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Nach Sima - alles beim Alten?

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Am Karfreitag trat Landeshauptmann Hans Sima nach zehnjähriger Amtszeit zurück; als Vorsitzender der Kärntner SPÖ war er schon zuvor von seinem Landesparteisekretär Wagner abgelöst worden, der ihm nun auch als Landeshauptmann folgt. Wenn es stimmt, daß Sima am „Ortstafelkrieg“ gescheitert ist, dann muß man auch seinem Nachfolger düstere Prognosen stellen. Denn der Abgang des einen und der Auftritt des anderen hat an diesem Zentralproblem nichts verändert. Es bleibt d i e politische Erbschaft schlechthin.

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Am Karfreitag trat Landeshauptmann Hans Sima nach zehnjähriger Amtszeit zurück; als Vorsitzender der Kärntner SPÖ war er schon zuvor von seinem Landesparteisekretär Wagner abgelöst worden, der ihm nun auch als Landeshauptmann folgt. Wenn es stimmt, daß Sima am „Ortstafelkrieg“ gescheitert ist, dann muß man auch seinem Nachfolger düstere Prognosen stellen. Denn der Abgang des einen und der Auftritt des anderen hat an diesem Zentralproblem nichts verändert. Es bleibt d i e politische Erbschaft schlechthin.

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Hans Sima erlag hinsichtlich des Ortstafelgesetzes zweifellos einer Fehleinschätzung. In sommerlichen Gesprächen mit Bundeskanzler Kreisky noch zuversichtlich, mußte er alsbald erkennen, daß er, anders als er es erwartet hatte, weder „das Land“, noch „seine Partei“ fest am Zügel führen konnte. Zu diesem mißlichen Ergebnis mag auch beigetragen halben, daß die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln vor einigen Ortschaften und Weilern des Landes mit den lO.-Oktober-Feiern nahezu zusammenfiel, was der zu erwartenden Aufregung mächtige Nahrung zuführte.

Wenige Monate danach wurden in Kärnten Gemeindewahlen abgehalten. Sie standen von Anfang an unter einem nicht besonders günstigen Stern. Administrativ sinnvolle Planung und Infrastruktur verbessernde Gemeindezusammenlegungen stießen an vielen Orten auf historisch oder emotionell begründbare Widerstände. Wenn auch ÖVP und FPÖ diesen Zusammenlegungen zugestimmt'hatten, so traf der da und dort aufgestaute Unwillen, vermehrt durch „Ortstafelkrieg“ und landesweite „Urangst“, mit voller Wucht nur die SPÖ und damit Sima. ÖVP und FPÖ gingen als Sieger hervor, Sima, der die SPÖ mehrmals zu überaus- eindrucksvollen Sieigen geführt hatte, erlitt eine Niederlage, von der man freilich nicht sagen kann, es sei nur seine gewesen. In der Folge entledigte sich die Kärntner SPÖ ihres „starken Mannes“, der, wie das bei „starken Männern“ immer so ist, auch in der eigenen Partei seines Stiles und seiner Eigen-willigkeit wegen nicht nur gute Freunde besaß.

Für seinen Nachfolger bleiben, neben vielen anderen Partei- und Landesproblemen, die ungelösten Min-derheitenprobleme zurück. Ja, man kann sagen, diese in womöglich noch verschärfter Form.

Die Vertreter der Kärntner Slowenien waren vom „Ortstafelgesetz“ gewiß nicht durchwegs begeistert. Aber sie nahmen dieses Bundesgesetz als ein Zeichen guten Willens, die unausgefüllten Stellen des Artikel VII des Staatsvertrages nunmehr auszufüllen.

