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Trübes Fischen

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Der Rausch der Emotionen, soferne man davon sprechen kann, ist längst verflogen. Riskante Konsequenzen, noch unvorhersehbare Entwicklungen wenig freundlichen Charakters und eine sich davon herleitende starke Ernüchterung deuten eine neue Richtung an. Viele setzen nun ihre Hoffnungen in die sogenannte „gemischte Kommission“, die von der Bundesregierung bzw. dem Amte des Bundeskanzlers eingesetzt wird und unter dessen Verantwortung steht. Übrigens: es gab eine Zeit, da war eine ähnliche, womöglich permanente gemischte Kommission eine Forderung der Kärntner Slowenen. Damals hat man das nicht gerne gehört und mehr oder weniger unbesehen zurückgewiesen ...

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Der Rausch der Emotionen, soferne man davon sprechen kann, ist längst verflogen. Riskante Konsequenzen, noch unvorhersehbare Entwicklungen wenig freundlichen Charakters und eine sich davon herleitende starke Ernüchterung deuten eine neue Richtung an. Viele setzen nun ihre Hoffnungen in die sogenannte „gemischte Kommission“, die von der Bundesregierung bzw. dem Amte des Bundeskanzlers eingesetzt wird und unter dessen Verantwortung steht. Übrigens: es gab eine Zeit, da war eine ähnliche, womöglich permanente gemischte Kommission eine Forderung der Kärntner Slowenen. Damals hat man das nicht gerne gehört und mehr oder weniger unbesehen zurückgewiesen ...

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Daß eben eine solche Kommission jetzt aktiviert wird, um das Problem lösen zu helfen, beweist neuerdings, wie wenig vorausschauend „Minderheitenpolitik“ bisher geplant und in die Tat umgesetzt wurde. Stets waren die vermuteten oder tatsächlichen Opportunitäten (meist in den jeweils eigenen Reihen zu suchen und zu finden) mächtiger!

Zwei Ereignisse auf der außenpolitischen Szene hätten jedoch schon vor langem zeigen müssen, wohin der Hase läuft. Das eine war die „Bescheinigungserklärung“ Titos, „daß die mazedonische Frage“ so gut wie gelöst sei. Wenn dies tatsächlich der Fall ist — und es gibt kein Indiz dafür, daß es nicht der Fall wäre! — mußte ein gewisser Konsens zwischen Bulgarien und Jug-slawien, ja, sogar zwischen Jugoslawien und Albanien zustande gekommen sein. Da die „mazedonische Frage“ stets eine gewesen ist, die den Balkan entzweite, mußte es sowohl ein unmittelbares (jugoslawisches?) als auch ein höheres (russisches?) Interesse gegeben haben, diesen Streit vorerst einmal aus der Welt zu schaffen. In dem Maße in welchem diese Frage gelöst erschien, war eine Hinwendung Jugoslawiens zu den noch ungelösten Minderheitenfragen zu erwarten.

Das zweite Ereignis verbindet sich mit der spektakulären Absage von Titos Staatsbesuch in Rom in sozusagen letzter Minute. Der wahre Grund, so sehr er auch verbrämt wurde, war nicht zu übersehen; er findet sich in der Erklärung des damaligen italienischen Ministerpräsidenten, die „Frage Istrien“, die ja staatsrechtlich immer noch eine „provisorische Lösung“ ist, nicht im Sinne Titos behandeln zu wollen — womit sich auch Konsequenzen für den „Raum Triest“ und für slowenische Streuminoritäten längst der italienischen Nord-Ost-Grenze verbinden. Da wurde einigermaßen deutlich, wohin der kommennde Trend in der jugoslawischen Umfeldpolitik lief.

Rückschlüsse auf Österreich zu ziehen, wäre realistisch gewesen. Dies um so mehr, als Österreich in der Minderheitenfrage, anders etwa als Italien, durch Vertrag gebunden ist. Nicht nur der Schein, auch die rechtliche Seite der Angelegenheit sprach und spricht gegen uns.

Die jüngste Rede Titos ließ an Deutlichkeit nichts mehr zu wünschen übrig. Wenn auch nie so heiß

gegessen wie gekochst wird, schälen sich folgende Punkte heraus:

• Jugoslawien wünscht nach 17 Jahren die „sofortige und restlose“ Erfüllung der von Österreich im Staatsvertrag eingegangenen Verpflichtungen;

• es fühlt sich als , Schutzmacht“ der slowenischen (und kroatischen) Minderheiten in Österreich, auch wenn es diese Minderheiten selbst nicht wünschen sollten;

• Jugoslawien wird auf diese Frage „nie vergessen“, was bedeutet, daß es, dränge es heute nicht durch, es morgen wieder versuchen würde, womit das Problem latent internationalisiert bliebe;

• und schließlich möchte Tito zu Österreich die „bestmöglichen Beziehungen“ haben, was in der diplomatischen Sprache jedenfalls schlechtere Beziehungen sind als gute, so lange sie von der Warte ungelöster Probleme aus beurteilt werden.

Man fragt sich: ,das alles soll der ,Ortstafelkrieg“ wert gewesen sein? Denn auch so muß man die Lage sehen: Österreich steht ohne Freund und Helfer da, weil sich Freundschaft und Hilfe in einem immerhin prekären Verwandlungsprozeß der weltpolitischen Szene nicht jenem eher unbedeutenden Kleinstaat zuwenden werden, gegen den sowohl Schein wie Vertragstexte sprechen!

