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Katholiken und Parteipolitik

19451960198020002020

Im folgenden beschließen wir die Wiedergabe einer Rede, diel Generaldirektor Dr. Stepan, der nengewählte Präsident des „Verbandes katholischer Publizisten Oesterreichs”, bei einem Bankett nach Schluß der Generalversammlung des Verbandes hielt. Der erste, in Folge 7 der „Furche”, wiedergegebene Teil der Ansprache befaßte sich mit den Anfängen politischer Betätigung durch die Katholiken in der katholischkonservativen Partei, später der Christlichsozialen Partei vor und nach dem ersten Weltkriegbis zu dem denkwürdigen bischöflichen Auftrag an den Klerus, sich aus dem Bereich der aktiven Politik zurückzuziehen. Das war 1933...

19451960198020002020

Im folgenden beschließen wir die Wiedergabe einer Rede, diel Generaldirektor Dr. Stepan, der nengewählte Präsident des „Verbandes katholischer Publizisten Oesterreichs”, bei einem Bankett nach Schluß der Generalversammlung des Verbandes hielt. Der erste, in Folge 7 der „Furche”, wiedergegebene Teil der Ansprache befaßte sich mit den Anfängen politischer Betätigung durch die Katholiken in der katholischkonservativen Partei, später der Christlichsozialen Partei vor und nach dem ersten Weltkriegbis zu dem denkwürdigen bischöflichen Auftrag an den Klerus, sich aus dem Bereich der aktiven Politik zurückzuziehen. Das war 1933...

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Fünf Jahre später, 1938, galt die Anteilnahme der Katholiken am öffentlichen Leben nicht mehr als die selbstverständliche Ausübung eines staatsgrundgesetzlich gewährleisteten bürgerlichen Rechtes und schon gar nicht als eine erlaubte, ja im Gewissen zu erfüllende religiöse Pflicht. Sie wurde als „politischer Katholizismus” diffamiert und als „fluchwürdiges, wider- christliches Verbrechen” erklärt. Katholiken, die seinerzeit in der Christlichsozialen Partei führend tätig waren, wanderten vielfach, jene, die in der Vaterländischen Front maßgeblich mitgetan hatten, fast ausnahmslos in die Gestapogefängnisse und Konzentrationslager der Befreier. Alle hatten nun Zeit und Gelegenheit zu gründlicher Gewissenserforschung. Die meisten machten davon ausgiebigen Gebrauch, kamen aber nicht immer zum gleichen Ergebnis.

Verschiedenheiten in Temperament und Alter, in Bildung und Erfahrung, in der religiösen Haltung zeitigten Verschiedenheiten in der Beurteilung der erlebten politischen Vergangenheit und des Verhältnisses von Kirche und Parteipolitik.

Die einen sahen überhaupt so gut wie keine Problematik und wurden eher wütend, wenn eine solche von anderen behauptet und aufgezeigt wurde. Sie quälten sich ab, die organisatorischen, wirtschaftlichen, politischen Fehler in Handlungen und Unterlassungen festzustellen, die von ihnen und von führenden Persönlichkeiten begangen worden waren; die leicht hätten vermieden werden können; die das Unheil, das hereingebrochen war und nicht hätte hereinbrechen müssen, allein verschuldeten. Sie lehnten es brüsk und verärgert ab, über Dinge zu diskutieren, die den neuen Herren nur als Anlaß- neuer,’”noch frediereT- und dümmerer leumdüngen gegen Kirche, Priester und Gläubige dienen müßten. Sie waren der Ueberzeu- gung, daß jede forschende Erörterung, wie die zu Ende gegangene politische Tätigkeit der Katholiken vor dem Gericht des christlichen Gewissens bestehen könne, ob sie beispielsweise um den’wesentlichen Auftrag, die Welt zu verchrist- lichen, überhaupt oder nur in einer unzulänglichen, weil äußerlichen Weise, bemüht gewesen seien, absurd und eigentlich sündhaft sei. Und die Frage nach dem Sinn der augenscheinlich unverdienten Katastrophe ihrer politischen Taten und Opfer beantworteten sie dahin, daß kein solcher zu ergründen sei, daß sie, in der Weltgeschichte hätte sich das immer wieder ereignet, einem Verhängnis, einer erdrückenden Ueber- macht, der geradezu provokanten Verständnislosigkeit der Großmächte und den schon erwähnten Fehlern erlegen seien.

