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Akademiker an die Front!

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Die politische Wochenendtagung des Oesterreichischen Akademikerbundes, zu der Ende Februar der Präsident dieser Vereinigung, Finanzminister Dr. Karnitz, neben Vertretern von Akademikerverbänden Hochschullehrer, Politiker, Fachleute aus Ministerien und aus der Wirtschalt nach Graz eingeladen hatte, lenkte die Aufmerksamkeit unter anderem auf die Frage der politischen Elite und ihre Funktion für die Demokratie. Die Akademiker seien „der Herausforderung der Zeit“ da und dort manches schuldig geblieben, stellte in seiner Grazer Rede Unterrichtsminister Dr. Drimmel fest. Es ist leicht einzusehen, daß hier offenbar eines der aktuellen, ja brennenden Probleme der österreichischen Demokratie angeschnitten wurde, das auch über den Rahmen dieser Veranstaltung hinaus Beachtung verdient. „Die Furche“ nahm sich daher vor, einer Anzahl von Persönlichkeiten die vier untenstehenden Fragen zu stellen. Die Leser der „Furche“ sollen entscheiden, ob die Antworten für Oesterreichs politische Zukunft brauchbare Aspekte bieten oder nicht. Die Redaktion

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Die politische Wochenendtagung des Oesterreichischen Akademikerbundes, zu der Ende Februar der Präsident dieser Vereinigung, Finanzminister Dr. Karnitz, neben Vertretern von Akademikerverbänden Hochschullehrer, Politiker, Fachleute aus Ministerien und aus der Wirtschalt nach Graz eingeladen hatte, lenkte die Aufmerksamkeit unter anderem auf die Frage der politischen Elite und ihre Funktion für die Demokratie. Die Akademiker seien „der Herausforderung der Zeit“ da und dort manches schuldig geblieben, stellte in seiner Grazer Rede Unterrichtsminister Dr. Drimmel fest. Es ist leicht einzusehen, daß hier offenbar eines der aktuellen, ja brennenden Probleme der österreichischen Demokratie angeschnitten wurde, das auch über den Rahmen dieser Veranstaltung hinaus Beachtung verdient. „Die Furche“ nahm sich daher vor, einer Anzahl von Persönlichkeiten die vier untenstehenden Fragen zu stellen. Die Leser der „Furche“ sollen entscheiden, ob die Antworten für Oesterreichs politische Zukunft brauchbare Aspekte bieten oder nicht. Die Redaktion

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Jahrgang 1900. Ordinarius für Soziologie an der Universität Wien, Präsident des Wiener Instituts für

Sozialpolitik und Sozialreform

1. Zunächst gibt es keine „Akademiker“ an sich. So verneinten die liberalen Akademiker das katholische Oesterreich, die sozialistischen bejahten bis 193 8 nur ein proletarisch-freidenkerisches. Die nationalen wollten „los von Oesterreich“. Nur eine vor 1914 noch sehr schmale Akademikerschar stand ganz zum klauben und Staat ihrer Väter. Um Oesterreich „kümmerten“ sich also politisch genug „Akademiker“! Aber wie? Das ist die Frage!

2. Nicht nur die Rakete, auch die Automation in der Wirtschaft ehrt und mehrt den „geistigen Arbeiter“. Aber welchen? Doch nur den Techniker, der die Erdoberfläche ausbeutet. Damit tritt der „Ingenieur“ vor. Als „Fachmann“ heute! Als „Staatsmann“ morgen? In einer reinen Ingenieurgesellschaft, wie die LISA und die UdSSR es sind, wahrscheinlich. Das wäre aber (und ist zum Teil schon) ein Unglück

— für die manuellen und für die spirituellen Arbeiter.

3. Selbstverständlich gibt der „Akademiker“

— schon der hl. Thomas, Comte und Marx lehrten dies — der Politik neue und einsatzentsprechende Impulse. Aber welche Impulse? Siehe ad 1.1 Frage auch ist, ob der „Akademiker“, wenn er konstruktiv in einer politischen Idee sein sollte, ebenso in deren Durchführung es sein muß? Praktisch ist ja Politik Kunst, keine Wissenschaf,-und alle Kunst beruhtattf“Intuition uid Instinkt;-nicht auf Intellekt zuerst

4. Das „politische Engagement der Akademiker“ in Oesterreich nimmt zu. Dafür sorgt unser derzeitiges Kulturbudget, Seine eiskalte Verhinderung des auch für die Politik so gewichtigen wissenschaftlichen Engagements der Akademiker durch Einsparungen auf allen Forschungsgebieten zwingt ja talentierte Akademiker zur Abwanderung — in die Politik und deren marmorne Versorgungshäuser.

