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Salzburg: Für alle Katholiken

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Als sich die Katholiken vor nunmehr zehn Jahren zum erstenmal seit fast zwanzigjähriger Pause in Wien zu einem gesamtösterreichischen Katholikentag zusammenfanden, galt es, die äußere Position der Kirche und dessen, was man im Anklang an einen mittelalterlichen Begriff „die Christenheit“ nennt, in einer völlig veränderten Umwelt zu bestimmen. Mochte damals noch mancher äußere Anschein trügen, manche stehengebliebene Fassade für ein Gebäude gehalten worden sein: den zahlreich gewordenen Sehenden war es schon bei der den Katholikentag vorbereitenden Studientagung von Mariazell klargeworden: ein neuer Anfang war zu setzen, eine Umwelt war zur Kenntnis zu nehmen, die mit der des Staatskirchentums der alten Monarchie nichts, mit der der Umbruchsära von 1933 nur noch sehr wenig zu tun hatte. Dennoch hielt man — mit geringfügigen Änderungen — an der Struktur der früheren Katholikentage fest. Die Kirche Österreichs hielt es aus gutem Grund für geboten, sich einer veränderten Umwelt gegenüber als „acies ordinata“ zu repräsentieren. Sie tat dies unter anderem durch die eindrucksvollen Massenkundgebungen, tat es aber auch in der proklamierenden Thesenform ihres Selbstverständnisses (,,Freie Kirche in einer freien Gesellschaft“) und in dem durch Laienmund vorgetragenen Forderungsprogramm, an eine Öffentlichkeit und Gesellschaft, die als das anzusprechende Gegenüber verstanden wurde.

Zehn Jahre sind seither vergangen. Soviel auch in dieser Zeitspanne geschehen sein mag, grundsätzlich hat ich an den damals festgelegten Positionen nichts geändert. Die Katholiken Österreichs fühlen in ihrer überwiegenden Mehrzahl kein Bedürfnis, ihren damals eingenommenen Standpunkt zu überprüfen oder gar zu revidieren. Was damals vielleicht noch der eine oder andere im letzten Winkel des. Herzens anzweifelte, ist heute Gewißheit geworden. Es gibt keinen. Weg zurück, keine Restauration des Staatskirchentums, keine Protektionssymbiose mit einer Partei oder gesellschaftlichen Gruppierung mehr. Es ist auch am übersehbaren Horizont kein „Stichtag“ erkennbar, der die Katholiken zu einer Überprüfung dieser Position zwingen könnte. Weder ein Wahltermin noch das Datum irgendeiner einschlägigen Gesetzeseinbringung kann daher auch die Abhaltung eines Katholikentages notwendig machen oder verhindern. Der Prozeß der Selbstdefinition der katholischen Kirche in der Republik Österreich ist im Gefolge des Katholikentages von 1952 abgeschlossen. Alle wichtigen gesellschaftlichen Partner des Landes haben diese Positionsbestimmung so oder so zur Kenntnis genommen, und keine ernstzunehmende Grupoe hat die Absicht erkennen lassen, diesen Zu-

stand von sich aus in diese oder jene Richtung hin verändern zu wollen.

Geist von Geist

Die Fülle der Aufgaben und Energien der Katholiken Österreichs hat sich besonders in den letzten Jahren nach innen verlegt. Man würde diese Tendenz aber völlig verkennen, wenn man sie im Sinne des Pietismus oder der Sektenbildung mißverstehen wollte. Im Gegenteil: die Katholiken Österreichs haben sich auf den Weg zu einer kirchlichen Wesensform begeben, die historisch noch ehrwürdigeren und unverfälschter apostolischen Charakter besitzt als all das, was in der nunmehr endgültig abgeschlossenen Periode an barocken, reichskirchlichen und agrarfeudalen Traditionen das äußere und innere Bild der katholischen Kirche bestimmte. Die Väter der einen Kirche des Abend- und Morgenlandes wurden schon im vier-

ten und fünften Jahrhundert nicht müde, die Weltverantwortung des Christen als eine „Seele“, ein „Lebensprinzip“ der Gesellschaft zu definieren. Der Kardinal von Wien hat in seiner Neujahrsbotschaft deutlich an diese vormittelalterliche, universale Tradition angeknüpft, wenn er davon sprach, daß die Kirche auch in der modernen Gesellschaft „das Gewissen“ sein müsse. Der Weg nach innen, die schonungslos kritische und nüchterne Überprüfung dessen, was nun wirklich „ist“, die Analyse der Umwelt, das Abklopfen der eigenen Fundamente: das alles dient der einen, hervorragenden Aufgabe, die Papst Johannes XXIII.

