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Elend und Glanz der Koalition

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Das Jahr 1965 scheint kein günstiges Jahr für die Koalititon zu sein, und das ausgerechnet am Beginn des dritten Jahrzehnts der Zweiten Republik und nach würdigen Feiern zum 20jährigen Bestand dieser Republik und des 10jährigen Staatsvertrages. Begonnen haben die Krisen in der Koalition bezeichnenderweise um Angelegenheiten, die für das Land selbst keine oder nur sehr geringe Bedeutung hatten, während große Probleme, wie Reform der Grundrechte, Wohnungsproblem, Sozialcharta, um nur einige zu nennen, kaum zu ernsten Krisen geführt haben.

Auch die Situation im Parlament am 15. Juli war bezeichnend.

Es ging dort nicht um die Lösung des Rundfunk- und Fernsehproblems an sich, sondern darum, ob ein Bericht über die bisherigen Beratungen dem Plenum vorgelegt werden sollte, also es ging dabei wieder so gut wie um nichts und trotzdem gab es angeblich wieder eine Krise. Warum ein solcher Bericht über die bisher geführten Verhandlungen und Ergebnisse dem Hause nicht gegeben werden sollte, ist bis zur Stunde nicht geklärt. Warum wehrt man sich so sehr in der SPÖ, daß dieser Bericht gebracht wird? Es hat sich dann im übrigen gezeigt, daß die im Parlament abgeführte Debatte doch nicht so fruchtlos war, denn sie widerspiegelte die Ansichten der Parteien und ihrer Redner über Volksbegehren im allgemeinen und über Rundfunk und Fernsehen im besonderen.

Diese Debatte zu hören war sicherlich für die Abgeordneten, die nicht im Ausschuß vertreten waren, und vor allem für die Öffentlichkeit sehr interessant. Also es ging lediglich um einen Bericht und um sonst nichts mehr. Aber doch sprach man schon tagelang vorher von einem Krach, von einem Bruch in der Koalition und vieles mehr. Es gab also eine Debatte von sechseinhalb Stunden über einen Bericht, von dem von Haus aus feststand, daß über die Sache selbst nicht entschieden würde, vielmehr gehen die Verhandlungen im Ausschuß weiter wie bisher. Es sollte auch diesmal wieder ein Anlaß für eine Koalitionskrise sein, der bestimmt nicht zu den lebensentscheidenden Problemen in Österreich gehört.

Österreich selbst und seine Bevölkerung haben zwanzig Jahre lang an der Koalition profitiert, das Land wurde wieder aufgebaut und erfreut sich einer gesunden Bevölkerung und einer aufstrebenden Wirtschaft, wie das noch niemals der Fall war; das so lange, als „der Fremde“, nämlich die vier Besatzungsmäohte, im

Lande stand und der gemeinsame Aufbauwille notwendig war. Für den Bestand der Koalition durch Jahre hindurch waren auch maßgeblich die beiden Persönlichkeiten Raab und Böhm, auf deren Schultern die Hauptlast der Koalition ruhte; beide sind nicht mehr. Es scheint eben nicht gut zu sein, wenn ein Werk nur auf Personen aufgebaut ist, und wir haben es immer wieder in der Geschichte erlebt, daß das Werk dann wieder zerfiel, wenn diese Persönlichkeiten nicht mehr waren.

Die Zeiten der Not und des Aufbaues sind vorbei, und im Gebälk der Koalition kracht es ganz bedenklich. Was ist also die Ursache der Krisen? Wie gesagt, es kracht immer dann, wenn es nicht um lebenswichtige Dinge geht, sondern um Probleme, die hochgespielt werden. Es sei nur erinnert an die causa Habsburg vergangenes Jahr. Es kann also nur das Streben nach der Macht sein, das die Krisen hervorruft und die Koalition steril werden läßt. Dieses Streben nach der Macht wurde auch vom Parteiobmann der SPÖ, Dr. Pittermann, zugegeben, und das einige Wochen später, nachdem man bei der Bundespräsidentenwahl wieder.. die Gleichgewichtstheorie aufgestellt hatte. Dazu kommt noch, daß die SPÖ nach anderen Koalitionsmöglichkeiten Ausschau hielt, zunächst mit der FPÖ, was ihr aber, infolge der Aufdeckung von Millionenspenden an diese, nicht gut bekam. Nun kommt nach der Bundespräsidentenwahl noch dazu, daß man sich doch in der SPÖ wieder nach links zu wenden scheint und dies wiederum im Zusammenhang mit dem Parteitag der Kommunisten. Der Zusammenhang mag ein zufälliger sein, aber er fällt jedenfalls auf. Dazu kommt noch, daß die SPÖ nach wie vor immer noch für marxistische Ideen und Freundschaften anfällig ist. So kam die Koalition in eine Vertrauenskrise, und zur Koalition gehört nun einmal auch ein bestimmtes Quantum an Vertrauen dem Gegner gegenüber. Es gibt aber auf beiden Seiten der staatstragenden Parteien starke Gruppen, die zwar nicht aus Liebe, aber aus Vernunft und im Interesse des Landes für die Beibehaltung der Koalition leidenschaftlich auftreten; aus der Überzeugung heraus, daß dieses Land die Koalition braucht und ein Abweichen von dem bisherigen Weg ein Unglück bedeuten würde.

