"Sehnsucht ist der zentrale Motor"

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"Intimität bedeutet, sich nahe zu sein, etwas zu teilen. Dazu gehört natürlich auch die sexuelle Intimität, aber viel wichtiger ist die seelisch-geistige."

"Wenn ich einen 65-Jährigen sitzen habe, der so tut, als ob er 30 wäre, dann stimmt etwas nicht. Sich ständig zu verlieben ist pubertär, die Meisterklasse für Erwachsene ist die Liebe."

Patchworkberatung, Sexualberatung, Affärenberatung, Antirosenkriegberatung: Wer immer Beziehungsprobleme hat, findet in Gottfried Kühbauer einen Ansprechpartner. In seinem neuen Buch beschreibt der Wiener Paartherapeut und Mediator, wie "Liebe trotz Partnerschaft" gelingt. Ein Weihnachtsgespräch über die vielen Spielarten und Abgründe der Liebe.

Die Furche: Herr Kühbauer, Sie arbeiten mit Paaren, bei denen sich die Liebe mehr oder weniger verflüchtigt hat. Was bedeutet Weihnachten für Ihre Klienten?

Gottfried Kühbauer: Bei Paaren, in deren Beziehung es Probleme gibt, steigt oft schon ab September der Druck. Alles soll schön und harmonisch sein, und weil das dem inneren Zustand widerstrebt und man den Kindern etwas vorspielen will, entsteht Spannung. Noch schwieriger ist es bei Paaren rund um eine Scheidung. Für sie wird zu Weihnachten noch spürbarer, dass alles anders ist, dass da einer fehlt unter dem Christbaum. Und oft gibt es noch keinen Modus, damit umzugehen.

Die Furche: Sie geben auf Ihrer Homepage (www.kuehbauer.at) Weihnachtstipps für getrennte Eltern. Was raten Sie ihnen?

Kühbauer: Die wichtigste Regel ist, dass man den Kindern ermöglichen sollte, mit beiden Elternteilen gut zu feiern. Sie müssen das Gefühl haben, dass jeder es positiv sieht, wenn es ihm beim jeweils anderen gut geht, sonst kommen sie in einen verheerenden Loyalitätskonflikt. Man sollte kleine Kinder deshalb auch nie fragen, bei wem sie lieber feiern wollen, denn damit fragt man im Grunde: Wen liebst du mehr? Wichtig ist auch, dass man in Patchworksituationen darauf achtet, jedes Familiensystem einigermaßen gut zu bedienen - die früheren Systeme, aber auch das Gegenwartssystem. Das ist natürlich ein Balanceakt, weil Weihnachten eine ideale Bühne bietet, um alte Rechnungen zu begleiten. Für die meisten Eltern und Großeltern ist ja nichts härter, als zu Weihnachten die Kinder nicht zu sehen.

Die Furche: Das alles erfordert ein gerüttelt Maß an Rationalität. In der Liebe -und erst Recht bei ihrem Verschwinden -geht es aber meist ziemlich irrational zu. In Ihrem neuen Buch gehen Sie auf zahlreiche Aspekte ein. Sie selbst bezeichnen das Opus als "Fachbuch für Sehnsüchtige". Warum?

Kühbauer: Weil die Sehnsucht eines der obersten Lebensprinzipien ist. Dieses Sehnen der Menschen nach Beheimatung und Aufgehobensein ist der Triebmotor schlechthin. Andererseits ist die Sehnsucht auch der zentrale Motor für Trennung und Scheidung. Hier gibt es aber ein interessantes Phänomen, das ich gern so formuliere: Die Sehnsucht stirbt auf dem Weg zur Erfüllung. Es ist also eher destruktiv, sich ein Leben lang nach einer tollen Liebe zu sehnen, wenn man sie eigentlich eh schon gefunden hat. Aber bei manchen Menschen fängt auch in einer neuen Beziehung bald wieder der Such-und Scanprozess an. "Ich verliebe mich halt so gerne", sagen mir viele.

Die Furche: Und was sagen Sie ihnen dann?