Dieses Bundesgesetz, zu welchem Sima die Unterlagen geliefert hatte, war keinesfalls in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ entstanden, wie später von der Opposition behauptet worden ist. Es kam, wenn auch nur mit der Mehrheit der Regierungspartei, auf verfassungsmäßig untadelige Weise zustande. Auch das Argument, es sei nicht genügend verhandelt worden, die SPÖ habe die Oppositionspartei „glatt überfahren“, ist wenig realistisch. In der Tat wurde und wird noch immer über die meisten Bestimmunigen des bewußten Artikels VII verhandelt — nun schon 17 Jahre lang! —, doch zu einem wirklichen Konsens ist es bisher nie gekommen. Da die Erfüllung des Staatsvertrages aber nicht bloß vom guten Willen Österreichs abhängt, sondern auch starke außenpolitische Aspekte besitzt, die mit den vier Alliierten (Sowjetunion, USA Großbritannien und Frankreich) als Vertragspartner und mit der Signatarmacht Jugoslawien zusammenhängen, muß man wohl irgendwann einmal an jenen Punkt gelangen, wo es nichts mehr zu verhandeln gibt und der in jeder Demokratie vorgesehene Mehrheitsbeschluß das „punktum“ setzt.

Die Folgen des „Ortstafelkriages“ — an welchem sich auch Sozialisten beteiligt hatten — sind bekannt: angesichts des Rumors, der entstanden war, entschloß sich die Regierung, den Vollzug des Gesetzes gewissermaßen „rückgängig“ zu machen und von neuem mit Beratungen zu beginnen, zu welchen man in diverse Kommissionen lud. Das ist gewiß nicht die allerschönste Lösung gewesen, denn jedermann im Lande hat die Beispielsfolgen zu fürchten, daß ein relativ immerhin geringer „Auflauf“ genügte, um ein ordentlich beschlossenes Gesetz „außer Kraft“ zu setzen!

Eine andere Folge wurde weniger bemerkt. Nämlich die, daß die Führung der Kärntner Slowenen, durch den „Ortstafelkrieg“ alarmiert, vom „guten Willen Österreichs“ nicht allzuviel hält. Jene, die schon seit jeher radikalere Wünsche und Forderungen vorgebracht hatten, hatten von nun an auch den Trend für sich. Das ist ein durchaus logisches, vorhersehbares Ergebnis. Man kann daraus folgern: wann immer das „neue“ Ortstafelgesetz in Kraft treten wird, es wird mit Sicherheit über das ,alte“ hinausgehen.

Wer heute mit offenen Ohren durch Kärnten zieht und das Land kennt, wird unschwer bemerken, daß sich sowohl unter der Führung der slowenischen Minderheit als auch unter der deutschsprachigen Mehrheit Jene immer deutlicher' machen; die der Parole „Alles oder nichts“ folgen. Unter den Slowenen heißt das: entweder eine weitreichende Auslegung der Bestimmung des Artikels VII und mannigfaltige „Garantien“ für diese oder eben „keine Zustimmung“. Unter den Deutschsprachigen heißt das: umständliche Zählverfahren darüber, wo überhaupt der Artikel VII angewandt werden soll und möglichst enggefaßte Bestimmungen, oder „weitere Opposition“.

Nun ist der Artikel VII tatsächlich nicht besonders deutlich. Er spricht etwa von „zweisprachigen topographischen Aufschriften in den gemischtbesiedelten Gebieten“, sagt aber nicht, ob unter „topographischen Aufschriften“ etwa nur Ortstafeln zu verstehen sind oder nicht auch andere topographische Bezeichnungen, wie Wege, Straßen, Bergeshöhen und Täler, öffentliche Gebäude usw., wie er auch nichts darüber aussagt, ob unter „gemischtbesiedelten Gebieten“ vornehmlich oder sogar ausschließlich nur Ortschaften und Weiler zu verstehen sind oder nicht auch Gemeinden, ja,Bezirke, also großflächigere Landestedle. Da im Artikel VII irgendein „Festeteilungsverfahren“ darüber, wo wie viele Slowenen siedeln müssen, damit man von einem „gemischtbesiedelten Gebiet“ sprechen kann, nicht einmal angedeutet wird, und da darüber ziemlich weit auseinandergehende Vorstellungen herrschen, steigert sich die Neuralgie des Problems, das durch den „Ortstafelkrieg“ an Schärfe nur noch gewonnen hat.

Versteifen sich die Gegensätze weiterhin, so wird man alsbald mit einer vorerst noch gar nicht absehbaren „Internationalisierung“ zu rechnen haben, die durch Proteste, Resolutionen und Erklärungen, dies sei eine „rein innerösterreichische Angelegenheit“ nicht wird vermindert werden können.

