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Politischer Katholizismus — oder christliche Politik?

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OVP-Bundesparteiobmann Josef Taus hat in seiner Antrittsrede anläßlich seiner Wahl in der ÖVP seit langem nicht mehr gehörte Töne angeschlagen, als er von der Notwendigkeit einer Erneuerung der weltanschaulichen Profilierung der ÖVP sprach, die nur in den Grundlagen der christlichen Weltanschauung fundiert sein könne. Taus kehrte damit zum Anfang der Volkspartei zurück, die als Nachfolgerin der ehemaligen Christlich-sozialen Partei seit eh und je christliches Gedankengut in der österreichischen Politik vertrat. Mittlerweile hat Taus das Reizwort vom „politischen Katholizismus“ bei einer Veranstaltung vor dem CV ausgesprochen. Am 9. März findet nunmehr heuerlich eine Diskussion mit Josef Taus, Bischof Johann Weber und SPÖ-Elub-obmann Fischer statt; Thema: „Katholiken und Politik“.

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OVP-Bundesparteiobmann Josef Taus hat in seiner Antrittsrede anläßlich seiner Wahl in der ÖVP seit langem nicht mehr gehörte Töne angeschlagen, als er von der Notwendigkeit einer Erneuerung der weltanschaulichen Profilierung der ÖVP sprach, die nur in den Grundlagen der christlichen Weltanschauung fundiert sein könne. Taus kehrte damit zum Anfang der Volkspartei zurück, die als Nachfolgerin der ehemaligen Christlich-sozialen Partei seit eh und je christliches Gedankengut in der österreichischen Politik vertrat. Mittlerweile hat Taus das Reizwort vom „politischen Katholizismus“ bei einer Veranstaltung vor dem CV ausgesprochen. Am 9. März findet nunmehr heuerlich eine Diskussion mit Josef Taus, Bischof Johann Weber und SPÖ-Elub-obmann Fischer statt; Thema: „Katholiken und Politik“.

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Daß die ÖVP 1945 die alte Christlichsoziale Partei nicht einfach rekonstruierte, hatte seine Ursache in der Absicht, auch jenen Bevölkerungsteil anzusprechen, den man den liberalen nennt. Man sagte sich mit Recht, daß eine Partei politische Mehrheit nur dann erreichen könne, wenn man keine allzu engen weltanschaulichen Grenzen zieht. Die Rechnung ging für die Volkspartei auf. Sie errang bei den Wahlen im Novermber 1945 die absolute Mehrheit, blieb bis 1966 die relativ stärkste Partei, um dann noch einmal für eine Legislaturperiode wieder die absolute Mehrheit zu erreichen, einen Wahlsieg, der seine Ursachen allerdings in der Abspaltung der Partei Franz Olahs hatte, die immerhin 148.000 Stimmen auf sich vereinigen konnte, die der SPÖ natürlich fehlten. Hätte es die Olah-Partei nicht gegeben, hätte die ÖVP auch 1966 nur die relative Mehrheit erlangt. Immerhin hat aber die Öffnung der weltanschaulichen Grenzen der Volkspartei auf die Dauer von 21 Jahren die Hauptverantwortung für Österreich ermöglicht. Die Verbannung in die Opposition verdankte die ÖVP 1970 dann arideren, vielfach au“ch~ptrso-nellen Gründen.

Entideologisierung

Das Bekenntnis der Volkspartei zur christlichen Weltanschauung ohne die Einschränkungen auf die katholische Konfession hatte zwar nicht zur Folge, daß diese Partei etwa die Interessen der katholischen Kirche, soweit sie in die Politik hineinreichen, vernachlässigt hätte, mußte aber unvermeidlich den Verlust einer strengen weltanschaulichen Profilierung bringen, wie sie die Christlichsoziale Partei seit den Zeiten Luegers hatte. Parallel dazu begann — nicht nur in Österreich — auch der Prozeß einer gewissen Entideologisierung aller demokratischen Parteien, was nicht zuletzt dadurch bedingt war, daß sich die Politik im allgemeinen, daher auch die Parteipolitik im besonderen, weit mehr mit wirtschaftlichen als mit weltanschaulichen Problemen zu befassen hatte. Man darf natürlich nicht das unzutreffende Wort akzeptieren, daß „die Ideologie dort aufhört, wo die Wirtschaft beginnt“. Gerade heute sehen wir in den ge-

