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Die Versuchung des Faschismus

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Wir geben im folgenden einer namhaften deutschen priesterlichen Stimme über ein brennendes Gegenwartsproblem Raum, das in seinen zahlreichen Maniiesta-tionen nicht auf Deutschland allein beschränkt ist. Eine ernste Stimme, die nidit überhört werden sollte, gerade wenn man — wie auch wir selbst — in manchen Teilbezügen anderer Meinung sein mag.

„Die österreichische Furche“

Die Geschichte hat ihre eigene Konsequenz. Die politischen Strömungen und Ereignisse kommen nicht von ungefähr, sie sind immer das Bild des jeweiligen Menschen. In diesem Sinn macht jeder Mensch Geschichte und Politik. So ist auch der Faschismus, dessen Ideologie und Versuchung heute noch nicht gebannt sind, das Bild des heutigen Menschen, oder besser das Bild von der Art des heutigen Menschen. Faschismus ist wesentlich eine Art, eine Form, eine Methode. Inhaltlich hat er nicht viel Neues gebracht, er hat nur den alten Traum von der Emanzipation des Menschen, wie ihn bereits die Aufklärung oder die Französische Revolution geträumt hatten, wieder aufleben lassen. Aber die Art und Weise wie er arbeitete, war in ihrer Radikalität etwas Neues. So verstanden, lebt der Faschismus heute noch weiter, zwar nicht unter raunen, aber unter verschiedenen andern Farben. Selbst dort, wo man es nicht erwarten sollte.

Die Tyrannei des Faschismus besteht, wie einer einmal trefflich formulierte, darin, daß der Monolog eines Menschen, einer Ansicht, einer Doktrin und Ideologie allen totalitär aufzuzwingen versucht wird. Die Gleichgesinnten gelten, wie ein Sprichwort sagt, als die Klügeren und als die, die allein recht haben, alle Andersdenkenden als die Dümmeren und im Unrecht Stehenden, nur deswegen, weil sie anders denken. Das sucht man vor sich selbst und den andern mit Beweisen und Gesetzen zu begründen, um den Anschein des Rechtes zu erwecken; wie es der Pharisäismus einmal ausdrückte: Wir haben ein Gesetz und nach dem muß er sterben. Dabei hatte er aber die Gesetze und das Gesetz bereits vorher in seinem bestimmten Sinn gewendet und verdreht. Jeder, der anders denkt, wird nicht hur nicht anerkannt, sondern sogar unterdrückt, konzentriert und, wenn es sein muß, auch vergast.

Dieses Monologisieren und der darauf geeichte Totalitätsanspruch sind die Wesensform der faschistischen Diktatur, die nicht absolut auf eine Rasse oder auf eine bestimmte Ideologie festgelegt ist. Nun lesen wir einmal unter diesem Aspekt unsere Zeitungen, hören die Reden unserer Politiker, sehen uns Gerichte, Filme, Bücher usw. an und wir finden diesen Geist an allen Ecken und Enden lebendig. Irgendeine Partei zum Beispiel bezeichnet sich als die einzig rettende, alles, was die andern tun, ist von vornherein falsch, und zwar aus dem einzigen Grund, weil es die andern tun — ein anderer Grund läßt sich großenteils und bei bestem Willen nicht finden. Diese geistige Borniertheit, die sich einbildet, „alle Weisheit allein gepachtet“ zu haben, die mit andern Auffassungen erst gar nicht ins Gespräch zu kommen versucht, ist das heute am meisten verbreitete Übel. Alles und alle müssen nach ihr tanzen, Kunst und Wissenschaft, Kinder und Erwachsene. Man braucht sich nur einmal an einige Filme zu erinnern, man muß sich ferner die Romane einer gewissen politischen Richtung über ihre einstigen Revolutionen durchlesen, in denen der Gegner nur einfach deswegen herabgesetzt wird, weil er anders denkt; er mag oft — und da verraten sie sich selbst — genau das gleiche tun wie die

Revolutionäre, doch für ihn gilt als verboten, was für die eigenen Leute erlaubt ist. Wie es früher eine „Reichseinheits“-produktion gegeben hat, so scheint es heute gewisse Partei und andere Ein-heitsschemata zu geben (damit ist aber nicht der Kommunismus allein gemeint!).