Jedermann, der sich in der jüngsten Geschichte einigermaßen aus-KMf^^i^^ft,sWft)(S^tfgfosIawieti1 1945 und späterhin mit gewissen Ansprüchen vor allem deshalb nicht durchgedrungen ist, weil zunächst Stalin wenig Neigung zeigte, sich deswegen mit den drei anderen Alliierten „anzulegen“. Zwar waren die Kenntnisse der USA von diesem Problem gering, aber vor allem London hatte da seine eigenen Vorstellungen, denen auch Paris folgte. Später, als sich die Risse und Sprünge im Verhältnis zwischen Stalin und Tito zum totalen Bruch erweiterten, zeigte Stalin (und dann seine Nachfolger) überhaupt keine Neigung, auf jugoslawische oder auch nur auf slowenische Vorstellungen einzugehen. Tito sah sich vielmehr genötigt, eine verbindliche Erklärung darüber abzugeben, daß Jugoslawien die Grenze zu Österreich respektiere, also vermutete oder wirkliche Ansprüche, wie sie schon nach 1918 erhoben worden waren — ohne erfolgreich gewesen zu sein! — aufgebe. Als dem Staatsvertrag als Signatarmacht beigetretener Staat macht Jugoslawien freilich den sowohl rechtlichen als auch natürlichen Anspruch geltend, sich als eine Art „Schutzmacht“ für die Erfüllung der im Artikel VII zugesagten Rechte der Kärntner Slowenen zu betätigen, was ja auch schon mehrfach, wenn auch zumeist nur deklamatorisch, der Fall gewesen ist.

Die seinerzeitigen Voraussetzungen bestehen heute nicht mehr. Großbritanniens Position ist nicht mehr die des Jahres 1945 und das gleiche trifft auch für Frankreich zu. Die USA sind nicht mehr allein am europäischen Status quo interessiert, sondern auch an einem gewissen Ausgleich mit der Sowjetunion. Und zwischen Belgrad und Moskau ist der Frost einer starken Annäherung gewichen, die sich zu „geneigter Stunde“, deren Opportunitäten so gut wie nichts mit Österreich und Kärnten zu tun haben könnten, dennoch auch in der Minderheitenfrage „bewähren“ könnte. Es war 1973, daß meines Wissens zum ersten Mal nach sehr langer Zeit sdushAin der-Sowjetunion auch öffentliche 'Stirn-* men vernehmen ließen, die darin gipfelten, Österreich eine gewisse „Slawenfeindlichkeit“ vorzuhalten. Und man tut gut, damit zu rechnen, daß im Zuge langatmiger und komplizierter Entspannungsgespräche die volle Erfüllung des Artikels VII plötzlich eine neue und für Österreich schwierigere Dimension erhält, als es derzeit der Fall zu sein scheint. Indem wir in der1 Erfüllung unschlüssig sind, gerät die Frage auf das immer zu fürchtende „kleine Feuer“, wo sie solange vor sich hinbrodelt, bis sich die großen Köche ihrer annehmen.

Einige mögen es darauf angelegt haben. Andere, die kaum wissen, was sie da tun, mögen das zwar nicht wünschen, dennoch arbeiten sie unbewußt und fahrlässig auf das nämliche Ziel zu. Das gut für die sogenannten „extremen Gruppen“ ganz besonders: es mag ihnen gelingen, mit dem Kopf durch die Wand zu stoßen, aber hinter dieser Wand werden sie an großmächtige Interessen geraten, die zuletzt mit den ihren so gut wie nichts zu tun haben mögen,aber deren Spielball sie nun werden.

Dies ist keinesfalls eine „Erbschaft Simas“! Selbst wenn man vollkommen davon überzeugt wäre, daß er „alles falsch“ gemacht habe — was indes gerechterweise niemand behaupten kann —, müßte man ihm zubilligen, daß er, was er tat, in der Absicht getan hat, ein schwelendes Problem in möglicherweise „letzter Stunde“ zu lösen, in der ehrlichen Absicht, damit zum Landesfrieden und zur Landessicherheit entscheidend beizutragen; die Fehleinschätzung, nicht die Unterlagen für das Gesetz noch dieses selbst war sein Fehler!

