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VON NEUEN BÜCHERN

19451960198020002020

Christus und die Religionen der Erde. Handbuch der Religionsgesdilchte. Herausgegeben von DDr. Franz König, Verlag Herder, Wien. Drei Bände, 2234 Seiten, Preis S 550

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Christus und die Religionen der Erde. Handbuch der Religionsgesdilchte. Herausgegeben von DDr. Franz König, Verlag Herder, Wien. Drei Bände, 2234 Seiten, Preis S 550

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Der Stand der religionswissenschaftlichen Forschung um die Mitte des 20. Jahi- hunderts läßt den Abstand von etwas über 100 Jahren, der uns heute von den umstürzenden Werken eines Feuerbach und Auguste Comte trennt, beinahe kurz erscheinen. Die große, durch die Namen dieser ihrer beiden Protagonisten bezeichnete Woge zersetzender Religionskritik, auf deren Höhe Nietzsche, Spencer, Engels und andere ihre weitwirkenden Gedankensysteme errichtet haben, ist im Zusammenstürzen begriffen. Eine Prognose über die Dauer dieses Prozesses hätte außerhalb des rein Geistigen liegende Faktoren zu berücksichtigen. Die Tatsache aber kann angesichts der heute vorliegenden Ergebnisse der religions- und kulturhistorischen Forschung verzeichnet werden.

Eine weitausgreifende überschau über den Stand dieser Forschung für den ur- und vorgeschichtlichen Bereich, Religionen der Naturvölker und der alten Kulturen, die lebenden Hochreligionen und schließlich das

Christentum selbst zu bieten, hat sich das neue, von König (Salzburg) herausgegebene, dreibändige Handbuch der Religionsgeschichte zur Aufgabe gestellt. Es umfaßt 31 Beiträge, für die 23 Autoren aus acht europäischen Ländern sowie China und Japan verantwortlich zeichnen. Die einzelnen Beiträge, deren Umfang zwischen 20 und 370 Seiten schwankt, reichen von der abrißweisen Darstellung eines speziellen, eng umschriebenen Phänomens bis zur umfassenden, realienmäßig belegten und beweisführenden Monographie eines großen Religions- und Kulturzusammenhanges. Rund 140 Seiten entfallen auf

Bibliographie-, Autoren- und Sachregister. Der erste Banä des Monumentalwerkes behandelt den ethnologisch-prähistorischen Bereich. Ein einleitender Essay F. Königs skizziert die Hauptströmungen der Religionswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts und ihre Grundbegriffe. Zweifellos richtig war der Entschluß des Herausgebers, auf eine summarische Darstellung der zahllosen, heute bekannten Religions- und Kultformen der

Naturvölker zu verzichten. (Umfassendes und ins Detail gehendes Material über dieses Gebiet liegt ja bereits in P. W. Schmidts' .Vom Ursprung der Gottesidee vor, der gegenwärtig auch eine Neuausgabe des ethnologisch-soziologischen Fundämentalwer- kes .Völker und Kulturen vorbereitet.) Auch wäre eine gewaltsame Typisierung dieser Kult- und Glaubensformen, wie einige ältere Forscher sie aufzustellen versucht haben, in einem strengen Sinn kaum mehr möglich gewesen.

Die Beiträge zweier prominenter Vertreter der Wiener Ethnologenschule, P. S c h e b e- s t a und W. Köppers, gelten vor allem einem, im Gesamtzusammenhang der Religionsgeschichte besonders relevanten Phänomen: den Religionen der ältesten, heute lebenden Primitivvölker. In diesen kulturgeschichtlich relativ älteren Schichten — wenn irgendeine Datierung der relativen Chronologie der Kulturgeschichte Geltung beanspruchen darf, so diese — ist weithin ein klarer Glaube an einen einzigen, ethnisch bestimmten Gott bezeugt. Der Theologie können diese empirischen Ergebnisse, die das konstruierte Schema vom Entstehen des Eingottglaubens als Endprodukt geistiger „Entwicklung der Menschheit zerstört haben und mit der christlichen Lehre von der Ur- offenbarung konvergieren, eine neue Basis für den historischen Gottesbeweis abgeben, da sich die Frage nach dem .Woher" dieses uralten Eingottglaubens stellt. Das bedeutet jedoch keineswegs die Behauptung eines „Urmonotheismus" durch eine .theologisch voreingenommene" Ethnologie.

