7105073-1995_27_07.jpg
Digital In Arbeit

Ein theologisches Lebenswerk zwischen Buchdeckeln

19451960198020002020

Ein editorisches Großereignis ist anzuzeigen: Ende Juni ist der erste Band der auf 32 Bände angelegten Gesamtausgabe der Werke des Jesuitentheologen Karl Bahner (1904-1984) ausgeliefert worden.

19451960198020002020

Ein editorisches Großereignis ist anzuzeigen: Ende Juni ist der erste Band der auf 32 Bände angelegten Gesamtausgabe der Werke des Jesuitentheologen Karl Bahner (1904-1984) ausgeliefert worden.

Werbung
Werbung
Werbung

Manche sterben zweimal. Ist einer gestorben, kann er weiter . sterben durch Verkürzungen, Ausblendungen, Umdeutungen, Mißbrauch ... Das ist auch Karl Rahner und seinem Werk im ersten Dezennium post mortem widerfahren. Manche wollten über ihn hinaus, ohne je bei ihm gewesen zu sein. Andere meinten, eine „Freundschaft” verraten zu müssen. Die ihn hätten verteidigen können oder sollen, ließen sich damit oft Zeit; auch aus seiner nächsten Umgebung.

Umso erfreulicher, daß es an der Zeit schien, sicherzustellen, Rahner möglichst umfassend und zuverlässig präsent sein zu lassen. Die Ausgabe der „Sämtlichen Werke” trägt dem Rechnung und kehrt den seit Rahners Todesjahr 1984 (und schon vorher) zu beobachtenden Trend zu „Rahner light”-Produkten um: Bruchstücke, Auswahl, Arrangements, unbelegte Worte .:. Kaum vorzustellen, daß alles, was da unter Bahners Namen verbreitet wurde, wirklich seinen Intentionen entsprach. Mißdeutungen und Vereinnahmungen konnten nicht ausbleiben. Es kursieren Bahner-Texte oft in unterschiedlichsten Fassungen. Das hat, wie es im vierseitigen Werbeprospekt der Verlagshäuser Benziger und Herder heißt, „Irritationen hervorgerufen, denen die Gesamtausgabe durch eine verläßliche Textfassung abhelfen wird”.

Ein Herausgeberkollektiv namhafter Mitarbeiter Bahners aus ganz verschiedenen Phasen seines Schaffens garantiert die seriöse Abwicklung des Unternehmens, das auf gut ein Jahrzehnt angelegt ist. Die Namen spiegeln zugleich etwas von theologischer und kirchlicher Zeitgeschichte: Karl Lehmann, Johann B. Metz, Karl H. Neufeld, Albert Baffelt und Herbert Vorgrimler; sie repräsentieren nicht nur das Interesse von Kirche und Theologie im deutschsprachigen Baum, sondern auch über das in Innsbruck ansässige Karl-Bahner-Archiv, wo der wissenschaftliche Nachlaß Bahners verwahrt und ausgewertet wird, die Verbindung zu den Dokumenten und Originalschriften, mag auch für eine umfassend kritische Ausgabe im Augenblick noch manche

Voraussetzung fehlen. Daß unter den Herausgebern der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz ist, sei nur am Bande erwähnt, wird aber nicht nur als private Liebhaberei zu verstehen sein. Natürlich stehen die Namen auch für je eigene Verständnisse des Werkes und für unterschiedliche Interpretationseinrichtungen und -stränge. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Herausgeberschaft auf die Edition auswirkt. Das dazu jetzt vorliegende kleine Wort zur Einführung und der Editionsplan geben einen ersten Eindruck.

Der geplante Umfang deutet jedenfalls an, daß verglichen mit der bisherigen Sammlung von Bahner-Schriften mit einem etwa dreimal größeren Textbestand gerechnet wird. Die einzelnen Bände werden von verschiedenen Bearbeitern besorgt werden. Die Beihe soll chronologisch aufgebaut sein, ohne daß dieses Prinzip einfach rigide angewandt wird. Vier große Phasen sieht der Editionsplan vor: Grundlegung (1922-1949/Bände 1-8), Aufbau (1949-1964/Bände 9-17), Entfaltung (1964-1976/Bände 18-26) und Sammlung (1977-1984/Bände 27-32).

