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Katholiken und Parteipolitik

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Der „Verband katholischer Publizisten Oesterreichs” hielt am 5. Februar in Wien seine Generalversammlung ab, die sich unter anderem ausführlich mit der pressepolitischen Situation und den Aufgaben des katholischen Publizisten befaßte. Das bisherige Präsidium des Verbandes wurde wiedergewähit. Statutengemäß übernimmt für das Jahr 1959 als Vertreter der Verleger Generaldirektor Dr. Karl Maria Stepan (Styria, Graz) den Vorsitz des Präsidiums. Stellvertretender Vorsitzender ist der Präsident des letzten Jahres Dr. Kurt S kalnik („Furche”, Wien). Dem Präsidium gehören weiter an Generaldirektor DDr. Willy Lorenz (Herold, Wien) und Dr. Richard Barta (Kathpreß, Wien). Bei einem im Anschluß an die Generalversammlung veranstalteten gemeinsamen Essen, an dem auch Kardinal König und der Sekretär der Bischofskonferenz, Bischof Zak, sowie der Präsident und der Geistliche Assistent der Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Aktion Oesterreichs teilnahmen, befaßte sich Generaldirektor Dr. Stepan mit den Ergebnissen der Generalversammlung. Er gab einleitend einen Ueberblick über die Möglichkeiten und Grenzen des politischen Wirkens der Katholiken in der Vergangenheit und analysierte sodann die gegenwärtige politische Situation in Oesterreich, wie sie vor allem durch die kulturpolitische und weltanschauliche Entwicklung der beiden Regierungsparteien gekennzeichnet ist. Wir geben im folgenden den vollen Wortlaut dieser Ausführungen wieder. Die Redaktion

Die Generalversammlung des „Verbandes Katholischer Publizisten Oesterreichs” hat sich nicht damit begnügt, die ihr von der Vereinsbehörde und den Satzungen vorgeschriebenen Angelegenheiten au erledigen. Ein Referent und zahlreiche Diskussionsredner haben das Wort ergriffen, um zu dem Thema „Die katholische Presse im Wahljahr 1959” Klärendes beizutragen. Mir wurde die nicht nur schwierige, sondern auch höchst undankbare Aufgabe übertragen, just hier und jetzt über das „Verhältnis der österreichischen Katholiken zur Parteipolitik”, oder richtiger, „zu den beiden österreichischen Großparteien” zu sprechen. Nicht, um auch in diesem Kreis eine bewegte und lebhafte Wechselrede zu entfachen. Vielmehr hielten es jene, die mich mit dieser leidigen Aufgabe belasteten, für angezeigt, daß jemand seine Meinung zu diesem Problem vorträgt, der nun schon bald ein halbes Jahrhundert als teilnehmender oder doch anteilnehmender Katholik mit dem öffentlichen Leben unseres Vaterlandes in mannigfacher Beziehung stand und steht.

Nach dem Gesagten ist es klar, daß ich mit einem „Rückblick” beginnen muß.

„Historia magistrą vitae” — „Die Geschichte ist die Lehrmeisterin des Lebens”, sagten die Alten. Im allgemeinen ist sie es (nicht, denn sonst sähe die Welt wahrhaftig und völlig anders aus. Einzelne gehen aber doch zu ihr in die Schule. Sie tun es nie ohne Nutzen. Daher noch einmal und schon wieder ein „Rückblick” Wir rufen uns die Zeit in Erinnerung, in der in Oesterreich politische Parteien entstanden: das zweite Jahrzehnt der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.

Bald nach dem Jahre 1848 beginnt sich in allen Staaten des Kontinents — Rußland ausgenommen — das politische Leben nach den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit — von der Brüderlichkeit ist nicht mehr viel die Rede — zu konstituieren. Das Volk ist an diesen grundlegenden Wandlungen noch kaum beteiligt, weil noch nicht dazu berechtigt. Die Intelligenz in Wirtschaft und Wissenschaft vollbringt sie und gestaltet sie nach ihrem Wollen und Gefallen. Und diese Intelligenz ist „liberal”, das heißt in jener Zeit: kirchenfeindlich, antiklerikal, wenn auch nicht geradezu antireligiös. Es gibt auch eine katholische Intelligenz: den Klerus der Kirche und einen vielleicht größeren Teil des Adels.

