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Der Scliuß aus dem Dunkel

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Plötzlich krachte ein Schuß aus dem Dunkel. Der Mann, der soeben noch ruhig dahingeschritten war, warf beide Arme hoch und fiel dann schwer auf das Gesicht... : so könnte ganz gut ein Kriminalroman anfangen. Schüsse aus dem Dunkel sind ja gewöhnlich eine kriminelle Angelegenheit. Nun muß man aber nicht unbedingt dazu eine Pistole verwenden. Man kann auch mit Feder und Papier, ja sogar mit bloßen Worten prächtig schießen und treffen.

Böse Menschen werfen frommen Leuten manchmal vor, sie seien feig. Im großen und ganzen ist das ein ungerechter Vorwurf, denn schon zur Frömmigkeit selbst gehört einiger Mut, zunächst einmal sich selbst und oft auch anderen gegenüber. Richtig ist aber, daß sie manchmal gehemmt sind, wo andere mit munterem Peitschenknall ihr Ziel verfolgen. Es gibt zum Beispiel ein Gebot der Nächstenliebe. Man darf also dem anderen nichts Böses tun. Nun hat man am Nächsten etwas Ungutes entdeckt (Wilhelm Busch sagt: Der gute Mensch gibt gerne acht, ob nicht der andere Böses macht). Es wäre Pflicht, dieses Ungute an ihm zu beseitigen. Diese Pflicht fällt einem zwar gewöhnlich erst dann ein, wenn einem der Nächste aus irgendeinem Grunde auf die Nerven geht oder sonstwie im Wege steht; sonst ist man gar nicht so scharf darauf, alles zum Ebenbilde Gottes zu formen, etwa sich selber. Immerhin, man hat also glücklich eine Pflicht zum Eingreifen festgestellt. Aber wie sage ich’s meinem Kinde? Man müßte ihm schließlich Vorwürfe machen, müßte ihm sagen, daß so manches an ihm nicht stimmt, und das wäre ihm sicher peinlich. Als gutem Christen ist einem aber das Gebot der Nächstenliebe in Fleisch und Blut übergegangen. Man soll niemandem Peinliches antun. Also bringt man es nicht fertig, mit dem betreffenden Uebeltäter persönlich zu sprechen. Statt dessen ladet man eine sinnbildliche Pistole und feuert einen Schuß aus dem Dunkel ab. Gewöhnliche Menschen schreiben einen Brief, unterzeichnen ihn mit „ein wohlmeinender Freund“ und schicken ihn aus einem, dem eigenen Wohnort weit entfernten Postamt an den Betreffenden ab — und freuen sich bei dem Gedanken, wie sich ihr Opfer bei der Lesung des Briefes ärgern wird. Nein, nein, das war jetzt eine gehässige Deutung! Sie freuen sich natürlich nur darüber, daß sie einem verirrten Bruder den rechten Pfad zeigen durften.

Andere gehen feiner vor. Sie schreiben Briefe mit voller Unterschrift, aber nicht an den Betreffenden selber, sondern an seine Vorgesetzten oder sonstige Leute, die Macht über ihn haben. Das kann ein Pfarrer, Dechant, Bischof oder Ordensoberer sein, wenn es sich um Leute aus dem Klerus handelt. Bei Weltchristen benützt man die entsprechenden Stellen. Dort bringt man seine Beschwerden vor und bittet um Abstellung. Besonders geriebene Ankläger winken dabei lebhaft mit irgendeiner angesehenen Persönlichkeit, damit man ihre Anklage ja ernst nehme und eifrig betreibe. Logischerweise müßte man sich zwar sagen; Mit einer Anklage kann es sachlich nicht weit her sein, wenn sie auf diese Weise gestützt werden muß. Liegt eine wirkliche Verfehlung vor, dann genügt wohl, sie mit Namen zu nennen. Aber wer denkt schon logisch, wenn er seinem Gegner eins versetzen will? Immerhin merken wir, wie der Fall vom Feld der sachlichen Gerechtigkeit in das des unsachlichen Machtkampfes gespielt wird. Und wenn die Patrone wirklich Einfluß haben und ihn auch ausüben, was bleibt dem armen Vorgesetzten übrig als das Pilatuswort aufzufrischen: Ich finde zwar keine Schuld an ihm, aber ich will ihn geißeln lassen.

