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Eine Tendenzwende gegen Westeuropas Sozialisten?

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Wahlen in die Parlamente europäischer Staaten sind in den abgelaufenen 30 Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr nur von nationalem Interesse, sie werden von allen europäischen politischen Parteien genau beobachtet. Dies ist nicht nur auf die verstärkten internationalen Beziehungen der weltanschaulich ähnlichen Parteien untereinander zurückzuführen, wobei die sozialistischen Parteien eine bedeutend größere Aktivität entfalten als die christlich-demokratischen und konservativen, sondern auch darauf, daß sich oftmals gewisse Parallelitäten in den Wahlergebnissen zeigen. Waren die ersten 2ä Jahre nach dem Krieg vor allem dadurch charakterisiert, daß fast überall die christlich-demokratischen und konservativen Parteien absolute, zumindest aber relative Mehrheiten hatten und die Staaten daher unter ihrer Führung standen, so änderte sich dieses Bild um das Jahr 1970, als in Österreich, der deutschen Bundesrepublik und den Niederlanden die Sozialisten zum Zug kamen. Einschließlich der nun schon seit Jahrzehnten installierten sozialistischen Regierung in Schweden und des Rückgangs des christlich-demokratischen Einflusses in Italien, gab das der sozialistischen Propaganda berechtigte Veranlassung, von einem „sozialistischen Europa“ zu sprechen.

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Wahlen in die Parlamente europäischer Staaten sind in den abgelaufenen 30 Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr nur von nationalem Interesse, sie werden von allen europäischen politischen Parteien genau beobachtet. Dies ist nicht nur auf die verstärkten internationalen Beziehungen der weltanschaulich ähnlichen Parteien untereinander zurückzuführen, wobei die sozialistischen Parteien eine bedeutend größere Aktivität entfalten als die christlich-demokratischen und konservativen, sondern auch darauf, daß sich oftmals gewisse Parallelitäten in den Wahlergebnissen zeigen. Waren die ersten 2ä Jahre nach dem Krieg vor allem dadurch charakterisiert, daß fast überall die christlich-demokratischen und konservativen Parteien absolute, zumindest aber relative Mehrheiten hatten und die Staaten daher unter ihrer Führung standen, so änderte sich dieses Bild um das Jahr 1970, als in Österreich, der deutschen Bundesrepublik und den Niederlanden die Sozialisten zum Zug kamen. Einschließlich der nun schon seit Jahrzehnten installierten sozialistischen Regierung in Schweden und des Rückgangs des christlich-demokratischen Einflusses in Italien, gab das der sozialistischen Propaganda berechtigte Veranlassung, von einem „sozialistischen Europa“ zu sprechen.

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Hiebei stellt sich die Frage, was man eigentlich darunter versteht. Man wird die Antwort im gesellschaftspolitischen Themenkreis finden. Zunächst ist das offensichtliche Bestreben der Sozialistischen Parteien in Europa auf das ausgerichtet, was in diesen Kreisen unter „Demokratisierung“ verstanden wird. Das heißt: starke Verlagerung der Entscheidungs- und Verantwor-tungskömpetenzen von bisher hiezu bestellten Persönlichkeiten oder kleinen Führungsgremien auf möglichst weite Kreise der jeweils betroffenen Gemeinschaften. Ein österreichisches Beispiel für diesen Vorgang ist das neue Universitäts-Organisationsgesetz, das den Rektor einer Hochschule und den akademischen Senat weitgehend seiner bisherigen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten entkleidet und diese auf breit gefächerte Gremien verlagert, die sich aus den Vertretern der Professoren, Assistenten und Hochschülern zusammensetzen. So bestechend eine solche Neuerung auf den ersten Blick auch sein mag, so bedenklich ist sie, wenn man berücksichtigt, wie schwierig es unter solchen Verhältnissen wird, notwendige und oft sehr dringliche Entscheidungen zu fällen. Gerade dieses Gesetz zeigt auch deutlich den Trend, von den repräsentativen Formen der Demokratie abzurücken, die doch darin bestehen, daß der auf demokratischem Weg Bestellte eine Summe von Kompetenzen und Verantwortlichkeit übertragen erhält, für die er selbstverständlich jeweils spätestens zum Zeitpunkt des Ablaufes seiner Funktion Rechenschaft abzulegen hat. Dies sei nur als Beispiel angeführt, ohne in diesem Zusammenhang auf eine sonst notwendige Kritik des UOG näher einzugehen. Ein anderes Merkmal der „Sozialisierung“ der Gesellschaftspolitik ist auf dem Gebiet der Strafrechtspflege zu erkennen. Dort müssen wir feststellen, daß Parlamente mit sozialistischer Mehrheit stark zum System der Strafverminderung und -erleichterung neigen und damit einen Grundsatz jeder Strafrechtsordnung, nämlich den der Sühne, abschwächen. Nach demokratischer Auffassung hat die Strafe drei Zwecke zu erfüllen: Sühne als Ausgleich für den Gesetzesbruch, Abschreckung, um weiteren Gesetzesbrüchen vorzubeugen und Schutz der Gesellschaft. Alle drei Prinzipien sind gleichwertig. Die neuen, von sozialistischen Mehrheiten beschlossenen Strafgesetze rücken aber weitgehend vom Sühneprinzip ab; und gar im Strafvollzug greift man mit probeweiser oder vorzeitiger Haftentlassung tief in dieses Prinzip ein. Wir haben allerdings in Österreich in jüngster Zeit feststellen müssen, daß der „Häfenurlaub“ in allen Bevölkerungsschichten auf massive Ablehnung stößt. Ein drittes Merkmal sozialistischer Gesellschaftspolitik geht weit in den Bereich der Weltanschauung hinein. War es bisher üblich, daß christlichdemokratische und konservative Parteien dort, wo sie die Mehrheit hatten, Probleme von großer weltanschaulicher Bedeutung nicht gegen sozialistische Parteimeinungen durchsetzten, so setzen sich sozialistische Mehrheitsparteien nun über dieses Tabu hinweg. Als Beispiel diene die sogenannte Fristenlösung, deren Inkraftsetzung in Österreich geradezu kulturkämpferischen Charakter hatte, war man doch auf sozialistischer Seite bereit, unter Umständen auch einen Bruch mit den christlichen Kirchen zu riskieren.

