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Industrielle Produktplanung

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ln den letzten Jahren hat sich in den stark industriell basierten Ländern Europas und der übrigen Welt der wirtschaftliche Wettbewerb in ein Gebiet zu erstrecken begonnen, das bis vor kurzer Zeit nicht allzu ernst genommen wurde. Es handelt sich hierbei um jenen Anteil an der Entwicklung industrieller Produkte, der mit dem Sammelbegriff „Industrial Design“ bezeichnet wird. Was sagt nun dieses Wort und welche Auswirkungen auf industrielle Produkte finden durch Industrial Design statt?

Industrial Design als Begriff dürfte wohl in weiten Kreisen bekannt sein. Wie sich jedoch vor allem in Kreisen der Wirtschaft zeigt, wird darunter nur allzu oft eine Art „kosmetischer Behandlung“ eines vorher bereits technisch reif entwickelten Produktes verstanden. Hier handelt es sich um eines der gefährlichsten Mißverständnisse, das für das weitere Schicksal eines Produktes in Erzeugung, Verkauf und Gebrauch von schwerstwiegenden nachteiligen Folgen sein kann. Wird nämlich ein technisch einwandfreies, ausgereiftes, produktionsbereites Er zeugnis mit einem mehr oder weniger ästhetischen „Ueberguß" versehen, so leuchtet sehr leicht ein, daß diese ziemlich oberflächliche Behandlung nach kurzer Zeit dazu verlockt, denselben Gegenstand einer neuerlichen kosmetischen Prozedur zu unterziehen und ihn dadurch zu „verjüngen“. Die wirtschaftlichen Risiken einer solchen Handlungsweise liegen auf der Hand: Eine Produktion, die in das oben beschriebene Fahrwasser gerät, ist mit ihren Erzeugnissen den leisesten modischen Schwankungen ausgesetzt, und bei dem geringsten „Schminkfehler“ treten ernsthafte Absatzkrisen auf. Darüber hinaus läßt sich nicht vermeiden, daß die Entwurfstätigkeit des Industrial Designers von den sehr oft hochqualifizierten technischen Mitarbeitern eines Betriebes verständlicherweise nicht sehr ernst genommen wird, wenn sich diese nur auf die sogenannten „Geschmacksfragen“, über die sich bekanntlich streiten läßt, beschränkt und womöglich bei einem ansonst wohldurchdachten Gegenstand nur neuerliche Schwierigkeiten in der Produktion verursacht.

Im übrigen ist bei der oben beschriebenen Auffassung im allgemeinen die Tätigkeit eines

Entwerfers für die Industrie wirklich alles andere als erfreulich. Als Betriebsfremder kommt der mit einem Planungsauftrag bedachte Designer zu einem eigentlich bereits abgeschlossenen Entwicklungsprozeß hinzu und sieht sich nun einer doppelt unangenehmen Aufgabe gegenüber. Erstens hat er sehr oft eine emotionelle Barriere in den technischen Büros und in den Werkhallen zu überklettern, weil er ja nur selten Produktionsvereinfachungen, meist aber neue Schwierigkeiten für den technischen Stab bringt. Zweitens aber steht der Betreffende vor der nicht immer angenehmen Aufgabe, nach kurzer Zeit neue Varianten eines unter Umständen ordentlichen Grundentwurfes nur deswegen ersinnen zu müssen, weil ein „neues Modell“ dringendst benötigt wird. Es ist leicht einzusehen, in welches Dilemma der unglückliche Entwerfer nun persönlich1 gerät: Unterzieht er sich nämlich der großen Mühe, seinem Auftraggeber zu erklären, daß dieser alles von vornherein hätte anders aufziehen müssen, so muß er mit dem sofortigen Gegenargument rechnen: „Ihr Einwand mag im allgemeinen richtig sein, aber im vorliegenden Fall sind wir leider unter derartigem Zeitdruck, daß uns kein anderer Weg als der übliche bleibt. Wir bitten Sie also daher, uns keine Schwierigkeiten zu machen und doch die gewünschte Neuauflage unseres bewährten Modells so rasch wie möglich durchzuführen.“ In vielen Fällen gehen die Meinungsverschiedenheiten sogar so weit, daß der Entwerfer mit dem Verlust seines Auftrags rechnen muß. Es versteht sich, daß bei dieser Situation weniger gewissenhaften Entwurfskräften Tür und Tor geöffnet wird.

