für die Bundestagswahlen für die beiden Parteien gar nicht so schlecht.“

Nach einem scharfen Angriff wegen der Versäumnisse der Bundesregierung gegenüber Frankreich — „Das läßt sich ein Mann wie de Gaulle einfach nicht gefallen“ — meinte er maliziös: „Ich hoffte, in diesen bewegten Zeiten hätte der Außenminister eine bessere Gesundheit und wäre an Ort und Stelle.“ Nicht weniger auffallend war das Lob, das Adenauer ungefragt der Intelligenz und der „eminenten politischen Begabung“ des CSU-Vor- sitzenden Franz Josef Strauß zollte, von dem der meinte, daß er sehr wohl wieder für ein hohes Amt im Staate würdig sei.

— er war zum Mitglied der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften gewählt worden — erhielt nicht nur durch einen tatsächlich von Erhard an Adenauer gegebenen Auftrag zu Sondierungen, sondern auch durch die von de Gaulle befohlenen Ehrungen politischen Charakter: Neben Adenauer waren zu einem früheren Zeitpunkt auch Churchill und Eisenhower in die Akademie aufgenommen worden, aber nur Adenauer wurde die Ehre zuteil, im großen Kuppelsaal der Akademie zu sprechen.

Gerstenmaier bringt vieles in Erinnerung

Noch während in Bonn das Rätselraten über Adenauers Absichten anhielt, spielte sich ein Mann in den Vordergrund, der als einziger neben

Erhard in der CDU als möglicher Kanzlerkandidat in Frage kommt: Bundestagspräsident Dr. Eugen Ger- stenmaier. Er hatte im Oktober bei einem Besuch in Paris eine längere Unterredung mit de Gaulle gehabt und sich dadurch als Außenpolitiker in Erinnerung gebracht. Am Tage des Adenauerschen Interviews hielt Gerstenmaier in Schwäbisch

Gemünd eine unerwartete Lobesrede auf Franz Josef Strauß. Am 2. November überraschte Gerstenmaier durch eine Erklärung, ein Wechsel im Außenamt sei so kurz vor den Wahlen inopportun. Als das immer noch nicht genügte, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu lenken, gab Gerstenmaier am

8. November der Bildzeitung ein Interview, in dem er alle Vor würfe gegen den erkrankten Außenminister wiederholte und im Stile Adenauers gönnerhaft versicherte: „Fairerweise muß man Schröder eigentlich die Chance lassen, noch-

Die Hatz auf den Außenminister

So schien alles auf die Hatz auf den Außenminister vorbereitet. Die SPD, die in dem Streit eine willkommene Gelegenheit erkannte, die CDU abzuwerten, stieß mit einer Dringlichkeitsanfrage zur Außenpolitik nach. Ludwig Erhard, von den Angriffen auf seinen Außenminister sichtlich verstört, sah sich

am Mittwoch vergangener Woche außerstande, die 14 Fragen der Opposition zu beantworten. Mit Spannung wurde daher die Bundestagsdebatte am Freitag erwartet. Zum Erstaunen aller vertrat Bundesaußenminister Schröder selbst seine Außenpolitik. Kanzler Erhard beschränkte sich darauf, die Frage, ob er glaube, daß ein Wechsel im Außenministerium die Beziehungen zu Frankreich verbessern könne, mit einem klaren Nein zu beantworten. Schröder nutzte die ihm gebotene Chance und erledigte meisterhaft die Argumente seiner Gegner. Bun-

mais anzufangen und unter der veränderten Situation mit neuen Vorschlägen zu kommen.“

