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II. EIN NEUER MORGEN?

Unlängst schloß ein südamerikanischer katholischer Laienkongreß mit dem immerhin verheißungsvollen Satz: „Ein neuer Tag dämmert heraufI“ Man mag einen solchen Optimismus im Moment vielleicht noch nicht teilen. Trotzdem, er ist nicht ganz unbegründet.

So gründete 1955 die erste (!) allgemeine lateinamerikanische Bischofskonferenz, die während des Eucharistischen* Kongresses in Rio de Janeiro tagte, ein ständiges Sekretariat in Bogota (CELAM). Seither hat sich einiges getan. Natürlich tönt einem in den Untersuchungen dieses Teams auch zunächst das Leit- und Leidmotiv aller Südamerikaberichte entgegen: der Priestermangel.

Die ersten Nachforschungen haben bereits ergeben, daß die 600 Theologen, die durchschnittlich jedes Jahr geweiht werden, kaum ausreichen, um auch nur den jährlichen Bevölkerungszuwachs seelsorglich zu erfassen, geschweige denn die Lücken zu füllen. Die ersten Werbekampagnen hatten stellenweise Erfolg, zeigten aber im Grunde nur, daß die Probleme tiefer liegen. Während andere Länder ihre Priesterberufe hauptsächlich aus dem Mittelstand holen, fehlt dieser Mittelstand fast völlig. So muß man sich vor allem an die ärmeren Schichten wenden, steht dabei aber sofort vor großen finanziellen Schwierigkeiten. Diese wiederum erklären vielfach das ungenügende Niveau mancher Ausbildungsstätten, die einer allgemeinen „Aufwertung“ des Priesterstandes im kulturellen und gesellschaftlichen Leben nicht gerade förderlich sind. Begreiflich, daß der katholischen Jugend die Wahl des Priesterberufes dadurch psychologisch nicht erleichtert wird. Überhaupt dringt die gegenwärtig in Südamerika herrschende Geisteshaltung kaum tiefer in philosophisch-theologische Probleme ein. Es fehlt überall an gut ausgestatteten Bibliotheken, und die Professoren müssen wegen des Priester-mangels vielfach den größten Teil ihrer Kraft seelsorglichen Aufgaben zuwenden.

So hat man sich entschlossen, neben und an Stelle der 111 Priesterseminare große Inter-diözesanseminare zu gründen und qualifizierte Fachdozenten dafür zu gewinnen. Außerdem schickt man eine größere Zahl von Studenten zur weiteren Ausbildung nach Rom.

KANN EUROPA HELFEN? Auch das Akommodationsproblem, auf das man in Südamerika bisher nicht allzuviel geachtet hat, tritt langsam in den Vordergrund der Diskussion. Dabei sind paradoxerweise nicht einmal die heidnischen Indianerstämme, sondern die Massen der ländlichen katholischen Mischlingsbevölkerung Problem Nummer eins. Wir haben auf die Lage der Caboclos in Brasilien bereits hingewiesen. Gegenwärtig sind besondere Gruppen daran, die Fragen dieses „Untergrundes“ genauer zu untersuchen, vor dem sich der gebildete Brasilianer, der sich immer noch als verhinderter Europäer fühlt, fast ein wenig geniert. Hier können aus dem Volk vitale, schöpferische Kräfte entbunden werden, die die im Grunde noch etwas koloniale Gesellschaft des modernen Brasiliens (in der die sozial und kulturell getrennten Schichten nicht innerlich miteinander kommunizieren) bislang übersehen hat.

Freilich, allein wird Lateinamerika diese Probleme nicht lösen. Daher schicken schon seit Jahrzehnten europäische Orden einen Gutteil ihrer Mitglieder hinüber (nicht immer gut vorgebildet für die neue Aufgabe!), die in Asien ihr Wirkungsfeld verloren haben. Hilfe kommt jetzt auch aus Spanien, das zur Zeit fast 25.000 Weltpriester und mehr als 20.000 Seminaristen zählt. Ein eigenes Priesterseminar des Hispano-amerikanischen Priesterhilfswerkes in Madrid bereitet seine Studenten besonders auf ihre zukünftige Tätigkeit in Lateinamerika vor. So werden in absehbarer Zeit die vierhundert spanischen Priester, die gegenwärtig in Südamerika wirken, guten Zuwachs erhalten.

