Von Tschernobyl an den Attersee

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Atom kennt keine Grenzen; Tschernobyl liegt in der Ukraine, die Folgen des Reaktorunfalls sind aber vor allem in Weißrußland spürbar geworden. 70 Prozent des gesamten "fall outs" an Radioaktivität gingen in Weißrußland nieder. Heute noch wohnen zwei Millionen Menschen in verstrahltem Gebiet, 800.000 Kinder sind strahlengeschädigt. Wenn sie nicht an Schilddrüsenkrebs oder Kehlkopfentzündungen erkrankt sind oder an Blutarmut leiden, so fehlt den körperlich geschwächten Kindern zumindest eine gesunde Umgebung und vitaminreiche Nahrung.

Im November 1990 rief die österreichische Frauenzeitschrift "Welt der Frau" ihre Leser auf, für die Kinder von Tschernobyl zu spenden. Rund sechs Millionen Schilling wurden damals gesammelt, die Caritas Oberösterreich organisierte die Hilfslieferungen nach Tschernobyl. Weißrussische Eltern äußerten auch mehrmals den Wunsch, ihren Kindern einen Erholungsaufenthalt in Österreich zu ermöglichen. Kurz darauf begann eine Hilfsaktion ungeahnten Ausmaßes. Bis jetzt wurden über die Caritas Linz an die 5.500 Kinder für einen Erholungsaufenthalt nach Österreich geholt.

Vier Wochen dauert der Urlaub bei den Gasteltern, die die Kinder gratis bei sich aufnehmen. Sind eigene Kinder im Haus, werden trotz Sprachbarrieren Freundschaften geknüpft, die oft jahrelang halten. In Österreich nehmen die weißrussischen Kinder am alltäglichen Familienleben teil, einmal wöchtenlich treffen sich alle Gastkinder, um gemeinsam etwas zu unternehmen.

Oleg, zwölf Jahre alt, erzählt: "Gestern haben wir einen Ausflug nach Linz gemacht. Wir waren im Botanischen Garten spazieren, zwei wunderschöne Kirchen haben wir besichtigt und anschließend haben wir uns ein Puppentheater angesehen." Oleg hat im Urlaub über drei Kilo zugenommen, seine Blutwerte haben sich verbessert. Oleg hat erreicht, was das vorrangige Ziel der Aktion ist: "Mit einem Erholungsaufenthalt wird den Kindern durch unverstrahlte Lebensmittel und gesunder Luft ein Stück positives Lebensgefühl vermittelt, das Immunsystem stabilisiert sich, und die Kinder haben vier Wochen unbeschwerte, unvergeßliche Tage.", so Gabriele Eremia, Mitarbeiterin der Caritas.

Verbesserte Blutwerte Der zwischenmenschliche Kontakt über Ländergrenzen hinweg tut sein übriges, daß sich die Kinder aus Tschernobyl hier wohlfühlen und rundum erholen. Anja aus Soligorst ist elf Jahre alt, sie berichtet: "Hier habe ich zum ersten Mal hohe Berge gesehen. Die wunderschöne Gegend am Attersee hat mir sehr gut gefallen, am meisten aber meine Gastfamilie." Gastfamilien werden jedes Jahr gesucht, bis jetzt haben sich noch immer genügend gemeldet.

Renate Pill, Mutter von vier Kindern aus Weißenbach am Attersee, nahm drei weißrussische Kinder auf: "Es waren schöne Wochen. Wir wollten das Zusammenleben mit den Kindern so normal und unkompliziert wie möglich gestalten. Am Nachmittag haben wir viel mit den Kindern gespielt. Vor allem Spiele, wo man keine Sprache braucht. Mit Zeichnungen und Wörterbuch konnten wir uns großartig unterhalten. Wichtig ist, daß die Kinder das Gefühl haben, daß man sie mag und so behandelt wie die eigenen."

Aufgrund der versiegenden Spendenquellen ist die Erholungsaktion jedoch gefährdet. Denn die Transportkosten können nicht mehr von der Caritas bezahlt werden, pro Kind fallen daher zirka 1.500 Schilling an, die von den Gasteltern bezahlt werden müssen. Zusätzlich muß die Caritas einen neuen Bus anschaffen, nachdem der alte Bus endgültig den Geist aufgegeben hat. Der Kinder-Express pendelt zwischen Minsk und Linz hin und her und bringt jährlich an die 500 Kinder nach Österreich und wieder zurück. Für die Sommermonate sind wieder 20 Gruppen mit je 25 Kindern geplant. Die Caritas Linz steht nun vor der großen Aufgabe, Spendenmittel in der Höhe von 1,3 Millionen Schilling für den "Kinder-Express" aufbringen zu müssen, damit die Kindererholungsaktion fortgesetzt werden kann. E. L.

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