Gut. Der Vorgesetzte liest also den Brief, läßt das Opfer kommen und gibt die Vorwürfe weiter. Als verschwiegener Mann sagt er natürlich nicht, woher sie stammen. Vielleicht ist er auch dazu verpflichtet worden. Das Opfer steht da, weiß zunächst oft gar nicht, was überhaupt gemeint ist, und denkt umständlich nach, was gemeint sein könnte. Für Schüsse aus dem Dun kel verwendet man nämlich gerne eine stark streuende Schrotladung, man erwischt damit mehr. Manchmal brauchte er bloß zu wissen, wer ihn angeklagt hat, dann könnte er mit einigen Worten die Hintergründe aufzeigen und die Sache wäre erledigt. Oder er könnte sich mit dem Betreffenden selbst zusammensetzen und auf christliche Weise die Punkte durchgehen. Oder wenn wenigstens klar und genau gesagt würde, was man an ihm nicht schätzt. Er könnte dann entweder sagen: Ja, das habe ich getan. Hier ist mein Hals, wo ist das Beil? Oder: Das muß jemand anderer sein, ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern. So aber muß er sein Hirn anstrengen. Und das ist das einzige Gute an diesem Schuß aus dem Dunkel: Er zwingt das Opfer zu einer heilsamen Gewissenserforschung, viele Schatten tauchen aus dem Unterbewußtsein auf und heben drohend den Finger, man wird sich der eigenen Sündhaftigkeit klarer bewußt und gelangt so leicht zu einer großen Demut. Das könnte zumindest so sein, aber gewöhnlich denkt man nur nach, wer der Heckenschütze im Finstern sein und wie man ihn ans Licht zerren und ihm wacker zusetzen könnte. Und die heilsame Gewissenserforschung bleibt natürlich aus.

Der gerechte Vorgesetzte muß nun eine umständliche Untersuchung vornehmen, muß Zeugen verhören. Er und andere verlieren Zeit und Nerven (Nerven am meisten das Opfer), und es kann oft .geraume Zeit dauern, bįf alle Mißverständnisse geklärt sind und, es sich' heraus -/, stellt, daß aus persönlichen Gründen Kleinigkeiten übertrieben wurden und die Wirklichkeit verzerrt und falsch dargestellt wird.

Das Ganze ist offenbar eine ungute Sache. Sie kommt aber vor — und gar nicht selten. Manche fromme Seelen sind recht schnell mit dem Briefschreiben zur Hand, wenn ihnen etwas nicht paßt. Uebrigens muß gar nicht geschrieben werden; man kann seine Sache auch persönlich an höherer Stelle verbringen; das ist sogar besser, denn das gesprochene Wort ist flüchtiger und unverbindlicher als das schriftlich festgelegte. Nur der Eindruck, den es hinterläßt, ist gleich dauernd.

Und damit kommen wir auf den Vorwurf der Feigheit zurück, der frommen Leuten anläßlich solcher Vorkommnisse gemacht wird. Der Fromme ist eben in einer Zwickmühle. Er kann nicht, wie der unbekümmerte Gottlose, sagen: Was geht’s mich an? Jeder soll tun, was er will, ich tu's ja auch! — Nein, man ist doch verantwortlich für den anderen. Diese Verantwortung peinigt ihn. Es muß doch etwas geschehen, man darf das Böse nicht ungestraft wuchern lassen. Anderseits bringt er nicht den Mut auf, den anderen persönlich zu stellen. Auch mag ihm schwanen, daß der andere sein Vorgehen vielleicht rechtfertigen könnte. Was bleibt übrig, als durch einen Schuß aus dem Dunkel den Fall auf dem Verwaltungswege erledigen zu lassen. Denn da wird nicht so sehr nach Gesinnungen als nach Tatsachen gefragt. Nun tun aber die meisten Leute Dinge, die, am Buchstaben gemessen, zumindest bedenklich sind. Also erreicht man so am besten sein Ziel. Damit Ruhe im Lande werde, greifen die Behörden ein und der Mann im Dunkeln lächelt befriedigt. Er hat seinen Willen durchgesetzt. Seinen Willen, das stimmt. Aber nicht immer muß dieser Wille mit dem Willen Gottes gleichgehen. Daß neben dem Unkraut, das hier ausgerissen wurde, vielleicht auch ein paar Handvoll guter Weizen mitgehen, vielleicht sogar ein ganzes Feld, das merkt der Heckenschütze gar nicht. Abneigung macht gewöhnlich schwachsichtig.