Dr. Hermann Withalm

Jahrgang 1912. Von Beruf Oeffentlicher Notar in Wolkersdorf (Niederösterreich), derzeit Abgeordneter zum Nationalrat und Staatssekretär im Bundesmini-sterium für Finanzen. Vors. AHS im OeCV

1 Es kann nicht ohne weiteres gesagt werden, daß sich die Akademiker während des ganzen Zeitraumes der letzten fünfzig Jahre zuwenig um die Politik gekümmert hätten Zumindest trifft dies kaum für die Zeit vor dem ersten Weltkrieg und nur zum Teil für die Zwischenkriegszeit zu. Ein Vergleich zwischen dem Parlament der Ersten Republik und dem der Zweiten zeigt jedoch mit aller Deutlichkeit, daß die Akademiker in der Zweiten Republik wesentlich schwächer — nach meiner Ansicht viel zuwenig — in der Politik vertreten sind.

2. Ich möchte die Behauptung, daß die Bedeutung der geistigen Arbeit Von allen eingesehen wird, keineswegs als absolut gegeben erachten, zumindest nicht, was Oesterreich anbelangt. Während in anderen Ländern — ich denke hier vor allem an die USA und gerade auch an die UdSSR, in jedem auf seine Art — die Bedeutung der geistigen Arbeit entsprechend gewürdigt wird, sind wir in Oesterreich noch lange nicht so weit. In absehbarer Zeit werden wir, wenn die Entwicklung so weitergeht, an einem gefährlichen Mangel an Akademikern leiden.

3. Diese Frage möchte ich mit einem vorbehaltlosen „Ja“ beantworten, dies allerdings unter einer wesentlichen Voraussetzung: daß es sich bei den in der Politik tätig werdenden Akademikern um in jeder Beziehung freie und unabhängige Männer handeln müßte. Was hier für jeden in der Politik Tätigen gelten sollte, müßte ganz besonders beim Akademiker verlangt werden.

4. Ich erachte die Möglichkeiten des stärkeren politischen Engagements des Akademikers durchaus für gegeben. Zuerst müßte allerdings die Scheu mancher Akademiker vor einer Betätigung in der Politik überwunden werden, die leider auf Schritt und Tritt zu bemerken ist. Hand in Hand damit müßte versucht werden, dem Akademiker klarzumachen, daß gerade er dem Staat und der Gesellschaft gegenüber besondere Verpflichtungen und Aufgaben zu erfüllen hat.

Heimito von Doderer Jahrgang 1896. Schriftsteller in Wien. Träger des Oesterreichischen Staatsrates 19 5 8

1. Der Begriff Akademiker ist sehr weit. Er umfaßt Humanisten und Nichthumanisten Unter den letzteren finden sich am meisten die reinen Fachspezialisten. Ihre Beziehung zur Politik ist von vornherein eine geringe Sie werden auch unter den verschiedensten politischen Regimes stets gleich funktionieren Sie sind sozusagen vor der Politik gesichert. Anders der Humanist. Er ist durch seine Beziehung zur Antike erstens politisch vorgebildet — das heißt, er sieht in der Politik eine der nicht zu umgehenden Kategorien des Lebens —, zweitens aber ist er an einer Art der politischen Staatsführung interessiert, welche das Kontinuum, dem auch er angehört, nicht abreißen läßt Zweifellos hätten sich gerade die Humanisten, ihres Ursprungs eingedenk, mannhafter am politischen Leben beteiligen müssen.

2. Durchaus nur das letztere, und mit Recht. Denn die hier in Betracht kommenden Kräfte sind reine Facharbeiter und nichts anderes. Man darf nicht so ganz selbstverständlich das heutige mechanistisch-technische Teamwork mit dem Geist identifizieren.