Andere blieben bei diesen gewiß berechtigten Feststellungen nicht stehen. Sie gingen weiter. Sie glaubten, annehmen zu können, daß die Katholiken, nicht nur die Oesterreichs, aus der einst aktuellen politischen und kirchlichen Notlage der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine nicht mehr zeitbedingte, sondern für immer gültige Tugend gemacht hätten. Sie glaubten, feststellen zu sollen, daß die Ehe zwischen Thron und Altar, die schon unter Konstantin geschlossen worden war und im Jahre 1918 ihr allzu spätes Ende gefunden hatte, durch die nicht weniger problematische, allzu enge Verbindung zwischen Kirche und Partei abgelöst worden sei. Nach dem Zusammenbruch aller, wirklich aller äußeren Machtmittel auf das Wesentliche und der Kirche zurückgeworfen und zurückgewi rsen, bezeichneten sie diese Verbindung und Bil dung nicht einfach als einen entschuldbaren Irrtum; der nie wieder passieren dürfe, wohl aber erkannten sie, daß eine Phase einer Entwicklung, die zu Ende gegangen war, ohne daß man es recht gemerkt hatte, nun auch von einer neuen, distanzierteren, eigenständigeren Haltung, von anders gearteten Bemühungen um die Verchristlichüng des öffentlichen Lebens abgelöst werden müsse.

Die Ereignisse des Jahres 1945 brachten beiden Gruppen reichliche Möglichkeiten, ihre Auffassungen zu verwirklichen. Vertreter der ersteren gründeten die Oesterreichische Volkspartei, die — ich glaube, man kann das behaupten — im wesentlichen von Katholiken ins Leben gerufen wurde, die ehedem in der Christlichsozialen Partei oder später in der Vaterländischen Front tätig gewesen waren. Die Rückkehr zur Parteiendemokratie fiel auch den letzteren nicht schwer, obwohl sie dies mit und unter Dollfuß als überlebt erkannt und darum bekämpft hatten. Wieder bringt eine neue Parteibezeichnung das Bestreben zum Ausdruck, weitere Kreise anzusprechen, als dies einst der Christlichsozialen Partei möglich gewesen war. Wie man einst von „katholisch” auf „christlich” zurückgegangen war, begnügte man sich jetzt mit der Bezeichnung „österreichisch”. Der Name und die ständische Gliederung der OeVP stehen wohl in bewußtem oder unbewußtem Zusammenhang mit der VF.

Die andere Gruppe der Katholiken, von der wir früher sprachen, widmete den innenpolitisehen Vorgängen und Aufgaben zunächst nicht sehr viel Aufmerksamkeit. Ihr Interesse konzentrierte sich auf die Wiederherstellung und Erneuerung des kirchlichen Lebens, dessen auf Heiligung des einzelnen und der Welt gerichtetes Ziel sie klarer erkannt, wirkungsvoller verkündet und vor allem auf sakramentalem Weg erstrebt und erreicht wünschte. Sie fand in der Katholischen Aktion, mit der man vor 1938 noch nicht sehr viel anzufangen wußte, ihr Betätigungsfeld. Sie bemühte sich, den Primat des Religiösen vor dem Politischen, besonders vor dem Parteipolitischen, zu betonen und wahren zu helfen. In diesem Bemühen ging sie so weit, daß sie sich gegen den Vorwurf des Spiritualismus und der Weltfremdheit zur Wehr zu setzen hatte. Alte, unwiderlegliche Argumente wurden gegen sie ins Treffen geführt; Die Kirche dürfe sich nicht in die Sakristei oder gar in die Katakomben zurückziehen; sie habe auch in der Welt, in der Wirklichkeit der Wirtschaft und der Politik, einen Platz einzunehmen und zu behaupten; unterließe sie es, die Aufgaben zu erfüllen, die ihr unzweifelhaft im öffentlichen Leben gestellt seien, kämen unweigerlich Le”te an die Macht, die sie zur völligen Einflußlosigkeit degradieren und ihr überhaupt nur eine scheinbare Handlungsfreiheit zubilligen würden; dann sei es vorbei mit der „consecratio mundi”. Dem konnte und durfte nicht widersprochen werden. Die Katholische Aktion beeilte sich denn auch, zu erklären, daß sie die Forderung nach der politischen Betätigung der Katholiken nicht nur billige, sondern weitestgehend verwirklicht sehen möchte.