im Hinblick auf das nahe bevorstehende Konzil der gesamten katholischen Christenheit gestellt hat: Sie soll Stadt auf dem Berge, Licht der Welt sein, sie soll durch ihr erneuertes und im ursprünglichen Glanz aufstrahlendes Wesen (nicht durch opportunistische Anpassungen und krampfhafte Modernismen) einladend werden wie ein Vaterhaus. Sie soll aber gerade durch eine solche innere Arbeit fähig gemacht werden, ihr Wächter- und — wo es sein muß — Prophetenamt in einer säkularen Umwelt auszuüben. Für ein solches Amt besaß die Christenheit im zurückliegenden Jahrtausend Auftrag und Legitimation durch weltliche Gewalten. Sie diente der Mission christlicher Fürsten, sie erfüllte sogar noch im vielgeschmähten Josephinismus einen durch die Obrigkeit erteilten Erziehungsauftrag. All das ist weggefallen und kommt nie mehr wieder. Die Katholiken müssen sich aus sich selbst heraus für ihr auch in der modernen Gesellschaft verbliebenes Wächteramt legitimieren. Niemand erteilt mehr Aufträge, niemand hat aber auch mehr das Recht der Einmischung und Beeinflussung.

Die Katholiken verstünden dieses Amt schlecht, wenn sie es allzu eng auffaßten. Der große Leitsatz des kommenden Katholikentages ist zwar einem Brief des Apostels Paulus an eine Christengemeinde entnommen und die Mahnung „Löscht den Geist nicht aus“ bezieht sich im ursprünglichen Zusammenhang eindeutig auf die verschiedenen Gnadengaben (Charismen) des Heiligen Geistes. Durchaus sinnvoll wird daher der zur Zeit wohl bedeutendste Theologe des deutschen Sprachraums, Professor Karl Rahner, die Einleitungspredigt dieses Salzburger Katholikentages am 1. Juni über eben diese Gnadengaben halten. Aber in der Vielfalt der Aufgaben und Gegenwartsauseinandersetzungen gewinnt der Begriff „Geist“ eine erweiterte, ja sogar auch übertragene Bedeutung, ohne deswegen verwässert oder verfälscht zu werden. „Geist“ hat in der modernen Massengesellschaft auch sehr konkret mit den beiden Elementen zu tun, die dem letztvergangenen Katholikentag als Thema dienten, mit „Freiheit und Würde des Menschen“. In diesem Sinne wird der österreichische Katholikentag 1962 also alles andere als eine interne Familien- oder Vereinsangelegenheit sein, er wird politisch, auf die „polis“ bezogen sein wie nur irgendeiner seiner Vorgänger. Nur wird er eben nicht den Charakter einer Konfrontation besitzen. Die „Macht“ Kirche wird nicht in Heerscharen vor der „Macht“ Staat paradieren. Kanzel und Rednerpult werden nicht zur Rostra für streitbare Anwälte der Ecclesia militans (mit oder ohne Soutane) werden, sondern die Katholiken selbst werden „politisieren“, werden ratschlagen und Sorge tragen, prüfen und definieren in Solidarität mit allen Menschen der sie umgebenden Gesellschaft, die keine hierarchisch-christliche mehr ist, für die aber die Verantwortung deswegen nicht nur nicht aufgehört hat, sondern noch größer geworden ist. Die vorbereitenden Aussprachekreise sind keine Elitezirkel der Frommen, die sich ihres Andersseins oder gar „Auserwähltseins“ gegenüber der großen „massa damnata“ erfreuen und die an Tugendregeln und Moralpredigten für ihre Umwelt basteln wollen. Stellvertretend wird die Vorbereitungsarbeit für alle jene geleistet werden, die nicht dabei sein können oder nicht dabei sein wollen, wenn es um ihre höchsteigenen Dinge geht.