3. Durchaus. Humanisten voran!

4. Die Plattform, auf welcher der historisch handelnde Mensch allein stehen kann, ist sehr klein geworden. Die Abstiege von dieser Plattform, sei es nach links oder nach rechts, sind breit ausgebaut, bequeme Stufen des Niederganges. Von ihnen aus ist ein eigentlich historisches Handeln heute nicht mehr möglich. Die dazu nötige, heute so schmale Plattform wieder zu betreten, ist ein hoch individuelles, schicksalhaftes Werk, zu dem sich immer nur ein einzelner aufgerufen fühlen kann, niemals ein ganzer Stand als Kollektiv.

Dr. Alfred Maleta Jahrgang 1906. Generalsekretär der Oesterreichischen Volkspartei. Klubohmann. Vor 193S Sekretär der oberösterreichischen Kammer für Arbeiter und Angestellte, dann KZ Dachau, Militärdienst

1. Da nahezu die meisten exponierten polirischen Persönlichkeiten von gestern und heute einen akademischen Grad ihr eigen nennen, so kann man wohl kaum sagen, daß sich die Akademiker in unserem Lande in den letzten Jahrzehnten zuwenig um die Politik gekümmert hätten. Aber es fehlte ihnen die Gefolgschaft gerade unter ihren Standesgenossen. Die antiintellektuelle Welle der dreißiger Jahre wurde nicht zuletzt durch gewisse selbstmörderische Theorien von Akademikern ausgelöst. Sie gipfelte in den höhnischen Worten eines Doktor Goebbels, der einmal feststellte daß der Nationalsozialismus seine Erfolge nicht errungen hätte, wenn Hitler Jurist gewesen wäre ...

2. Der Geist ist ebenso unteilbar wie die Freiheit. Die christlich-demokratische Gesellschaftsordnung steht zu der totalitären jeder Spielart im diametralen Gegensatz. Für unsere Auffassung ist daher der Akademiker seinem Wesen und Beruf nach mehr als ein „Facharbeiter“. Ein Gemeinwesen unserer Vorstellung braucht die Mitarbeit des Akademikers als eines freien, schöpferischen Menschen, der über sein Fachwissen hinaus zum kritischen Denken und einer selbständigen Beurteilung der, gesellschaftlichen Vorgänge fähig ist.

3. Politische Impulse können von allen Menschen ausgehen, die bei ihrer Kritik wie bei ihrer Initiative das allgemeine Ziel im Auge behalten: die „polis“, von der die Politik ihren Namen hat. Ein Akademiker, der sich seiner Bildungsherkunft aus antikem und christlichem Geist bewußt ist, müßte diese Verpflichtung am deutlichsten fühlen. Er wird aber auch am nüchternsten und klarsten abzuschätzen wissen, was möglich und unter den jeweiligen Umständen erreichbar ist und was nicht.

4. Politisches Engagement erfordert, wenn es von Erfolg gekrönt sein soll, nicht nur Fachwissen und Konzept, sondern auch Fineer-spitzeneefühl für die Realitäten, aber auch Mut zur Uebernahme persönlicher Risiken. Ich glaube daher nicht, daß allein schon die Tatsache des „Akademikerseins“ politischen Ambitionen Tür und Tor öffnen kann und soll Der Wee führt mitten durch die Wirklichkeit Er ist steinie und staubig. Auch für den Akademiker gibt es keine Sonderpromenade.

Dr. Bruno Kreisky Jahrgang 1911. Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten. Als illegaler Sozialist vor und nach 1938 zeitweilig im Gefängnis, von 1939 bis 1945 in Stockholm in der Emigration

1. Es ist für die Demokratie wichtig, daß sich so viele Menschen wie möglich um die Politik kümmern. Für die Politik gilt der Satz: Tua res agitur. Daher bin ich auch der Meinung, daß es gut gewesen wäre, wenn sich in den vergangenen Jahrzehnten auch die Akademiker mehr um die Politik gekümmert hätten, allerdings möchte ich bemerken, daß ich es für sehr gefährlich hielte, in das andere Extrem zu fallen, wonach die Politik nur für Akademiker da wäre. Das hieße, das Managertum noch stärker in der Politik fördern, als es heute ohnedies schon der Fall ist.