sellschaftspolitischen Auseinandersetzungen über die Grundstrukturen der Marktwirtschaft, daß auch im Bereiche der Wirtschaftspolitik letzten Endes weltanschauliche Grundsätze maßgeblich sind. Darauf aber wurde in den Jahren des gemeinsamen wirtschaftlichen Wiederaufbaues wenig Rücksicht genommen. Wenn nun der Bundesparteiobmann der ÖVP die Weltanschauung wieder auf ihren richtigen Platz in der Parteipolitik zu rücken bestrebt ist, so ist es höchste Zeit, die Wichtigkeit und Richtigkeit eines solchen Vorhabens zu erkennen. Taus ging noch einen Schritt weiter, indem er von der Verpflichtung der Katholiken in und zur Politik sprach und hat damit auf die Diskussion über das Verhalten der Staatsbürger, die sich zur katholischen Konfession bekennen, angespielt, ohne — was ihm natürlich vom Gegner sofort insinuiert wurde — den politischen Katholizismus vergangener Jahre zu meinen.

„Katholische“ Politik?

Das Problem Christentum und Politik ist uralt. Christus selbst sprach davon, als er der* PKarisäern an Hand des Prägebildes eines Denars erklärte: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Der heilige Augustinus nahm 400 Jahre später das Thema in seiner Schrift „De civitate Dei“ wieder auf. Von Bonifaz VIII. (1302) stammt die Zwei-Schwerter-Theorie, eine theokratische Auslegung des Staatsrechtes, und ungezählte Philosophen späterer Zeit bemühten sich, den jeweiligen Zeitverhältnissen angepaßt, jene Auslegungen zu finden, durch die das Verhältnis von Religion und Staat geklärt werden sollte. Das Gottesgnadentum späterer Zeiten fand im europäischen Raum seinen prägnanten Ausdruck im römisch-deutschen Kaisertum, dessen letzter Erbe in den Wirren der napoleonischen Kriege das Kaisertum Österreich gewesen ist. Das einzige materielle Element, das aus dieser Entwicklung dem österreichischen Kaiser verblieb, war ein Veto gegen die Wahl eines ihm nicht genehmen Kardinals zum Papst, wovon bekanntlich Kaiser Franz Joseph 1903 bei der beabsichtigten Wahl des Kardinals Rampolla zum

Papst noch Gebrauch machte. Aber der sodann gewählte Papst Pius X. hob dieses Vetorecht für alle Zeiten auf. Was dem österreichischen Kaiser noch verblieb, war nur noch der Titel eines Königs von Jerusalem, den auch Kaiser Karl noch führte.

Das aber war schon die Zeit, da in Österreich die Christlichsoziale Partei bewußt eine katholische Politik machte, was immer man darunter auch verstehen mochte. Immerhin aber war noch in der Zwischenkriegszeit die Parteipolitik

weitgehend nach den Begriffen christlich und antichristlich ausgerichtet. Das ging so weit, daß für einen Teil der Wähler damals allein der Begriff „christlich“ ohne jede weitere Definition und ohne Rücksicht auf die Anforderungen der Tagespolitik genügte, um der Christlichsozialen Partei seine Stimmen zu geben, während die Sozialdemokratische Partei ganz offen den Kulturkampfstandpunkt einnahm, was ihr wieder einen großen Wählerstock sicherte. Was politisch dazwischen lag, der Landbund und die Großdeutsche Partei, war mit der Christlichsozialen Partei fast ohne Unterbrechung in dauerhafter Koalition und sicherte der großen Christlichsozialen Partei bis zu den letzten verfassungsmäßigen Wahlen im Jahre 1932 immer eine entsprechende Regierungsmehrheit. Die nachfolgende Vaterländische Front war anders strukturiert, sie sollte ohne Präzisierung des weltanschaulichen Standpunktes ein Sammelbecken für alle darstellen, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus die Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs erhalten wollten. In diese Zeit fällt auch die erste Distanzierung der österreichischen Katholischen Kirche von der Parteipolitik, indem im Jahre 1936 die österreichische Bischofskonferenz allen Priestern untersagte, ein politisches Mandat anzunehmen. Das hieß nicht, daß die Kirche in Opposition zur Vaterländischen Front getreten wäre, Bischöfe und Priester ergriffen immer wieder das Wort zur Verteidigung der Unabhängigkeit Österreichs, zeigte aber doch

deutlich an, daß sich die Kirche der Tagespolitik entziehen wollte.