Wir können uns also heute bereits ein ungefähres Bild davon machen, was die sozialistischen Parteien unter einem sozialistischen Europa verstehen und welche Entwicklung die europäische Gesellschaftsstruktur auch weiterhin nehmen würde, wenn sich die parteipolitischen Verhältnisse bei kommenden Wahlen nicht oder nicht wesentlich ändern sollten. Was aber haben die christlich-demokratischen und konservativen Parteien dieser Entwicklung entgegenzusetzen? Es genügt natürlich nicht, einfach „dagegen zu sein“. Es wird in vielen Belangen auch gar nicht möglich sein, bei Änderung der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse das Rad einfach zurückzudrehen und einstige Verhältnisse wieder herzustellen. Gerade die Fristenlösung ist ein Beispiel hiefür. Wir erinnern uns, daß in den parlamentarischen Verhandlungen über diese Materie seitens der ÖVP weitgehende Reformvorschläge gegenüber dem bisherigen Zustand gemacht wurden. Außerdem mangelt es — es wurde schon darauf verwiesen — an einer effizienten Kooperation der europäischen christlich-demokratischen und konservativen Parteien, denn was auf diesem Gebiet bisher geschehen ist, war nicht mehr als bestenfalls die Abhaltung einiger Diskussionskonferenzen, die fast nie zu gemeinsamen Beschlüssen geführt haben, während die sozialistische Internationale kaum ein Problem unbe-sprochen läßt und sehr häufig zu gemeinsamer, oder wenigstens aufeinander abgestimmter Vorgangsweise gekommen ist. Die Solidarität unter den europäischen sozialistischen Parteien ist eben bei weitem stärker als unter den christlich-demokratischen und konservativen Parteien. Diese sozialistische Solidarität geht ja soweit, daß es kaum eine internationale Konferenz gibt, bei der die sozialistischen Minister nicht wenigstens zu einer formellen Sitzung zusammentreten würden, während dies auf der anderen Seite bisher kaum je zustande gebracht werden konnte. Diese Situation hat manchmal geradezu weltpolitische Bedeutung. Wir sehen es in Portugal, bei der gegenwärtigen Entwicklung diese Landes zu einem kommunistischen Staat. Als Ergebnis der Wahlen, das von der die Macht ausübenden kommunistischen Partei, zu der natürlich auch die sogenannten gemäßigten Kreise zählen, gar nicht zur Kenntnis genommen wurde, ist die christlich-demokratische Partei verboten worden. Man hat damals keinerlei- Proteste seitens der europäischen demokratischen Parteien gehört, während die Ausschaltung der Sozialistischen Partei zu weltweiten Protesten geführt hat. paß die Ausschaltung jeder demokratischen Partei gleichzusetzen ist mit der Ausschaltung der demokratischen Sozialistischen Partei, hat die Weltpresse einfach negiert.