Wer wird „dabei“ sein?

Dieses Moment der recht verstandenen Stellvertretung wird auch die äußere Form, die organisatorische Struktur dieses Katholikentages bestimmen. Man weiß heute, daß jede früher einmal imponierende „große Zahl“ fragwürdig wirkt, weil man sie mühelos mit einer noch größeren Zahl übertrumpfen kann. Viele, noch so viele, sind und bleiben eben einmal nicht „alle“. Und selbst nach Zehntausenden zählende Prozessionskolon-

nen sind, gemessen an den Hunderttausenden, die auch an diesem Junisonntag den Badeausflug oder den Gang ins Sportstadion vorziehen werden, eben doch nur „kleine Herde“. Um der selbstgestellten Aufgabe, von der hier eingangs die Rede war, aber gerecht zu werden, bedarf es nicht der .vielen“, sondern „aller“.

Politische Parteien und Verbände entsenden zu ihren Tagungen gewählte und wahlberechtigte Delegierte. Sie sind die rechtsgültigen Repräsentanten der Mitgliedschaft, die sich über die Ergebnisse der Tagung selbst in der Regel erst nachher informiert. Die Katholiken können dieses Modell nicht ohne weiteres kopieren. Sie werden eine andere, dem Wesen ihrer Gemeinschaft entsprechende Form finden. Die Delegierten der Dekanate werden im Einvernehmen mit den katholischen Organisationen durch die Seelsorger ausgewählt. Ihre Reise- und Aufenthaltskosten trägt grundsätzlich das Dekanat und keine übergeordnete Zentrale. Sie werden in Salzburg einem der zwölf Arbeitskreise für die einzelnen Sachgebiete des religiösen und gesellschaftlichen Lebens angehören, aus deren Mitte dann die Beiträge zu einer zusammenfassenden Erklärung die letztgültige Fassung erhalten. Ihre Verlesung wird den Höhepunkt der sonntägigen Feier bilden. Ein erläuterndes Wort aus dem Munde des Kardinals und aus dem eines katholischen Laien wird dem vorausgehen. Die Katholiken des Landes, die nicht bei der mit 2500 Delegierten bemessenen Versammlung sein können, werden diesen Tag dennoch lebendig und im „Dabeisein“ mitbegehen können. Die Rundfunkübertragung wird in jeden Pfarrsaal des Landes hinein erfolgen, und den Seelsorgern wird es aufgetragen sein, diesen Gemeinschaftsempfang zu einer pfarrlichen Gemeinschaftsstunde auszugestalten. ' Es ist durchaus möglich, mit dem Anhören dieser für ganz Österreich gültigen Entschließung auch einen eigenen, für die besonderen Ortsverhältnisse berechneten Kommentar zu verbinden.

Nach Salzburg und zurück

Eine in den Grundlügen auf die Anordnung der Bischöfe vom Herbst 1960 zurückgehende Vorbereitung dieser Arbeit wird auf einer Studientagung in St.'Pölten ihren Abschluß finden. Wie vor zehn Jahren in Mariazell, so Wird auch heuer in den Maitagen eine intensive Beratung den Stoff für die eigentliche Katholikentagserklärung aufbereiten. Die meisten Arbeitskreise haben bereits das ganze Jahr 1961 über ihr Spezialthema untersucht. Eine Fülle von Feststellungen und konsequenten Vorschlägen liegt heute schon schriftlich vor und harrt der endgültigen Sichtung und Redaktion. Studiert man die einzelnen Materialien, dann fällt bei fast jeder Themenbehandlung nicht nur die harte Nüchternheit des Tatsachenblicks auf, sondern mehr noch die fast durchweg positive und aufgeschlossene Bereitschaft, die Gegebenheiten unserer Zeit nicht als stöhnend getragene Kreuzeslast, vielmehr als große Möglichkeit neuer Arbeitsbewährung anzusehen. Kaum ein Kreis, der einer entschwundenen, guten alten Zeit nachtrauert. Im Gegenteil: Man verweist auf die Anfangszeit des Christentums nach den Katakombenjahrhunderten, auf den städtisch-zivilisatorischen Charakter der spätantiken Gesellschaft, auf die Urformen gottesdienstlichen und pfarrlichen Lebens in den Metropolen von damals, die nichts mehr mit der agrarfeudalen Gesellschaft des Mittelalters zu tun hatten. Zuweilen quillt die Fülle der Vorschläge und Anregungen sogar etwas über. Eine Reihung nach Dringlichkeit und Möglichkeit, eine vorsichtige Zurückstellung der einen oder anderen utopischen und nicht durchdachten Spezialplanung wird bei der Arbeit von St. Pölten wohl unerläßlich sein.

