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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DIE WARNUNG. Regenfälle, wie man sie in unserem Land seit vielen Jahrzehnten nicht erlebt hat, haben Schäden angerichtet, deren Ausmaß und Tragweite noch nicht zu übersehen sind. Hunderte von Menschen haben in den Fluten Haus und Heim verloren, Tausende ihr gesamtes bewegliches Hab und Gut eingebüßt; ungezählte Felder und Wiesen sind durch Vermurung oder Abschwemmung des Erdreiches für lange Zeit oder für immer jeder wirtschaftlichen Nutzung entzogen; die Verluste, die das Volksvermögen durch die Zerstörung von Straßen, Brücken und anderem öffentlichen Gut erlitten hat, gehen in die Hunderte von Millionen. Und nicht nur das. Wolkenbrüche, Hagel und anhaltende Nässe haben in weiten Gebieten, wo heuer eine weit über dem Durchschnitt liegende Ernte erwartet worden war, eine völlige Mißernte verursacht. Daher werden große Einfuhren, besonders an Brotgetreide; und damit starke Entnahmen aus unserem Devisenschafz und eine weitere Belastung unserer ohnedies sehr ungünstigen Handelsbilanz erforderlich sein, um das Defizit an Lebensmitteln zu decken, während anderseits die Steuereingänge und sonstige Einnahmen des Staates eine empfindliche Schmälerung erfahren werden. Aus alledem ergibt sich ein Bild, welches zur Warnung dienen sollte; jedem, der da glaubt, einen selbstverständlichen Anspruch auf stetig steigende Lebenshaltung zu besitzen, wie allen denen, die in bedenkenlosem Vertrauen auf ein automatisches Wachstum des Sozialprodukts keine Grenze kennen in der Erfindung stets neuer Forderungen, die sie an die Finanzkraft des Staates, also an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Volkseinkommens stellen. Prosperität ist ein Segen, den uns die Natur nicht garantiert, und der uns, ungeachtet der schönsten Planungen, jederzeit entzogen werden kann.

FERN VON ILLUSIONEN. In einer vielbeachteten Rede zum Abschluß des diesjährigen Diplomatenseminars im Schloß Kle.ßheim in Salzburg sprach Oesterreichs neuer Außenminister über aktuelle Fragen der Weltpolitik und über Oesterreichs Rolle im Zusammenspiel der weltpolitischen Kräfte. Oesterreich sei in der Zeit der interkontinentalen und interplanetarischen Verbindungsmöglichkeiten keine „Brücke" mehr. Diese seine Funktion sei nur noch „eine Angelegenheit der Geschichte”. Als neutraler Staat könne jedoch unser Land in der Zeit des großen Gleichgewichtes und der großen Gegensätze zu einem gelegentlichen Berührungspunkt werden, wie er sich zum Beispiel durch die 'Niederlassung der Atomkontrollbehörde in Wien ergeben würde. Als weitere Aufgaben kommen noch hinzu: die Aufrechterhaltung der politischen Stabilität innerhalb der Grenzen und die Bemühung um friedliche Kontakte mit den Nathbarn. Die Ausführungen Dr. Kreiskys legten Zeugnis von dem Bestreben der österreichischen Außenpolitik ab, Aenderungen in den Grundsätzen und in den Methoden, die sich heute in den großen Machfzenfren der Welt anzubahnen beginnen, auch ihrerseits mitzuvollziehen.

FIEBERHAFTE GESCHÄFTIGKEIT. Der ganz auf die bevorstehenden Reisen Eisenhowers und Chruschtschows umgestellte Nachrichtenapparat der großen Agenturen und Zeitungen läuft bereits auf vollen Touren, bevor sich noch etwas ereignet hat. Die ihre letzten Ur- laubsfage verbringenden Staatsmänner werden daher auf Schritt und Tritt verfolgt und beschattet. Gerüchte schwirren in der Luft und stiften Unruhe. Die unbestätigte und wohl auch nur wenig glaubwürdige Nachricht von dem angeblichen „Korridorplan" Chruschtschows ist ein bezeichnendes Beispiel dafür. Demnach bekäme die Bundesrepublik Wesf-Berlin und einen Korridor dazu und die Alliierten zögen aus Berlin ab. Sämtliche. interessierten Mächte distanzierten sich von diesem „Plan’, der somit im luftleeren Raum hängen blieb. Aehnlich verhielt es sich mit dem Besuch des italienischen Ministerpräsidenten bei Bundes- ' kanzler Adenauer an dessen Urlaubsort am Comer See. Journalisten, die gerne das Gras wachsen hören, konstruierten im Handumdrehen eine „sich abzeichnende" Bonn-Paris-Rom- Achse gegenüber der „angelsächsischen Front”. Es kam dann jedoch bloß zu einem kurzen Gespräch zwischen Adenauer und Segni, zu einem Höflichkeitsbesuch, dem auch keine Experten beiwohnten. Die „Blockbildung der kontinentalen Verbündeten Amerikas blieb aus, Eisenhower erwarten freie Gesprächspartner ohne gebundene Marschroute.

ZEHN JAHRE SPATER. Am 20. August, dem traditionellen St.-Stephans-Tag des alten Ungarn — seit Maria Theresia durch eine Prozession mit der Reliquie des Begründers des ungarischen Königreiches gefeiert —, feierte nun die Volksdemokratie in unserem östlichen Nach barland ihren 10. Geburtstag, als Tag der neuen Verfassung, die eben vor zehn Jahren verkündet wurde. In diesem Grundgesetz stehen Bestimmungen über die „persönliche Freiheit und Unverletzlichkeit der Bürger", die „Achtung des Briefgeheimnisses und der Privafwohnung”, die „Sicherung der Gewissensfreiheit, der Rede- und Pressefreiheit (letztere allerdings nur „im Interesse der Werktätigen ), die eines modernen Rechtsstaates würdig wären, wenn man sie einhielte. Die Festredner des 10. Jubiläums beschäftigten sich jedoch nicht mit dieser Frage, sondern vor allem mit jenen Abschnitten derselben Verfassung, welche van der „Diktatur des Proletariates" sprechen, die sie als eine notwendige Form der Volksherrschaft in der Ueber- gangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus" bezeichnen. Diese Periode, und mit ihr die „Diktatur des Proletariates", dauert also in Ungarn noch an... In diesem Lichte gesehen, haben die im Westen im Zusammenhang mit den Volksdemokratien meisfdiskutierten Fragen des Abzuges der Sowjettruppen und der Stacheldrahfgrenze eine nur untergeordnete Bedeutung. Die ungarische Armee sei „stark genug", um das Land auch ohne sowjetische Hilfe gegen die „Feinde Ungarns’ zu verteidigen, und der Eiserne Vorhang sei ohnehin nur eine „Erfindung der Kapitalisten": „Unsere Tore stehen weit offen... Wenn die Leute nun durch das Tor hereinkommen können, warum ziehen sie es dann vor, über den Drahtverhau zu klettern? Man sieht, der Redner, Parteichef Kädär höchstpersönlich, hält unbeirrt an der alten Sprachregelung fest. Und er muß wissen, warum.

JUGOSLAWIEN WILL MITSPIELEN. Anderen europäischen größeren und kleineren Mächten darin nicht unähnlich, sieht auch Jugoslawien, die jugoslawische Regierung, in den sich anbahnenden Gesprächen „über den Köpfen" die akute Gefahr der eigenen Abwertung. Und es gibt Anzeichen, die darauf schließen lassen, Marschall Tito werde den Weg nach Washington diesmal wagen und sich nicht, wie vor zwei Jahren, von unfreundlichen Pressekommenfaren von drüben stören lassen. Könnten sich aber seine Erwartungen, die er, die Rolle eines guten Maklers zwischen Moskau—Washington betreffend, angeblich hegt, erfüllen? Man darf nicht vergessen, Moskau hat sich dieser Möglichkeit, die sich ihm nach der Versöhnung Tito—Chruschtschow 1956 von selbst bot, nie bedient. Ja mehr noch, gerade seither geriet Belgrad, besonders auf dem Balkan, in eine gewisse Isolierung, woran auch die ausgedehnten Reisen des Marschalls in exotische Länder'nur wenig änderten. Heute ist Jugoslawien noch immer jenes kommunistische Land, in welchem, im Vergleich zu den anderen, die größte Freiheit herrscht — aber als Schrittmacher im Ostblock gelten Warschau und heute oder morgen vielleicht schon Moskau, während Belgrad seit 1956 selbst auf nähere Kontakte mit Budapest verzichtet... Es gilt also auch für Tito: die Staatsmänner Europas müssen heute vielleicht mehr als je ihre Grenzen — aber auch ihre Möglichkeiten — wahrnehmen.

KASSEM GIBT NEUE RÄTSEL AUF. General Kassem sei weder ein Nationalist, „ja nicht einmal” ein Kommunist: er sei Anhänger seiner eigenen Person, und sein Glaubensbekenntnis heiße Kassem. Diese Verhöhnung des irakischen Ministerpräsidenten in dem Kairoer Regierungsblatt „AI Ahram” ruft in Erinnerung, daß Kassem zu allen seinen Problemen im Lande nun auch noch einen nicht ungefährlichen Feind in der näheren Umgebung hat: Nasser, mit seiner Vereinigten Arabischen Republik. Den Auftakt zu dieser nunmehr offenen Stellungnahme Kairos bildeten die sich immer mehr häufenden höchst makabren Vorkommnisse im Irak selbst. Nach neuen Todesurteilen gegen Offiziere, die sich der „nationalistischen Rebellion” schuldig gemacht haben, meldete man plötzlich die Entdeckung einer weitverzweigten kommunistischen Verschwörung, deren Ziel es gewesen sei, die nördlichen Provinzen des Landes von der Hauptstadt Bagdad abzutrennen. Es ist offensichtlich, daß Kassem versucht, zwischen Kommunisten und Nationalisten — in Oesterreich würde man sagen „Nationalen", weil es sich ja dabei um offene und versteckte Anhänger Nassers und seines Reiches handelt — den Weg eines unabhängigen arabischen Staates zu finden und so dem Schicksal Syriens zu entgehen. Die Kommunisten erweisen sich dabei als schlechte Verbündete. Noch immer besetzen sie Schlüsselpositionen und schüren — etwa durch willkürlich gefällte Todesurteile — den Unwillen der Bevölkerung. Kassem wird es immer schwerer haben und doch wohl am Ende dieser oder jener Seife Konzessionen machen müssen, die dann ihn selbst in Frage stellen.

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