Die Kirche, jetzt erst in vollem Umfang die Folgen der Aufklärung und besonders der Auflösung des Jesuitenordens erleidend, bietet ein Bild der Ohnmacht und Einfluß’osigkeit gegenüber dem andrängenden Neuen. Der Adel grollt diesem „Jakobinismus”, der ihn aller seiner Vorrechte beraubte, und zieht sich aus dem öffentlichen Leben verärgert und kampflos zurück. Beiden sind die,neuen Ideen und Formen ein hassenswerter Greuel, geboren aus den unvergessenen Schrecknissen der Französischen Revolution, die eine Tochter Maria Theresias, eine Schwester des gerade von den Liberalen vergötterten Volkskaisers, aufs Schafott geführt hatte. Und so kommt es erst spät, widerwillig, mißtrauisch, unentschlossen, gewissermaßen unter dem Diktat der politischen Gegner zur Gründung einer katholischen Partei, die, wie denn anders, eine konservative war. Kleriker und Adelige waren ihre Führer. Sie strebt nach Macht, um vor allem Gott und der Kirche zu dienen. Ganz in der Weise der gegenreformato- rischen Zeit. Sie ist restaurativ und reaktionär. Sie will und muß in der Hauptsache verteidigen. So das unhaltbare Konkordat von 1 855. Die Methode des frischen, frohen Angriffs, die ihre Gegner von Erfolg zu Erfolg führt, bleibt ihr fremd. Ebenso deren Unbekümmertheit, die auch vor den Stufen jenes Thrones nicht haltmacht, der den Konservativen sakrosankt bleibt.

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wandelt sich die politische Szene: an die .Seite der katholisch-konservativen Partei, die indes 30 Jahre alt geworden ist, tritt eine neue, auch von „Christen”, richtiger „Antisemiten”, gegründete und geführte politische Bewegung. Sie nennt sich christlich-sozial und will den Lehren der jüngst erschienenen Enzyklika „Rerum Novarum” Leos XIII. zur Geltung verhelfen. Sie wird vom jungen Klerus getragen und auch wieder von diesmal „progressiven” und aufgeschlossenen Adeligen unterstützt. Es kommt zu peinlichen und heftigen Auseinandersetzungen unter den österreichischen Katholiken. Der Unterschied in der Bezeichnung ist nicht ohne Bedeutung. Christlich und katholisch bedeuten schop lange nicht mehr dasselbe Der Name „christlich-sozial” soll wohl anzeigen, daß die neue Partei neue und nicht nur streng kirchliche Kreise ansprechen und gewinnen will. Es gelingt ihr, diese Absicht rasch zu verwirklichen. Schon die Wahlbeteiligung der „Fünfguldenmänner” und gar erst die Wahlen des Jahres 1907, die auf Grund des allgemeinen Wahlrechts durchgeführt werden, bringen den Christlichsozialen ungeahnte Erfolge. Gelegentlich einer Wiener Männerfahrt, die von Anfang an auch als politische Demonstration gedacht war, verkündet deren Führer, der Männerapostel P. Abel, den Frieden, der endlich und mühsam zwischen den Katholisch-Konservativen und den Christlichsozialen zustande gebracht worden war. Er bedeutet die Kapitulation und die Auflösung der katholischen Partei Oesterreichs.

Nach dem ersten Weltkrieg wird das Frauenwahlrecht eingeführt. Wie kaum zehn Jahre zuvor, als Lueger dem kleinen Mann mit der niedrigen Steuerleistung zu helfen versprach und vermochte, strömen der Christlichsozialen Partei wieder Wählerschichten zu, die bisher vom Wahlrecht ausgeschlossen waren und von vorne- herein erwarten ließen, daß sie eine Stärkung der kirchlich gesinnten Kerntruppen bedeuten würden. Aber auch ehemalige Gegner, die ansehnlichen Reste der Liberalen und viele der gemäßigten Mitglieder der einstigen nationalen Parteien, beide politisch geschult und in vielfacher Hinsicht von großem und weitreichenderem Einfluß, werden, wenn schon nicht christlich und sozial, so doch christlichsozial. Auch sie tragen entscheidend dazu bei, daß die Christlichsoziale Partei die Regierung zu übernehmen vermag, und erleichtern die Bildung der „antimarxistischen Front” mit den Großdeutschen und dem neuentstandenen Landbund, einer freisinnigen Agrarpartei.