Aber ging es denn überhaupt um dieses Prinzip der Beteiligung oder Nichtbeteiligung? Stand nicht hintef diesen Auseinandersetzungen eine viel konkretere Frage, ein ganz anderes Anliegen? Ging es nicht vielmehr darum, Klarheit zu gewinnen, ob das Verhältnis der praktizierenden Katholiken Oesterreichs zur P a r t e i- politik noch dasselbe bleiben müsse wie in den vergangenen Jahrzehnten? Diese ungemein heikle und schwierige Frage war im Letzten zur Diskussion gestellt tfhd nichts anderes.

Wir haben aufzuzeigen versucht, welche bedeutsamen Veränderungen sich in Oesterreich bei den zwei Parteien vollzogen, die von Katholiken gegründet und geführt worden waren, mit denen sie sich identifiziert, von denen sie die ausschließliche Vertretung auch ihrer religiösen Interessen erwartet und auch erfahren hatten. Wir haben angedeutet, welch weitere, tiefgreifende Aenderungen mit ihrer dritten Parteigründung verbunden waren, die, zum ausschließlichen „Sammelbecken des bürgerlichen Lagers” geworden, sich im nunmehr herrschenden Zweiparteiensystem nur noch einem ihrer einsti-, gen politischen Gegner gegenübergestellt sah.

War denn dieser noch der alte geblieben? Dem Namen nach nicht. Die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei Oesterreichs” hieß jetzt „Sozialistische Partei Oesterreichs”. Auf den ersten Blick läßt dieser Firmenwechsel auf eine Radikalisierung schließen. Doch der Schein trügt wieder einmal. Auch diese Namensänderung bedeutet das Bestreben, die Basis zu erweitern. So verlockend es wäre, zu untersuchen, warum und inwieweit und von welchen vielfaltigen Folgen begleitet die Wandlung der einstigen Klassenpartei zur Volkspartei erfolgte, hier interessiert uns, ob der weltanschauliche Charakter der SPOe jener der alten SDAPOe geblieben ist. Diese Frage wird ebenso, und zwar lebhaft„ ja leidenschaftlich, bejaht und ebenso entschieden verneint.

Die ‘einen sind überzeugt, die SPOe ist und will eine im Kern marxistische, das heißt notwendig antikirchliche, aber auch selbstverständlich antireligiöse Partei sein, nur in der Methode, nicht aber im Ziel vom Kommunismus verschieden. Und weil sie sich zu ihrem Leidwesen dazu verstehen muß, im demokratischen Verfahren um die Macht im Staate zu ringen, bedient sie sich plumper oder raffinierter Täuschungsmanöver. Sobald sie sich die bisher vergeblich ersehnte Mehrheit durch die Stimmen erfolgreich getäuschter Katholiken erstritten hat, wird sie ihre wahre Gesinnung unverminderter, haßerfüllter Feindseligkeit gegen die Kirche sofort enthüllen. Sie verweisen mit Nachdruck auf das neue Parteiprogramm der SPOe, das ihnen eine unwiderlegliche’ Bestätigung ihrer Befürchtungen und Behauptungen geworden ist. Das gleiche halten sie von scheinbar entgegenkommenden Aeußerungen maßgeblicher Mandatare. Sie vermögen noch dem einen oder anderen Sprecher eine lautere Absicht zuzubilligen, aber fügen dann hinzu, daß er diese gegen die erdrückende Mehrheit seiner andersdenkenden Parteigenossen nie werde durchsetzen können. Das gilt auch dann, wenn ein Funktionär wie Olah vor katholischen Journalisten erklärt: „Meine Herren, wir wollen wie jede andere Partei Stimmen gewinnen und nicht verlieren. Aber wir werden den Kurs der Aussöhnung mit der Kirche auch dann verfolgen, wenn er uns Mandate kostet. Glauben Sie ja nicht, daß es uns um einen Wählerbetrug geht.”