Für den „neuen Mann“, der bisher an der Sdmaschen Politik ohne öffentlich erkennbaren Widerspruch mitgewirkt hatte, bleibt also die „alte Situation“ bestehen. Erste Äußerungen lassen erkennen, daß er versuchen möchte, zu einer einvernehmlichen Regelung zu gelangen, also zunächst zu einer sowohl mit den anderen Parteien als wohl auch mit den Kärntner Slowenen. Er möchte vermeiden, daß ein neues, wenn auch aus Kommissionsberatungen hervorgegangenes Bundesgesetz abermals auf „kriegerische Art“ im Lande selbst zu Fall gebracht wird.

Da sich aber mittlerweile die von Parteien nicht leicht kontrollierbaren Hoffnungen der „Gegner“ solcher Gesetze — auf beiden Seiten! — verstärkt haben, steht Wagner vor einem ähnlichen Wagnis wie Sima und wie dieser auch noch vor Gemeindewahlen stand, steht Wagner nun vor Landtagswahlen, die im Februar oder März 1974 auf dem Kalender stehen.

Ob ÖVP und FPÖ, die letztere auf „nationale Stimmen“ besonders angewiesen, weit und (hoch über ihren eigenen Schatten springen werden, mag man sich erhoffen, erwarten darf man es leider nicht. Ihnen mag es ergehen, wie es Sima ergangen ist: indem sie die aufgeregte Stimmung falsch einschätzen, fällt ihnen das erhoffte günstige Wahlergebnis auf den Kopf. Ob es nämlich die Parteiführer und wichtigen Funktionäre wahrhaben wollen oder nicht: die eher - iatransigente Haltung von ÖVP und FPÖ in der Minderheitenfrage hat zumindest der Erwartung gewisser Kreise dauernden Vorschub geleistet, „Ortstafelkriege“ und ähnliches mehr stünden im verschwiegenen Interesse dieser Parteien. Solche Erwartungen, grundlos oder nicht, pflegen sich sehr oft .politisch selbständig“ zu machen, worauf die Parteien, mit denen diese Erwartungen sich verknüpften, zu „Getriebenen“ werden.

Es kann natürlich nicht der Sinn einer gerechten Minderheitengesetzgebung sein, alle Ansprüche der Mehrheit zu leugnen und alle Wünsche der Minderheit zu erfüllen. In solchen Fragen gibt es — es sei denn im Wege der Gewalt, die niemand herbeirufen möge! — keine totalen, ja, nicht einmal perfekte Lösungen. Es kann natürlich auch nicht die außenpolitische Weisheit eines kleinen und neutralen Landes ausmachen, einfach allem nachzugeben, einfach alles zu fürchten, von woher auch immer es auf dieses Land zukommt Das erwägen ernsthafte Menschen nicht. Was aber zu erwägen bleibt, ist dies: Österreich hat mit dem Artikel VII — und übrigens auch mit der Konvention über die Menschenrechte — vertragliche Verpflichtungen auf sich genommen und ist mit der Erfüllung 17 Jahre in Verzug! Es sollte nun gerade, um sich aus allem herauszuhalten, diese Verpflichtungen in großzügiger Gerechtigkeit erfüllen. Und dies nicht bloß, weil es dazu sich rechtlich genötigt sieht, sondern weil es damit herstellt, was die lange und schöne Geschichte Kärntens ausmacht: die brüderliche Nachbarschaft zweier Volksgruppen, deren Zusammenwirken erst ergibt, was man „Kärnten“ nennt.

Geschieht „nichts“, was freilich eine leider allzu österreichische Lösung wäre, dann kann es geschehen, daß Österreich und Kärnten von der zweifellos angenehmen Randlage am europäischen Spannungsfeld in ein stürmisch bewegtes Zentrum geraten. Das mag diesem oder jenem nicht vor Augen stehen, einigen sogar gefallen — die Kärntner beider Zungen würden es auszubaden haben. Und darin darf man ganz sicher sein: sie wüßten keinen Dank dafür!

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