2. Gewiß gab es viele, welche die Entdecker der neuen großen Energiequellen und Waffen gern nur als Spezialisten eelten lassen wollten. Aber die Wissenschaftler welken sich zum Glück gegen diese Auffassung. Wenige Dingehaben mich in den letzten Tahren bei den öffentlichen Debatten in Amerika so gefreut wie die vor einigen Monaten begonnene Auseinandersetzung zwischen den Fat-heads und E g g-h e a d s,

3. Natürlich aber nur dann, wenn sie nicht als Vertreter einer Art Standesgruppe auftreten, sondern wenn sie sich in allen Parteien stärker durchsetzen und so die P a r t e i p o 1 i t i k mit neuen Impulsen versehen.

4. Ja. Eine solche scheint mir zum Beispiel die gegenwärtige Programmdebatte der SPOe zu sein. Wie immer man zu diesem Entwurf stehen mag und was immer schließlich als Programm beschlossen wird, niemals vorher haben so viele Akademiker — Sozialisten und AntiSozialisten — an politischen Debatten teilgenommen wie hier. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr „Ideenpolitik“, dann werden die Akademiker von selbst stärker als bisher am politischen Leben teilnehmen.

Dr. Hans Tuppy

Jahrgang 1924. Biochemiker. Dozent an der Universität Wien, Mitbegründer der Freien Oesterreichischen Studentenschaft

1. Eine Frage wie diese („W ä r e es besser gewesen, wenn.. .“) ist so „akademisch“, daß ich auf ihre Beantwortung verzichte; es ist unfruchtbar, solchen irrealen Fragen der Vergangenheit nachzusinnen.

Es wäre nichts damit gewonnen, wenn sich d i e Akademiker schlechthin mehr um die Politik kümmerten; woran im politischen Leben Mangel besteht, ist ein bestimmter Typ von Akademikern:

Geistige Menschen,

gebildet und informiert,

intellektuell und kritisch — aber konstruktiv,

scharf profiliert - ohne starr und dogmatisch zu sein,

„Köpfe“ — nicht Querköpfe,

aufrecht — aber nicht arrogant,

rechtlich denkend - nicht rechthaberisch,

mit Ideen und mit Idealen — diese aber nüchtern verpackt, gewissenhaft — aber nicht kleinlich, verantwortungsbewußt — nicht eigennützig.

2. Die Dinge werden immer komplizierter. Von den führenden Männern in Wissenschaft und Technik, Wirtschaft und Politik wird immer mehr ein Mehr an Fachwissen, an Bildung, Ueberblick, Verantwortung und an Charakter gefordert. Wer die fachlich und allgemein besser qualifizierten Menschen hat, dem gehört die Zukunft. Der Bedarf an Handarbeitern wird abnehmen, der an „Geistwerkern“ steigen. Je mehr Technik, je mehr Automation, je komplizierter die Verwaltung, desto höher werden diese qualifizierten Kräfte im Kurs stehen. Es liegt an den Intellektuellen, sich nicht zu krummrückigen Erfüllungsgehilfen degradieren zu lassen.

Vor allem auch die Wissenschaftler und Techniker werden ihren Status bedenken müssen. Ihre Ideen und ihre Arbeit sind zu wertvoll und allenfalls auch zu gefährlich, als daß sie es sich leisten könnten, sie naiven oder gar suspektiven Mächtigen ohne weiteres zur Verfügung zu stellen. Sogar die stufen Gelehrten werden aus Gewissensgründen zu politischer Wirksamkeit gedrängt. Denn sie können die Sündenböcke von morgen sein.