Die angeführten Beispiele, was man sich unter einem sozialistischen Europa vorstellen könne, sind natürlich nicht mehr als ein Hinweis auf eine Entwicklung, wie sie vom europäischen, demokratischen Sozialismus angebahnt wurde und wir können überzeugt sein, daß in den Zukunftsplänen der sozialistischen Parteien noch einiges enthalten ist, das dem christlich-demokratischen, konservativen Gedankengut widerspricht. Die Frage ist nun, wie wird es weitergehen? Eine Frage, die sich die Christ-Demokraten und Konservativen allenthalben stellen müssen und die ganz sicherlich nicht nach den Verhältnissen und Bedürfnissen in den einzelnen Ländern zu beantworten ist. Da ist zunächst noch auf einen Unterschied hinzuweisen: In Österreich, der Bundesrepublik, Frankreich und Großbritannien sind die christlich-demokratischen und die konservativen Kräfte jeweils in einer großen Partei zusammengefaßt. In den Beneluxländern und in Skandinavien herrscht aber auf der nichtsozialistischen Seite ein geradezu babylonischer Wirrwarr, so daß die nichtsozialistischen Parteien bei Wahlen schon infolge der Zersplitterung dem einheitlichen sozialistischen Block unterliegen müssen. So gibt es in Schweden drei nicht-sozialistische Parteien und in den Niederlanden eine noch größere Anzahl, wobei selbst die konfessionell ausgerichteten, christlichen Parteien untereinander im Hader liegen. Ein vor nicht allzu langer Zeit in den Niederlanden angestellter Versuch, für die nächsten Wahlen zu einer gemeinsamen Wahlliste der drei konfessionellen Parteien zu gelangen, hatte bisher keinen Erfolg. Dies Ist den Christdemokraten und Konservativen der anderen europäischen Staaten einfach unverständlich, man begreift nicht, daß man weder in Schweden noch in den Niederlanden nicht schon längst zur Einsicht gelangt ist, daß die Vertretung christlich-demokratischen und konservativen Gedankengutes bei aller diffizilen Unterscheidung im einzelnen unter solchen Umständen immer nur die Realisierung sozialistischer Parteiprogramme und niemals der eigenen Vorstellungen herbeiführen muß. Dazu kommt, daß selbst dort, wo eine sozialistische Partei einmal in die Minderheit gerät, ohne weiteres sozialistische Minderheitsregierungen toleriert werden — was ja auch in Österreich 1970/71 der Fall war — während es kaum ein Beispiel für eine christlich-demokratische oder konservative Minderheitsregierung gibt, wenn man von den kurzfristigen und wenig effizienten Minderheitsregierungen der Demo-cristiani in Italien absieht.

Noch ein Faktum ist in diese Überlegungen einzubeziehen. Das

Beispiel in der Bundesrepublik zeigt, daß es einer sozialistischen Minderheit ohne weiteres gelingen kann, zu ihrer Unterstützung die liberalen Parteien heranzuziehen. Gewiß ist dies in der Bundesrepublik vor allem auch deshalb möglich geworden, weil sich bekanntlich die Wählerschaft der FDP dort weitgehend aus linksliberalen Kreisen rekrutiert, die auf jeden Fall lieber für „Rot“ als für „Schwarz“ stimmen, um ein gängiges Vulgärwort zu gebrauchen. In Österreich zeigen die Analysen für die FPÖ allerdings wesentlich andere Aspekte, nicht zuletzt deshalb, weil das Wählerpotential der Freiheitlichen zu einem beachtlichen Teil aus Wirtschaftskreisen kommt.

Nun hat sich allerdings ganz offensichtlich in der letzten Zeit der politische Trend geändert. Sowohl in Österreich wie in der Bundesrepublik brachten die Regionalwahlen seit 1971 einheitlich bemerkenswerte Stimmenverluste der sozialistischen Parteien zugunsten der Christdemokraten, und speziell bei uns hat sich seit dem tragischen Tod Karl Schleinzers “ die parteipolitische Szenerie gewandelt. Ob allerdings diese Trendumkehr bei den bevorstehenden Wahlen in Österreich, und nächstes Jahr in der Bundesrepublik, so stark sein wird, daß sie zu absoluten Mehrheiten für die ÖVP beziehungsweise die CDU/CSU führt, ist abzuwarten. Das realistische Wahlziel der ÖVP ist daher auch bescheidender formuliert und spricht davon, daß die ÖVP wieder die mandatsstärkste Partei werden, also, wie bis 1966, die relative Mehrheit erringen soll. Diese realistische Haltung resultiert aus der Erkenntnis, daß der größte Feind einer Trendumkehr das Beharrungsvermögen der Wähler ist und gerade wir in Österreich wissen ja, wie groß und bedeutend die Stammwählerschaft der beiden großen Parteien ist. Der Appell beider Parteien geht also in erster Linie an jene Wählergruppe, die sich ihre Entscheidung von Wahl zu Wahl frei hält, und an die Jungwähler.

Die Wahlen am 5. Oktober sowie die in der Bundesrepublik im nächsten Jahr werden daher auch europäische Bedeutung haben. Bringen sie die christlich-demokratischen Kräfte wieder in die Verantwortung für ihre Länder, so ist der Traum vom sozialistischen Europa ausgeträumt. Das aber ist für alle Europäer, die sich zur christlich-demokratischen und konservativen Gesinnungsgemeinschaft bekennen, natürlich von größter Bedeutung.

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