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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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NICHT DREI MILLIARDEN SCHlULING hat die Republik an Steuerrüokständen zu beklagen, wie man während der letzten Budgetdebatte mit anklagenden Seitenblicken rechts und links behauptete. Nein, es ist nicht so arg, versichert eine detaillierte Aufstellung nach komplizierten mathematischen Operationen, die nicht nachprüfbar sind. Nein, nicht drei, sondern „nur” eine Milliarde und fünfhundert Millionen gelten als „echter Rückstand”, den man in den Rauchfang schreiben kann. Von diesen eineinhalb Milliarden entfallen auf die verstaatlichten Betriebe 427,8 und auf die Ausfria Tabakwerke 195 Millionen. Der Rest „bedeutet also, dafj auf die Privatwirtschaft nur rund 850 Millionen an echtem Steuerrüokstand entfallen”. Sehr rund gerechnet, denn wer sich die Mühe gibt, zu addieren- und zu subtrahieren, kommt immerhin auf 877,2 Millionen. Der Arbeiter und Angestellte, dem pünktlich am Ersten seine Lohnsteuer abgezogen wird, steht mit einem trüben Auge auf solche Rechenexempel. Aber ouch der einen freien Beruf Ausübende, dem sein Finanzamt jede Postanweisung unter die Nase reibt, macht sich seine Gedanken über die „echten Rückstände” in einer konjunkturell seit Jahren überaus begünstigten Wirtschaft.

DISZIPLIN UND ANDERES. Die fremden Offiziersdelegationen, die zur Wiedereröffnung unserer Theresianischen Militärakademie geladen waren, zeigten sich von dem ihnen dort und fags darauf bei einer Uebung kombinierter Waffen gebotenen militärischen Schauspiel hoch- befriedigt. Nicht nur in offiziellen Ansprachen, auch in privaten Kreisen gaben Mitglieder dieser Abordnungen ihrer Anerkennung des guten Auftretens, der strammen Haltung, des offensichh- liehen Diensteifers unserer Truppen beredten Ausdruck. Ihr Urteil würde kaum so günstig gelautet haben, hätten sie Gelegenheit gehabt, auch der nahezu kriegsmäßigen „Felddienstübung beizuwohnen, die von rund einem Hundert unserer jungen Heeresangehörigen auf eigene Faust in Tulln absolviert wurde. Man darf nicht verallgemeinern und über diesen, das Ansehen des Bundesheeres schwer schädigenden Exzeß nicht vergessen, daß die überwiegende Mehrzahl unserer Rekruten eifrig bestrebt ist, die Pflichten eines österreichischen Soldaten zu erlernen und getreulich zu erfüllen. Aber die Fälle grober Disziplinlosigkeit und Insubordination sind bereits zu häufig geworden, als daß es anginge, die Frage der notwendigen Novellierung unserer Wehrgesetzgebung auf die lange Bank zu schieben. Dringend wäre vor allem die Schaffung der finanziellen Grundlage, um die Heranbildung des heute fehlenden Korps tüchtiger, läng’erdienender Unteroffiziere zu ermöglichen. Nicht weniger dringend wäre eine Ausweitung des in seinem gegenwärtigen Umfang unzureichenden Disziplinarsfrafrechts der Truppenkommandanten. Und auch der Frage einer Verlängerung der Präsenzdienstpflicht, die heute theoretisch neun, praktisch aber kaum acht Monate beträgt, wird man nähertreten müssen; gleich, ob es in bestimmte parteipolitische Konzepte paßt oder nicht. Eines könnte gleich geschehen: so selbstverständlich es ist, daß Offiziere und Unteroffiziere Zivrlerlaubnis haben, den Jungmännern könnte es nicht schaden, in dieser Zeit nur in Ausnahmefällen aus der Montur entlassen zu werden.