3. Es könnte nicht nur; es wird ...

4. Reden wir nicht von „Engagement“. Es erinnert gar zu sehr daran, daß Menschen für weisungsgebundene politische Tätigkeit Gagen beziehen. Gerade die besten Akademiker werden 6ich nicht leicht „engagieren“ oder engagieren lassen. Aber sie mögen bereit sein, politische Aufgaben auf eigene Verantwortung zu übernehmen, sei es allein, sei es im Rahmen kleiner Körperschaften, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, in einem autonomen Wirkungsbereich zu arbeiten und darauf verzichtet, sie an die kurze Leine zu nehmen. Intellektuelle in der Politik mögen bisweilen unbequem sein; aber es wird sich lohnen, auf ihre Mitarbeit nicht zu verzichten. ,üi;„,. BMU, u\ Mäl

Dr. Georg Zimmer-Lehmann Jahrgang 1917. Gehörte dem Redaktionsstab der „Furche“ von der Gründung bis 1949 an. Seither tätig in der volkswirtschaftlichen Abteilung der Creditanstalt, Generalsekretär des Oesterreichischen Akademikerbundes.

1. Ich glaube, daß ; hier weniger die Akademiker als Einzelpersonen gemeint sind. Die einzelnen Akademiker kümmerten sich ohnehin um die Politik. Ich glaube vielmehr, daß der Akademikerstand, der durch seine universale Bildung auf jedem Gebiet des öffentlichen Lebens eine bedeutende Rolle zu spielen hätte und eigentlich früher immer der Vorkämpfer, Prüfer und auch Reiniger neuer Ideen war, dieser Aufgabe verlustig gegangen ist.

2. Wenn man die geistige Arbeit braucht, wird man aufhören müssen, sie unterzubewerten. Wie hoch man sie aber bewerten wird — und damit meine ich nicht nur die materielle Bewertung —, hängt davon ab, ob der Akademikerstand es fertigbringen wird, ein seiner Arbeit adäquates geistiges Konzept zu erstellen und es durchzusetzen. Er müßte also der Lln-geistigkeit der Zeit die Forderung nach gerechter Wertung des Geistes entgegenstellen, und diese Forderung müßte eben von allen geistigen Arbeitern unterstützt werden.

3. Man kann sich des Gefühles nicht erwehren, daß die Politik in der ganzen freien Welt dringend neuer Impulse bedarf. Um mit dem neuen Zeitalter fertig zu werden, wird es der Umformung vieler Werte bedürfen. Dies wird aber auf die Dauer nicht allein durch Wirtschaftswunder und sicher nicht durch Nivellierung nach unten möglich sein. Die Menschen brauchen ein geistiges Konzept, das im Einklang stehen muß mit all dem Neuen, das über sie hereinbricht. Nur ein Akademikerstand, der sich seiner Aufgabe, nämlich der Verteidigung der Freiheit und der Freiheit des Geistes bewußt ist, wird imstande sein, die Tragfähigkeit der Ideen zu prüfen, um sie für Staat und Politik auf geistiger Grundlage umzuwerten.

4. Dazu muß sich der Akademiker erst seiner polirischen Kraft wieder bewußt werden.Vorläufig sind die Akademiker ja hauptsächlich Vollziehungsgehilfen der anderen Stände und nicht imstande, gemeinsam ihre politischen Konzepte zu vertreten. Aber sollte das politische Standesbewußtsein zurückkehren, dann wird es gerade durch das ständige Zunehmen der Kompliziertheit der Materie auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens für die politischen Parteien geradezu zwingend sein, den Akademikerstand stärker heranzuziehen, als es bis jetzt der Fall war.

Msgr. Dr. Leopold Ungar

Jahrgang 1912. Direktor der Caritas der Erzdiözese Wien. Seelsorger für die Enf': -h sprechenden Katholiken in Wien.

1. Nein. Als Gesamtheit betrachtet, haben sie sich eher zuviel darum gekümmert und waren die Gefolgsleute der Demagogen und der Doktrinäre, welche die Politik der letzten 50 Jahre gestaltet haben. Natürlich sind einzelne den Weg der Ehre und des Gewissens gegangen.

2. Nicht der geistige Arbeiter wird anerkannt, sondern der Spezialist. Der technische Spezialist wird freilich auch außerhalb seiner Sphäre zum Führer der Menschheit, und man hört mit Andacht, was er über Krieg und Frieden zu sagen hat. Psychiater und Psychologe spielen ungefähr die Rolle der Bischöfe und Priester früherer Zeiten und sind das Orakel geworden, durch das man sich über Fräsen von Glück und Unglück, Schuld und Sühne Rat holt.