Der Obmann dieser nun wesentlich anders strukturierten Christlichsozialen Partei der Ersten Republik ist ein Prälat. Unter ihren Mandataren gibt es eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Priestern. Aber inzwischen hat sich auch eine katholische Laienintelligenz gebildet und gesammelt, die bald und gern immer größeren Einfluß eingeräumt erhält. Sie besetzt in zunehmendem Maß Führerposten aller Ränge in der Bundesparteileitung und in den Landesparteileitungen, sie erhält Mandate in allen gesetzgebenden Körperschaften, sie stellt Landeshauptleute und Minister. Zunächst erlebt sie und erstrebt sie die, Macht und Wichtigkeit der Beamtenschaft öffentlichen Rechtes, die einen der wenigen Aktivposten bedeutet, die aus dem alten ins neue Oesterreich gerettet werden konnten. Spät erst entdeckt sie den innigen und so bedeutsamen Zusammenhang von Politik und Wirtschaft. Sie gewinnt dort nur mit größter Mühe Einfluß und Eingang, aber beide erst nach den Umwälzungen des Jahres 1945. Dabei erweist sich allerdings, daß ihr nun schon sehr bedeutender numerischer Zuwachs nicht auch von einem solchen der Qualität begleitet war. Die Wandlung von der Elite zur Masse hat unausbleibliche, unausweichliche Folgen. Bald wird in den eigenen Reihen über ungerechtfertigte Protektion geklagt. Immer öfter wird gefragt, welch ein Unterschied in geschäftlichen. Methoden und Resultaten, in Auffassungen und Lebensführung den und jenen machtvoll gebietenden Wirtschaftsmann katholischer Organisationsprovenienz von seinen liberalen oder nationalen Kollegen gleicher oder anderer Parteizugehörigkeit trenne. Aber wir kehren zurück in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg.

Diese katholische Laienintelligenz, sie gehört zumeist der Frontgeneration des ersten Weltkrieges an, begegnet zunächst bei den Koalitionsparteien, dann aber auch in der eigenen Partei ihren fanatischen Gegnern aus der Zeit jener unvorstellbar wüsten Hochschulkämpfe, in denen sie dem erbarmungslos grausamen Terror der Uebermacht der sogenannten wehrhaften Korporationen praktisch schutzlos preisgegeben war. Es fällt ihr begreiflicherweise anfangs sehr schwer, zu verzeihen und zu vergessen und zu glauben, die anderen hätten verziehen und vergessen und glaubten nun wirklich, was das christlichsoziale Parteiprogramm ihnen zu glauben und zu tun vorschrieb. Doch mit der Zeit gewöhnte man sich aneinander, ja man paßte sich gegenseitig an, zumal die neuen Freunde in der Erörterung programmatischer Fragen, wie’bei Auseinandersetzungen über die Schul- und Ehegesetzgebung, die Wortführer eines katholischen „Integralismus” reden und gewähren ließen. Aber in der Praxis, im Alltag des Parteilebens konnte eine zunehmende Verwässerung und Liberalisierung vieler Handlungen und Unterlassungen dem katholischen Kern der christlichsozialen Wähler nur steigende Sorge bereiten. Mit dem Hinweis auf die fehlende und nie zu erreichende Mehrheit suchte man sie zu zerstreuen.

Letzten Endes war es nicht nur diesen Gesinnungstreuen zu verdanken, daß die nun so heterogen gewordene Christlichsoziale Partei einen Kurs steuerte, der ihrer eigenen und der konservativen Tradition entsprach. Mehr noch als diese zwang sie dazu die unverändert radikal antikirchliche, antireligiöse, in Theorie und Praxis gleich aggressive Haltung der Sozialdemokraten. Und so konnte die Kirche sie immer noch als ihre Vertretung in allen Forderungen und Fragen des öffentlichen Lebens anerkennen und ihr jede mögliche und gewünschte Förderung angedeihen lassen. So war die KFO, die Katholische Frauenorganisation, nicht nur eine kirchliche, sondern auch eine christlich-soziale Parteiorganisation. Die Wählerversammlungen der Christlichsozialen Partei wurden, zumindest auf dem Lande, immer noch von der Kanzel verkündet. Anderen „bürgerlichen” Parteien, wie etwa der Jugendorganisation des Landbundes, wurde über Einschreiten christlichsozialer Parteiinstanzen die kirchliche Weihe ihrer Fahnen verweigert. Dem Gründer einer neuen Partei, die einen rasanten Aufschwung genommen hatte, dem Grazer Universitätsprofessor U d e, wurde zunächst vom zuständigen Ordinariat ein Redeverbot auferlegt und dann die Erlaubnis, zu kandidieren, entzogen. Jeder Erfolg der Christlichsozialen wurde auch als ein Erfolg der Kirche, jede ihrer Niederlagen als eine solche des Katholizismus empfunden und beklagt.