Daß dem so ist, hat auch dieser 15. Juli im Parlament deutlich gezeigt, und zwar nach der Abstimmung gegen die SPÖ, nach der leidenschaftlichen Debatte, die besonders von den Abgeordneten Winter und Czernetz bis zum Rand des parlamentarisch Erträglichen geführt wurde, bei der neuerlichen Eröffnung der Geschäftsordnungsdebatte durch Uhltr, der den von der Volkspartei eingebrachten Antrag als geschäftsordnungswidrig bezeichnete. Gerade in diesem Augenblick kamen die erwähnten Gruppen auf beiden Seiten zum Tragen. Es geschah, was geschehen mußte, sollte es nicht noch in dieser letzten Haussitzung zum offenen Bruch kommen: dem Antrag Prinkes auf Unterbrechung der Sitzung wurde stattgegeben, und damit war der Bann gebrochen. Die beiden Gruppen fanden sich, und es kam wiederum zu einem gemeinsamen Antrag der Regierungsparteien gegen die FPÖ. Waren SP und VP am Anfang getrennt, am

Ende waren sie wieder beisammen. Die Situation hat wiederum gezeigt, daß gerade Geschäftsordnungsdebatten gefährlich werden können, wenn man sich nur an jenen denkwürdigen und tragischen 4. März 1933 zurückerinnert, an dem sich das Parlament selbst auflöste, was das Ende der Demokratie bedeutete. Solche Geschäftsordnungsdebatten sind aber dann um so gefährlicher, wenn die Abgeordneten nicht mehr an sie gewöhnt sind. Und noch besonders dann, wenn der Parlamentsdirektor nicht die Fähigkeit hat, dem Präsidenten in heiklen Situationen die richtigen Anträge vorzubereiten ; denn wenn einer im Hohen Hause die Geschäftsordnung bis ins Detail beherrschen muß, dann ist es der Parlamentsdirektor. Wehe, wenn dem nicht so ist.

Die Situation vom 15. Juli hat gezeigt, daß doch starke koalitionsfreundliche Kräfte vorhanden sind.

Aber Koalition um jeden Preis? Ich möchte sagen ja, unter bestimmten Voraussetzungen. Beide Parteien müssen Entscheidungen des Staatsvolkes anerkennen, respektieren und ihr Verhalten darnach einstellen, ob dies Bundespräsidenten- oder Nationalratswahlen sind — oder auch Volksbegehren. Auffassungen,

wie sie in der Hausdebatte am 15. Juli geäußert wurden, sind vollkommen fehl am Platz. Mehr als 832.000 abgegebene Stimmen müssen respektiert werden, ob die eine oder die andere Partei mit dem Begehren selbst einverstanden ist oder nicht. Machtstreben kann nur mit demokratischen Mitteln ermöglicht werden. Alle Wege, die von der Demokratie abweichen und die Macht ohne sie erreichen wollen, wäre gefährlich. Koalition heißt weiter, auf den anderen eingehen, das heißt, auch einmal dort Konzessionen zugestehen, wo der andere Teil anderer Auffassung ist; Koalition heißt auch,einmal nachgeben. In keiner Gemeinschaft kann der Wille eines einzelnen dominieren und durchgesetzt werden, denn das wäre Diktatur, das hieße die Freiheit untergraben. Es muß also eine Kompromißbereitschaft bestehen. Manchmal hat man den Eindruck, als ob der SPÖ nur so lange die Koalition recht wäre, solange sie ihren Willen voll durchsetzen kann. Wenn dies nicht mehr geht, zieht sie sich in den Schmollwinkel zurück, ist verärgert und die Debatte ist zu Ende. Weiter gehört zu ihr die Achtung vor der Meinung des anderen. Um die Meinung muß diskutiert werden,