Es . įst schon viel Ungutes durch diese Ąrt geschehen jįlnd — seien wir ehrlich — l gerade im kirchlichen Bereich ist dergleichen häufig zu finden. Kirchliche Behörden können gut schweigen, müssen es können, sie haben ja auch viele Gewissensfälle zu behandeln. Man kann ruhig schießen, der Abgeknallte wird kaum erfahren, wer ihm diesen Liebesdienst erwiesen hat. Und so wird munter geknallt. Und die Folgen? Es muß einer schon ein bißchen abge brüht sein, wenn er nicht wenigstens von der Schäbigkeit dieses Verfahrens getroffen werden soll. Seine Arbeitsfreude, sein Eifer können leiden, wenn er übler Dinge verdächtigt wird und man sein ungeschicktes Vorgehen (unge- geschickt auf alle Fälle, sonst hätte die Gegenseite ja keine Handhabe) schief deutet. Er wird leicht mißtrauisch und läßt eine Kluft zwischen sich und der Menschheit wachsen. Gibt es nicht Priester und Ordensleute, und die gar nicht so selten, die zwar genau ihre Pflicht erfüllen, im übrigen aber einen betonten Abstand zwischen sich und den anderen halten, zum Nachteil der Seelsorge? Und welcher Geistliche ist noch nicht von irgendeiner Seite angeschwärzt worden? Man kann oft feststellen, daß sie durch Heckenschüsse aus dem Dunkel in eine seelische Einsamkeit hineingetrieben worden sind, in der sie sich selbst nicht sehr wohlfühlen und die anderen noch weniger. Viel Verbitterung ist schon so erzeugt worden zum Schaden des Reiches Gottes. Ist es ein Wunder? Stellen wir uns ein Heer auf dem Marsch an die Front vor, ein Heer, bei dem Nacht für Nacht ein paar durch Schüsse aus der eigenen Marschkolonne veranlaßt werden, das Lazarett oder den nächsten Heldenfriedhof aufzusuchen. So etwas stärkt nicht unbedingt den Kampfeswillen.

Christus selbst gibt ein anderes Verfahren an; Im Kapitel Matthäus 18, 15 steht: Wenn dein Bruder gegen dich gefehlt hat, so gehe hin und stelle ihn unter vier Augen zur Rede. Gibt er dir Gehör, so hast du deinen Bruder gewonnen. Gibt er dir kein Gehör, so nimm noch einen oder zwei andere hinzu, damit durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen alles festgestellt werde. Hört er auch auf diese nicht, so sag es der Kirche. Hört er aber selbst auf die Kirche nicht,1 so gekž ei dir ivie ein 'ffeide'i tind Zölh nef. — Wir s'ehen, geWöhnliclf'tHrd eifi umgekehrter und abgekürzter Weg eingeschiagen: Jemand gilt einem zuerst als Heide und Zöllner, und dann sagt man das der Kirche.