Weit über den Rahmen eines Kapitels in einem Handbuch hinaus geht D. J. W ö 1 f e 1 s mehr als 350 Seiten starke, induktive Monographie „Die Religionen des vorindogermani- schen Europa", mit der der bisher vor allem als Weißafrikaforscher bekannte Wiener Gelehrte bahnbrechend in wissenschaftliches Neuland vorstößt. Sein erster methodischer Grundsatz, die relative Chronologie der vorliegenden kulturhistorischen Befunde möglichst von einem „Punkt außerhalb her zu bestimmen, das heißt etwa von Beziehungen nach Gebieten abhängig zu machen, die von den einwandernden Trägern einer der in Frage stehenden Kuliurschichten nicht erreicht wu'den, ist ebenso einfach wie schlagend. Die konsequente Anwendung dieses Grundsatzes eröffnet aber für die Erforschung Alteuropas, das heute mehr und mehr hinter dem bisherigen Bild des vorklassigen Altertums auftaucht, eine große Anzahl völlig neuer und überraschender Perspektiven, vor allem hinsichtlich des in Bedeutung und Ausmaß bisher beträchtlich unterschätzten, vor indogermanischen Substrats. Der zweite methodische Grundsatz, archäologische Funde durch Ferninterpretation aus ihren Beziehungen zu historisch bekannten oder noch lebenden Kulturen zu deuten, gewinnt Überzeugungskraft durch die große Anzahl der starken Übereinstimmungen sowie der größeren, raum-zeitlichen Zusammenhänge zwischen Alteuropa, Afrika und Vorderasien. Für sie werden eine an-ikonische Religion mit einem höchsten Wesen, gekennzeichnet durch einen ausgeprägten Totenkult mit Verehrung des heroisierten Ahnen erschlossen, die neues Licht auch auf die Volksreligion der Antike, z. B. den griechischen Heroenkult wirft und deren geistige Einheit für den Mittelmeerraum als nachgewiesen gelten darf. Mit dieser Untersuchung ist Pionierarbeit für die Entstehungsgeschichte des antiken Polytheismus und für die Indogermanenfrage geleistet, von deren behaupteter religiöser und kultureller Einheit sehr starke Abstriche zu machen sein werden. Dafür ist eine Hypothese des einheitlichen Ursprungs der archaischen Hochkulturen, bei vorwiegend maritimer Verbreitung durch die später vprlorengegangene Hochseeschiffahrt früher Jahrtausende m Sichtweite gerückt — fürwahr, revolutionäre Ergebnisse!

Aus dem zweiten Band, der den Religionen der alten Völker und Kulturen gewidmet ist, seien zunächst die beiden Abhandlungen von K. P r ü m m (Rom) hervorgehoben. An seiner Darstellung der Religion der Griechen, deren Bogen sich von Homer bis zu den Orphikern spannt, wird höchstens — nach der Lektüre der Alteuropastudie Wölfels — die Interpretation der Ursprungsfragen einzelner Kultformen, die auf der Wertung älterer Autoren beruht, revisionsbedürftig sein. Der Abschnitt über den Hellenismus, der eine wertvolle Verbreiterung ins Reli gionssoziologische zeigt, wird durch eine klärende Gegenüberstellung von Hellenismus und Christentum beschlossen. Durch Prägnanz und Klarheit besticht die Skizzendarstellung der Religion der Römer von T. Corbishley (Oxford), die besonders die alteuropäischen Züge der altitalischen Bauernreligion klar hervortreten läßt. A. Cloß' (Graz) Studie der Germanenreligion in ethnologischer Sicht ist methodisch interessant, verliert sich leider ein wenig in der Fülle des von außerhalb beigezogenen Materials und der Polemik um dasselbe. Abrisse der alten Religionen der Slawen (L. S a d n i k, Graz) und Kelten (J. R y a n, Dublin) vervollständigen den europäischen Teil.

Die Religionsgeschichte des Zweistromlandes ist zwischen zwei Autoren, N. Schneider (Luxemburg) und F. de Liagre-Böhl (Leyden) aufgeteilt. Es: liegt an Art und Anzahl der historischen Dokumente, wenn die Arbeit des ersteren (ältere Zeit) mehr uro die Erschließung, die des letzteren (jüngere Zeit) mehr um die Deutung des Stoffes bemüht ist, wobei gleichzeitig noch ein spätes Nachwort zum einstigen „Bibel-und-Babel -Streit und den verflossenen Versuchen der religionswissenschaftlichen Relativierung des Alten Testaments gesprochen wird. Eine vortreffliche Monographie des Manichäismus steuert C. H. P u e c h (Paris) bei. Ergänzenswert wäre vielleicht einiges über dessen mittelalterliches Fortwirken. Der Altmeister der Wie ner Ethnologie, H. Junker, erschließt mit überlegener Stoffbeherrschung den geistigen Gehalt der ägyptischen Religion mitsamt der für das Land der Tiergötter aus allerältester Zeit belegten, so wenig bekannten Hochgottvorstellung. F. Königs Beitrag „Die

Religion des Zarathustra umreißt die Gestalt des persischen Religionsstifters wesentlich als eines Reformators der altpersischen Volksreligion. Zu nennen sind ferner F. Hampels Darstellung der Religionen der altamerikanischen Kulturen und eine Untersuchung von W. Havers (Wien), der mit sprachwissenschaftlichen Mitteln Fragen der Indogermanenreligion skizziert.