3. und 4. J a, wenn der Akademiker zu seinem Ursprung, der Akademie Piatos, zurückfände, geistige Demut übte und sich bewußt würde, daß die Lösungen für die brennenden Fragen der Menschheit erst gefunden werden müssen. Wenn er, statt als Masse in der Politik mitzulaufen, behilflich wäre, die Erkenntnis zu verbreiten, daß die Politik sich in Scheingegensätzen von links und rechts verzettelt. Daß die heutige Fragestellung nicht mehr links und rechts heißt, sondern: der allmächtige Staat oder die Freiheit. Wenn er die Probleme der Demokratie neu durchdächte und erkennte, daß auch sie totalitär ist, wenn sie die Gewissensprobleme der Minderheit nicht respektiert. Wenn er sich ein neues Bildungsideal aneignen könnte, das nicht beim Wissen stehenbleibt, sondern die Durchformung der eigenen Seele, der unmittelbaren LImgebung. des Staates und der ganzen Menschheit durch die Gnade zu seinem Programm macht. Natürlich kann der organisierte Einsatz einer kleinen Gruppe bei unserem Parteiensystem von zwei fast gleich starken Parteien Bedeutung haben. Aber wichtiger als der Machtzuwachs ist das Bewußtsein, wozu die Macht gebraucht wird Politisches Engagement für die Entpolitisierung der Gesellschaft, für die Sicherung der Rechte der Leistung, für den Kampf gegen Klischees. In Oesterreich waren die marxistischen Führer der Arbeiterschaft Akademiker. Warum können sie nicht ihre Führer, und die der anderen Klassen, zur europäischen Gemeinschaft werden?

Professor Felix Ermacora

Jahrgang 1923. Professor für Staatsrecht an der Universität Innsbruck. Bis 1957 im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramt? täti?.

1. Ja. Der Akademiker ist kraft seiner Ausbildung berufen, die gesellschaftliche Situation der Zeit, die politischen Strömungen, die Vorstellungen der den Staat bewegenden politischen Parteien vom gesellschaftlichen Leben in ihrer möglichen dialektischen Auswirkung zu erforschen. Er vermag je nach der Intensität seiner diesbezüglichen Bemühungen Kristallisationsmoment im Gesellschaftlichen zu sein. Wäre er das während der letzten Jahrzehnte gewesen — und zwar aufgeklärt über die Bedeutung des Menschen im Staate —, so hätte die Akademikerschaft durch ihre Existenz allein als „Körperschaft“ Kräfte frei machen können.

2. Ich verfolge mit Interesse, wie sich das Ansehen der sogenannten technischen Wissenschaften mehrt, das der Geisteswissenschaften hingegen abnimmt oder nur in den Fachkreisen noch Bedeutung hat —. das gilt insbesondere für den Rechtswissenschaftler. Während in der Geburtsstunde des liberalen Staates der Rechtswissenschaftler die Oeffenrlichkeit mit seinen Ideen bewegte, ist es heute nahezu ausschließlich der Politiker, der diese Funktion erfüllt. Vertreten diese das, was die Rechtswissenschaft schon lange erkannt hat, so greift die Presse die Meinungen der Politiker freudig auf. Die Wissenschaft, d. i. der Akademiker, der nicht Politiker ist, wird in den Hintergrund gedrängt.

3. Ich bin davon überzeugt. Denn sein Auftreten könnte zumindest bei den auch innenpolitisch erstarrenden Fronten einen neuen Faktor darstellen, der zumindest die Diskussion über die Fragen, die in einer Demokratie jedermann angehen, beeinflussen könnte.

4. Grundsätzlich scheint mir die Aufklärung des Akademikers — welcher Fachrichtung auch immer — über die Entwicklung der gesellschaftlichen Struktur und die daraus folgende Wandlung von Recht und Staat Voraussetzung für ein politisches Engagement des Akademikers. Eine konkrete Bildungsarbeit sollte Ansatz sein. Sind sich die Akademiker ihrer Position im Staate bewußt, dann müßte aus der konkreten und dauernden Bildungsarbeit eine zeitgerechte Aktion von selbst folgen — folgt diese nicht, das heißt, endet die Arbeit in einer fruchtlosen Diskussion, dann wird die Frage 1- wohl zu verneinen sein.