Diese Gleichschaltungsversuche sind das Zeichen einer eminenten Unreife. Nur reife Geister vertragen es, daß andere eben anders sind und anders denken — und lassen diese auch als A n-d e r e gelten. Sie verstehen es, aus dem gegenseitigen Gespräch, das ihnen einfach ein Bedürfnis ist, den eigenen Horizont zu erweitern und zu erhöhen. Jeder Mensch hat notwendig seine Grenzen, ebenso wie jede Partei und Politik, jede Nation und jede Zeit, und diese Grenzen können nur überwunden werden, wenn man über sich hinaus zu den andern geht, statt sich hinter ein Parteibuch, eine Theorie oder einen eisernen Vorhang zu verschanzen. Schon rein biologisch gesehen, degeneriert eine Familie und ein Volk, wenn sie in sich geschlossen bleiben. Es gehört mit zur reifsten und menschlichsten Bildung, auch den andern in seiner Eigenständigkeit anzuerkennen. Der kleine Mann muß bereits beginnen, den andern, der ihm „auf die Nerven geht“, zu achten und zu ertragen, in der Familie, im Büro, in jeder kleineren oder größeren Gemeinschaft und erst recht im öffentlichen Leben! Dann wird man sogar darauf kommen, daB der andere gar nicht so “verschieden ist, daß er oft genau das gleiche will, daß seine Art und Weise, die Probleme zu sehen und ihre Lösung anzupacken, die eigene ergänzt und erweitert und daß gemeinsam, in einer Zusammenarbeit, fruchtbare Ergebnisse erzielt werden, jedenfalls mehr, als wenn man sich im gegenseitigen Beschimpfen und Ausschließen zu übertrumpfen sucht.

Dieser Faschismus hat sich leider auch in unseren eigenen Reihen beträchtlich breit gemacht. Bei unserer Jugend zum Beispiel. Wie bekannt, und leider traurig bekannt, ist der Streit zwischen der bündischen Jugend und den Verbindungen. Man scheint das Band, das sie doch über alle Verschiedenheiten hinweg einen müßte, zu vergessen, daß sie — als Christen — trotz allem zusammengehören; jedoch: statt sich über den gleich-gesinnten Partner zu freuen, behaupten die einen, die Verbindungen seien nicht mehr modern, „wir allein sind echt und verstehen die heutige Zeit und Jugend“. Es ist klar, daß die anderen darauf zurijckschießen. Es gibt Theologen, die einander erbittert bekämpfen, weil der eine Thomist und der andere Molinist ist, und sie scheinen darüber ebenso zu vergessen, daß sie doch beide Christen und so einer gemeinsamen Sache verpflichtet sind. Man muß sich an den Kopf greifen, wenn man hört, daß eine Laienhelferin (die sich eifrigst zu versichern bemüht, daß sie „auch“ den Dr. theol. hat) einige Priester nur deswegen bekämpft, und das leider in einer verantwortlichen Stellung, weil sie in einer philosophisch-theologischen Streitfrage, über die sich die Theologen selbst noch nicht einig sind, anderer Ansicht sind als sie selbst; oder, wenn der Pfarrer einer Großstadt einige Mädchen aus seiner Pfarrjugend ausschließt, weil sie in einer Sache, in dar man mit Recht verschiedener Meinung sein kann, anders zu denken wagen. Man soll so etwas ja nicht zu rechtfertigen suchen, indem man von notwendiger Einigkeit usw. spricht; hier handelt es sich um nichts anderes als um Engstirnigkeit und Denkfaulheit. Wie viele Lehrer gibt es, die von ihren Schülern den Stoff in den gleichen Worten wiedergegeben wissen wollen, die sie sich selbst zurechtgelegt haben, und mancher Schüler hat seine Not, weil er dieses Lieblingswort nicht findet. Wie manche Eltern versuchen, nach ihrem Kopf ihre Kinder in eine bestimmte Heirat oder einen gewissen Beruf zu zwingen. Was man dadurch anrichtet, ist grauenhaft und wird jeder erfahrene Wissenschaftler, Pädagoge und Seelsorger nur bestätigen können. Erst recht fallen gewisse Leute über einen andern her, wenn er es wagt, auch dem Gegner gerecht zu werden und ihn zu achten. So ist kürzlich ein berühmter Priestersoziologe von einem gewissen Kreis sofort diffamiert worden, weil er auszusprechen wagte, daß auch Marx und der Sozialismus — und er gehört zu den wenigen, die Marxens „Kapital“ wirklich studiert haben — Wahrheiten aufgedeckt und Fragen ins Rollen gebracht haben, die“ man zu sehr vernachlässigt hatte.

So etwas ist nicht mehr Dogma oder Moral, sondern jenes berüchtigte Dogma-tisieren und Moralisieren, das päpstlicher als der Papst und kirchlicher als die Kirche sein will, das ungeheure Verheerungen gerade bei den Außenstehenden anrichtet und alles andere ist als Katholizität, die wesentlich „Weite“ in sich schließt. Die Geschichte kennt erschütternde Beispiele für die entsetzlichen Folgen solcher Haltungen. P. Fla-nagan hat uns ein einfaches katholisches Beispiel gegeben, wenn er in seiner Bubenstadt unterschiedslos alle Konfessionen aufnimmt, jeden seine Religion

Karl Rahner sagt dazu einmal sehr richtig: Man muß den Mut aufbringen, die Extremisten der eigenen Partei zurückzuweisen. ausüben läßt und niemanden zwingt, katholisch zu werden.

