Zwischen Spielverderber und Kauffanatiker

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Was und wie schenken in einer Zeit, wo jeder fast alles hat? Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Marketing und Hilfsorganisationen diskutieren darüber. Das Gespräch moderierte Regine Bogensberger

Während der Handel mit dem Auftakt des Weihnachtsgeschäftes zufrieden ist, suchen noch viele ein Geschenk, das wirklich Freude macht. Aber wie schenkt man richtig? Darüber diskutieren Jessi Lintl, Obfrau des Wirtschaftsbundes Innere Stadt, Claus Ebster, Dozent am Lehrstuhl für Marketing an der Uni Wien und Rainald Tippow, Bereichsleiter der Pfarr-Caritas Wien.

Die Furche: Schenken Sie gerne oder ist es eine Pflichtübung?

Jessi Lintl: Ich schenke besonders gerne. Ich habe eine große Familie, zwei fast erwachsene Töchter. Man sollte das Schenken nicht nur auf Kinder beschränken, auch Erwachsene freuen sich über Überraschungen, wo sie spüren, dass sich der Schenkende dabei etwas gedacht hat.

Claus Ebster: Ich schenke auch sehr gerne – zu Weihnachten und zu anderen Anlässen. Es gibt Geschenke, die man gerne und solche, die man weniger gerne macht. Die Familie beschenke ich sehr gerne. Dann gibt es Pflichtgeschenke, etwa für Vortragende aus dem Ausland, wo man oft nicht weiß, was man schenken soll, weil man die Person noch nicht kennt.

Rainald Tippow: Im Privaten schenke ich sehr gern. Ich bin von meiner Frau gut erzogen worden, sodass ich nicht erst am 23. Dezember losziehe, sondern länger mit offenen Augen unterwegs bin, was dazu führt, dass ich tatsächlich Dinge finde, die Freude machen. Bei Kindern hat es noch eine andere Dimension: Kinder leben vom Beschenktwerden. Beruflich ist es für mich anders: Wir haben bei der Caritas eine strenge Norm: Wir dürfen keine Geschenke annehmen.

Die Furche: Welchen Sinn hat Schenken für Sie?

Lintl: Für mich hat es einen tieferen Sinn, den Sinn von Weihnachten. Man schenkt nicht um des Schenkens willen, sondern um Freude zu bereiten.

Die Furche: Bekommt jeder von Ihnen Geschenke mit ähnlichem Wert?

Lintl: Der Wert richtet sich nicht unbedingt nach dem materiellen Wert. Es kann etwas sein, dass nicht teuer, aber schwer zu bekommen ist, und für den Beschenkten sehr wertvoll ist. Ich habe auch nichts gegen materiell richtig große Geschenke. Manchmal sind solche Geschenke, die eine Wertschätzung ausdrücken, wirklich überwältigend für den Beschenkten.

Ebster: Schenken bedeutet zunächst einen Austausch. Es kann viele Bedeutungen haben: angefangen vom strategischen Geschenk, um etwas zu erreichen, bis hin zu Geschenken, die auf Reziprozität beruhen. Ich bekomme etwas, dafür schenke ich etwas zurück. Es gibt auch das Schenken, um Status zu vermitteln. Dann gibt es das altruistische Schenken.

Tippow: Wenn man schenkt, gibt man auch immer ein Stück von sich selbst. Ich überlege mir etwas, es ist eine Form von Wertschätzung. Es ist nichts unangenehmer, als die 17. Krawatte geschenkt zu bekommen. Schenken hat gerade zu Weihnachten die Bedeutung, dass wir es mit vielen Menschen zu tun haben, für die der gesamte Geschenkerummel beschämend und bedrückend ist. Jugendliche aus dem Jugendhaus der Caritas haben erzählt, dass es für sie zu Weihnachten sehr hart ist, weil ihnen bewusst wird, wie sehr ihnen eine Familie fehlt. Auf der anderen Seite sagen sich viele Menschen, gerade zu Weihnachten möchte ich für diese Menschen etwas tun. Das verstärkt für die Betroffenen nochmals das Gefühl, dass Weihnachten für sie ein „Loch“ darstellt.