Dr. jur. Max Wilhelm Hämmerle

Jahrgang 1914. Bankdirektor in Bregenz, Geschäftsführer der Vereinigung Vorarlberger Akademiker

1. Es war in den letzten 50 Jahren bei den Akademikern nicht so sehr der Mangel an politischer Mitarbeit festzustellen als vielmehr der Umstand, daß ihre politischen Zielsetzungen Wertordnun-gen entsprangen, die beachtlich verschieden waren. Mit dem Aufruf der Akademiker zum politischen Einsatz muß deshalb die Erarbeitung einer gemeinsamen abendländischen Wertordnung Hand in Hand gehen.

2. Die Anerkennung der Bedeutung der geistigen Arbeit und des geistigen Arbeiters macht sich im politischen Leben in einer erhöhten politischen Bedeutung des geistigen Arbeiters erst dann bemerkbar, wenn die geistige Arbeit in der politischen Arena geschlossen und qualifiziert wirksam ist. Der Erfolg einzelner geistiger Arbeiter vermag sich nicht auf den ganzen Stand auszuwirken. Wenn der Stand des geistigen Arbeiters als solcher erhöhtes politisches Gewicht gewinnen will, muß er sich in einer für das öffentliche Leben maßgebenden Wertordnung geschlossen zeigen.

3. Unter der Voraussetzung einer Neuorientierung (siehe 1) würde das Auftreten der Akademiker der Politik neue Impulse bringen

4. Die Möglichkeit für das Engagement der Akademiker in- der Politik ist ständig gegeben In allen drei das gesellschaftliche Leben ausmachenden Stufen, nämlich der persönlichen, der familiären und jener der politischen Zusammenschlüsse.

Dr. Walter Vavrovsky Jahrgang 1916. Rechtsanwalt in Salzburg, Stadtrat. Hauptmann im zweiten Weltkrieg, Vater von fünf Kindern.

1. Der Akademiker neigt nach Bildung, Berufsethos und Lebenshaltung zur Entwicklung des Persönlichkeitswertes, damit zwangsläufig aber auch zum Individualismus Das Geschichtsbild der letzten Jahrzehnte ist dagegen durch die Antithese des Ko 11 e k t i-v i s m u s geprägt — und zwar nicht nur im Osten; In größerem historischem Zusammenhang gesehen, war es in dieser politischen Situation für die Zukunft wichtiger, daß die Akademikerschaft die zwar zurückgezogene Trägerin des Imperium humanitatis blieb, als daß im Tageskampf die Idee der Freiheit mit ihren besten Denkern ganz zerschlagen worden wäre.

2. Wir befinden uns bereits an der Peripetie, auch wenn dieser Umbruch erst im geistigen Raum spürbar wird. Noch mag der Akademiker vielen als der „Spezialist“ schlechthin erscheinen. Aber nicht die Technik, weder die Arbeitsteilung noch das Teamwork, sind die Kriterien der Auferstehung des Akademikers; auch nicht die Politik in ihrer heutigen Erscheinungsform! Die eminente Bedeutung des Standes liegt auch nicht in dem nivellierenden Begriff der „geistigen Arbeit“, sondern in der Entfaltung und Ausstrahlung der Menschlichkeit. Und darin liegt freilich ein höchst politisches Axiom!

3. Solange unsere Demokratie von der Partei und dem Proporz beherrscht und nicht von der Persönlichkeit gestaltet wird, mag man zweifeln. Aber gerade deshalb müssen neue Impulse kommen: Von innen und von außen. Um es offen auszusprechen, die Akademiker müssen die Parteien „unterwandern“, aber auch den parteifreien Raum ausweiten und erfüllen. Nur in solcher Wechselwirkung kann der verzerrte Begriff der Politik wiederhergestellt werden,

4. „Für uns, auf dem Boden zweier römischer Imperien hausend, Deutsche und Slawen und Lateiner, ein gemeinsames Geschick und Erbe zu tragen., auserlesen — für uns .iWiahjihafilMJst Europa die Grundfarbe-des Planeten. für,ius ist Europa die Farbe der Sterne, wenn aus ent-wölktem Himmel wieder Sterne über uns funkeln“ (Hugo von Hofmannsthal).

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