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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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ÖSTERREICHISCHE OSTERN IN ROM. Bundeskanzler Raab ha) die Karwoche gewählt, um in dieser heiligsten Woche der katholischen Christenheit in Rom in persönlicher Begegnung jene beiden Fragenkreise zu behandeln, die Oesterreichs außenpolitische und innenpolitische Lage am stärksten belasten: die Beziehungen zum Vatikan und das Südtiroiproblem. Beide sind nicht einfach, über Nacht lösbar, setzen lange Verhandlungen voraus. Beide aber stehen seif langem für eine Lösung heran, sollen nicht Verhärtungen eintreten, die in einer Krisenzeit, in einem anderen politischen und seelischen Klima, böse Folgen haben könnten. Es wirkt tragisch, dar; Oesterreich, dieser freie Staat mit seiner überwiegend katholischen Mehrheit, ausgesetzt am Rande des Eisernen Vorhanges, heute so schwierige staatspolitische Auseinandersetzungen im ehrwürdigen Zentrum der katholischen Christenheit zu führen hat. — Bundeskanzler Raab wird also im persönlichen Gespräch dem Heiligen Vater die inneren Schwierigkeiten unseres Landes aufzeigen, und dergestalt vielleicht den toten Punkt überwinden können, im Sinne auch des Appells der österreichischen Bischöfe an die österreichische Regierung, die Aenderungen anzusprechen, von denen die Antwortnote des Heiligen Stuhles in Sachen Konkordat spricht. — Nicht' minder heikel, auf seine Weise, und untergründig merkwürdig verwandt mit inneritalienischer Belastungen, ist die Südtirolfrage, die gerade in dieser vorösterlichen Zeit durch die Bestätigung der harten Urteile über die sieben Südtirolei Bauernburschen und in einigen unguten Propagandaaktionen gegen die Südtiroler Volkspartei, deren Abgeordneten Hoch- und Landesverral vorgeworfen wurde, grelle Lichter aufgesetzt erhielt, die nichts mit dem Licht der Osterkerze zu tun haben. Wie schwer ist es doch, gerade auch für Christen, für Katholiken, aus dem eigenen Grabe aufzuerstehen, sich selbst zu überwindenl Es ist sehr betrüblich, dafj es immer wieder gerade italienische Katholiken sind, die politisch eine Intransigenz an den Tag legen, die weit entfernt ist von einem Verstehen des Nächsten, des Bruders da drüben, jenseit der Grenze der eigenen Vorurteile. — Dieser Osterbesuch des österreichischen Kanzlers in Rom zeigt, aufs Ganze gesehen, wie sehr die Völker und Menschen innerhalb unseres westlichen Abendlandes es nötig haben, sich auf Ostern zu besinnen. So wie bisher geht es wirklich nicht mehr weiter: in einem guten Sinne. Im Sinne der Frohbotschaft, die allen Betroffenen den Frieden bringt: inseits unserer Grenzen, und nebenan, im Land an Etsch und Eisack, wo die Osterglocken und die Oster-freude eines gläubigen Volkes so lauter und so rein klingen, dafj ihr Ruf nicht unerhört verhallen sollte.

