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Menschenopfer der „Verständigung" wegen?

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Viele Indizien sprechen für eine intensive Beschäftigung der vatikanischen Geheimdiplomatie mit der „Chinafrage". Es geht um Religionsfreiheit und um Bischofsernennungen.

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Viele Indizien sprechen für eine intensive Beschäftigung der vatikanischen Geheimdiplomatie mit der „Chinafrage". Es geht um Religionsfreiheit und um Bischofsernennungen.

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Die Chinafrage steht bei der vatikanischen Diplomatie zur Zeit wieder ganz an der Spitze. Aber auch kirchliche Forschungsstellen haben sich der Frage angenommen. Unabhängig voneinander fordern der in Taiwan (Republik China) lehrende Dominikanertheologe Welte und der Guru der europäischen Moraltheologen, Bernhard Häring, Schritte des Entgegenkommens durch die römische Zentrale der katholischen Weltkirche. Unter Hinweis auf die ursprüngliche Kirchenpraxis des ersten Janrtausends stellt Häring die heikle Frage, ob der Vatikan nicht auf das Recht der Bischofsernennungen verzichten sollte.

Häring präzisiert seine für manche sensationellen und kontroversen Vorschläge in einem kleinen, vor kurzem erschienenen Bändchen „Es geht auch anders - Plädoyer für eine neue Umgangsform in der Kirche" (Verlag Herder). Darin widmet er auch den Erfahrungen der tschechischen „Geheimkirche" mit Bischofsernennungen ein eigenes Kapitel

Tatsächlich könnte die bedrängte Kirche Chinas (vor kurzem erst wurden wieder religiöse Aktivisten verhaftet, viele Geheimbischöfe befinden sich nach wie vor im Gefängnis) - unter anderem durch den erwähnten Verzicht Roms - aus einem sehr schwierigen und schmerzhaften Engpaß herausfinden. Bischofswahl und Bischofsweihen ohne Mitwirkung Roms sind seit fast 40 Jahren Stein des Anstoßes und Urgrund der Spaltung in eine regimenahe patriotische Vereinigung (Kirche ist ein falscher, wenn auch oft gebrauchter Ausdruck dafür) mit eigenen, vom Regime „anerkannten" Bischöfen und in eine romtreue Geheimkirche, vorwiegend in Lagern und Kerkern.

Ihnen gemeinsam ist die Oppositionsrolle, die sicherlich auf Dauer nicht durchzuhalten sein wird. Gegenwärtig befürchten die Bischöfe der katholischen Untergrundkirche Chinas, daß Peking heuer besonders scharf gegen den kirchlichen Untergrund vorgehen wird. Das plötzliche Verschwinden des Pfarrers Wei Jingyi, des Generalsekretärs der im Untergrund agierendenden romtreuen Bischofsvereinigung, hat jüngst diese Befürchtung bestätigt.

GEFÄHRLICHER WEG

Agenturen meldeten vor kurzem, daß die „Bischofsvereinigung auf dem chinesischen Festland", das sind die Romtreuen, in einer Erklärung die Unterdrückung der freien Religionsausübung beklagt hätten. Der erwähnte Pfarrer Wei Jungyi ist nach einem Besuch bei dem Untergrundbischof von Baoding am 20. Jänner verschwunden. Einen Monat lang vraßte man nichts über seinen Verbleib. Mittlerweile habe man über verschiedene Kanäle erfahren, daß sich Wei in einem Gefängnis im Bezirk Xushui in der Provinz Hebei befinde. Wei Jingyi war schon einmal, 1989, festgenommen und zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt worden, weil er an einer Tagung der Untergrundbischofskonferenz teilgenommen hatte.

In dieser Situation sucht Rom seit einiger Zeit einen dritten Weg, abenteuerhch und gefährlich. Durch eine jesuitische Indiskretion wurde bekannt, daß der Papst eine Reihe von patriotischen Bischöfen anerkannt habe. Neben der von Rot-China gewünschten „Abwertung" der Nuntiatur in Taiwan (es gibt dort nur mehr einen äußerst kundigen Geschäftsträger), hat Rom Neuland beschritten. Man spricht inzwischen von mehr als 20 patriotischen Bischöfen, die den römischen Sanc-tus erhalten haben sollen. Ein Novum in einer sehr heiklen Frage!

Die Verfolgung der katholischen Kirche dauert seit der Gründung der Volksrepublik China am 10. Oktober 1949 unterschiedlich intensiv an. Bereits am 18. März 1951 hat die chi^ nesische Presseagentur - sicherlich in höherem Auftrag - zur Trennung von Rom (Stichwort: ausländische, feindliche Macht) aufgerufen. Konkret hatte man schon damals detaillierte Pläne in der Schublade, wie man eine von Rom getrennte Kirche aufziehen könnte. Der Gedanke der mit Kirchenfragen betrauten Experten richtete sich sogar auf die Einsetzung eines chinesischen Papstes. Die Namen der beiden Bischöfe, die damals angesprochen vrarden, aber ablehnten, sind bekannt.

Die erste Bischofsweihe ohne Mitwirkung Roms fand 1957 statt. Seither werden Namen und Umstände der Ernennung und Weihe patriotischer Bischöfe von Fachleuten gesammelt. Derzeit dürften rund 60 patriotische Bischöfe und mehr als 60 romtreue Geheimbischöfe in unterschiedlichen Positionen amtieren.

Tatsache ist, daß seit 1957 rund 200 Bischofswahlen und Weihen ohne römische Mitwirkung erfolgten. Papst Pius XII. hat seinerzeit oft gegen diese Praxis in China seine Stimme erhoben, am deutlichsten in seiner Enzyklika vom 29. Juni 1958 „Ad Apostolorum Principis".

Sollte Rom mit seiner Praxis weiterfahren, patriotische Bischöfe zu akzeptieren, so würde wieder einmal die katholische Geheimkirche, die natürlich hinterfragt werden darf und muß, auf der Strecke bleiben. Unbemerkt und unkommentiert geschah dies übrigens in den vergangenen Monaten in den benachbarten Ländern: Tschechische Republik und Slowakei. Zwanzig Geheimbischöfe verzichteten; nur einer, verheiratet, unterschrieb nicht.

Von der Ergänzung des Apostelkollegiums bis zur Bischofswahl im schweizerischen Basel, über die Sonderrechte in Mitteleuropa, ist der

Modus der römischen Bestätigung bekannt. In den kleinen unierten Gemeinschaften wird die Bischofswahl und die Bestätigung durch Rom als gangbarer Weg vorgelebt und ohne größere Probleme praktiziert. Bernhard Häring im Original-Ton: „Warum dann nicht für China und schließlich für die Weltkirche? der Liebesbund, dem Rom vorstehen soll, würde dadurch nicht leiden, im Gegenteil! Die Situation der Kirche in China ist ein kaims, den es zu sehen und zu nützen gilt."

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