Im dritten Band sind die lebenden, außerchristlichen Hochreligionen sowie das Christentum selbst behandelt. Hier fehlt nun einiges: weder ist das Judentum mit der Darstellung seiner vorchristlichen Ära erschöpfend, noch der weite Kreis der protestantischen Bekenntnisse überhaupt behandelt! Ein solcher Beitrag hätte von protestantischer Seite selbst geliefert werden können, befinden sich doch auch unter den übrigen Autoren namhafte protestantische Christen. Auch der Islam (H. Gottschalk, Wien) wird etwas knapp und vorwiegend historisch abcehandelt. Die Frage, ob eine Behandlung der neo-paganistischen Kulte oder des moder nen, nachchristlichen Atheismus, wenigstens soweit sie Einfluß auf die breiten Massen ausgeübt haben, nicht gleichfalls Gegenstand eines religionsgeschichtlichen Handbuches hätte sein müssen, mag offenbleiben.

Innerhalb des dritten Bandes ragen zunächst die beiden umfassenden Arbeiten von C. Regamey (Lausanne-Fribourg) über die Religionen Indiens und den indischen Buddhismus hervor. In der ersteren gelingt dem Schweizer Gelehrten ein tatsächlich umfassender Überblick über die fast dreieinhalbtausendjährige Entwicklung des indischen Religionsgutes in seinen zahlreichen Verzweigungen, wobei Wertvollstes für die Auf- zeigung der Kontinuität der Kulte und des Wandels der Vorstellungen und Begriffe geleistet ist. Die Buddhismusstudie ist von großem Wert, besonders dadurch, daß sie die Ergebnisse der neueren Forschung über den Buddhismus der älteren Zeit berücksichtigt, der gegenüber der Brahmanismus weniger eine neue Lehre, als eine neue Haltung darstellt. Gegenüber der Auffassung von der weitgehenden Ursprünglichkeit der vor allem' im Hinayana - Buddhismus ausgebildeten Glaubensform, die populärwissenschaftlich häufig eine .atheistische Religion" genannt worden ist, sind die nötigen historischen Korrekturen vorgenommen, die Chronologie und Systematik der einzelnen Richtungen ist gut durchgearbeitet. (Eine ethno-historische Ergänzung beider Arbeiten bietet eine Studie W. Köppers im zweiten Band.) Wertvolle Orientierung bieten ferner die Abschnitte China (K. Eder, Peking) und Japan (F. Kiichi Numazawa, Nagoya), in Anhangsskizzen sind die Religionen von Korea (O. G r a f, Kobe) und Tibet (C. Reg a- m e y) behandelt.

Der zweite, dem Christentum gewidmete Teil dieses Bandes will zugleich Abrundung des in seiner Gesamtstruktur wie auf diesen Schlußstein hin angelegten Werkes sein. Die sachkundigen Darlegungen J. Schilde n- bergers (Beuron) über die Religion des Alten Testaments zentrieren um den Bundesgedanken und den unvergleichbaren Monotheismus Israels in seiner geschichtlichen Entfaltung, J. Bonsirven (Rom) stellt das Judentum zur Zeit Christi mit Betonung seiner nationalen und ritualistischen Note dar. Der zentrale Abschnitt .Die Religion Jesu ist G. Bardy (Dijon) anvertraut und insbesondere schlüssig für die Zeit der Apostelkirche. Eine Übersicht im handbuchartigen Sinn bietet der verewigte J. Caspar (Wien) für die orientalische Christenheit. Im Schlußabschnitt stellt F. König nach einer historischen Übersicht apologetischer Hauptprobleme, die vor allem signifikante Unterschiede zwischen der Situation der antiken und der neuzeitlichen Apologetik herausarbeitet, die Gestalten einzelner Religionsstifter der Person des Gottmenschen Jesus Christus gegenüber.

Dem Verlag Herder ist Dank für die Publikation eines derartig umfassenden Werkes zu wissen, das unter den wissenschaftlichen Publikationen der Nachkriegszeit seinesgleichen sicherlich suchen kann. Es kan, trotz seiner Anlage als Übersichtswerk, mit berechtigtem Stolz unter seinen Beiträgen auf Leistungen hinweisen, die selbst neue, zum Teil bedeutende Fortschritte der religions- und kulturhistorischen Forschung bedeuten. Und es zeugt machtvoll von jener Wendung, die heute, nach so manchen Irrungen, die moderne Wissenschaft auch auf diesen Gebieten bereits deutlich in einer neuen, apologetischen Position zeigt.

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