Unverkennbar aber ist die Zielrichtung aller radialen Strahlen auf das eine Zentrum, eben die Tage von Salzburg, hin. Und ebenso unverkennbar ist der heute schon abzusehende Weg, <^er auf gleicher Bahn in umgekehrter Richtung wieder an die Peripherie zurückführen soll: in die Dekanate und pfarren zu den Menschen, aus deren Reihen die Wünsche und Vorhaben gekommen sind.

Sie fing ganz einfach an

Die ersten Jahrzehnte des fünfzehnten Jahrhunderts gehören zu den Epochen der größten geistigen Verwirrung in der Geschichte der Kirche. Es war zwar keine Zeit der Verfolgung, des Glaubenskrieges gegen einen gemeinsamen Feind, keine Zeit der moralischen Entartung, des schreienden Ärgernisses. Aber wie selten zuvor hatte die eben erst überwundene äußere Spaltung des Papsttums als eine innere Spaltung die Christenheit selbst ergriffen. Frömmigkeit stand gegen Frömmigkeit, guter und reiner Wille stand leidenschaftlich und leidend gegen guten und reinen Willen. Das Reformkonzil von Basel stellte sich gegen den Papst: Nicht, weil es Verschwörung und Rebellion vorbereitete, sondern weil es noch eifersüchtiger um die Reinheit des Glaubens besorgt war. Der Scheiterhaufen des Priesters Hus loderte auf, wenig später der der Jungfrau von Orleans. Selbst Heilige verloren in dieser babylonischen Wirrnis die Richtung, taumelten zwischen den wechselnden Fronten hin und her. Wer Gott gehorchen wollte, mußte dies auf eigene Faust tun. Absolut sicher, wie in den Jahrhunderten zuvor, war den Besten dieser Tage keine Autorität mehr. Eine Hausfrau, die sechs Kinder geboren hatte, eine Tochter des römischen Provinzadels, wagte den Schritt zum Unbedingten. Franziska, die „Römerin“, wird sie an ihrem Fest zum 9. März genannt, fing einfach mit dem radikalen Gottesgebot an. Dort, wo sie gerade stand.

Sie grübelte nicht über einen besseren und vollkommeneren Stand nach, solange sie Ehefrau und Mutter war. Erst als Witwe trat sie in die Oblaten-Familie ein, die sie selbst gestiftet hatte, und wutde deren Oberin. Sie überließ es den Männern ihrer Zeit, den Päpsten und Konzilsvätern, Irrlehrern und Ketzerrichtertt, zu streiten, zu klügeln, zu brennen. Sie selbst begann dort, wo sie zu ihrer Stunde handeln konnte. Auf ihren Schultern trug sie das Holz in die Stadt, mit ihren Hängen buk sie das Brot, das sich der Legende nach beim Verteilen wunderbar vermehrte. Gleichnis dieser gottgelobten Existenz: Als sie ihre in den wirren Zeiten vom Hunger heimgesuchte, kleine Ordensfamilie speisen wollte, hatte sie Brot, das mit Mühe für drei Schwestern ausreichte. Sie grübelte nicht, sondern begann mit dem Aufschneiden. Und fünfzehu wurden satt. Und es blieb übrig in reicher Fülle. Franziska hat die Rufe aufgezeichnet, die sii im Inneren erreichten. Sie war würdig, unmittelbaren Auftrag des Herrn zu vernehmen. Das bleibt freilich ihr unnachahmbares Geheimnis. Aber sie war bereit, unmittelbar, fast nachtwandlerisch, diesem persönlichen Gebot zu folgen, wann immer es sie traf. Und das macht sie zum Beispiel. Eine volle, unverkürzte Persönlichkeit, deren Selbstsein sich in ganz rückhaltlosem Dienen erfüllte.

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