DER WEG ZIEHT SICH, immer neue Schwierigkeifen werden vorgebracht, und der spröde Fiskus hat gar keine Freude: mit der immer wieder laut angeregten Steuerfreiheit der Spenden für wissenschaftliche und künstlerische Zwecke. Zur rechten Zeit erschienen also vor kurzem ein Memorandum und eine Flugschrift des Notringes der Wissenschaftlichen Verbände Oesterreichs; die letztere gibt eine saubere Uebersicht über die Vorbilder des Auslandes und alle Für und Wider des Vorschlages und biegt sodann scharf in die Zielgerade: „Wer an der wissenschaftlichen Forschung spart, gleicht dem Bauer, der an der Düngung sparen will. Der Fiskus gewährt den Betrieben Steuerabschreibungen für Anschaffungen, die im Interesse — oft nur im weitesten Interesse — des Betriebes liegen, in der Erwartung, dafj dieser damit leistungsfähiger und steuereinträglicher sein werde. Ist es bei der Wissenschaft anders? Ist nicht unser ganzes Wirtschaftsleben von der Wissenschaft abhängig, und ist nicht die Forschung von heute die Produktion und der Export von morgen?... Wie der Herr Finanzminister wiederholt überzeugt und in der Praxis bewiesen hat, muß der Verzicht auf einzelne Sfeueranträge durchaus keine Minderung des Gesamtsfeuerauf-kommens bewirken. Die eingesparten Steuern befruchten die Gesamtwirtschaft und speisen in dieser Weise andere Sieuerquellen. Die Ueber-legung hat sich schon bei einer einfachen Senkung des Steuertarifs als richtig erwiesen. Um wieviel mehr muh es zutreffen, wenn ein Verzicht auf Steuern ein vielfaches Konsumvolumen auslöst, wie es hier der Fall ist.“ Das Verlangen des Notringes, Spenden für die Wissenschaft, also bis zu einer Höhe von 10 Prozent des steuerpflichtigen Einkommens (für die Kunst 5 Prozent), als steuerfrei zu erklären, ist also wahrhaftig nicht unbillig. Für alle scheinbaren Einwände (die erwähnte Flugschrift zählt selbst elf auf und widerlegt sie einwandfrei) haben andere Staaten, nicht nur mächtigere und zahlungskräftigere, Auswege und Lösungen gefunden. Sie mühten bei einigem guten Willen auch bei uns möglich sein. Auf diesen Willen freilich kommt es an; vielleicht sogar nur auf ihn!

MINISTERPRÄSIDENT CHRUSCHTSCHOW. Es ist naheliegend: Fatalisten und Kremlastrologen nehmen die Bestellung Chruschtschows zum Ministerpräsidenten der UdSSR zum Anlaß, weitgehende Vergleiche mit Lenin, Stalin und anderen Selbstherrschern aller Reufjen zu ziehen. AU „Alleinherrscher“ wird der Mann angesprochen, der seit 27. März 1958 als Parteichef und Premierminister die beiden Führungspositionen des sowjetischen Reiches in seiner Person vereint. Ueber Vergleiche dieser Art sollten wir uns aber erst später unterhalten. Die Fragen der unmittelbaren Gegenwarf sind brennend genug. Offensichtlich hat das russische Bemühen um eine Gipfelkonferenz und das sowjetische Sichmühen um eine Begegnung mit den USA die EntwLck-Inug sehr beschleunigt. Ein Mann steht sowohl in Amerika wie in dem immer wichtiger werdenden Westdeutschland an der Spitze der Staatsmacht; in der Sowjetunion hat jedoch, wie viele Beispiele zeigten, eine differenzierte und sehr starke Opposition gegen Chruschtschows Außen- und Innenpolitik in den letzten Jahren dem weltpolitischen Ansehen der UdSSR schweren Schaden zugefügt. Vergessen wir nicht ganz, dafj auch die ungarische Katastrophe stark mitbedingt ist durch das Tauziehen im Kreml, wo eine internationale Richtung mit „Konservativen“ stalinischer und zenfralrussischer Prägung schwer zu ringen hatte. Für Chruschtschow persönlich halfen sich in letzter Zeit die innenpolitischen Schwierigkeiten noch gehäuft, nicht zuletzt im Zusammenhang mit seinem Versuch, die Bauern für sich zu gewinnen und mit' seinen großangelegten Siedlungsexperimenten in Sibirien und Russisch-Zenfralasien. Um diese Pläne sichern und weitertreiben zu können, muhte er versuchen, möglichst viel Macht auf sich und seine Gruppe zu zentrieren. Nach außen hin bedeutet das: die Welt wird wahrscheinlich in der nächsten Zeit Demonstrationen der sowjetischen Koexistenzpolitik wie nie zuvor sehen, und die USA werden eine neue Welle von Angeboten erhalten. Schon wurde eine einseitige Einstellung der Atomversuche von seifen der Sowjetunion proklamiert. Wie immer dem sei: an einem ist nicht zu zweifeln. Der am 17. April 1894 in Kursk-Oblast in der Ukraine und Sohn eines Bergarbeiters geborene Ingenieur und Politiker Chruschtschow läßt der Welt keinen Zweifel darüber, dafj er entschlossen ist, die riesigen Kräfte der Völker des sowjetischen Imperiums mit neuen Mitteln zu erschließen.