DIE NEUE XRA in Rom wurde durch die Gestaltung der Weihnachtstage eindrucksvoll demonstriert. Die Weihnachtsbotschaft des Papstes Johannes XXIII. enthält neben einer Reihe von Elementen, welche die Kontinuität betonen: Ehrung des Werkes und Willens des Papstes Pius XII., Hinweis auf die bedrohte Lage der Kirche in China und die Versklavung des Menschen in atheistischen Lagern, notwendige Verteidigung der christlichen Grundsätze gegen jene, „welche noch mehr die Feinde Gottes sind als unsere Feinde”, einige neue Momente, die aufhorchen lossen. Da Isf es vor allem der Appell an die Ostkirche; die Einung der Welt soll durch die Einigung der getrennten Christen unterstützt werden. Popst Johannes XXIII. erinnert an Bemühungen orthodoxer Krrchenmänner vor einigen Jahrzehnten um eine Verständigung zwischen den verschiedenen christlichen Bekenntnissen. Diese sind zunächst gescheitert, die Christen sind nach wie vor gespalten: „Die Traurigkeit dieser schmerzlichen Tatsache wird nach wie vor Unsere Bemühungen nicht beeinträchtigen, Unsere liebevolle Einladung an jene Angehörigen Unserer Brüder in Christo zu richten, die ebenfalls den Namen Christi tragen, Sein Heiliges Evangelium lesen und die göttliche Eingebung der religiösen Gottesfurcht und der wohltätigen und gesegneten Barmherzigkeit wahrnehmen. “ Barmherzigkeit: „Liebevolle Barmherzigkeit unseren bedürftigen und kranken Brüdern gegenüber”, dieses Wort der Papstbotschaft zur Weihnacht 4 958 machte Johannes XXIII. in Rom selbst eindrucksvoll und beispielgebend wahr, indem er die beiden Weihnachtstage dem Besuch zweier Krankenhäuser, des römischen Stadtgefängnisses und der Audienz gebrechlicher und gelähmter Kinder widmete.

EUROPAS NEUE WXHRUNOSORDNUNG. Am 29. Dezember 1958 trat die bedeutendste währungspolitische Operation in Europa seit der gemeinsamen Abwertung im Jahre 1949 in Kraft: die sechs Partnerländer des Gemeinsamen Marktes, der diese Woche beginnt, also Deutschland, Frankreich, Italien, Holland, Belgien und Luxemburg, dazu Großbritannien, Norwegen, Schweden und Dänemark haben die Konvertibilität ihrer Währungen erklärt: die freie Umtauschbarkeit in alle anderen Währungen der Welt einschließlich der harten Währungen wie Dollars und Schweizer Franken. Diese Konvertierbarkeit gilt aber bis auf weiteres nur für Guthaben von Ausländern, da der Stand der Währungsreserven die volle freie Umtauschbarkeit für Guthaben von Inländern noch nicht zuläßt. Gleichzeitig wertet Frankreich seinen Franc um 17,5 Prozent ab und führt ein scharfes Spariam- keifsprogramm ein, um die Staatswirtschaff gründlich zu sanieren. Die politischen und wirtschaftlichen Folgen dieser Maßnahmen lassen sich nicht so bald übersehen. Für den Oesterreicher verdienen zwei Momente erste Beachtung: der Schilling läßt mit seiner 110pro- zentigen Deckung durch Gold und Devisen, als eine harte Währung, der Regierung von sich aus die Hände frei: zu einem Anschluß an dieses Abkommen wie auch zu einem eigenständigen Verbleiben. Politisch verdient die neue westeuropäische Währungsordnung höchste Beachtung als ein Unternehmen, um den Anforderungen nicht zuletzt des afrikanischen Marktes und dem Druck und der Konkurrenz des Ostblocks auf den Weltmärkten entgegenzutreten. Hier ist eine Dynamik entbunden worden, die weitreichende, wohl positive Konsequenzen für die Einigung Europas in sich trägt.

FRIEDENSBOTE. Oeffentliches Auftreten pro- noncierter Katholiken erregt in den skandinavischen Staaten, in denen bis vor kurzem die Katholiken unter Ausnahmegesetzgebung und starker Verkürzung ihrer staatsbürgerlichen Rechte standen, immer beträchtliches Aufsehen. So sah in diesen Tagen Oslo einer Festrede in der Aula der Osloer Universität mit einiger Spannung entgegen. Redner war Pater Dominique Georges Pire, der soeben den Friedensnobelpreis in Stockholm erhalten hatte. Um die Wirkung dieser Rede zu verstehen, muß man wissen: In Skandinavien blühen Pessimismus und Kriegsangst, die Sorge, dem russischen Druck nicht gewachsen zu sein. Da sagte also Pater Pire: „Menschliches Verstehen ist bedeutend wichtiger als eine Mondrakete. Ich glaube, daß die Well im Geistigen fortschreitet, wenn auch langsam. Es ist ein Fortschreifen um jeweils etwa drei Schritte vorwärts und zwei Schritte zurück. Seien Sie nicht durch Massenbewegungen und Statistiken geblendet. Lieben Sie Ihren Nachbarn„ wie Sie sich selbst lieben. Was die Einzelperson nicht allein zu tun vermag, kann der vereinte gute Wille von zahllosen Personen leisten. Auch die Menschen, die hinter dem Eisernen Vorhang leben, sind unsere Brüder und haben sogar noch ein größeres Bedürfnis nach Verstehen und Sympathie als wir. Ich möchte ihnen allen, ihren Führern wie auch den Geringsten unter ihnen, sagen: Brüder aus dem Osten, Brüder aus Asien, ich liebe euch und bin Bereit, für einen jeden von euch mein Leben zu geben. Ob ihr es glaubt oder nicht, liebe Freunde, helft mir, wahre Freundschaft unter den Völkern zu schaffen.” Diese Adventbotschafl Pater Pires von Oslo sollte doch auch andernorts gehört werden.

CHRUSCHTSCHOWS GRIFF NACH DER JUGEND. Der bisherige Erste Sekretär des Komsomol, Alexander Scheljepin, vierzig Jahre alt, wurde zum Chef des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes ernannt. Gleichzeitig hat der Oberste Sowjet während der Weihnachtsfage die Gesetze für die Schulreform und ein neues Strafgesetz sowie Maßnahmen zur Umgestaltung der Justiz gebilligt. In drei bis fünf Jahren soll die Schulreform durchgeführt werden: jeder sowjetische Jugendliche muß in irgendeiner Form körperlich arbeiten. Berufsarbeit und Studium sollen eng verbunden werden, wobei dem Fern- und Abendstudium erhöhte Bedeutung zukommt. Die gesamte Jugend soll stärker als in den letzten Jahren gesellschaftlich, politisch, parteimäßig erfaßt werden. Diese Bemühungen werden auch beleuchtet durch eine gleichzeitige Mitteilung des Präsidenten des Obersten sowjetischen Gerichtshofes, Gorkin, daß 90 Prozent der geringfügigen Vergehen und Verbrechen auf das Konto der „Halbstarken” gehen. Die Jugend entglitt in den letzten Jahren zunehmend dem Staat, der Partei, der Gesellschaft. Die neue Strafrechtsreform geht von dem Grundsatz aus: die Rechte des Staates und der Bürger sind gleichermaßen zu schützen. Kein Sowjetbürger kann künftig zum „Feind des Volkes” erklärt werden, kann nunmehr für Verbrechen verurteilt werden, die im Gesetz nicht ausdrücklich genannt sind. Die Last der Beweisführung liegt in Hinkunft beim Ankläger und nicht mehr beim Angeklagten. Chruschtschow sucht sich durch die Gesetzesfluf, die mrt der Schulreform und Strafrechtsreform zusammenhängt, zwei Schichten der Bevölkerung zu gewinnen, auf die es-in der Zukunft ankommf: die Jugend (mit sanftem und hartem Zwang) und jene breiten Schichten von Spezialisten, Technikern, Intelligenzberufen, die Rechtssicherheit für ihre Person suchen. Zwei ungeheuer große Aufgaben, die klar gesehen von wirklicher Lösung aber noch weif entfernt sind.

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