Inzwischen hatte Schröder seinem Ärger in der „Mainzer Allgemeinen“ Luft gemacht und an die Adresse des in Paris hohe Ehrungen entgegennehmenden Parteivorsitzenden Adenauer die Warnung gerichtet, nicht allein auf de Gaulle zu setzen, dessen Politik in der EWG und in der Frage der multilateralen Atomstreitmacht er als wenig sachlich bezeichnete. Schröder empfahl „eine geschmeidige Politik zwischen den Verbündeten“. Beide Interviews er

höhten das Durcheinander in der CDU, deren Spitzengremien fast pausenlos tagten. Hatte sich Gerstenmaier selbst als Kanzlerkandidat in Erinnerung gebracht, so hatte der aus Paris zurückkehrende Altbundeskanzler einen Kandidaten für das Außenministerium parat: Adenauer meinte noch auf dem Flugplatz Köln, sein enger Vertrauter, Bundesminister Krone, der ihn nach Paris begleitet hatte, habe dort in ausführlichen Gesprächen mit dem französischen Ministerpräsidenten Pompidou vollauf zufriedenstellende Arbeit geleistet.

destagspräsident Gerstenmaier bot in seiner Eigenschaft als Abgeordneter dem Parlament zum erstenmal die Schau, einen amtierenden Bundesminister aus den eigenen Reihen anzugreifen. Mit der ihm nachgesagten Kühle erledigte Schröder die Fragen Gerstenmaiers, die am Ende im Gelächter unterzugehen drohten.

Noch bedeutungsvoller allerdings war die Art, wie Schröder sich von den Anbiederungsversuchen der SPD distanzierte.

Die SPD hatte in der vergangenen Woche eine einmalige Chance. Der Streit in der CDU mußte neue Fronten aufreißen, die um so unüberbrückbarer werden konnten, als ein Sturz Schröders der CDU einen ebenso unversöhnlichen Gegner beschert hätte, wie es Franz Josef Strauß nach seinem Sturz geworden ist. Als Vorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises besaß Schröder eine Anhängerschar, deren Feind-

schäft der Einheit der Partei gefährlich werden konnte. Für die SPD hätte ein Sturz Schröders, selbst wenn sie seine Politik bejaht, einen unschätzbaren Vorteil bedeutet. Die taktisch ungleich geschicktere FDP, die in einer ähnlichen Lage ist, hielt sich daher zurück. In der SPD scheint aber wieder einmal der Opportunismus Herbert Wehners gesiegt zu haben, der Schröder nicht verärgern will und seit Jahren sein Streben nach einem Ministersessel mit Politik verwechselt. Anstatt die Rolle der Opposition zu spielen, gab er Schröder die Möglichkeit eines großen Auftritts — und erhielt von diesem die wohlverdiente Ohrfeige. Offenbar hat man in der SPD die Binsenweisheit vergessen, daß Schröder seine Außenpolitik nur im Einvernehmen mit der Mehrheit seiner Partei vertreten kann und jeder Beifall aus den Reihen der Opposition für ihn höchst gefährlich ist. Schröder ergriff die Gelegenheit und kanzelte Wehner wegen einer an sich bedeutungslosen Rede in Augsburg in ungewöhnlich scharfer Form ab. Die Chance, eine Alternative zum „Bonner Zirkus“ aufzuzeigen, war wieder einmal von der SPD aus Opportunismus verspielt worden.

Schröder blieb Sieger. Aber — wie geht es weiter? Die Niederlage der Fronde Adenauer — Strauß — Gerstenmaier zeichnete sich schon ab, als Adenauer mit leeren Händen aus Paris zurückkehrte. Die allein auf Frankreich ausgerichtete Politik war praktisch seit dem Wahlsieg Johnsons ohne reelle Chance. Schröder sitzt hier am längeren Arm. Nur ist

damit die Krise der CDU und des Kabinetts Erhard noch nicht gemeistert. Der Bundeskanzler hat während dieser spannungsreichen Tage eine wenig überzeugende Rolle gespielt. Er schien unfähig, sich in eindeutiger Weise durchzusetzen. Seine Eigenschaft, persönlich gekränkt zu sein, machte sich unliebsam bemerkbar. Der Zerfall an Autorität mag auf dem außenpolitischen Sektor für eine Zeitlang gestoppt sein. Auf anderen Gebieten hält er jedenfalls an. Über diesen ganzen Fragenkomplex mag in einem weiteren Artikel ausführlicher gesprochen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung