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Randbemerkungen zur woche

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EIN EREIGNIS GANZ UNGEWÖHNLICHER ART wurde die Salzburger Tagung der Volkspartei durch die Manifestationen, die den Beschluß der aus allen Bundesländern versammelten Sendboten der größten Partei begleiteten, Landeshauptmann Dr. Gleißner als Präsidentschaftskandidaten auf den Schild zu erheben. Männer des öffentlichen Lebens, deren Erinnerungen weit zurückreichen, äußerten, man müsse an die Lueger-Zeit zurückdenken, um einen Vergleich für die außerordentlichen Kundgebungen zu finden, unter denen sich die Promulgation dieses Präsi-dentschaftsvorschlages vollzog. Durch eine halbe Stunde umwogten den Erkorenen unbeschreibliche Stürme der Begeisterung, junge Delegierte hoben Dr. Gleißner auf die Schultern und trugen ihn unter jubelnden Zurufen durch die enthusiastisch hingerissene Menge. Die ausländischen Gäste verfolgten sichtlich ergriffen die historische Szene, derer sie Zeuge waren. In der Geschichte der österreichischen Demokratie wird diese erhebende Dokumentation des Volkswillens denkwürdig bleiben.

DER SALZBURGER TAGUNG DER VOLKSPARTEI lagen 181 Anträge aus den verschiedenen Bundesländern vor, 27 behandelten innerpolitische Angelegenheiten, mehrere davon die Probleme der Heimatvertriebenen und Volksdeutschen; unter den 57 Anträgen wirtschaftspolitischer Natur beschäftigten sich 10 mit der Wohnungswirtschaft; der Kommunalpolitik waren 9 Anträge zugewendet und 5 Fragen der Parteiorganisation. Eine starke sozialpolitische Regsamkeit äußerte sich in 43 Anträgen, von denen 7 in das Gebiet der Sozialversicherung und Reform des Krankenkassenwesens zielten, und nicht weniger als 17 die Jugendfürsorge (Lehrlingswesen, Berufsausbildung, Kinderbeihilfe für Kleinbauern, Arbeitsdienst, Landjahr, die soziale Lage der Jungakademiker, Jungärzte und Rechtspraktikanten) betrafen. In den kulturpolitischen Bereich fielen 18 Anträge; sowohl aus Salzburg wie aus Oberösterreich und Kärnten lagen Forderungen nach endlicher Ordnung des Eherechtes im Sinne der bereits aufgezeigten Möglichkeiten einer zwischen Staat und Kirche einverständlichen Lösung vor. Die Schulgesetze betrafen 6 Anträge (aus Burgenland, Kärnten, Oberösterreich, Steiermark und von der „Jungen Front“). In die Außenpolitik reichte nur ein aus Oberösterreich eingebrachter Antrag; er galt der Förderung der Europabewegung.

DIE VERTRIEBENEN- UND FLÜCHTLINGSFRAGE IN ÖSTERREICH dürfte, soweit es sich um die Volksdeutschen handelt, um ein bedeutsames Stück der Lösung nähergekommen sein. Die weitestgehenden Zusagen sind, wie der gemeinsamen Sitzung des Ministerkomitees und des Flüchtlingsbeirates zu entnehmen ist, auf sozialrechtlichem Gebiete gemacht worden. Ausgenommen in der Frage des Mutterschutzes sind die Volksdeutschen in dieser wichtigen Rechtssparte der österreichischen Bevölkerung nahezu gleichgestellt. Für die arbeitsrechtliche Gleichstellung haben sich die österreichischen Gewerkschaften erfreulicherweise der Linie der internationalen Gewerkschaften, wie sie in Genf bei der Behandlung der Flüchtlingsfrage im Ad-hoc-Komitee des Wirtschafts- und Sozialrates der UN zu Worte kamen, nahezu angeschlossen. Ausnahmen und gewisse Opfer legte man den in der Landwirtschaft Beschäftigten und den Angestellten auf. Daß die Volksdeutschen Akademiker zusammen mit den ehemals selbständigen Landwirten weiterhin Stiefkinder bleiben, ist bedauerlich. Die Hilfe für die Akademiker scheitert an der Nostrifikations-müdigkeit der Dekanate, und für die wirtschaftliche Eingliederung der Kolonistenbauern geschieht so gut wie nichts. Das bevölkerungspolitische Unglück, das daraus auch für unsere Landwirtschaft entsteht, wird sich erst in einigen Jahren ausdrücken, wenn die geburtenreichen Jahrgänge den geburtenarmen Platz machen. Trotzdem können die erwähnten ministeriellen Zusagen als schöner Teilerfolg auf dem Wege zur endgültigen Bereinigung der Volksdeutschenfrage gewertet werden.

AN DER DEUTSCHEN NORDSEEKÜSTE wird jetzt Ausschau nach Uferstreifen gehalten, passenden Sandbänken für einen modernen Hexensabbat schwerer Schiffs-artillerie und wohladjustierter Flugzeugbomben neuester Erfindung. Denn man ist auf der Suche nach einem Ersatz für Helgoland, den. roten Sandsteinblock, auf den fünf Friedensjahre lang die Hagelschläge glühenden Stahls bei den Exerzitien der britischen Flotte hämmerten. Was von dem kleinen deutschen Eiland in Jahresfrist noch übriggeblieben sein wird, das ist dann der jüngsten Bonner Absprache zufolge an Deutschland zurückzugeben. Den Ersatz gedenkt man an der ostfriesischen Küste und den Sandbänken etwa vor dem Jadebusen oder sonstwo in dieser. Gegend deutscher Nordseeküste zu finden, Leicht wird der Platz in diesem gut besiedelten Inselbereich nicht zu ermitteln sein, dessen fleißige Bevölkerung genug vom Kriege weiß, um ihn selbst im Frieden zu hassen. Doch warum muß man an Nachbars Ufern Feuer speien, da man es in den britischen Heimatgewässern einfacher besorgen kann? Denn im britischen Heimatbereich gibt es in Massen Helgolandersatz an unbewohnten Inseln. Es gehören zu den

davon unbewohnt Orkney-Inseln 90 60

Hebriden über 500 400

Shetland 107 83

Die Auswahl muß — so sollte man meinen — die verwöhntesten Ansprüche beifriedigen. Nebenbei kommt außer dem guten Schußfeld noch einiges in Betracht. Man sollte es um eines ganzen Volke* willen an Helgoland genug sein lassen.

„MIT WELCHER FRANZÖSISCHEN. REGIERUNG SOLL ICH FÜHLUNG NEHMEN? Es gibt ja wieder einmal keine“, soll Mussolini an jenem schicksalhaften 11. März 1938 gesagt haben, als man ihm nahelegte, gemeinsam mit Frankreich dem drohenden Einmarsch Hitlers in Österreich entgegenzutreten. Am selben Tag war in Paris die Regierung Chautemps gestürzt worden. Die fatale Tradition, daß in weltpolitisch wichtigen Momenten Frankreich fast regelmäßig mit einer innerpolitischen Regierungskrise aufwartet, hat die „Vierte Republik“ anscheinend von der „Dritten“ übernommen. Die jetzt eben gestürzte Regierung Pleven — die fünfzehnte seit der Wiedererrichtung der Republik im Jahre 1944! — wurde nach einer langen Krise im vergangenen Juli gebildet, als eben der Ausbruch des Koreakonflikts die Welt in Spannung und Sorge versetzte. Wie wenigen unter ihren Vorgängern ist es dieser Regierung mit dem bedächtigen, nüchternen und verantwortungsbewußten Pleven an der Spitze und dem bedeutenden Schuman als Außenminister gelungen, Frankreichs Prestige und weltpolitisches Gewicht zu erhöhen. Die Begegnung mit Truman in Washington, die Konferenz von Santa Margherita mit den italienischen Staatsmännern Degasperi und Sforza, die Pariser Besprechungen über Schuman- und Pleven-Plan — um nur die wichtigsten Punkte herauszugreifen — haben die wichtige Rolle Frankreichs im politischen Geschehen in Europa in dieser Zeit klar hervortreten lassen. Um so peinlicher war daher der plötzliche Sturz der Regierung über die innerpolitische Frage der Wahlrechtsreform in einem Augenblick, der schon im Hin* blick auf die Pariser Vorkonferenz für die geplante Viererkonferenz zwischen Ost und West ungestörte Handlungsfähigkeit aller beteiligten Regierungen verlangt hätte.