Jemand, der sich nicht der Mühe unterzieht, seinen Auftraggeber auf etwaige Dispositionsfehler aufmerksam zu machen, und sich damit unter Umständen dem Vorwurf aussetzt, den Produktionsprozeß unnötig aufgehalten zu haben, hat dann gewöhnlich in jeder Werkleitung leichteres Spiel. Die Versuchung ist daher nur zu oft sehr groß, die Dinge eben laufen zu lassen, wie sie laufen, selbst wenn letzten Endes das Produkt darunter leidet.

Auf der anderen Seite hat die Industrie bei richtigem Einsatz eines begabten Designers viel mehr Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Erzeugnisse und damit Möglichkeiten, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, als im allgemeinen, insbesondere in Oesterreich, erkannt wird. Es sollte übrigens nicht vergessen werden, daß ein richtig geformtes und entwickeltes Industrieprodukt eine zusätzliche Dienstleistung am Konsumenten beinhaltet und damit oft neue Verbraucherkreise anspricht, die vorher nicht oder nur sehr schwer erfaßbar waren. Auch der zusätzliche Werbewert eines guten Designs darf nicht außer acht gelassen' werden. Es ist natürlich nicht leicht, allgemein gültige Regeln für die Entwicklung von Produkten unter Heranziehung von Entwerfern aufzustellen. Dabei sind immer wieder der betreffende Fall des Betriebes, seine Produkte und seine Produktionsmöglichkeiten sowie der jeweils anzusprechende Markt von entscheidender Bedeutung. Es würde den Rahmen der vorliegenden Ueberlegung weit überschreiten, auf alle nur möglichen Einzelfälle einzugehen. Soweit sich aber eine allgemein gültige Beschreibung des anzustrebenden Vorganges bei der industriellen Produktplanung geben läßt, mag gesagt sein, daß es wahrscheinlich gar nicht möglich ist, den Bearbeiter der Entwurfsfragen bei einem neu zu planenden Er zeugnis zu früh heranzuziehen; daß aber die Gefahr sehr groß wäre, ihn zu spät mit der Entwurfsgabe zu betrauen. Es wird sich daher wahrscheinlich empfehlen, den Betreffenden schon bei den ersten Auswertungen der Marktforschung heranzuziehen, wenn auch noch nicht als Berater, sondern zunächst, um ihn möglichst eingehend über alle Faktoren, die das zukünftige Produkt bestimmen, zu informieren. Es wäre nicht richtig, wenn man, wie das oft geschieht, dem Designer die für ihn notwendige Information durch eine Person des Betriebes sozusagen in gesammelter Form zukommen läßt, weil man ihm damit die Grundlage nimmt, sich eine eigene Meinung in bezug auf das zu schaffende Produkt zu bilden. Hat der Betreffende aber die Möglichkeit, sich über die Chancen des geplanten Erzeugnisses auf den in Aussicht genommenen Märkten, über die Produktionsmethoden und -fähigkeiten des Betriebes ein möglichst klares Bild zu machen, bevor er seine eigentliche Entwurfstätigkeit beginnt, so hat dies neben der zweifellos weit seriöseren Bearbeitung des gestellten Problems den weiteren Vorteil, daß der Designer schon vor Beginn der technischen Entwicklungsarbeit mit den damit befaßten Personen in Kontakt kommt. Dadurch werden die sonst häufigen emotionellen Widerstände leichter zu überwinden sein. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß bei einer Entwicklungstätigkeit, die von den daran beteiligten Personen wirklich gemeinsam durchgeführt werden kann, der Entwerfer als vollwertiges Glied eine anerkanntere Rolle mitspielen kann, als wenn er nachträglich zum Aerger der Fachleute vor ein fertiges Produkt gestellt wird mit der Aufgabe, es zu verändern.