Die Furche: Sie meinen, die mildtätig Beschenkten fühlen sich nochmals stärker beschämt?

Tippow: Ja, das sind unsere Erfahrungen. Für uns ist es großartig zu sehen, wie viele Menschen bereit sind, zu Weihnachten Zeit zu schenken. Es zeigt aber auch, wie viele nicht mehr in ihren Familien Weihnachten feiern wollen. Noch schöner wäre es, wenn Sachspenden, etwa für Obdachlose, nicht schon im März enden würden.

Die Furche: Zeit-Schenken wird immer mehr zum Slogan. Was halten Sie, Frau Lintl und Herr Ebster, von immateriellen Geschenken?

Lintl: Es kommt auf den Menschen an, den man beschenken will. Aber wenn man das Gefühl hat, dass jemand sich freut, wenn man Zeit schenkt, dann ist das eine gute Sache; wenn ich etwa meine Nachbarin zu Kaffee und Kuchen einlade, freut sie sich mehr als über einen Blumenstrauß.

Die Furche: Aber werden solche Geschenke wirklich anerkannt?

Lintl: Ich glaube schon. Zeit-Schenken ist eine sehr bewusste Sache.

Die Furche: Die Wirtschaft freut sich darüber weniger …

Lintl: Die Wirtschaft freut sich dann darüber, wenn Zeit-Schenken mit Materiellem kombiniert wird, etwa mit einem Restaurantbesuch. Natürlich braucht die Wirtschaft hohe Umsätze, denn – wie wir jetzt in der Krise gesehen haben – nur wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es uns allen gut.

Ebster: Ja, man kann auch Zeit verkaufen. Ich habe meiner Frau ein Vorweihnachtsgeschenk gemacht. Wir fahren ein paar Tage nach London. Das ist für uns und für die Wirtschaft schön.

Tippow: Auch wir als Caritas freuen uns, wenn sich alle freuen. Vieles von dem, was wir tun, funktioniert deswegen, weil es einen funktionierenden Wirtschaftsapparat gibt. Wir sind nicht die Abteilung für Jammern und Zähneknirschen über die Brutalität des Wirtschaftslebens. Es gibt Dinge, die man klar aufzeigen muss, zugleich zeigen wir Alternativen auf, etwa Zeit-Schenken. Wir haben keine Schwierigkeiten, den Zeitbedarf im Freiwilligenbereich zu decken. Es gibt aber auch sinnvolle Geschenke im materiellen Bereich.

Die Furche: Wie funktioniert das?

Tippow: Es ist eine Form von Spende, wo man etwas Symbolisches dafür bekommt. Das heißt, man spendet etwa fünf Ziegen für eine Familie in Burundi und kann dazu passend etwa ein T-Shirt erstehen. Es gibt auch Fair-Trade-Produkte. Das ist eine Hilfe für mich auf Augenhöhe. Es geht hier nicht um Almosen, sondern um eine Wertschätzung der Produkte.

Die Furche: Sollte wir nur mehr solche Geschenke machen?

Tippow: Ich wäre ein schlechter Vertreter meiner Organisation, würde ich etwas anderes sagen. Aber die Frage stellt sich nicht: Für viele ist so ein Geschenk etwas Ergänzendes.

Die Furche: Spielt der Nachhaltigkeitsfaktor eine zunehmende Rolle beim Geschenke-Einkauf?

Ebster: Fair Trade hat sicher erheblich an Bedeutung gewonnen. Ich sehe das unabhängig von Studien allein schon an meinen Studierenden, die zunehmend zu diesem Thema Projekte machen.

Lintl: Ich finde es sehr schön, wenn man das kombinieren kann: das materielle und sinnvolle Schenken, wobei Materielles und Sinnvolles oder Nachhaltiges keine Gegensätze sein müssen.

Die Furche: Es gibt Familien, die sagen, bei uns hat eh jeder alles. Sie rufen einen Schenk-Boykott aus. Sind das Spielverderber, die gar die Wirtschaft schädigen?

Lintl: Nein, gar nicht. Es steht jedem frei, wie viel er oder sie zu welchem Anlass kaufen möchte.