Dem gleichen Zweck dient das Lateinamerikanische Kolleg der Universität Löwen. Auch in den USA werden gegenwärtig Schritte in dieser Richtung unternommen.

Zur Zeit sind diese Versuche alle noch sehr neu. Sie werden eigentümlicherweise nicht einmal überall in Lateinamerika mit Begeisterung aufgenommen. Mit spanischen Priestern hat man in früheren Jahren nicht immer die besten Erfahrungen gemacht, und das koloniale Trauma sitzt heute noch tief in der Bevölkerung. Mit einiger Rücksicht und gegenseitiger Offenheit werden sich jedoch diese Schwierigkeiten in Zukunft vermeiden lassen.

Allerdings darf man bei all diesen Bemühungen nicht fibersehen, daß sie im Augenblick, und wohl auch in den nächsten Jahren, nicht viel mehr sein werden, als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Südamerika, das ein Drittel aller Katholiken beherbergt, braucht gegenwärtig eher hundertachtzig- als knapp dreißigtausend Priester.

Trotz dieses ungeheuren Ausfalls ist jedoch das religiöse Leben im Volke immer noch nicht erloschen. Selbst der Caboclo, der weltverloren irgendwo in der brasilianischen Sonne sitzt, weiß, daß er nicht allein ist, Gott ist bei ihm. Und die romanische Volksfrömmigkeit mit ihrer Bilder- und Heiligenverehrung, zeigt sie nicht hinter allen Geschmacklosigkeiten das echte religiöse Sehnen des einfachen Volkes, das zu den großen Werten des Glaubens nur noch nicht den Zugang gefunden hat? Hier würde eine Liturgie nottun, die all diese latenten Kräfte in sich birgt und den Weg zum echten Erleben freimacht. Unsere römisch strenge Form tut in Lateinamerika ebensowenig gut wie in Afrika. Freilich hängt das nicht von lateinamerikanischen Instanzen allein ab.

Leichter hat es daher die Bibelbewegung, die von Catamarca (Nordargentinien) aus, langsam zu einer echten Volksbewegung, wenigstens in Argentinien, werden kann. Unter Führung des ungarischen Exegeten P. Eugen L a k a t o s SVD, der zum Teil in Wien seine Ausbildung bekam, haben sich die Exegeseprofessoren Argentiniens zusammengefunden, um durch Bibelwochen, wöchentliche Radiosendungen und Schulung entsprechender Laienkatecheten das Volk wieder zu den Quellen zurückzuführen. Daß hierbei die Protestanten einige Anregungen gegeben haben, sei nebenbei erwähnt!

VOLKSMISSION UND ERZIEHUNGSHILFE Von Kolumbien her bereitet sich das System der „Radioschulen“ immer mehr aus. Ein kleiner Vikar, Jose Joaquin Salcedo, kam 1947 auf diesen Einfall. Damals war er in eine weltabgelegene Pfarrei versetzt. Seine 9000 „Schäflein“ pflanzten irgendwo in den Tälern Kaffee, weideten auf den Bergplateaus ihre Herden, lebten im übrigen ohne jede Hygiene, und waren, schon weil ihnen die Kneipe die einzige Abwechslung bot, dem Alkohol verfallen. Nach vergeblichen Versuchen, die Lage seiner Leute zu verbessern, bastelte sich der Vikar einen kleinen Sender mit drei Empfangsstationen. Heute hat sich aus diesen Anfängen „Radio Sutatenza“, der stärkste Sender Kolumbiens, entwickelt. Er wird von der kolumbanischen Regierung und der UNESCO subventioniert. Holländische und amerikanische Firmen konstruierten die einfachen Empfänger, mit denen man — begreiflicherweise — nur „Radio Sutatenza“ bekommen kann. Diese „Volksempfänger“ stehen irgendwo in einem abgelegenen Dorf, daneben Tafel, Kreide, Radiergummi, Bleistifte, Hefte, Handbücher und ein großer Wecker, der die Schüler zur bestimmten Zeit zusammentrommelt. Ein „direkter Helfer“, der sich durch sein „Wissen“ diesen Ehrentitel erworben hat, empfängt die Schüler, stellt den Radioempfänger ein, und schreibt je nach Anweisungen der „unsichtbaren Stimme“ seine Lektionen an die Tafel. Unterrichtsfächer sind Hygiene, Ackerbau, Viehzucht, Geschäftsmethoden, kulturelle Fragen und Religion. Aus dem kleinen Vikar ist inzwischen, wie könnte es anders sein, ein Monsignore geworden und aus seinen ersten drei Empfängern 33.000 im Jahre 19575. All das klingt fast wie ein modernes Märchen, aber es zeigt doch nur, daß das Geld schnell kommt, wenn die zündende Idee da ist...

Anderswo ziehen kurzfristig ausgebildete Laienkatecheten einfachster Herkunft lehrend und vorbetend von Ort zu Ort, und das Volk, das schließlich doch lieber katholisch bleibt, wenn ihm Gelegenheit dazu geboten wird, läßt sich leicht und freudig im Glauben seiner Taufe bestärken oder gar zurückgewinnen.

IM WIDERSTAND GEGEN DIE DIKTATOREN Langsam spielt auch in der Öffentlichkeit der Glaube eine größere Rolle. Man hat schließlich bemerkt, daß seit 1955 den ärgsten Diktatoren hauptsächlich durch die energische Stellungnahme der Kirche der Garaus gemacht wurde. So erging es 1955 Perön in Argentinien, 1957 Pinilla in Kolumbien und 1958 Jemenez in Venezuela. Die Zeiten der politischen Danaergeschenke mit ihren kompromittierenden Folgen für die Kirche Lateinamerikas scheinen langsam vorbei zu sein. Selbst in Brasilien ist die Kirche, um noch einmal Paulus Gordan zu zitieren, in Wahrheit die einzige, echt demokratische Institution des Landes von durchdringendster, allgegenwärtiger Bedeutung, deren Sympathien die Politiker sich denn auch nicht verscherzen wollen. Bei gewissen Anlässen zeigt die Regierung durchaus, daß sie in den Bischöfen nicht nur dekorative Figuren, sondern die berufenen Vertreter des Volkes und damit echte Partner sehen wollen; so wenn Kubitschek ihre Vorschläge und Einwände bei großen Elektri-fizierungsunternehmen entgegennimmt, die riesige Gebiete und Millionen von Menschen einer Revolutionierung ihrer bisherigen Daseinsformen aussetzen werden *.

Freilich, all das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß man die wirklichen Eliten Lateinamerikas noch nicht gewonnen hat. Diese meist jungen Menschen, die nicht sosehr spanisches, als vielmehr ausgesprochen europäisches Gepräge tragen, sind, fast möchte man sagen die Vorwegnahme des Europäers der Zukunft, den es im alten Europa noch nicht oder nur in seltenen Exemplaren gibt, die wahren vorläuferhaften Abendländer, begabt mit einer Feinfühligkeit für geistige, künstlerische und religiöse Werte, die aus jedem nationalen Bereich, dank weitverbreiteter Sprachenkenntnis, sich das Beste aneignen. Wenn es der Kirche gelingt, solche katholisch angelegte Menschen zu ent flammen, damit sie sich dann in apostolischer Nächstenliebe ihrem eigenen Land, ihren Brüdern, nach Natur und Gnade zuwenden, anstatt sich in unfruchtbarer Sehnsucht nach dem Paris, London oder Madrid ihrer Träume zu verlieren, dann wäre viel gewonnen (Gordan). Vorläufig ist es jedoch noch nicht so weit.

GEGEN DIE SCHRITTMACHER DES KOMMUNISMUS

Auch auf sozialem Gebiet bahnt sich eine Wandlung an. Wegweisende Worte fand zum Beispiel schon 1954 Erzbischof Rossel von Guatemala nach dem Sturz des Linksextremisten Arbenz.

