Geschenke Weihnachten Packerl - © Foto: iStock/nito100

Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler:„Geben muss keine soziale Lüge sein“

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Schenken löst Erwartungen und Stress aus. Das widerspricht der Ur-Idee, meint der Wirtschafts- und Sozialpsychologe Erich Kirchler. Ein Gespräch über Kaufaufforderungen, Bedürfnisse und das perfekte Geschenk.

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Schenken löst Erwartungen und Stress aus. Das widerspricht der Ur-Idee, meint der Wirtschafts- und Sozialpsychologe Erich Kirchler. Ein Gespräch über Kaufaufforderungen, Bedürfnisse und das perfekte Geschenk.

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Z wischen herzlicher Gabe und Bringschuld ist Schenken ein schwieriges gesellschaftliches Konzept, aus demnicht zuletzt die Wirtschaft Profitschlagen möchte. Der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler erklärt im Interview, wie es dennoch gelingt, sinnvoll zu schenken.

DIE FURCHE: Der französische Ethnologe Marcel Mauss hat den Begriff der „Schenkökonomie“ geprägt. Laut ihm ist „die Gabe“ eine soziale Lüge, mit der sich die Gesellschaft selbst täuscht. Warum geben wir also etwas – worin liegt die psychosoziale Bedeutung der Gabe?

Erich Kirchler: Schenken löst beim Schenkenden angenehme Gefühle aus, einen warm glow. Es kann auch Aufmerksamkeit, Zuneigung, Anerkennung oder Dankbarkeit signalisieren. Beschenkte freuen sich über die Aufmerksamkeit und erleben recht unmittelbar den Drang, nicht nur dankbar zu sein, sondern sich auch erkenntlich zu zeigen. Das universell gültige Gesetz der Reziprozität kann den Eindruck einer Tauschökonomie machen, aber deshalb müssen Geschenke nicht Ausdruck einer sozialen Lüge sein. Allerdings kann Schenken auch pervertiert und der eigentliche Sinn verfehlt werden: Je nach Beziehung zwischen Schenkenden und Beschenkten können zu große Geschenke Verlegenheit oder den Druck auslösen, ebenso „großzügig“ sein zu müssen. Geschenke können auch Frustration auslösen, wenn klar wird, dass nicht auf die Bedürfnisse eingegangen wird oder aus Routine ein Verlegenheitsgeschenk angeboten wird. Schließlich kann hinter der freundlichen Geste des Schenkens die Agenda stehen, sich Entgegenkommen zu erkaufen. Dies schränkt die Autonomie des Beschenkten ein und reicht bis zur Bestechung.

DIE FURCHE: Anlässe zu kaufen und Gründe zu schenken gibt es gerade rund um Weihnachten en masse. Ist Schenken nicht vielmehr ein Konzept, das allein der Wirtschaft dient?

Kirchler:Völlig entzaubert wird der Sinn des Schenkens, wenn die Wirtschaft entdeckt, dass sie mit den Gefühlen, die mit Schenken und Beschenktwerden verbunden sind, Geschäfte machen kann. Hinter den medial verkündeten Freuden von Weihnachts-, Geburtstags-, Muttertags-, Vatertags-, Valentins- und Et-cetera-„Geschenk-Aufforderungen“ steht unschwer erkennbar die Absicht, Konsumierende zum Geldausgeben zu motivieren. Das weihnachtliche Geschenkszeremoniell und -karussell beschert dem Handel hohe Gewinne. Aber selbstverständlich haben auch Einzelne ihre angenehmen Gefühle und zwischenmenschlichen Freuden, wenn sie die Idee des Schenkens nicht aus den Augen verlieren, sich nicht von der Wirtschaftsmaschinerie treiben lassen, Zeit finden, sich mit den Beschenkten und deren Wünschen zu befassen – und schließlich erleben, dass sich Beschenkte aufrichtig freuen.

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