Ebster: Ich bin da nicht so tolerant wie Sie. Ich finde, wer nicht schenkt, ist ein Spielverderber. Ganz eindeutig, weil es muss nicht unbedingt ein materielles Geschenk, es kann auch ein immaterielles sein. Schenken hat eine soziale Funktion in der Gesellschaft, nämlich auszudrücken, dass man jemanden anderen schätzt. Sich völlig zu verweigern, finde ich schlecht.

Tippow: Wobei ich schon die Problematik sehe, dass wir Weihnachten oft auf Schenken reduzieren. Das Zentrale an Weihnachten ist ein religiöser Grund eines jüdisch-biblischen christlichen Gottes, der sagt: Der Sinn des menschlichen Daseins ist es, dem anderen barmherzig zu begegnen, damit Menschen, die am Rand stehen, hereingebracht werden. Und es gibt schon Fehlentwicklungen wie Geschenkorgien. Wenn ein Kind so viel bekommt, dass es die Sachen mit dem eigenen Körpergewicht nicht mehr tragen kann, dann kann es auch den Wert des einzelnen Geschenkes nicht mehr beurteilen. Daher verstehe ich es, wenn Menschen sagen, ich möchte da nicht mitmachen; und ich verstehe es auch, wenn Menschen sagen, ich kann mit Weihnachten nichts anfangen und schenke deshalb auch nichts.

Die Furche: Im Zentrum des Rummels stehen die Kinder …

Ebster: Das ist natürlich branchenabhängig. Nach unseren Untersuchungen ist es die Ehefrau, die am meisten beschenkt wird. Die erwachsenen und größeren Kinder bekommen mehr als die kleineren Kinder, und die Nuklearfamilie mehr als weitere Verwandte.

Die Furche: Viele Eltern fragen sich, wie sie verhindern können, dass ihre Kinder zu viel und Falsches bekommen. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Lintl: Da muss ich mich kurz zurückerinnern, unsere Kinder sind ja schon älter als 20. Bei uns war das immer sehr schön, mit großem Christbaum, vielen Geschenken. Aber wir haben darauf geachtet, dass es von den Großeltern und Eltern nur ein Geschenk gibt. Wir haben Weihnachten auch nicht nur auf Schenken reduziert.

Die Furche: Haben Sie sich abgesprochen?

Lintl: Ja, wir haben den Verwandten vorgeschlagen, was gerade gut passen würde.

Tippow: Wir haben immer darauf geachtet, dass alle zuschauen, wenn eines der Kinder die Geschenke auspackt. Dieser Umgang mit den Geschenken war mir immer sehr wichtig, weil da schenkt jemand auch ein Stück von sich, das gehört wertgeschätzt. Sich absprechen war schwer aufgrund der demografischen Entwicklung. Von meinen drei Geschwistern habe nur ich Kinder. Wir sind die klassische europäische Trichterfamilie.

Die Furche: Gab und gibt es Verbote bei Geschenken, etwa eine Plastikpistole, eine Barbie?

Tippow: Es gibt natürlich Grauzonen, aber zum Glück mussten wir das nicht diskutieren. Alles, was in Richtung Brutalität geht, hat es in unserer Familie nie gegeben.

Lintl: Pistolen standen bei meinen Töchtern nie zur Diskussion. Eine Barbie durfte sein, die ist ganz harmlos.

Die Furche: Haben Sie schon einmal ein Geschenk bekommen, worüber Sie ganz unglücklich waren?

Lintl: Ja sicher. Es war eine kitschige Keramikschale Aber die Schenkende hat es gut gemeint.

Ebster: Ja, eine Karikatur meiner selbst von einer sehr nahestehenden Person. Das hat mich irritiert. Ich diskutiere mit dieser Person immer noch, ob ich diese aufhängen soll oder nicht. Mittlerweile sehe ich das aber auch lustiger.

Tippow: Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich noch nie etwas bekommen habe, dass mich gestört hat. Was unangenehm ist, das sind Geschenke von meinen Schwiegereltern, die einen sehr hohen Wert haben. Sie sagen dann auch klar, dass sie kein Gegen-Geschenk wollen. Da sind wir beim christlichen Wert-Geschenk: Können wir uns noch beschenken lassen ohne Wenn und Aber?

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