Auch jene, die von einem Wandel der weltanschaulichen Haltung der SPOe überzeugt sind, begründen dies auf mehrfache Weise. Sie sagen, in der Zeit der nationalsozialistischen Okkupation seien die ehedem unüberwindlichen Schrankes zwischen den schwarzen und roten Oesterreichern gefallen. Dieser aus der Zeit der Monarchie stammende, in der Ersten Republik erweiterte, trennende und unüberbrückbare Abgrund habe sich in der gemeinsamen Bedrohung geschlossen; er werde sich nie wieder auftun. Schon deswegen sei bei der überwiegenden Mehrheit der SPOe-Anhänger an Stelle des Kirchen- und Katholikenhasses, an Stelle des .Antiklerikalismus eine Toleranz getreten, die !man vor dreißig Jahren einfach für unmöglich und utopisch gehalten habe. Und wenn diese Duldsamkeit auch nicht in einer dem Christentum entsprechenden Gesinnung gründe, sondern in einem vielleicht beklagenswerten Indifferentismus, und wenn sie auch noch nicht die Mehrheit der Funktionäre, namentlich jene der niederen Ränge, erfaßt habe, so liege hier doch eine unbestreitbare, ungemein wichtige Tatsache vor, der die Kirche, der die Katholiken Rechnung tragen müßten. Man vergleiche, sagen diese anderen, die Art und Weise, in der sich die sozialistische Presse in der Zeit der Monarchie und in der Ersten Republik mit religiösen Fragen, mit kirchlichen Ereignissen, mit geistlichen „Skandalgeschichten” zu beschäftigen beliebte, mit dem unverkennbaren Bemühen um verständnisvollere Beurteilung und Berichterstattung, das für die „roten” Parteiblätter von heute — geringe Ausnahmen bestätigen die Regel — charakteristisch sei. Wenn die Sozialistische Partei heute bei den allermeisten Gelegenheiten nicht mehr oder nicht mehr allein rot, sondern rotweißrot flaggt, glaube man ihr das patriotische Bekenntnis, das sie früher nie über ihre Lippen brachte. Warum sollte denn die demonstrative Teilnahme ihrer führenden Leute an kirchlichen Feiern, ihre versöhnlichere Haltung in der Konkordatsfrage nur einer heimtückischen Täuschung und Tarnung entsprechen und entspringen?

Was das neue Programm betreffe, so durfte natürlich niemand damit rechnen, daß dieses das Plazet einer Kommission der KA erhalten könnte, die zur entscheidenden Gerichtsverhandlung nicht den oder die Angeklagten, wohl aber, und gleich in ausreichender Anzahl, deren parteipolitische Gegner zugezogen hatte. Wer also nicht mit aller Voreingenommenheit zu urteilen entschlossen sei, müsse anerkennen, daß die zu einer weltanschaulichen Kursänderung entschlossene Gruppe in der SPOe zwar nicht den entscheidenden Sieg, aber doch höchst beachtliche, Erfolge davongbtragen habe; daß es nicht von allzu tiefer Einsicht in den Gang einer längst manifest gewordenen Entwicklung zeuge, wenn man die Haltung der Majorität des Apparates — zu diesem zählen natürlich auch die immer noch recht terrorfrohen Betriebsräte verschiedener Unternehmungen — den Wünschen und Absichten gleichsetze, die von der zunehmenden Mehrheit der Wähler der SPOe undvon vielen ihrer Führer gehegt und geäußert werden.