„Vergefit nicht', so betonte damals der Erzbischof, „daß wir von den sieben Köpfen der Hydra des Kommunismus, erst einen abgeschlagen haben. Wir müssen es euch immer wieder sagen: Die Anstifter des Kommunismus in unserem Land sind jene Ideologen gewesen, die sich konservative Parteien nennen und dabei jede soziale Gerechtigkeit verhinderten, und die liberalen Parteien, die die Gewissen unterhöhlten und alle Werte hinter blindem Wohlstand- und Machtstreben zurückstellten. Ihr habt nicht die Kommunisten aus Guatemala vertrieben, um jetzt die Rechte der Arbeiter zu beschneiden, ihnen ihre gerechten sozialen Errungenschaften zu rauben oder den Landarbeitern das natürliche Recht auf den von ihnen bearbeiteten Boden streitig zu machen.“

Das waren starke Worte, kurz nachdem General Castillo Armas die Zügel der konservativen Regierung in die Hand genommen hatte.

Daß man nicht vorhat, es bei Worten allein zu belassen, möge ein letztes Beispiel zeigen. Das Regime Jimenez in Venezuela hat die Zeiten der Hochkonjunktur dazu benützt, neben seinen phantastischen Straßen, Brücken, Stahl-und Kraftwerken, alle eventuellen Gegner, vorab die Offiziere, durch ausgiebige Wirtschaftshilfen an sich zu binden. Umgekehrt unterdrückte man sämtliche Parteien außer deri Christlichen Demokraten, die sich einer Scheinlegalität erfreuen durften. Arbeiter- und Stu-tentenorganisationen waren verboten. Eine strenge Pressezensur hemmte jede freie Kritik. Ähnlich wie Perön in Argentinien, spielte sich das Regime Jimenez jedoch gerne als Freund der Kirche auf. Mancher Würdenträger war auch bereit, sich im Glanz der Freundschaft mit Regierungsmitgliedern bei religiösen Zeremonien zu zeigen und sich an der Seite von Ministern photographieren zu lassen. Eine gute Zeit lang sangen einige katholische Publikationen klerikaler Inspiration das Lob des Regimes. In dieser Situation veröffentlichte der Erzbischof von Caracas, Msgr. Rafael Arias Blanco, einen- Hi^ tenbrief, der wie eine Bombe einschlug. In ihm hieß es unter anderem:

„Unser Land wird mit eindrucksvoller Schnelligkeit reicher und reicher, aber niemand kann behaupten, daß dieser Reichtum allen Venezolanern zugute käme; vielmehr lebt die übergroße Masse unseres Volkes auch weiterhin in Verhältnissen, die man nicht als menschlich bezeichnen kann.“ Der Erzbischof betonte weiter die Rechtlosigkeit der Arbeiter, die in den Gewerkschaften nur Marionetten fänden. Er forderte eine radikale Umgestaltung der gesamten venezolanischen Wirtschaft und eine wirksame Bekämpfung der Landflucht8.

Neun Monate später war das Regime Jimenez am Ende ... Schließen wir diese Betrachtungen mit einigen Sätzen aus dem gemeinsamen Hirtenschreiben, das die bolivianischen Bischöfe am 4. März 1958 herausgaben. Es fordert überall neue Methoden und eine neue Gesinnung. „Sowohl Diözesan- wie Ordenspriester“, so heißt es darin, „müssen die antiquierten Methoden einer rein ritualistischen Bürokratie aufgeben: sie müssen die christliche Soziallehre in ihrer ganzen Wirklichkeit studieren, praktizieren und lehren, um das Volk wiederzugewinnen. Unsere Gläubigen müssen aus ihrem Traum eines komfortablen Mittelstandskatholizismus erwachen und sich in der Liebe Christi zusammenschließen, um eine bessere Welt, eine christliche Welt sozialer Gerechtigkeit und brüderlicher Liebe zu schaffen. Die neue Zeit, in der wir leben, verlangt neue Methoden8.“

Wer hätte noch vor zehn Jahren solche Worte von einer südamerikanischen Bischofskonferenz erwartet? Berechtigt uns nicht dieser Geist auch für den Katholizismus Lateinamerikas, dieses Sorgenkind der Kirche, einen neuen Morgen zu erwarten?

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