Durch eine persönliche Aussprache würden Mißverständnisse fast immer beseitigt werden. Es müßte freilich auf beiden Seiten guter Wille da sein. Wenn jemand nicht den Mut zu solcher Aussprache hat: gut, er kann nichts dafür. Dann muß er aber versuchen, ihn zu bekommen; schließlich sagt Christus sehr eindeutig, wie man zu verfahren hat. Schüsse aus dem Dunkeln fördern aber sicher bloß die eigene Feigheit und höhlen den Restbestand an Mut noch mehr aus. Da ist es besser, den Groll so lange zu unterdrücken, bis genug Druck für einen offenen Ausbruch da ist. Wobei noch zu bemerken wäre: Feige Menschen haben gewöhnlich kein gesundes Urteil. Es ist zuviel Gegengefühl in ihnen. Wer aber fürchtet, sachlich für eine solche Aussprache nicht gerüstet zu sein, darf der sich genug Sachlichkeit für eine Anzeige zusprechen? Wenn schon der äußere Vorgang sosehr verlockt, unsachlich zu werden? Ist es ferner nicht ein wenig ehrlos und unritterlich, einer offenen Auseinandersetzung auszuweichen und nur aus dem Dunkeln heraus zu kämpfen? Alle diese Gründe sprechen sehr eindeutig für -eine klare, offene Aussprache. Wenn man auf eine gütige, verständnisvolle Weise sich mit dem anderen bespricht, wird das Gespräch gewöhnlich ein gutes Ende nehmen und ein Bruder wird den anderen gewinnen, vielleicht sogar zum Freunde. Wo aber Güte und Verständnis fehlen, wird eine heimliche Anklage sicher zur Gemeinheit. Erweist sich aber der andere als unzugänglicher Starrkopf, dann kommt eben die zweite Stufe: Unter Beiziehung von Zeugen wird ihm noch einmal sein Unrecht vorgehalten, und wenn er dann noch nicht einlenkt, dann kann eben nur noch'die Macht helfen, die jetzt offen angerufen werden mag.

Männliche Offenheit (man findet sie häufig bei Frauen) sollte eine Eigenart des Christen sein. Vertritt er eine gute und gerechte Sache, dann ist es ja nur ehrenvoll für ihn, wenn er mit vollem Namen zeichnet, und noch ehrenvoller, wenn er um der Gerechtigkeit willen Verfolgungen erleidet. Eine Sache aber, die das Licht scheuen muß, die darf er ja gar nicht vertreten.

Hüten wir uns vor Anwandlungen zum Heckenschützentum. Der unter „Frommen“

häufige Tratsch gehört auch hierher! Man schießt da zwar nur mit Kleinkaliber, aber die Masse macht immerhin einiges aus. Lieber hundert Ecken kommt der Tratsch schließlich doch einmal an die „richtige“ Stelle. Daß doch so manche fromme Seelen ihre Anteilnahme am Nächsten nur auf eine solch schmierige Weise äußern können! Gierig wühlen sie in seinem Leben, beobachten seinen Wandel. Plötzlich haben sie Verfängliches entdeckt oder von anderen gehört. Bebend vor Freude rasen sie wie Staffelläufer zum nächsten Posten und laden ihre Last ab. Der fügt noch einiges aus eigenem Wissen dazu, und beide laufen nach verschiedenen Seiten ab, um auch andere hungrige Herzen zu versorgen. Und so kann im Handumdrehen auf einmal ein Stimmungsumschlag um einen Menschen herum entstehen, man weiß nicht wieso und weshalb „Man sagt, daß ...“, aber niemand kennt dieses geheimnisvolle „Man“.

Wenn wir einen Schützen aus dem Dunkeln zufällig erwischen, dann genügt es gewöhnlich, ihn ans Tageslicht zu zerren. Das Licht tötet solches Dämmervolk gewöhnlich rasch und gründlich. Und wenn jemand uns selbst Tratsch und Verdächtigungen zuträgt, dann frage man nach den ersten Sätzen: Sind Sie bereit, dafür offen einzustehen, was Sie mir da erzählen? Wenn ja, dann wollen wir die Sache verfolgen, wenn nein, warum wollen Sie es nicht tun? Und wenn dann kein sehr triftiger Grund angeführt werden kann, dann drücke man unmißverständlich aus, daß man als ehrlicher Kämpfer des Guten für Partisanen kein Verständnis habe.

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