Kühbauer: Ich versuche, mit ihnen gemeinsam anzuschauen, welche Bedürfnisse dahinter stecken, wo die Sehnsucht wirklich hingeht. Es kann sein, dass jemand mit seiner Partnerin tatsächlich nicht glücklich ist, es kann aber auch irrationale, in der Kindheit wurzelnde Gründe geben, dass jemand immer in diesem rosaroten Flow unterwegs sein will. Es kann auch einfach gegen das Altwerden gerichtet sein. Wenn man sich verliebt, erlebt man sich ja wie damals, als man 15 oder 20 war. Aber man kann nicht ewig Liebesgeschichten haben, es gibt eine "begrenzte Kapazität des seriellen Liebens", wie ich es nenne -einfach durch die Endlichkeit des Lebens.

Die Furche: Wobei die große Kunst wohl wäre, die Sehnsucht auch in einer langjährigen Beziehung lebendig zu halten

Kühbauer: Ja, aber die Sehnsucht verändert sich ohnehin, weil sich sowohl das Paar als auch jede Einzelperson entwickelt. Mit 50 Jahren habe ich andere Sehnsüchte als mit 30. Wogegen ich ankämpfe, ist diese Überhöhung nach dem Motto: Ich muss mich ewig sehnen, damit ich glücklich bin. Wenn ich einen 65-Jährigen sitzen habe, der so tut, als ob er 30 wäre, und der sich auch noch im Sport verrückt macht, dann stimmt etwas nicht. Sich ständig zu verlieben ist pubertär, die Meisterklasse für Erwachsene ist die Liebe.

Die Furche: Wobei es laut dem US-Psychologen Robert J. Sternberg drei Komponenten der Liebe gibt: Intimität, Leidenschaft (oder Begehren) und Verbindlichkeit. Sie sehen die Intimität als zentral. Was verstehen Sie darunter?

Kühbauer: Intimität bedeutet, sich nahe zu sein, offen zu sein, etwas miteinander zu teilen. Dazu gehört natürlich auch die sexuelle Intimität, aber viel wichtiger ist aus meiner Sicht die seelisch-geistige. Auch die intellektuelle Intimität in Wertefragen gehört dazu. Meine These lautet: Wenn es bei der Intimität stimmt, dann sind alle anderen Komponenten kein Problem. Denn wenn man sich nahe fühlt und wenn die Liebe fließt, dann kommt es auch zur Sexualität und dann ist auch die Verbindlichkeit hoch und man hat nicht den Gedanken, abhauen zu wollen. Die meisten Menschen, die zu mir kommen, klagen auch über zu wenig Intimität und Nähe.

Sie sagen: Wir reden zu wenig, ich habe keine Ahnung, was im anderen vorgeht. Deshalb rate ich auch Paaren, bewusst Situationen der Intimität zu suchen: Etwa indem man es sich regelmäßig zu zweit gemütlich macht, etwas miteinander kocht oder sich einfach zum Plaudern zusammensetzt.

Die Furche: Das ist für Eltern nicht immer leicht. Sie bezeichnen das Kinderkriegen gar als "Anschlag auf die Paarbeziehung"

Kühbauer: Ich habe selbst zwei Kinder, meine Tochter hat ein Baby -und es ist wirklich eine völlig andere Welt, die sich dadurch auftut. Ein Baby ist völlig abhängig, alles andere muss sich dahinter einreihen: der Partner, die Freizeit, das Schlafen. Dazu kommt noch, dass die Mutter mit dem Kind anfangs eine Symbiose bildet. Das ist gut und notwendig, aber für den Vater schwierig. Den jungen Paaren kann ich meist nur sagen: Haltet durch und sagt euch: Dieses Kind ist nicht einfach dazugekommen, es ist Ausdruck unserer Liebe! Anfangs gibt es eben diesen steilen Weg, aber die Zeit arbeitet für uns! Man kann auch schon gemeinsam planen, was man unternehmen wird, wenn das Kind größer ist. Und dann muss man noch sehen, ob es zur Entlastung Ressourcen gibt, etwa Großeltern. Aber es bleibt für Paare eine schwierige Zeit.

