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Andreas Treichl, Chef der Erste Group, vermisst Antworten der Bundesregierung auf die Frage nach der zukünftigen Positionierung Österreichs und glaubt, dass wir mit zunehmend populistischen Tönen leben müssen. Im Hinblick auf Europa warnt er deutlich vor der Sprengkraft der Polarisierung "Leistungsträger im Norden“ versus "Minderleister im Süden“. Das Gespräch führte Rudolf Mitlöhner

An seinem Optimismus hält er unvermindert fest: Er sei sicher, dass die mittel- und osteuropäischen Reformstaaten "nach der Krise einen wesentlich höheren Beitrag zum Wachstum Europas leisten werden als vor der Krise“, so Erste-Chef Andreas Treichl.

Die Furche: Es heißt, Beamte, Pensionisten und Spitzenverdiener zählen zu den am stärksten vom Spar- und Steuerpaket Betroffenen. Sehen Sie sich demnach als einer der Hauptbetroffenen?

Andreas Treichl: Da ich sicher zur letzten der genannten Gruppen gehöre, trifft es mich natürlich steuerlich - ich habe damit keine Probleme. Was ich mir aber gewünscht hätte, ist, dass die geplanten Maßnahmen Teil eines größeren, ambitionierteren Programms gewesen wären. Knapp 27 Milliarden einzusparen ist noch kein Ziel. Die entscheidende Frage hätte sein müssen: Wie will ich Österreich in zehn, fünfzehn Jahren positionieren? Welche Wirtschaftspolitik ist notwendig, um das Ziel zu erreichen? Die Steuerpolitik ist nur ein Teil davon. Das Paket ist eine rein reaktive Sache mit dem Ziel, Schulden zu reduzieren. Aber das alleine ist doch noch nicht Politik.

Die Furche: Stört Sie, dass im Zuge der Diskussion um das Sparpaket vor allem seitens der SPÖ aber auch so mancher Teilorganisation der ÖVP recht "klassenkämpferische Töne“ zu vernehmen waren - oder haben Sie damit auch kein Problem?

Treichl: Ich glaube, wir müssen alle damit leben, dass die populistische Tonalität in der Politik zunimmt und dass auch etablierte, gefestigte Parteien unter Druck dazu neigen, sich mittels populistischer Ausdrucksweisen bei einer gewissen Wählerschicht herzig zu machen, und dafür habe ich Verständnis.

Die Furche: In einem FURCHE-Interview 2007 haben Sie gesagt, man unterschätzt das Potenzial des Ostens, sprich der postkommunistischen Reformstaaten: "Das wirkliche Osteuropa-Geschäft hat noch nicht einmal richtig angefangen.“ In welchem Licht erscheint Ihnen Ihre damalige Aussage heute?

Treichl: Nehme ich nicht zurück. Ich bin, sogar noch mehr als 2007, davon überzeugt, dass nach der Krise der Wert dieser Region für Europa in wirtschaftlicher Hinsicht noch viel augenscheinlicher sein wird. Ich bin sicher, dass diese Länder nach der Krise einen wesentlich höheren Beitrag zum Wachstum Europas leisten werden als vor der Krise. Es hat sich auch gezeigt, dass diese Länder aufgrund ihrer Geschichte besser mit der Krise umgehen konnten als viele westeuropäische Länder.

Die Furche: Vor mehr als zwanzig Jahren fand in den ehemaligen Ostblock-Staaten die große Wende statt. Könnte man sagen, dass die MOEL-Länder heute vor oder mitten in einer "zweiten Wende“ stehen - hinsichtlich stabiler marktwirtschaftlicher, rechtsstaatlicher Verhältnisse oder der Entwicklung der Zivilgesellschaft?