Wer hat nun recht?

Ja! Wenn ich oder ein anderer das mit untrüglicher Gewißheit prophezeien könnte! Denn um eine Prophezeiung dreht es sich hier. Nicht um die eine richtige Lösung einer mathematischen Aufgabe. Auch nicht um ein richterliches, inappellables Urteil auf Grund’ klarer, zwingender, gesetzlicher Bestimmungen.

Es ist doch schlechthin unmöglich, einfach die von beiden Seiten vorgebrachten Argumente abzuwägen, auf ihre Richtigkeit zu prüfen und dann einen unumstößlich richtigen, jedermann einsichtigen, für jedermann gültigen Schiedsspruch zu fällen. Hier geht es um Imponderabilien, um unwägbare Dinge. Um ein gewiß nicht leichtfertiges oder vermessenes Vertrauen, das der eine Teil aufzubringen vermag und der andere nicht.

Niemand kann sagen, welche der beiden Meinungen die richtige i s t. Die Zukunft allein wird ausweisen, welche die richtige gewesen ist! Und bis dahin? Mich dünkt, für die Zwischenzeit müßte das Paulinische Wort gelten: „In dubiis libertas”!

Aber die Auseinandersetzungen innerhalb der Katholiken, die nun einmal in Gang gekommen sind — werden uns die nicht schaden? Müßte man nicht alles tun, sie zu unterbinden? Sollte man sie nicht am besten verbieten? Ich halte dafür — und hier gestatte ich mir ein persönliches Urteil —, daß es der Freiheit des Christenmenschen widerspräche, wollte man aus wirklich unangebrachter Aengstlichkeit einen solchen Entschluß fassen. Wir Katholiken Oesterreichs sind, Gott sei Dank und wahrhaftig, stark genug, diese Diskussion weiterzuführen, bis an die Stelle der Argumente Tatsachen getreten sind, denen sich schließlich jeder wird beugen müssen. Eines freilich ist unbedingt erforderlich: die Achtung vor dem Standpunkt des Gesprächspartners und der Glaube an die Ehrlichkeit und Selbstlosigkeit seiner Ansichten. Würden diese dem Glaubensbruder verweigert werden oder gar verweigert werden müssen, wäre es schlimm. Aber auch dieses Unglück müßte ertragen und durchgestanden werden.

Vor’ nicht langer Zeit erschien in der Zeitschrift „Wort und Wahrheit” an führender Stelle ein Artikel„„,Wie weit hat sich, der Sozialismus gewandelt?” überschrieben. Die drei Sterne, mit denen er gezeichnet war, sollten sicher nicht eine Flucht in die Anonymität bedeuten, sondern anzeigen, daß es sich hier um eine Gemeinschaftsarbeit dreier wohlunterrichteter, hervorragender Fachleute handelt. Mit einer wirklich vorbildlichen Gründlichkeit, die ich mir hier schon aus Zeitmangel nicht leisten konnte, zu der mir aber viel mehr fehlt und mangelt als Zeit, wird dort die Entwicklung im deutschen und auch im österreichischen Sozialismus, genauer in der SPD und in der SPOe, untersucht und beurteilt. Der Autor oder die Autoren kommen gerade auch in dem Bereich, über den wir gesprochen haben, zu einem negativen Ergebnis.