DER MAROKKANISCHE ECKPFEILER des nordafrikanischen Imperiums der Union Francaise ist ins Wanken gekommen. Die nationalarabische Bewegung, die in Tunis erst kürzlich sehr erhebliche Fortschritte auf dem Wege zur Selbständigkeit des Landes errungen hat und der die Errichtung eines unabhängigen Staates Libyen gelungen ist, hat auch vor den Toren des Scherifenreiches nicht haltgemacht. Die Zahl ihrer Anhänger in Marokko wird allerdings nur auf 50.000 geschätzt, denn im allgemeinen ist die Bevölkerung mit der durch die französische Protektoratsmacht geschaffenen wirtschaftlichen Besserstellung zufrieden. Nicht umsonst hatte Marokko durch mehr als ein Jahrzehnt in der Person des Marschalls Lyautey einen der fähigsten Prokonsuln, dessen Wirken nur dasjenige Lord Cromera in Ägypten zur Seite gestellt werden kann. Die marokkanische Nationalistenpartei (Istiqlal) erfreut sich aber der Protektion des Scherifen Sidi Mohammed Ben Jussef selbst, der bei seinem letzten Pariser Besuch Forderungen vorbrachte, welche die französische Regierung nicht erfüllen wollte. Trotz aller äußeren Ehren, die dem verbündeten Herrscher erwiesen wurden, erblieb zwischen Frankreich und diesem, eine Spannung, die jetzt durch einen Theatercoup gelöst wurde. Der mächtigste Provinzherr des Landes, der Pascha von Marrakesch, als Berber in unversöhnlichem Gegensatz zur arabischen Scherifendynastie, drohte mit seinen Privattruppen gegen seinen Landesherrn zu ziehen, wenn sich dieser nicht den Franzosen füge, in denen er das notwendige Gegengewicht gegen den Scherifen erblickt. Der Pascha von Marrakesch hat damit in die große Weltpolitik eingegriffen. Nun aber nimmt die arabische Liga für die marokkanischen Nationalisten Partei und die Lage im Scherifenreich ist wieder undurchsichtig geworden.

Die „Patriotischen“

An Gefallenen und Überläufern im schweren Ringen gegen Gewalt und Li6t fehlt es nicht. Unter dem Titel „Patriotische Priester“ — sagt die zitierte Denkschrift —; „werden in den Äußerungen der Regierung die Geistlichen zusammengefaßt, die mit der Regierung zusammenarbeiten wollen. Es handelt sich bei dieser Vereinigung tatsächlich um solche Priester, die schon seit langem im Widerstreit zu ihren sittlichen und kirchenrechtlichen Pflichten stehen. Einige von ihnen sind mit kirchlichen Zensuren behaftet. Die Aufgabe, das kirchliche Leben in Polen solchen Menschen anzuvertrauen, heißt die kirchliche Autorität vor der katholischen Bevölkerung bloßstellen wollen, die ihre Priester kennt und weiß, wem sie sich anvertrauen daTf. Die sogenannten

patriotischen Priester gehen eine Zeitschrift heraus unter dem Titel: .Stimme des Priesters', sie führt einen planmäßigen Kampf gegen den Apostolischen Stuhl und die Bischöfe, verbreitet falsche sittliche und religiöse Anschauungen, untergräbt die kirchliche Disziplin und will unter dem Klerus die Häresie und das Schisma fördern. Es ist schwer, vom Klerus und vom Episkopat zu verlangen, daß er von solchen Menschen lernt, was die Pflichten des Bürgers sind. Auf dem ersten .Friedenskongreß' bediente man sich eines solchen Priesters, um den Hl. Vater anzugreifen. Menschen, die sich für solche Zwecke anwerben lassen, müßten selbst von ihren Auftraggebern verurteilt werden.“

„Eine eigentümliche Neuerung“

Als eine der traurigsten Angelegenheiten in der gegenwärtigen Lage der Kirche in Polen bezeichnet das Dokument „die große Zahl von Priestern, die in gerichtlicher Untersuchung stehen, verhaftet, ohne jeden Urteilsspruch eingekerkert oder verurteilt sind zu vielen Jahren Gefängnis. Viele Priester wurden direkt von den Kirchen, von den Beichtstühlen, aus dem Kreis von Jugendlichen, die auf die Beichte warteten, abgeführt. Das ist eine eigentümliche Neuerung unseres Lebens. Die Uber-wachung macht auch nicht halt vor den Bisehöfen, die während ihrer pastoralen Reisen, bei Kongressen und Besuchen von Zehnerschaften von Spionen umgeben sind. Eine der Angelegenheiten, die in der gegenwärtigen religiösen Lage größte Besorgnis weckt; sei die der Klöster. Be-

raubt ihrer erzieherischen ATbeit und Liebestätigkeit, beraubt des Restes ihrer Güter, gepeinigt durch Inhaftsetzungen und Kommissionen jeder Art, leben die Klöster in Polen in einer Lage von außergewöhnlicher Ungerechtigkeit.“

Die vorstehenden auszüglichen Darlegungen aus der feierlichen Rechtsverwahrung des polnischen Espikopats an den Staatspräsidenten lassen dieselben Methoden erkennen, die der Kommunismus in anderen Volksdemokratien bereits bis zur höchsten Steigerung praktiziert. In Polen gibt es einen Unterschied: hier sucht man noch hinzuhalten, Verständigungsmöglichkeiten vorzutäuschen, nach und nach zu zermürben, wo man vor einem beschleunigten Tempo, vor heftigeren Vorstößen zurückschreckt, weil man noch die Volksstimmung fürchtet und auf

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