So mag denn wirklich die „gemischte Kommission“ der vernünftige Ausweg sein, vorausgesetzt, von dieser ergreifen weder die professionalen Berufs-Volkstums-Kämpfer noch intransigente Opportunisten Besitz. Daß die jugoslawische Note vom 8. September so lange nicht beantwortet wurde, liegt an eben dieser Kommission und daran, daß sie erst allmählich zustande kommt. Erst der Hinweis auf deren Arbeit kann die Lage „entspannen“ und der Hinweis auf eben diese .Entspannung“ kann die Antwort auf den Belgrader Protest sein.

Übrigens: Tito drückt sich auch sonst sehr deutlich aus, was man auch nicht mehr überhören sollte. Er sagte, dies sei keine Angelegenheit etwa Sloweniens, also keine „lokale Volkstumsfrage“, sondern eine Angelegenheit „ganz Jugoslawiens“. Also: nicht das Volk der Slowenen stehe dahinter^ sondern alle jugoslawischen Völker (natürlich auch Agram, was einen Rückschluß auf die Kroaten im Burgenland erlaubt).

Tatsächlich wird ja auch im Staatsvertrag davon gesprochen, daß es in Österreich (Kärnten, Steiermark und Burgenland) eine slowenische und eine kroatische Minderheit gibt. So gewinnt eine Frage an unvorhergesehenem Umfang, die sich „durch längeres Liegen“ eben nicht erledigen ließ. Die parlamentarische Opposition wäre sehr, sehr schlecht beraten, wollte sie den unerfreulichen, ja, den gefährlichen Stand der Dinge der Regierungspartei oder dem Regierungschef allein in die Schuhe schieben. Dieser Teil der „Schuldfrage“, über den viel zu sagen wäre (Raah, Gorbach, Klaus hatten sich bekanntlich vergeblich um eine Lösung bemüht, standen aber noch nicht unter einem so großen Zeitdruck, wie er jetzt herrscht?, berührt den Kern eines einmal „internationalisierten“ Problems nicht im geringsten. Er eignet sich auch nicht Trübes Fischen ftir Innenpolitisches, schon gar nicht für Polemik und Agitation. Schwächt stich die österreichische Politik dadurch selbst, so werden es olle zu spüren bekommen. Die „wahre Schuld“ trifft dann alle, der „wahre Schuldige“ wird gerechterweise nicht zu ermitteln sein. Sie wie das „Aufrechnen“ in der Innen- oder besser: heit unter den Volksgruppen zu nichts führen kann, es sei denn zu einem neuen Konflikt, kann auch das „Aufrechnen“ in der Innen- oder besser Parteipolitik zu nichts mehr führen So wären also auch Erwägungen, das Zustandekommen oder die Arbeit der Kommission zu hemmen, wenn nicht sogar zu verhindern bis im März 1973 die Kärntner Gemeindewahlen vorbei sind, äußerst kurzsichtig. Gewiß, einigen mag es schwer fallen, das vermeintlich oder wirklich gezeigte Gesicht zu verändern oder zu verlieren. Vieles wurde da auch unabsichtlich oder unerwogen losgetreten, was später eine gewisse Eigengesetzlichkeit entwickelte. Sich davon treiben zu lassen wäre der bedenklichste Entschluß. Hier wurde alles trüb — es gibt nichts mehr zu fischen!

Auch die vermeintlich oder wirklich Deutsch-Nationalen, die Tito entweder absichtlich oder unerwogen mit „Faschisten“ verwechselt — was wiederum zeigt, wie ferne aus aller Erinnerung der wahre „Faschismus“ gerückt ist! — sollten nicht übersehen, daß die ,nationale Szene“ Mitteleuropas gewaltigen Veränderungen unterworfen ist. Es gibt (noch) keine „Jugoslawische Natüjon“, was übrigens der starke föderative Charakter des jugoslawischen Staates auch von sich aus anschaulich macht, aber Jugoslawien befindet sich sehr wohl auf dem Weg zur Nation. Hingegen gibt es kaum noch eine „Deutsche Nation“. Da diese jetzt in mehreren Staaten lebt, die voneinander völlig unabhängig sind und nicht^ einmal einer Konföderation ähnliche gemeinsame Merkmale besitzen, gibt es nach dem romanischen Nationsbegriff eine „Deutsche Nation“ nicht mehr, da sich dieser Auffassung nach „Nation und Staat“ decken müssen. Doch diese Auffassung ist umstritten. Jene hingegen nicht, wonach eine Nation in allen ihren Teilen einem gemeinsamen ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Entwicklungsfortgang folgt und daher auch eine gemeinsame Geschichte hat und schafft. Genau das aber läßt sich von den deutschen Staaten nicht mehr sagen. Welche man immer betrachtet, welche man hinzurechnet und welche nicht: sie folgen unterschiedlichen, zum Teil sogar sehr gegensätzlichen Entwicklungen!

In Österreich mag daher das ursprünglich „österreichische“ einen eigenen und neuen Stellenwert erhalten. Dieses „ursprünglich österreichische“ war übernational, auch noch zu Zeiten, als dem Begriff der „Nation“ eine ungeheure überschätzte Bedeutung zugeschrieben wurde, woran ja so vieles schließlich zugrunde gegangen ist. Da gibt es schon längst keine „Schuldfrage“ mehr, sie heute noch sich oder anderen zu stellen, wäre müssiges Beginnen Doch „Rückbesinnung“ auf eine Geiisteshaltung wäre geboten, die, eben weil sie übernational ist, den Völkern ihren Charakter beläßt und wirkliches Zusammenleben“ erst möglicht macht.

Genau in diesem Sinne möchte man auf die gemischte Kommission hoffen dürfen!

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