Ich möchte zwei Sätze aus der Einleitung dieser hochinteressanten Darlegungen zitieren. Der eine lautet:

„Die Katholiken haben durchaus keinen Grund, eine Entwicklung des demokratischen Sozialismus auf eine Uebereinstimmung mit der kirchlichen Lehrtradition hin zu bedauern oder gar aus taktischen Gründen — damit sich die Wählerschaft einer christlichen Partei nicht vermindere — abzuleugneri. Das wäre ebenso unchristlich, nämlich antimissionarisch, wie staatspolitisch kurzsichtig. “

Ich nehme an, daß diesen Satz der reichs- deutsche der drei Autoren beigesteuert hat. Er spricht von einer „christlichen” Partei, die es ja in Oesterreich nicht mehr gibt. Darum dürften die Katholiken eine begrüßenswerte Entwicklung des Sozialismus nicht nur „nicht b e- d a u e r n”. Ich meine, w i r hätten uns über solch einen gottgeschenkten, leider nicht selbst erzielten missionarischen Großerfolg aus ganzem Herzen zu freuen, wir müßten ihn mit aller Kraft unseres Herzens ersehnen und erbeten. Ob dieser Wunsch in Erfüllung gehen wird, ist kontrovers! Daß er in Erfüllung gehen soll,

darüber kann unter Christen doch nur eine Meinung sein.

Der zweite Satz, den ich zitieren möchte, steht bald hinter dem ersten. Er lautet:

„Der Wandlungsprozeß im demokratischen Sozialismus ist bei weitem noch nicht so weit vorgeschritten, daß die Schranken fallen dürften, die christliche Klugheit, ein Element des Hirtenamtes, errichten mußte.”

Hier wird wohl das päpstliche Hirtenamt gemeint sein, das vof einem halben Jahrhundert, im Hinblick auf die meines Erachtens ungleich glücklicheren Parteiverhältnisse in England, deutlich unterscheidende Weisungen über die Verschiedenheiten des insularen und des damaligen kontinentalen Sozialismus gegeben hat. Eine Aufforderung, das bischöfliche Hirtenamt möge in Oesterreich, im jetzigen Stadium, auf eine ähnliche Weise in die Debatte und den Gang der Entwicklung in Oesterreich eingreifen, zu befolgen, hielte ich nicht für gerechtfertigt und auch nicht für ratsam. Waren doch schon Wirkung und Nutzen der sogenannten „Wahlhirtenbriefe” zumindest in den letzten Jahren nicht sehr ermutigend. Und die Situation des „opportune, importune” ist bestimmt nicht gegeben.

Ich glaube weiter, annehmen zu dürfen, daß der Autor unter der „christlichen Klugheit”, die er von jedermann, den es angeht, fordert, jene im römischen Katechismus genau definierte christliche Tugend verstanden wissen will.

Nicht jenes Mißtrauen, das dem Parteipolitike’r erlaubt, meinetwegen aufgetragen ist, das dem Christen aber nicht wohl ansteht. Denn von diesem wird letzten Endes — man lese darüber bei Peter Wust nach — überhaupt nichts gefordert als Vertrauen in die endliche Lösung und Erhellung ungleich dunklerer, bedeutsamerer, entscheidenderer Schwierigkeiten und Rätsel als es jene sind, über die hier die Rede war. Aus diesem Vertrauen entspringt jene Haltung der Brüderlichkeit, zu der uns Seine Eminenz, Kardinal König, in seiner Weihnachtsbotschaft aufforderte, die uns „aus mancher Enge unserer Vorstellungen, aus den Mauern unserer Vorurteile, aus den Barrikaden unserer Aengste” entläßt.

Aus diesem Vertrauen entspringt auch jene Gesinnurig der Gelassenheit, die auch eine, und zwar eine der allerwichtigsten Haltungen des Christen ist; die. geduldig zu warten vermag; die alle gereizte Nervosität, unwürdige Aengstlichkeit, jedes Verdächtigen und Denunzieren der von der eigenen Meinung abweichenden Meinungen verachtet; die, wie es im Evangelium gefordert wird, Weizen und Unkraut bis zur Ernte reifen läßt, die also in unserem Fall Pessimismus und Optimismus, Erfahrung und Glaube, Klugheit und zuversichtliche Erwartung, Zögern und Handeln, Versagen und Gewähren nebeneinander bestehen und wirken läßt.

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