Versuche einzelner Priester, mit den Sozialdemokraten vom Religiösen her ins Gespräch zu kommen, mußten am verständnislosen Mißtrauen in den eigenen Reihen und an den Abwehraktionen der übermächtig starken Freidenkerbewegung der Sozialdemokraten scheitern. Dieselben weltanschaulichen Fronten, die sich gebildet hatten, als die Katholiken sechs Jahrzehnte zuvor ins politische Leben eingetreten waren, standen sich in unverminderter Feindseligkeit gegenüber. Dabei war jene der Sozialdemokraten, bei denen unversöhnliche doktrinäre Dogmatiker die Führung innehatten, ungleich geschlossener. Der weltanschauliche Aufweichungsprozeß, der innerhalb der Christlichsozialen eingesetzt hatte, war um so folgenschwerer, als zur gleichen Zeit die sogenannten Bankenskandale nicht nur die österreichische Wirtschaft, sondern auch das Vertrauen der christlichsozialen Wähler auf das schwerste erschütterten. Verrieten sie doch auch den Zusammenhang und die Verantwortung, die führenden Parteileuten für wirtschaftlich und moralisch gleich fragwürdige Handlungen angelastet werden mußten.

Zur selben Zeit war das Heer der österreichischen Arbeitslosen durch eine Wirtschaftskrise, der man nur hilflos gegenübeTstehen konnte, auf über dreimalhunderttausend Mann angewachsen. Zudem standen sich in immer häufigeren und blutigeren Zusammenstößen und wohlgerüstet die Regimenter der Heimwehr und des Republikanischen Schutzbundes bürgerkriegsbereit gegenüber. Ausgelöst durch das ungewollte und unvorhergesehene Ereignis der plötzlichen Demission der drei Präsidenten des Nationalrates, begann, wenn auch recht zaghaft, so doch, der autoritäre Kurs der Regierung Dollfuß.

Und mitten in dem kühnen und unvorbereiteten Versuch, Oesterreich nicht nur vor dem Zugriff jener wahnsinnigen Verbrecher zu bewahren, die eben im Nachbarreich zur unumschränkten Macht gelangt waren, sondern ir unserem Vaterland auch die staats- und gesellschaftspolitischen Lehren der „Quadragesimo Anno” zu verwirklichen, hatten die österreichischen Bischöfe eine partei- und kirchenpolitisch höchst bedeutsame Verfügung erlassen:

Der Klerus, der in der österreichischen Innenpolitik durch sieben Jahrzehnte konstitutioneller und demokratischer Verfassungen eine führende, zeitweise sogar eine entscheidende Rolle gespielt hatte, erhielt den Auftrag, sich aus dem Bereich der Politik, genauer der aktiven Politik, zurückzuziehen. Es mag sein, daß diese Maßnahme nicht in erster Linie aus grundsätzlichen Erwägungen getroffen worden ist; daß diese ihr erst nachträglich zugrunde gelegt wurden. Es ist wahrscheinlich, daß der Entschluß geboren wurde aus einem, wenn auch dunklen, so doch sicheren Empfinden für die Lage, in die Staat und Volk, und damit auch die Kirche, geraten waren, denn auch der sogenannte autoritäre Kurs fąnd weiterhin volle, wenn nicht demonstrative, kirchliche Unterstützung.

Der Schritt erregte merkwürdigerweise in jenen schon sehr bewegten Zeiten gar nicht viel Aufsehen. Er löste keinerlei Diskussion, kaum ausführlichere Kommentare, sicherlich keinerlei Schwierigkeiten aus. Die von der Weisung betroffenen geistlichen Mandatare, von denen einige ein volles Menschenalter den verschiedenen Vertretungskörpern angehört hatten, gehorchten, ohne zu zögern. Ueber dem Neuen und Sensationellen, das damals jeder Tag im außen- und innenpolitischen Bereich brachte, hatte man bald vergessen, was geschehen war.

(Schluß folgt.)

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