Kraß offenbart sich diese Gesinnungsart im „zivilen Sektor“ in der heute so blühenden Sparte der Buchbesprechungen, die beinahe eine eigene, aus diesem Grunde aber bedenkliche Wissenschaft geworden ist. Nichts verlangt sosehr geistige Reife und wissenschaftliche Gründlichkeit wie die Buchkritik, sonst entartet auch sie in Kritisiererei (ebenso wie die heutige Politik größtenteils Politisiererei ist). Es sollte doch wirklich, wenigstens nicht bei einem wissenschaftlichen Werke, vorkommen, daß es sowohl über alle Himmel erhoben wie auch zugleich in Grund und Boden verdammt wird. Trotz aller verschiedenen Auffassungen müßte doch ein gleichverteiltes Schwergewicht in der Kritik aufscheinen. Diese Kritisiersucht entspringt eben jenem engen Geist, der es nicht verträgt, daß andere anders denken, der oft den Mut dazu nicht aufbringt, selbständig zu sein und lieber hyperorthodox nach oben sich duckt, der sich dann mit allen faschistischen Methoden und Machinationen als berechtigt aufspielt und einen namenlosen Wirrwarr und ebensolche Gewissenspein heraufbeschwört. Zu ihm gesellen sich dann gewöhnlich noch die anderen Laster von Neid, Rachsucht, Besserwisserei usw., um das Chaos vollständig zu machen.

Es geht um die Freiheit der Wissenschaft und Kunst, um die Freiheit und den Ernst des öffentlichen und privaten Lebens, um die Freiheit des Menschen selbst! Die Wahrheit und ihre Auffindung bestehen nicht darin, daß aus dem Subjekt etwas herausprcjiziert, sondern darin, daß der objektive Tatbestand möglichst so, wie er ist, zu erfassen gesucht wird. Wissenschaftliche Forschung, politisches, wirtschaftliches, kurz jedes Leben ist nur dann fruchtbar, wenn die Probleme in aller Offenheit, so wie sie sind, gesteilt werden und nicht a priori durch subjektive Meinungen und Normen „ausgerichtet“ und verdeckt werden. Mancher verträgt es nicht einmal, wenn man ihm sagt, daß gegen die Realisierung seiner Theorie, seines Programms gewisse Schwierigkeiten bestehen. Das Befolgen der Wahrheit, ihre Anwendung auf das Leben, ihre Ausführung in der Praxis darf ebenso nicht vergewaltigend geschehen, sondern gemäß dem „Probabilismus“, den August Adam in seinem neuen Buch trefflich mit

„Nicht zur Mehrung der ohnehin unendlichen Gebiete unseres Reiches haben wir den Schutz des Königreiches Georgien überkommen“, mit diesen Worten hatte die Proklamation Alexanders I. von Rußland begonnen, die das Ende des uralten christlichen Königreiches südlich des Kaukasus verkündete. Und doch wuchsen diese „unendlichen Gebiete“ weiter, von Menschenalter zu Menschen-alter. Denn die weiten unwirtlichen Räume bis zur Behringstraße und zu den zentralasiatischen Gebirgen waren die naturgemäße geographische Ergänzung und Verlängerung des europäischen Mutterlandes und sie riefen nach Besiedelung. Als einzige europäische Macht bildet Rußland mit seinen asiatischen Besitzungen eine geographische Einheit. Diese Ausdehnung vollzog und vollzieht sich noch heute nach einem Rhythmus, der sich bis in frühe Zeiten verfolgen läßt. Moskaus politische Expansion schwingt zwischen dem Osten und dem Westen hin und her. Wird ihr an einem der beiden Endpunkte Halt geboten oder lassen dort die Umstände ein statisches Verhalten geraten erscheinen, so drängt seine Dynamik nach der Gegenrichtung. Die Rückschläge des Krimkrieges waren der Anstoß zur Eroberung Zentralasiens. Der Verlust des mandschurischen Krieges (1904/05) zwang Rußland, sein politisches Interesse dem Balkan zuzuwenden, womit eine Periode relativer Beruhigung in diesem europäischen Wetterwinkel ihr Ende nahm. So folgte der Konvention von Mürzsteg von 1903 nach kurzem eine aktive Politik Rußlands in Südosteuropa. Österreich-Ungarn bekam diese Wendung nach Westen in seinen Konflikten mit Serbien zu spüren. Der Zurückdrängung der Sowjetunion in

„Tugend der Freiheit“ übersetzt. Das Leben ist nicht eindeutig, ist keine Einheitsmaschinerie, sondern läßt Spielraum für persönliches Entscheiden und Wagen, und niemand hat hier das Recht, faschistisch zu normieren. Audi die Kirche anerkennt als letzte Norm das persönliche Gewissen. Selbst dort, wo sie verurteilt, verurteilt sie nicht den Menschen und den von ihm gemeinten Sinn seiner Sätze, sondern den objektiven Sinn beziehungsweise Unsinn, zu dem seine Worte Anlaß geben. Und niemand darf sich herausnehmen, wie Kardinal New-man sagt, jemanden zur Wahrheit oder in die Kirche zu zwingen. Das ist der wesentliche Unterschied des christlichen Apostolats und seiner Missionsarbeit von allen anderen offenen oder getarnten faschistischen Machtgelüsten, die ihren Terror oft auch mit messianischen Ideen zu rechtfertigen suchen.

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