Treichl: Es ist sicher so, dass die wirtschaftliche Entwicklung der kulturellen, sozialen, zivilgesellschaftlichen Entwicklung vorausgeeilt ist und dass es demnach in diesen Bereichen einen noch größeren Aufholbedarf gibt als in der Wirtschaft. In diesem Sinne könnte man also davon sprechen, dass eine "zweite Wende“ notwendig ist. Die wird sich aber nicht so schnell vollziehen, das muss wachsen. Mittlerweile gibt es freilich viele Menschen, die im Berufsleben stehen, die den Kommunismus gar nicht mehr oder nur als Kinder miterlebt haben; aber trotzdem sind die Gesellschaften nach wie vor massiv davon geprägt, sind dialogisch-demokratische Prozesse dort schwieriger. Man spürt noch das Law-and-Order-Denken: wer die Macht hat, entscheidet, und die anderen, die nicht die Macht haben, warten darauf, dass eine Entscheidung getroffen wird - und wenn keine Entscheidung getroffen wird, passiert gar nichts.

Die Furche: Der bulgarischstämmige Politologe Ivan Krastev hat gemeint, viel einschneidender als die Ost-West- sei die Nord-Süd-Spaltung in der EU bzw. in Europa.

Treichl: Da ist sehr viel dran. Wir müssen nur aufpassen, dass wir nicht in Klischees wie "Leistungsträger im Norden“ versus "Minderleister im Süden“ abgleiten. Das ist ein sehr heikles Thema. Aber das Gefälle gibt es - und zwar wiederum im Westen wie im Osten: Polen, Tschechien auf der einen Seite, Rumänien und Bulgarien auf der anderen.

Die Furche: Ist nicht auch heikel, dass die Zahler in der Union wie Deutschland oder die Niederlande als "Spardiktatoren“ u. ä. verunglimpft werden?

Treichl: Ja, aber das halte ich nicht für so ein Problem. Aber die Gegenüberstellung von "Tüchtigen“ und "Faulen“ wiegt sicher schwerer. Das gibt es im übrigen ja auch innerhalb von Ländern - die Norditaliener oder die Katalanen in Spanien, die den wirtschaftlich schwachen Süden "mitschleppen“. Die Faulen im Süden als Belastung für die Fleißigen im Norden: Das ist unterschwellig da, und hat Potenzial für ein Riesenproblem, das noch nicht wirklich angegangen wurde.

Die Furche: Was kann man dagegen tun?

Treichl: Wahrscheinlich lautet das Stichwort dazu "Mobilität“. In Amerika gibt es das zwischen den USA und Mexiko - aber das sind zwei verschiedene Staaten. Es gibt das Problem allerdings nicht zwischen Washington und Texas oder Kalifornien. Vieles spricht also dafür, dass man in einem gemeinsamen Europa die Mobilität massiv erhöht - was in einem Nicht-Bundesstaat natürlich viel schwieriger ist.

Die Furche: Also bräuchte es so etwas, die United States of Europe?

Treichl: Nein, das würde zu weit führen; aber ein bisschen mehr davon werden wir schon brauchen.

Die Furche: Sie haben schon vor längerer Zeit davor gewarnt, dass Österreich sein Triple-A verlieren könnte. Nun ist Österreich von Standard & Poor’s herabgestuft worden und Moody’s hat den Ausblick auf negativ gestellt. Fühlen Sie sich bestätigt?

Treichl: Grundsätzlich würde ich diese Rating-Geschichten nicht so dramatisch sehen, wie es zum Teil in den Medien gespielt wird. Es sind auch die Auswirkungen der Ratings nicht mehr so massiv, der Markt reagiert nicht mehr so sensibel darauf, wie das früher der Fall war.

Die Furche: Warum haben Sie dann seinerzeit gewarnt, wenn das nicht so schlimm ist?

Treichl: Also ich will das jetzt auch nicht bagatellisieren. Aber wirklich wesentlich sind andere Dinge. Wirklich wesentlich ist, dass ein Staat mit einem Schuldenstand von 35 Prozent des BIP halt wesentlich besser dasteht als einer mit 60, 70 oder 80 Prozent. Wir haben jahrzehntelang Schweden bewundert - und man muss sagen, die haben sich toll entwickelt.

Die Furche: In den 70er-Jahren haben wir sie für das "Volksheim“, den üppigen Wohlfahrtsstaat bewundert - und jetzt sollten wir sie bewundern für die Reformen, die sie geschafft haben, meinen Sie?

Treichl: Ja, genau. Es gibt nichts, was die Schweden können, was wir nicht auch können. Ich glaube sogar, dass wir mehr können - und diesen Anspruch sollten wir stellen.

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