1945 hatte man zunächst andere Sorgen. Die materielle Not war zu groß, als daß sie gestattet hätte, sich viel um weltanschauliche Dinge in der allgemeinen Politik zu kümmern. Das war auch die Ursache für den sozialistischen Verzicht auf den Kulturkampf. Trotzdem gab es Gegensätze, die realisiert wurden. Einer davon war die Anerkennung des Konkordats von 1934 und die damit verbundenen Fragen von Ehe und Schule, die erst zu einem Zeitpunkt geregelt werden konnten, als die Kirche in Österreich überzeugende Beweise ihrer Überparteilichkeit geliefert hatte. So erfreulich im allgemeinen diese Entwicklung gewesen ist, so zeigte sie natürlich • auch ihre Schattenseiten. Nach Auffassung der Volkspartei ging die immer wieder betonte und bewußt zur Schau gestellte Absenz der Kirche von der Tagespolitik insoferne zu weit, als es natürlich nur die Volkspartei war, die sich um die Belange und Interessen der katholischen Kirche in Österreich angenommen hatte, obwohl man in der ÖVP eindeutig den Standpunkt praktizierte, daß die weltanschaulichen Probleme der Politik nur im Einvernehmen mit den beiden großen politischen Kräften des Landes gelöst werden sollten. Welch ein Gegensatz zu heute, man denke an die Fristenlösung!

Keine „Äquidistanz“

Die Position der Volkspartei war in diesen Jahren gar keine einfache. Ich erinnere mich eines Gesprächs mit Papst Pius XII. im Jahr 1951. Der heilige Vater stellte mir die Frage, wieso Österreich das Konkordat von 1934 nicht anerkenne — dieses Konkordat wurde bekanntlich seinerzeit von ihm in seiner Eigenschaft als Kardinalstaatssekretär unterzeichnet. Meinen Einwand, daß es bis zur Stunde nicht möglich war, die Zustimmung der Sozialistischen Partei hiezu zu erlangen, beantwortete er bewußt mit der Feststellung, daß die ÖVP schließlich bis 1949 Mehrheitspartei gewesen sei und sie daher verfassungsrechtlich die Möglichkeit gehabt haben müßte, die Sache in Ordnung zu bringen.

Die Stellung der ÖVP von heute ist in weltanschaulichen Fragen keine einfache. Das Bekenntnis zu den Grundprinzipien einer christlichen Weltanschauung kann nicht weniger aber auch nicht mehr bedeuten, als daß sich die Volkspartei in diesen Belangen nach den christlichen Grundsätzen richtet (siehe wieder die Fristenlösung), was aber auf keinen Fall den Respekt vor anderen weltanschaulichen Grundsätzen ausschließt. Auch die Kirche nimmt seit dem Zweiten Vatikanum eine ähnliche Haltung ein. Somit befindet sich eine nach christlichen Prinzipien ausgerichtete Partei keineswegs im Gegensatz zu irgendeiner christlichen Konfession, wenn sie dieser pluralistischen

Haltung auch in der Tagespolitik Rechnung trägt. Trotzdem gibt es immer wieder Schwierigkeiten in dem Augenblick, in dem eine manchmal notwendig werdende eindeutige Stellungnahme seitens der Kirche vermißt werden muß. Es ist für den christlichen Wähler, der der österreichischen Volkspartei seine Stimme gibt, nicht immer leicht, die Stellung der Kirche zu bestimmten tagespolitischen Fragen zu erkennen. Daraus entstand das Wort von der „Äquidistanz“, also dem gleichen Gesinnungsabstand der Bischöfe und Priester zu allen demokratischen Parteien des Landes. Sicherlich mit Recht lehnt die Kirche die „Theorie der Äquidistanz“ — nennen wir es einmal so — ab, aber es ist für den gläubigen Katholiken, manchmal recht .schwierig, solchen Feststellungen zu folgen und es wird noch eines langen Entwicklungsprozesses bedürfen, bis die Christen in der ganzen Welt imstande sind, den bedeutsamen Unterschied zwischen der Verpflichtung im Gewissen und den politischen Realitäten des Tages zu ziehen. Leicht macht man ihnen diesen Prozeß bei uns nicht!

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