, Es mag nicht uninteressant sein, bei dieser Gelegenheit eine Frage zu erörtern, die immer wieder bei Entwicklungsarbeiten in der Industrie auftritt: Soll die Tätigkeit eines Designers als die eines Konsulenten von auswärts eingerichtet werden oder empfiehlt es sich eher, etwa im technischen Büro, einen Entwerfer im Angestelltenverhältnis zu beschäftigen, der alle laufenden Fragen auf diesem Gebiet bearbeitet? Auch hier ist es nicht leicht, eine allgemeine Regel aufzustellen. Im allgemeinen aber hat der Konsulent den Vorteil, daß er in einen Betrieb als Außenstehender kommt, mit den tagtäglichen Problemen nicht belastet ist und daher nicht „betriebsblind“ sein kann. Die Konsulententätigkeit ist auf einer gesunden Basis aber nur dann erfolgversprechend, wenn der Designer in der beschriebenen Weise möglichst vom frühen Beginn jeder Entwicklungsarbeit zugezogen wird. Außerdem bringt der Konsulent als Außenstehender eine Fülle von Erfahrungen mit, die er bei Bearbeitung von Aufträgen in anderen Industriegebieten sammeln konnte und die oft der ihm gestellten neuen Aufgabe zugute kommen. Das soll natürlich nicht heißen, daß eine innerbetriebliche Entwurfskraft nicht sich ergebende Probleme zufriedenstellend lösen könnte. In vielen Fällen hat sich eine Zusammenarbeit zwischen einem Konsulenten von außen und den Betriebsentwerfern als äußerst förderlich erwiesen. Diese Fälle betreffen jedocfy meist größere Betriebe.

Sehr oft wird an den Entwerfern kritisiert, daß sie von den verschiedenen Erzeugungsarten und Möglichkeiten in den Betrieben nicht allzuviel wüßten. Bei der sehr komplexen Art der Produktion in einer industriellen Gesellschaft wäre es wahrscheinlich unmöglich, alle die Arten der Erzeugung genauest zu kennen, die es im Augenblick gibt. Dies scheint auch gar nicht die wesentlichste Voraussetzung für einen guten Entwerfer zu sein. Was aber mit der größten Entschiedenheit gefordert werden muß, Ist die Bereitwilligkeit und Fähigkeit des Designers, sich in einen speziellen Produktionsvorgang, mit dem er vielleicht vorher noch nie zu tun hatte, so gründlich hineinzudenken, daß er sehr wohl imstande ist, brauchbare Ratschläge für die Entwicklung von Produkten zu geben. Ein Vergleich mit den Personen, die sich mit dem Zeitstudium in der Industrie befassen, scheint hier vielleicht am Platze. Auch hier wird man bei konsultativer Tätigkeit nicht voraussetzen, daß der Betreffende alle die Berufe, deren Zeitaufwand er untersucht, selbst beherrschen müßte. Das Einfühlungsvermögen hingegen kann nicht hoch genug gewertet werden.

Zusammenfassend wäre zu sagen, daß bei der Berücksichtigung aller jener Elemente, die zur ordentlichen Planung industrieller Produkte beitragen, die Leistung des Industrieentwerfers als eines wertvollen Mitarbeiters weniger als bisher außer acht gelassen werden sollte.

Besonders in einer Zeit, in der die Bestrebung zu größeren gemeinsamen Märkten ihre Auswirkung zu zeigen beginnt, wird der Beitrag des Designers zu wettbewerbsfähigen Erzeugnissen nicht zu unterschätzen sein.

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