und es können nur Argumente entscheiden und nicht brutale Kampfmethoden, daher sind auch politische Streiks keine Mittel der Koalition. In der Demokratie muß es ein Netz von Gesprächskreisen geben, und dies um so mehr in einer pluralistischen Gesellschaft. Diese Gesprächskreise in Parteien und anderen Gemeinschaften müssen sich fortsetzen nach oben, wo sie gehört werden müssen. Das ist lebendige Demokratie. Um den Politiker ist es gut bestellt, der um diese Gesprächskreise weiß und an ihnen teilnimmt.

Duldsamkeit ist eine weitere Voraussetzung, eine Eigenschaft, die ebenfalls bei vielen Sozialisten nicht sehr weit ausgeprägt zu sein scheint. Dies merkt man besonders dort, wo sie die Mehrheit haben. Sie berufen sich nämlich sehr gerne auf ihre Minderheitsrechte dort, wo sie in der Minderheit sind; sie anerkennen aber diese Minderheiten nicht mehr und lassen sie schon gar nicht zu Wort kommen, wo sie die Mehrheit haben. Bekennen sich die beiden Parteien ehrlich zur Koalition, dann müssen sie auch immer sehr darauf bedacht sein, den richtigen Politiker zur Verhandlungen zu entsenden, jenen, der das Geschick hat, im Geiste echter Koalition zu verhandeln. Dabei kann es auch hart und zäh zugehen. Es geht immer um die bekannte Handbreite des Nachgebens, eben des vorhin erwähnten Kompromisses, trotz Härte und Schwierigkeiten.

Noch eine andere Frage muß in diesem Zusammenhang gesehen werden. Es könnte durchaus sein, daß bei den nächsten Wahlen überhaupt nur die beiden großen Parteien übrigbleiben. Was dann? Das englische System in Österreich einzuführen, wäre deshalb nicht möglich, da unsere Demokratie viel zu jung ist, als daß man das Experiment wagen könnte, der stärkeren Partei die Regierung zu übergeben und der schwächeren die Opposition. Was gäbe es also dann noch für ein System? Doch nur das der Koalition. Es kann sie geben und es muß sie geben, wenn die vorher erwähnten Grundsätze eingehalten werden. Es wäre überhaupt von Nutzen, wenn sich die Koalition eine Art Geschäftsordnung geben würde, zumindest um formelle Streitigkeiten auf ein Minimum einzuschränken. Österreich braucht die Koalition schon deshalb, weil auf lange Sicht große Probleme an uns heran-c'ragen werden, die nur gemeinsam gelöst werden können. Dies sind vor allem die Probleme des Gemeinsamen Marktes und die Stellung Österreichs zwischen Ost und West. Die beiden großen Parteien müssen sich zu positiver Arbeit zusammenfinden, wenn sie Österreich bejahen und seine entscheidende Rolle im europäischen Raum erkennen. Wenn Österreich diese entscheidende Rolle spielen will, dann muß zunächst das eigene Haus wohl bestellt sein. Darum ist diese Koalition notwendig, sie muß wieder zu sich selbst zurückfinden, sie muß vor allem den Willen haben, die großen Probleme gemeinsam zu lösen; sie muß aber auch getragen sein vom Vertrauen in die Grundsätze der Demokratie, der Republik und der Verfassung. Daß diese Voraussetzungen bei beiden großen Parteien bestehen, ist wohl eine Selbstverständlichkeit.

Die letzten Wochen und Monate waren nicht dazu angetan, der Bevölkerung Vertrauen zu dieser Koalition einzuflößen. Vielleicht brachten der 15. Juli und die Schlußworte des Präsidenten Dr. Maleta die Besinnung, der da sagte: „Allein die Zusammenarbeit der Sozialpartner und Parteien garantieren unserem Volk und Staat jene Stabilität und beruhigende Sicherheit, ohne die Österreich nicht wäre, was es heute ist und deren Verlust uns über die Schwelle einer ungewissen Zukunft führen würde.“

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