Die Furche: Eine völlig andere Belastungsprobe für Paare ist die zunehmende Erleichterung des Fremdgehens durch digitale Plattformen. Die israelische Soziologin Eva Illouz ortet insgesamt eine "Entdramatisierung von Seitensprüngen"

Kühbauer: Das stimmt, ich bin in der Beratung auch permanent mit diesem Thema beschäftigt. Wobei für den Betrogenen oft die Welt zusammenstürzt, wenn er dahinterkommt. Es ist aber nicht so, dass es aus dem Nichts zu Affären oder Außenbeziehungen kommt, sondern meist gibt es eine Vorlaufzeit von Monaten oder auch Jahren, in denen jemand unzufrieden ist und seine Antennen ausfährt. Aber natürlich gibt es auch Menschen, die diese Option prinzipiell offen haben -Manager etwa, für die Affären wie Zähneputzen dazugehören, um Druck abzulassen, quasi nach dem Motto: Wenn ich in der Großstadt X bin, habe ich eine Telefonnummer, und dann fahre ich wieder heim und küsse die Kinder. Für die Paarbeziehung ist das natürlich nicht gesund, wenn man die Sehnsucht nach Intimität und Begehren nicht daheim, sondern auswärts befriedigt. Und wenn der andere merkt, dass man fremdgeht, wird das Vertrauen in die Welt oft vollkommen gekippt. Viele spüren in solchen Momenten die existenzielle Einsamkeit, die wir Menschen in uns haben.

DIE FURCHE: Würden Sie vor diesem Hintergrund Menschen nach einem Seitensprung raten, ihrem Partner davon zu erzählen?

Kühbauer: Das muss man mit großer Vorsicht behandeln. Oft wollen sich diese Menschen eher einseitig entlasten und von ihrem schlechten Gewissen befreien. Man muss auch nach den Auswirkungen auf die Beziehung fragen: Sind sie nicht gravierend und handelt es sich um ein einmaliges Erlebnis, kann es auch richtig sein, das selbst zu verwalten, um dem Partner keinen Schmerz zuzufügen. Meist haben solche Dinge aber Auswirkungen auf die Beziehung. Und umso mehr manipuliert und gelogen wird, desto größer ist später die Kränkung. Ich versuche die Menschen deshalb immer in eine Selbstverantwortung zu führen: Was bedeutet mir meine Beziehung? Welches Leben möchte ich noch leben? Wer möchte ich sein: Der verantwortungsvolle Familienvater? Oder der Mann, der sich gerade als Liebhaber entdeckt -und dafür nicht nur selbst einen Preis zahlen muss, sondern auch die anderen dazu zwingt? Diese Entscheidung muss jeder allein treffen.

DIE FURCHE: Wobei es aus Ihrer Sicht bei Beziehungsproblemen nicht nur die Kategorien "Gehen" oder "Bleiben" gibt, sondern auch noch zwei andere Wege

Kühbauer: Ja, Menschen kann auch äußerlich bleiben und innerlich gehen. Das kommt nicht nur bei Leuten mit Außenbeziehungen vor, sondern auch bei jenen, die ein Hobby exzessiv betreiben oder so viel arbeiten, dass sie innerlich in einer ganz anderen Welt sind, auch wenn sie nach Hause kommen. Und dann kann es auch sein, dass sich hinter der Frage "Gehen oder bleiben?" noch ein ganz anderes Thema verbirgt. Dass jemand etwa im Kindesalter erlebt hat, wie er verlassen wurde, und deshalb in der Beziehung ständig die Bestätigung braucht, geliebt zu werden. Hier spielt das Thema Eifersucht und Selbstwert herein. Natürlich gibt es eine vernünftige, sinnvolle Eifersucht, ein Sensorium, damit man nicht blind durch die Welt geht. Aber es wird dann krankhaft, wenn man ständig Testverfahren laufen hat, ob mich der andere eh noch liebt. Ich habe schon Paare gehabt, die nur über den Schwedenplatz zu mir gekommen sind, und weil der Mann eine andere Frau angeschaut hat, macht sie ihm hier einen Skandal.

DIE FURCHE: Gibt es vor dem Hintergrund all dieser Herausforderungen Ratschläge für Paare, wie sie -nicht nur zu Weihnachten - ihre Beziehung gestalten sollten?

Kühbauer: Ein wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht, anzuerkennen, dass Menschen Einzelwesen sind, auch wenn sie ein Paar bilden. Zweitens sollte man anerkennen, dass gewisse Unterschiede positiv sind, es braucht also keine Gleichmacherei. Und drittens sollte man sich bemühen, das Interesse am anderen, an seiner und an der gemeinsamen Entwicklung wach zu halten, damit die Intimität und Nähe nicht verloren geht.

DIE FURCHE: Klingt alles nicht so einfach

Kühbauer: Eh nicht, aber einfach ist das Leben noch nie gewesen.

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