DAS TREFFEN KADAR-TITO. Wie erst nachträglich bekannt wurde, trafen Janas Kadar und Marschall Tito einander in Karageorgevo in der Vojvodina, nicht weit von der ungarisch-jugoslawischen Grenze, auf jugoslawischem Staatsgebiet. In Begleitung der beiden Parteichefs — denn auch Tito war bei dieser Begegnung vermutlich daran gelegen, wohl als höchster Funktionär der Partei, aber nicht als Staatschef angesprochen zu werden — befanden sich von jugoslawischer Seite der bisher scharfsinnigste Kritiker der Niederwerfung der ungarischen Revolution, Außenminister Edvard Kardelj, und Innenminister Ran-kovic, von den Ungarn zwei Parteisekretäre, unbedingte Anhänger Kadars. Der Zeitpunkt der Veröffentlicnung, der mit den bedeutsamen Aenderungen an der Regierungsspitze in Moskau zusammenfällt, und der Umstand, daß ungarischjugoslawische Begegnungen in den letzten Jahrzehnten fast immer unmittelbar vor politischen Schicksalswenden stattfanden — die dann auch diese Begegnungen selbst in einem merkwürdigen Zwielicht erscheinen ließen —, lassen aufhorchen. Vielleicht ist es nicht unnütz, in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß die engere Verbindung mit dem Balkan und somit die Ausrichtung der Außenpolitik auf Nord-Süd anstatt West-Ost stets zum politischen Ideenreservoir der besten Köpfe in Ungarn gehörte: schon im Mittelalter, vor dem Vordringen der Türken und der dadurch bewirkten Verbindung mit Habsburg, und dann erst wieder konkreter in neuester Zeit, angesichts des wachsenden deutschen Druckes im Donauroum. Aber man erinnere sich: dem Freundschafts- und Nichtangriffspakt zwischen Ungarn und Jugoslawien folgte blitzartig der Einmarsch der Hitler-Truppen in Jugoslawien, und zwar, infolge Verrates aus ungarischen Offizierskreisen, auch durch ungarisches Gebiet, wodurch Ungarn erst de facto Kriegführender an der Seife Deutschlands wurde. Und die Szene wiederholte sich — fast, als die Balkanföderation Titos feste Konturen gewann und der Ungar Laszlo Rajk hierbei eine immer bedeutendere Rolle zu spielen begann. Der alte Stalin wollte zuschlagen — doch bei ihm reichte es nur mehr zu einer zeitweiligen Isolierung Jugoslawiens uncLzur völligen Gleichschaltung der anderen, mit dem Ergebnis, daß Jugoslawien ein Faktor der Weltpolifik wurde und in Ungarn acht Jahre später die Revolution ausbrach. (Am Tage des Ausbruchs der Revolution kehrte die ungarische Partei- und Regierungsdelegation von Tito nach Budapest zurück .. .) Nun hat Chruschtschow anscheinend ein anderes Konzept, und das Gespräch zwischen Ungarn und Jugoslawien kann wieder beginnen. Wie das Konzept laufet, weiß man nicht. Eines ist sicher: der Weg, der zu seiner Verwirklichung führen soll, wird dorn;g sein.

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