Wer mit Bahners Leben vertraut ist, erkennt leicht die wichtigen Zäsuren wieder und wird ahnungsweise schon die lebensgeschichtlichen Bezüge zu den jeweiligen Beiträgen zuordnen können. Diese Theologie hielt sich eng an den akademischen Einsatz, an Bitten und Aufträge von außen, an Konzil und Synode, stellt aber nicht ein geplantes und Band um Band aufgetürmtes ästhetisches System aus einer abgeschiedenen Gelehrtenstube oder einen sterilen Denkfabrik dar.

Vielleicht echte Hilfe für Kirche von heute

Die Beihe erscheint nicht mit Band eins,, sondern stellt sich der Öffentlichkeit mit „Selbstvollzug der Kirche” vor, einem Beitrag Bahners, der hier zum ersten Mal in dieser Form greifbar wird und stark den Einfluß des Zweiten Vatikanums spüren läßt. Vielleicht können diese Anregungen und Diskussionen gerade in der Lage der Kirche heute zu einer echten Hilfe werden.

Bearbeiter von Band 19 ist Karl H. Neufeld, der in einem Editionsbericht (XXV-XXXV) über die Entstehung der einzelnen Texte informiert. Der

556 Seiten starke Band gibt in Teil A Texte zum „Projekt einer praktischen Theologie heute” wieder (1-43); Teil B versammelt alle Beiträge Bahners aus dem von ihm mit herausgegebenen, zwischen 1964 und 1969 erschienenen „Handbuch der Pastoraltheologie” (45-499); Teil C bietet erklärende Aufsätze Bahners zu den hier vorgelegten Texten (501-531); der Anhang bringt Vorworte, die Textnachweise und ein Namen- sowie ein Stichwortregister (533-556). Alle Beiträge gehören thematisch und zeitlich zusammen und sind das Ergebnis von Beratung, Ausarbeitung und Bilanz eines ganzen Jahrzehnts.

Zu wünschen ist dem Projekt eine breite Aufnahme. Nicht damit Bahner Begale füllt - es dürften zwischen acht bis zehn Meter werden —, sondern damit er gelesen und für heutige Fragen fruchtbar gemacht wird. Denn: „Auch die, die ihn kritisieren oder ablehnen”, befindet einer der ersten Bahnermitarbeiter und scharf-züngigsten Bahnerkritiker J. B. Metz, „zehren noch von seinen Einsichten, von seinen ebenso scharfsinnigen wie zarten Wahrnehmungen in der Welt des Lebens und des Glaubens.”

Der Start der Gesamtausgabe ist also ein nicht zu unterschätzendes Signal der Karl-Bahner-Stiftung an Kirche und Theologie, die den Jesuitentheologen in seiner Genialität manchmal weniger schätzen konnten als Millionen von Leserinnen und Lesern, die trotz des Odiums des sogenannten schweren Bahners Zugang finden zu einer Theologie, die wirklich Theologie war, weil sie aus dem Gebet und der Meditation entstand: „Jedenfalls kann es”, befinden die Herausgeber, „im Sinne Karl Bahners nicht um Gedankenspiele gehen, die in sich zwar faszinieren mögen, deren Bezug zum Leben aber fraglich bliebe. Um dieses Lebensbezuges willen hat er gern ,Di-lettant' sein wollen. Daß seine Beiträge selbst ein Jahrzehnt nach seinem Tode vielen etwas geben, belegt die breite Nachfrage, die die Gesamtausgabe auf ihre Weise zu antworten sucht.”

Im November 1995 soll übrigens schon der nächste Band erscheinen: es ist Band acht „Schöpfung und Welt”.

Karl Rahner, Sämtliche Werke.

Band 19; Selbstvollzug der Kirche. Ek-klesiologische Grundlegung praktischer Theologie. Bearbeitet von Karl-Heinz Neufeld Benziger, Solothurn-Üüssel-dorf Herder, Freiburg-Basel- Wien 1995. 556Seiten, öS 1233,- (bei Subskription öS 999,-.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung