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PACEM IN TERRIS

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An die ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe, Bischöfe, und die anderen Oberhirten, die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle leben, an den Klerus und die Christgläubigen des ganzen Erdkreises sowie an alle Menschen guten Willens PAPST JOHANNES XXIII. Ehrwürdige Brüder, geliebte Söhne Gruß und apostolischen Segen!

Einleitung

Die Ordnung im Universum

DER FRIEDE AUF ERDEN, nach dem alle Menschen zu jeder Zeit sehnlichst verlangten, kann nur dann begründet und gesichert werden, wenn die von Gott festgesetzte Ordnung gewissenhaft beobachtet wird.

Aus den Fortschritten der Wissenschaften und den Erfindungen der Technik ersehen wir deutlich, wie in den Lebewesen und in den Naturkräften eine wunderbare Ordnung herrscht und auch dem Menschen eine solche Würde eigen ist, daß er diese Ordnung entdecken und geeignete Werkzeuge anfertigen kann, um sich dieser Kräfte zu bemächtigen und sie zu seinem Nutzen zu gebrauchen.

Aber der Fortschritt der Wissenschaften und die Err finduhgen der Technik offenbaren vor allem die unendliche Größe Gottes, der die Gesamtheit der Dinge und den Menschen selbst schuf. Er schuf, so sagen Wir, aus dem

Nichts die Gesamtheit der Dinge, in welche Er die Fülle seiner Weisheit und Güte ergoß. Daher lobt der Psalmist Gott mit den Worten: Herr, Herr, wie wunderbar ist Dein Name auf dem ganzen Erdenrund; und an einer anderen Stelle: Wie zahlreich sind Deine Werke, Herr! Alles hast Du mit Weisheit gemacht. Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis, ausgestattet mit Verstand und Freiheit, und bestellte ihn zum Herrn aller Dinge, wie der Psalmist es bekennt: Und Du hast ihn nur wenig unter die Engel gestellt, mit Ruhm und Ehre ihn gekrönt; Du hast ihm Macht verliehen über Deiner Hände Werk, alles hast Du seinen Füßen unterworfen.

Die Ordnung im Menschen

Mit der vorzüglichen Ordnung des Universums liegt nun aber die Unordnung unter den einzelnen wie unter den Völkern in krassem Widerspruch, wie wenn die Beziehungen, die sie untereinander verbinden, nur mit Gewalt geregelt werden, könnten.

Jedoch hat der Schöpfer der Welt die Ordnung ins Innere des Menschen eingeprägt, die sein Gewissen ihm kundtut und unbedingt einzuhalten befiehlt: Sie zeigen, daß der Inhalt des Gesetzes ihren Herzen eingeschrieben ist, indem ihnen ihr Gewissen Zeugnis gibt. Wie könnte es auch anders sein? Denn was Gott auch immer gemacht hat, offenbart seine unendliche Weisheit, und zwar um so klarer, je größer die Vollkommenheit ist, deren es sich erfreut.

Eine falsche Ansicht gibt jedoch häufig Anlaß zu dem Irrtum, daß viele meinen, die Beziehungen, die zwischen den einzelnen Menschen und dem Staat bestehen, könnten durch dieselben Gesetze geregelt werden, durch welche die Kräfte und Elemente des vernunftlosen Universums gelenkt werden. Diese Gesetze aber, die von ganz anderer Art sind, können selbstverständlich nur dort entnommen werden, wo sie der Schöpfer aller Dinge eingeschrieben hat, nämlich aus der Natur des Menschen.

Durch diese Gesetze werden die Menschen deutlich belehrt, wie sie ihre gegenseitigen Beziehungen an das Zusammenleben mit anderen Menschen anpassen sollen; wie die Beziehungen zu regeln sind, die zwischen den Staatsbürgern und den staatlichen Behörden bestehen; ferner,

wie die Staatslenker einander begegnen sollen; schließlich, auf welche Weise die einzelnen Menschen und die Staaten und wie die Gemeinschaft aller Völker sich untereinander zu verhalten haben. Daß diese Gemeinschaft endlich gegründet werde, ist heute ein dringendes Erfordernis des allgemeinen Wohls.

I.

DIE ORDNUNG UNTER DEN MENSCHEN

Jeder Mensch ist Person mit Pflichten und Rechten

Jedem menschlichen Zusammenleben, das gut geordnet und nutzbringend sein soll, muß das Prinzip zugrunde liegen, daß jeder Mensch das Verfügungsrecht über seine

Person hat. Er hat eine Natur, die mit Verstand und Willensfreiheit ausgestattet ist; er hat aus sich Rechte und Pflichten, die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur hervorgehen. Weil sie allgemeingültig und unverletzlich sind, können sie in keiner Weise veräußert werden.

Wenn wir die Würde der menschlichen Person aus den Offenbarungswahrheiten betrachten, müssen wir sie noch viel höher einschätzen. Denn die Menschen sind ja durch das Blut Jesu Christi erlöst, durch die göttliche Gnade Söhne und Freunde Gottes geworden und zu Erben der ewigen Herrlichkeit eingesetzt.

Die Rechte

Das Recht auf Leben und Lebensunterhalt

Da Wir über die Rechte des Menschen sprechen wollen, stellen Wir gleich zu Beginn fest, daß der Mensch das Recht auf Leben hat, auf die Unversehrtheit des Leibes sowie auf die notwendigen Mittel zu angemessener Lebensführung, nämlich besonders auf Nahrung, Kleidung, Wohnung, Erholung und die Dienste, die vom Staate für die einzelnen zu leisten sind. Daraus folgt auch, daß der Mensch das Recht auf Beistand hat, wenn er von Krankheit heimgesucht oder durch Arbeit und Mühe geschwächt, wenn er zur Arbeitslosigkeit gezwungen und schließlich ohne sein Verschulden der zum Leben notwendigen Dinge beraubt ist. irJ

Moralische und kulturelle Rechte

Von Natur aus hat der Mensch außerdem das Recht, daß er gebührend geehrt und sein guter Ruf gewahrt wird, daß er frei nach der Wahrheit suchen und unter Wahrung der moralischen Ordnung und des Allgemeinwohls seine Meinung äußern, verbreiten und jedweden Beruf ausüben darf; daß er schließlich der Wahrheit entsprechend über die öffentlichen Ereignisse in Kenntnis gesetzt wird.

Zugleich steht es dem Menschen kraft des Naturrechtes auf dem Gebiet der Geistesbildung notwendigerweise zu, daß er sowohl eine Allgemeinbildung als auch eine Fach-und Berufsausbildung empfangen kann, wie es der Entwicklungsstufe des betreffenden Staatswesens entspricht. Man muß darnach streben und darauf muß man hinarbeiten, daß Menschen mit entsprechenden geistigen Fähigkeiten zu höheren Studien aufsteigen können, und zwar so, daß sie, wenn möglich, in der menschlichen Gesellschaft zu Aufgaben und Ämtern aufsteigen können, die sowohl ihrer Begabung als auch der Kenntnis entsprechen, die sie sich erworben haben.

Das Recht auf Gottesverehrung

Zu den Rechten des Menschen ist auch zu zählen, daß er Gott der rechten Norm seines Gewissens entsprechend verehren und seine Religion privat und öffentlich bekennen darf. Denn wie Lactantius treffend sagt, werden wir mit der Bestimmung geboren, dem uns erschaffenden Gott den gerechten und schuldigen Gehorsam zu erweisen; Ihn allein sollen wir anerkennen, Ihm folgen. Durch dieses Band der Frömmigkeit sind wir Gott verpflichtet und verbunden; und daher hat auch die Religion ihren Namen. Zur gleichen Sache stellte Unser Vorgänger unsterblichen Andenkens Leo XIII. nachdrücklich fest: Diese wahre und der Söhne Gottes würdige Freiheit, welche die Würde der menschlichen Person in vornehmster Weise schützt, ist größer als alle Gewalt und alles Unrecht; sie ist der Kirche immer erwünscht und besonders teuer. Diese Art von Freiheit haben die Apostel ständig für sich in Anspruch genommen, die Apologeten in den Schriften unverbrüchlich gemacht, die Märtyrer in unermeßlicher Zahl durch ihr Blut geheiligt.

Das Recht auf freie Wahl des Lebensstandes

Darüber hinaus haben die Menschen das unantastbare Recht, jenen Lebensstand zu wählen, den sie vorziehen:

daß sie eine Familie gründen, in der Mann und Frau gleiche Rechte und Pflichten haben, oder daß sie das Priestertum oder den Ordensstand ergreifen können.

Die Familie, die auf der Ehe aufruht, die selbstverständlich frei geschlossen, eins und unauflöslich ist, muß als die erste und natürliche Keimzelle der menschlichen Gesellschaft angesehen werden. Daraus folgt, daß für sie sowohl auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet als auch in kultureller und sittlicher Hinsicht möglichst gut gesorgt werden muß. Alle diese Dinge dienen dazu, die Familie zu festigen und in der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen.

Die Eltern aber haben das Vorrecht, die Kinder zu ernähren und zu erziehen.

Rechte in wissenschaftlicher Hinsicht

Dem Menschen steht von Natur aus nicht nur das Recht auf freie Initiative in der Wirtschaft zu, sondern auch das Recht auf Arbeit.

Mit diesen Rechten ist ohne Zweifel auch das Recht auf solche Arbeitsbedingungen verbunden, unter denen weder die Körperkräfte geschwächt noch die guten Sitten zugrunde gerichtet noch dem rechten Wachsen und Gedeihen der Jugendlichen Schaden zugefügt wird. Was aber die Frauen angeht, so sind ihnen solche Arbeitsbedingungen zuzugestehen, die den Erfordernissen und Pflichten der Ehefrauen und Mütter entsprechen.

Aus der Würde der menschlichen Person entspringt auch das Recht, im Bewußtsein eigener Verantwortung wirtschaftliche Unternehmungen zu betreiben. Hier darf auch nicht verschwiegen werden, daß der Arbeiter Anspruch auf gerechten Lohn hat. Er muß im Verhältnis zu den verfügbaren Mitteln dem Arbeiter und seiner Familie eine menschenwürdige Lebenshaltung gestatten. Darüber sagt Unser Vorgänger seligen Andenkens Pius XII.: Mit der Pflicht zur Arbeit, die in der Natur begründet ist, stimmt auch das Naturrecht überein, kraft dessen der Mensch fordern kann, daß aus der geleisteten Arbeit ihm und auch seinen Kindern das Lebensnotwendige zufließt; so grundlegend befiehlt die Natur die Erhaltung des Menschen. Ferner leitet sich aus der Natur des Menschen das Recht auf Privateigentum, auch auf Produktivgüter, her. Dieses Recht, wie Wir an anderer Stelle gesagt haben, hilft wirksam, die Würde der menschlichen Person und die freie Berufsausübung in allen Tätigkeitsbereichen zu schützen; schließlich festigt es “die “Verbindung der häuslichen Gemeinschaft und das friedliche und gedeihliche Wachstum im öffentlichen Leben.

Im übrigen ist es nützlich, zu bemerken, daß dem Recht auf Privateigentum eine soziale Funktion innewohnt.

Recht auf Gemeinschaftsbildung

Daraus aber, daß die Menschen von Natur aus gemein-schaftsbezogen sind, entsteht das Recht, sich an einem Orte zu versammeln und sich mit anderen zusammenschließen zu können; daß sie den gegründeten Gemeinschaften jene Form geben, die sie für die Erreichung des gesteckten Zieles für geeigneter halten; daß sie in diesen Gemeinschaften aus eigenem Antrieb und aus eigener Verantwortung handeln und diese zum gewünschten Ziel hinlenken.

In der Enzyklika Mater et Magistra haben Wir selbst sehr darauf gedrungen, wie es durchaus erfordert ist, daß sehr viele Vereinigungen oder Körperschaften gegründet werden entsprechend dem Ziele, das der einzelne Mensch nicht wirksam erreichen kann. Diese Vereinigungen und Körperschaften sind als überaus notwendige Instrumente zu betrachten, um die Würde der menschlichen Person und die Freiheit unantastbarer Verantwortung zu schützen.

Recht auf Auswanderung und Einwanderung

Jedem Menschen muß das Recht zugestanden werden, innerhalb des Staates seinen Wohnsitz zu behalten oder zu ändern; ja, es muß ihm auch unbedingt erlaubt sein, sofern gerechte Gründe dazu raten, in andere Staaten auszuwandern und dort seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Auch dadurch, daß jemand Bürger eines bestimmten Staates ist, hört er in keiner Weise auf, Mitglied der Menschheitsfamilie zu sein als Bürger jener universalen Gemeinschaft und jenes Zusammenschlusses aller Menschen.

Rechte politischen Inhalts

Dazu kommt, daß mit der Würde der menschlichen Person das Recht verknüpft ist, am öffentlichen Leben aktiv teilzunehmen und zum Gemeinwohl beizutragen. Weit davon entfernt, daß der Mensch als solcher für ein Objekt oder ein untätiges Element des sozialen Lebens angesehen werden darf, muß er vielmehr dessen Subjekt, Fundament und Ziel sein.

Zur menschlichen Person gehört auch der gesetzliche Schutz seiner Rechte, der wirksam und unparteiisch sein muß in Übereinstimmung mit den wahren Normen der Gerechtigkeit, wie Unser Vorgänger seligen Andenkens Pius XII. mahnt: Aus der gottgewollten Rechtsordnung folgt das dem Menschen eigene und unveränderliche Recht, das einem jeden Rechtssicherheit verbürgt und einen klar umrissenen Bereich anweist, der jedem willkürlichen Zugriff entzogen ist.

Die Pflichten

Unauflösliche Beziehung zwischen Rechten und Pflichten in derselben Person

Die von Uns bisher erwähnten Rechte, die aus der Natur hervorgehen, sind in dem Menschen, dem sie zustehen, mit ebenso vielen Pflichten verbunden. Diese Rechte und Pflichten leiten ihren Ursprung, ihre Nahrung und unzerstörbare Kraft vom Naturgesetz her, durch das sie zugeteilt oder befohlen sind.

Um dafür einige Beispiele anzuführen: Das Recht des Menschen auf Leben hängt mit der Pflicht zusammen, sein Leben zu erhalten; das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein mit der Pflicht, ehrenhaft zu leben; das Recht, frei nach der Wahrheit zu forschen, mit der Pflicht, in die Wahrheit immer tiefer einzudringen.

Gegenseitige Rechte und Pßichten unter verschiedenen Personen

Daraus folgt auch, daß in der menschlichen Gemeinschaft dem natürlichen Recht des einen eine Pflicht der anderen entspricht: die Pflicht nämlich, jenes Recht anzuerkennen und zu achten. Denn jedes ausschließliche Recht des Menschen leitet seine Kraft und Autorität aus dem Naturgesetz her; es verleiht jenes Recht und legt die entsprechende Pflicht auf. Diejenigen also, die zwar ihre Rechte in Anspruch nehmen, aber ihre Pflichten ganz vergessen oder nicht entsprechend erfüllen, sind denen zu vergleichen, die ein Gebäude mit einer Hand aufbauen und mit der anderen wieder zerstören.

In gegenseitiger Zusammenarbeit

Da die Menschen von Natur aus Gemeinschaftswesen sind, müssen die einen mit den anderen leben und ihr gegenseitiges Wohl suchen. Das geordnete Zusammenleben erfordert deshalb, daß sie gleicherweise Rechte.und Pflichten wechselseitig anerkennen und erfüllen. Daraus ergibt sich auch, daß jeder großmütig seinen Beitrag leisten muß, um jenes Milieu zu schaffen, in dem die Rechte und die Pflichten der Bürger immer sorgfältiger und nutzbringender gewährleistet sind.

Um dafür ein Beispiel anzuführen: Es genügt nicht, dem Menschen das Recht auf das Lebensnotwendige zuzugestehen, ohne nach Kräften dahin zu wirken, daß ihm auch das, was zum Lebensunterhalt gehört, in genügendem Maße zur Verfügung steht.

Dazu kommt, daß die Gemeinschaft der Menschen nicht nur geordnet sein muß, sondern ihnen selbst auch viele nützliche Güter bringen muß. Das verlangt dringend, daß sie ihre Rechte und Pflichten gegenseitig anerkennen und erfüllen, daß sie aber andererseits auch alle gemeinschaftlich an vielen Unternehmungen teilnehmen, die der heutige Stand der Zivilisation erlaubt, nahelegt oder fordert.

Verantwortungsbewußtsein

Außerdem verlangt die Würde der menschlichen Person, daß der Mensch aus eigenem Entschluß und in Freiheit handeln kann.1 Im gegenseitigen Zusammenleben ist deshalb wirklich Grund vorhanden, daß er die Rechte hochhält, die Pflichten wahrt und in unzähligen Werken, die durchzuführen sind, vor allem aus eigenem Antrieb und Entschluß für andere Gemeinschaftsdienst leistet; und zwar so, daß jeder nach seiner Uberzeugung, seinem Urteil und Pflichtbewußtsein handelt und nicht so sehr durch Strafe oder durch meistens von außen stammende Druckmittel dazu veranlaßt wird.

Wenn die Gemeinschaft allein auf Gewalt aufgebaut ist, so ist sie nicht menschlich; die einzelnen haben dann keine Freiheit mehr, während sie doch im Gegenteil zur Lebensentfaltung und zur Erreichung der Vollkommenheit anzuspornen sind.

Zusammenleben in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit

Das Zusammenleben ist deshalb dann als gut geordnet, fruchtbar und der menschlichen Würde entsprechend anzusehen, wenn es auf der Wahrheit gründet, wie der Apostel Paulus mahnt: Darum leget ab die Lüge, redet die Wahrheit im gegenseitigen Verkehr, denn wir sind Glieder untereinander. Das wird dann sicher der Fall sein, wenn jeder seine Rechte und besonders seine Pflichten gegenüber den anderen anerkennt. Überdies wird das Zu-

sammenleben so sein, wie Wir es soeben gezeichnet haben, wenn die Menschen, von der Gerechtigkeit geleitet, sich bemühen, sowohl die Rechte anderer zu achten als auch die eigenen Pflichten zu erfüllen; wenn sie von solch liebevollem Eifer beseelt sind, daß sie die Nöte der anderen wie ihre eigenen empfinden und die anderen an ihren Gütern teilnehmen lassen, und somit darnach streben, daß auf der Welt die höchsten geistigen Werte unter allen verbreitet werden. Aber auch das genügt noch nicht; denn die menschliche Gemeinschaft wächst durch die Freiheit zusammen, und zwar auf eine Weise, die der Würde der Menschen angemessen ist. Da diese von Natur aus vernunftbegabt sind, tragen sie deshalb auch die Verantwortung für ihre Taten.

Das Zusammenleben der Menschen ist deshalb, ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, vor allem als etwas aufzufassen, was vor allem dem geistigen Bereich zugehört. Die Menschen sollen im hellen Licht der Wahrheit Erkennmisse untereinander austauschen; sie sollen ihre Rechte wahrnehmen und ihre Pflichten erfüllen können; sie sollen angespornt werden, die geistigen Güter zu erstreben ; aus jeder schicklichen Sache, wie immer sie beschaffen sein mag, sollen sie eine gemeinsame rechtschaffene Freude schöpfen; in einem beständigen Willen sollen sie dahin neigen, das Beste, was sie haben, einander mitzuteilen. Diese Güter beleben und lenken alles, was sich auf die Wissenschaften, die Wirtschaft, die sozialen Einrichtungen, die Entwicklung und die Ordnung des Staates, die Gesetzgebung und schließlich auf alle übrigen Dinge bezieht, die äußerlich das menschliche Zusammenleben ausmachen und in seinem ständigen Fortschritt zum Ausdruck bringen.

Gott, das Fundament der sittlichen Ordnung

Die Ordnung jedoch, die im menschlichen Zusammenleben waltet, ist ganz geistiger Art. Da sie auf der Wahrheit aufruht, ist sie nach den Geboten der Gerechtigkeit zu verwirklichen; sie verlangt, durch gegenseitige Liebe beseelt und zur Vollendung geführt zu werden; schließlich ist sie in ungeschmälerter Freiheit zu einer täglich menschenwürdigeren Ausgeglichenheit zu gestalten.

Aber diese Art von Ordnung — deren Prinzipien sich auf alle erstrecken und insbesondere absolut und unveränderlich sind — geht ganz vom wahren, und zwar vom persönlichen und die^e\äc^ffiMdP'Natur übersteigenden Gott aus. Denn da Gott die erste Wahrheit aÜer Dinge und das höchste Gut ist, ist Er zugleich die erhabene Quelle, aus der die menschliche Gemeinschaft allein wahrhaft Leben schöpfen kann, die ohne Zweifel recht geordnet und fruchtbar und der menschlichen Würde angemessen sein muß. Hierher gehört jenes Wort des heiligen Thomas von Aquin: Daß aber die menschliche Vernunft die Richtschnur des menschlichen Willens sei, nach der seine Güte zu messen ist, das hat sie aus dem ewigen Gesetz, welches die göttliche Vernunft ist ... Deshalb ist deutlich, daß die Güte des menschlichen Willens viel mehr vom ewigen Gesetz abhängt als von der menschlichen Vernunft.

Zeichen der Zeit

Diese unsere Zeit ist durch drei Merkmale gekennzeichnet.

Vor allem im wirtschaftlich-sozialen Aufstieg der Arbeiterklasse. Den Anfang machte die Wahrung der Rechte des Arbeiters, besonders auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet; dann machten die Arbeiter den Schritt zur Wahrung ihrer politischen Interessen; schließlich richteten sie ihren Sinn besonders darauf, in angemessener Weise an den Gütern der Kultur teilzunehmen. Deshalb sind die Arbeiter heutzutage auf der ganzen Welt besonders darauf bedacht, daß sie nie gleichsam nur als Sache ohne Verstand und Freiheit eingeschätzt werden, die andere benützen, sondern als Menschen in allen Bereichen menschlicher Gemeinschaft, das heißt auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, im Staat und schließlich auch auf dem Feld der Wissenschaften und der Kultur.

An zweiter Stelle steht die allgemein bekannte Tatsache, daß die Frau am öffentlichen Leben teilnimmt, was vielleicht rascher geschieht bei den christlichen Völkern und langsamer, aber in aller Breite, bei den Völkern, welche als Erben anderer Überlieferungen einen anderen Lebensstil gewohnt sind. Denn die Frau, die sich ihrer Menschenwürde heutzutage immer mehr bewußt wird, ist weit davon entfernt, sich als seelenlose Sache oder als bloßes Werkzeug einschätzen zu lassen; sie fordert vielmehr, daß sie sowohl im häuslichen Leben wie im Staat Rechte und Pflichten hat, die der Würde der menschlichen Person entsprechen.

Schließlich bemerken wir in unseren Tagen, daß die Menschheitsfamilie im sozialen wie im öffentlichen Leben

rne völlig neue Gestalt angenommen hat. Da nämlich alle Völker für sich Freiheit beanspruchen oder beanspruchen werden, wird es bald keine Völker mehr geben, die über andere herrschen, noch solche, die unter fremder Herrschaft stehen. Denn die Menschen aller Länder und Völker sind entweder bereits Bürger eines freien Staatswesens, oder es ist bald soweit, daß sie es werden, und die Gemeinschaft keines einzigen Stammes will ferner unter fremder Herrschaft stehen. Denn heutzutage schwinden die Auffassungen, die so viele Jahrhunderte überdauerten, auf Grund derer sich manche Menschengruppen für minderwertig hielten, während andere sich überlegen dünkten, sei es wegen ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Stellung, sei es wegen des Geschlechtes oder ihres gesellschaftlichen Ranges.

Dagegen verbreitete und behauptete sich weitgehendst die Auffassung, daß alle Menschen durch die Würde ihrer Natur unter sich gleich seien. Deshalb wird, wenigstens theoretisch, eine Diskriminierung der Rassen in keiner Weise mehr anerkannt. Und dies ist von größter Bedeutung und größtem Gewicht für das Zustandekommen menschlichen Zusammenlebens nach den Prinzipien, die Wir erwähnt haben. Wenn also in einem Menschen das Bewußtsein seiner Rechte entsteht, muß in ihm auch notwendig das Bewußtsein seiner Pflicht entstehen, so daß, wer bestimmte Rechte hat, zugleich auch die Pflicht hat, sie als Zeichen seiner Würde zu beanspruchen, in den übrigen Menschen aber die Pflicht, diese Rechte anzuerkennen und hochzuschätzen.

Und dadurch, daß das staatsbürgerliche Gefüge auf Rechten und Pflichten aufgebaut ist, erkennen dann die Menschen sofort deutlich und werden sich bewußt, daß sie Glieder einer Gesellschaftsordnung sind. Sie entdecken hier die geistigen Werte, nämlich was Wahrheit, was Gerechtigkeit, was Liebe und was Freiheit ist. Doch nicht genug! Denn auf diesem Wege kommen die Menschen dazu, den wahren Gott besser zu erkennen, der die Menschennatur überragt und Person ist. Deshalb halten sie die Beziehungen zu Gott für das Fundament ihres Lebens, das in ihrem Inneren lebt und sie mit den übrigen Menschen verbindet.

II.

BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN MENSCHEN UND DER STAATSGEWALT

DER POLITISCHEN GEMEINSCHAFTEN

Notwendigkeit der Autorität und ihr göttlicher Ursprung

Die menschliche Gesellschaft kann weder gut geordnet noch fruchtbar sein, wenn es in ihr niemanden gibt, der mit rechtmäßiger Autorität die Ordnung aufrechterhält und mit der notwendigen Sorgfalt auf das allgemeine Wohl bedacht ist. Alle Autorität aber leitet sich von Gott her, wie der heilige Paulus lehrt: Es gibt keine Gewalt, außer von Gott. Diese Lehre des Apostels erklärt der heilige Johannes Chrysostomus folgendermaßen: Was sagst du Ist jeder einzelne Fürst von Gott eingesetzt? Das behaupte ich nicht; denn ich habe jetzt nicht von den einzelnen Fürsten zu reden, sondern über die Sache an sich. Denn daß es Fürstentümer gibt, und daß die einen befehlen, die anderen gehorchen, und daß alles nicht zufällig und planlos verursacht ist, das ist Sache der göttlichen Weisheit, behaupte ich. Gott hat aber die Menschen ihrer Natur nach als Gemeinschaftswesen geschaffen, und weil keine Gemeinschaft bestehen kann, außer wenn einer allen vorsteht und jeden durch einen wirksamen und einheitlichen Impuls auf ein gemeinsames Ziel hinlenkt, so folgt daraus, daß für die bürgerliche Gemeinschaft eine Autorität nötig ist, die sie lenkt; sie stammt wie die Gemeinschaft selbst aus der Natur und deshalb von Gott als deren Urheber. Dennoch darf man nicht glauben, die Autorität sei an keine Norm gebunden. Da sie im Gegenteil daraus entspringt, nach Maßgabe der Vernunft zu befehlen, muß gefolgert werden, daß sie die Gewalt, Verpflichtungen aufzuerlegen, aus der sittlichen Ordnung herleitet, die ihrerseits Gott als Ursprung und Ziel hat. Deshalb schreibt Unser Vorgänger Pius XII. seligen Andenkens : Die absolute Ordnung der Lebewesen und selbst das Ziel des Menschen — Wir meinen den freien Menschen, der verbindliche Pflichten hat und mit unverletzlichen Rechten ausgestattet ist als Ursprung und Zweck der menschlichen Gemeinschaft — umfassen auch den mit Autorität ausgezeichneten Staat als gleichsam notwendige Gemeinschaft, ohne die er weder sein noch leben könnte ... Da diese Ordnung aller Dinge gemäß der rechten Vernunft und besonders dem christlichen Glauben nur von Gott, dem persönlichen Schöpfer aller, ausgehen kann, erhalten auch die Obrigkeiten von Ihm ihre Würde, da sie gewissermaßen an der Autorität Gottes teilhaben.

Befehlsgewalt, die nur oder hauptsächlich auf Drohung

und Furcht vor Strafen oder auf Versprechungen von Lohn beruht, treibt keineswegs wirksam dazu an, das gemeinsame Wohl aller zu verwirklichen; sollte es doch der Fall sein, so wäre dies doch nicht in Übereinstimmung mit der Würde von Menschen, die der Freiheit und des Vernunftgebrauches fähig und teilhaft sind. Denn da die Autorität hauptsächlich in einer geistigen Gewalt besteht, müssen die Staatslenker an das Gewissen eines jeden appellieren, das heißt an die Pflicht eines jeden, sich bereitwillig für das gemeinsame Wohl aller einzusetzen. Weil aber alle Menschen in der natürlichen Würde unter sich

gleich sind, ist keinem von ihnen erlaubt, einen anderen innerlich zu verpflichten. Gott allein kann das tun, der ja als einziger die geheimen Ratschlüsse des Herzens durchforscht und richtet.

Die staatliche Obrigkeit darf die Menschen also nur dann im Gewissen verpflichten, wenn ihre Autorität mit Gottes Autorität in Einklang steht und an dieser teilhat.

Wo dieses Prinzip gilt, wird auch für die Würde der Menschen Sorge getragen. Indem sie nämlich den Regierungen gehorchen, gehorchen sie ihnen keineswegs als bloßen Menschen, sondern sie ehren tatsächlich Gott, den sorgenden Schöpfer aller Dinge, der anordnete, daß die Beziehungen unter den Menschen nach der von ihm festgesetzten Ordnung verwaltet werden; und dadurch, daß wir Gott die schuldige Ehrfurcht erweisen, unterdrücken wir auch nicht unsere Überzeugung, vielmehr erheben und adeln wir sie; denn Gott zu dienen ist herrschen.

Da die staatliche Gewalt von der Ordnung der geistigen Dinge gefordert wird und von Gott ausgeht, können weder erlassene Gesetze noch erteilte Vollmachten die Staatsbürger verpflichten, wenn die Staatslenker gegen diese Ordnung und deshalb gegen Gottes Willen Gesetze erlassen oder etwas vorschreiben; denn man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen; in diesem Falle wird die Autorität sogar ganz hinfällig und zum Mißbrauch der Gewalt, wie der heilige Thomas von Aquin lehrt: Zum zweiten ist zu sagen, daß das menschliche Gesetz nur insoweit die Beschaffenheit eines Gesetzes hat, als es der rechten Vernunft gemäß ist; und demzufolge ist es offenbar, daß es vom ewigen Gesetz abgeleitet wird. Insofern es aber von der Vernunft abweicht, wird es als ungerechtes Gesetz bezeichnet, und es hat nicht die Beschaffenheit eines Gesetzes, sondern eher die einer Gewalttätigkeit.

Jedoch daraus, daß die Autorität aus Gott stammt, wird in keiner Weise geschlossen, daß die Menschen keine Möglichkeiten hätten, diejenigen zu wählen, die an der Spitze des Staates stehen sollen, oder die Staatsform zu bestimmen oder den Umfang sowie die Art und Weise der Gewaltausübung abzugrenzen. Daher kann diese Lehre mit jeder demokratischen Regierungsform in Einklang gebracht werden, die diesen Namen wirklich verdient.

Die Sorge für das Gemeinwohl als Existenzgrund der öffentlichen Gewalt

Die einzelnen Menschen wie alle Körperschaften sind gehalten, durch ihren Beitrag das Gemeinwohl zu fördern. Daraus folgt hauptsächlich, daß sie die eigenen Interessen den Bedürfnissen der anderen anpassen; daß sie ihren persönlichen und sachlichen Beitrag zu dem leisten, was die Lenker des Staates vorgeschrieben haben, und zwar nach den Normen der Gerechtigkeit und unter Wahrung von Maß und Ziel des Befehlens. Wer nämlich die Staatsgewalt ausübt, muß solche Handlungen vorschreiben, die nicht nur formell ordnungsmäßig sind, sondern auch sittlich gut oder doch wenigstens auf das Gute hingerichtet.

Die Existenzberechtigung aller öffentlichen Gewalt ruht aber in der Verwirklichung des Gemeinwohls, das nur unter Berücksichtigung seiner wesentlichen Voraussetzungen wie der gegebenen zeithchen Verhältnisse erreicht werden kann.

Grundlegende Gesichtspunkte zum Gemeinwohl

Gewiß bestimmt sich das Gemeinwohl auch aus den besonderen Eigenschaften eines jeden Volkes; doch bilden diese keineswegs dessen ausschließlichen Inhalt. Denn weil es wesentlich mit der Menschennatur zusammenhängt,

kann es als solches nicht doktrinär oder gar historisch bestimmt werden, sondern muß immer die ganze menschliche Person unter dem Blickpunkt ihrer innersten Natur und Aufgabe berücksichtigen.

Dazu kommt, daß an diesem Gute kraft seiner Natur alle Glieder einer politischen Gemeinschaft teilhaben müssen, wenn auch in verschiedenem Grade je nach den Aufgaben, Verdiensten und Verhältnissen des einzelnen. Deshalb müssen alle Staatslenker darauf hinarbeitan, das gemeinsame Wohl ohne Bevorzugung irgendeines Bürgers oder einer Bevölkerungsschicht zum Nutzen aller zu fördern, wie Unser Vorgänger unsterblichen Andenkens Leo XIII. bekräftigt, wenn er sagt: Auf keinen Fall darf zugelassen werden, daß die Staatsgewalt dem Vorteil eines einzelnen oder nur weniger diene, während sie doch für das Wohl aller eingesetzt ist. Es können allerdings Gründe der Gerechtigkeit und Billigkeit zuweilen fordern, daß die Behörden sich um die Unbemittelten sorgsamer kümmern, da diese selbst weniger in der Lage sind, ihre Rechte geltend zu machen und die ihnen zustehenden Interessen wahrzunehmen.

Doch an dieser Stelle glauben Wir, Unsere Söhne darauf hinweisen zu müssen, daß das Gemeinwohl sich auf den ganzen Menschen erstreckt, also auf die Erfordernisse des Leibes ebenso wie auf die des Geistes. Darauf folgt, daß die Führer des Staates darauf sehen müssen, dieses Gut auf geeigneten Wegen und Abstufungen zu verwirklichen, nämlich so, daß sie unter Einhaltung der rechten Wertordnung den Bürgern sowohl die materielle Wohlfahrt wie auch die geistigen Güter vermitteln.

Diese Grundsätze stehen in vollem Einklang mit dem Satz Unseres Rundschreibens Mater et Magistra, in welchem Wir dargelegt haben, daß das Gemeinwohl den Inbegriff jener Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens umfaßt, die den Menschen die volle Entfaltung ihrer Werte ermöglichen oder erleichtern.

Da die Menschen aus Leib und unsterblicher Seele bestehen, können sie in diesem sterblichen Leben weder ihr Dasein voll ausschöpfen noch ein vollkommenes Glück erreichen. Darum muß das Gemeinwohl auf eine Weise verwirklicht werden, die dem ewigen Heil der Menschen nicht nur nicht entgegensteht, sondern ihm vielmehr dient.

Aufgaben der öffentlichen Gewalt und Rechte und Pflichten der Person

Da man heutzutage annimmt, daß das Gemeinwohl vor allem in der Wahrung der Rechte und der Pflichten der menschlichen Person besteht, muß dem Staat besonders daran gelegen sein, daß einerseits diese Rechte anerkannt, geachtet, aufeinander abgestimmt, geschützt und gefördert werden und daß andererseits ein jeder seinen Pflichten leichter nachkommen kann. Denn die unantastbaren Rechte der menschlichen Persönlichkeit zu schützen und die Erfüllung seiner Pflichten zu erleichtern ist wesentliche Aufgabe jeder öffentlichen Gewalt.

Wenn deshalb Staatsbehörden die Rechte der Menschen

nicht anerkennen oder sie verletzen, weichen sie nicht nur von ihrer Aufgabe ab, vielmehr verlieren ihre Anordnungen auch jede rechtliche Verpflichtung.

Harmonische Abstimmung und ivirksamer Schutz der Rechte und Pflichten der Person

So obliegt den Staatsorganen die vordringliche Pflicht, die gesellschaftlichen Rechte der Menschen derart zu bilden und aufeinander abzustimmen, daß die einen in der Ausübung ihrer Rechte die anderen in ihren Rechten nicht stören; ferner daß der eine, der seine Rechte wahrt, nicht andere von der Erfüllung ihrer Pflichten abhält; und daß endlich die Rechte aller wirksam gewahrt bleiben und, falls solche verletzt wurden, diese vollkommen wiederhergestellt werden.

Die Pflicht zur Förderung der Persönlichkeitsrechte

Ferner müssen die staatlichen Stellen im Interesse des Gemeinwohls sich auch dafür einsetzen, daß ein Zustand herrsche, in dem es den einzelnen Menschen möglich, und zwar leicht möglich ist, sowohl ihre Rechte wahrzunehmen als auch ihre Pflichten zu erfüllen. Hat uns doch die Erfahrung gelehrt: wenn in der Wirtschaft, in der Politik, in den kulturellen Fragen die vorgesetzten Stellen nicht in rechter Weise vorangehen, so greifen, besonders in unseren Tagen, die Unstimmigkeiten immer weiter um sich, und so geschieht es, daß die Rechte des Menschen ohne Inhalt und seine Pflichten ohne Auswirkung bleiben.

Darum müssen die Vertreter des Staates unbedingt dafür Sorge tragen, daß die Bürger wie in wirtschaftlicher so auch in sozialer Hinsicht fortschreiten und daß im Sinne der erklärten Wertschaffung die wesentlichen Vorbedingungen verwirklicht werden. Solche sind: Straßenbau, Transport, Verkehrsmittel, Trinkwasser, Wohnungen, sanitäre Hilfe, Unterricht, geeignete Unterstützung für das religiöse Leben und schließlich Erholungsmöglichkeiten. Die Staatsbehörden sollen auch für die Schaffung von Versicherungen sorgen, damit es nicht an dem zu einer würdigen Lebensführung Notwendigen fehle, wenn ein Unglücksfall eintritt oder wenn sich allzu große Erschwerungen für die familiären Verpflichtungen ergeben. Nicht minder müssen die Inhaber der staatlichen Gewalt dafür sorgen, daß den Arbeitsfähigen eine ihren Kräften entsprechende Beschäftigung geboten werde; daß einem jeden der Lohn nach den Gesetzen der Gerechtigkeit und Billigkeit ausbezahlt werde; daß-die Arbeiter sich in den Wirtschaftsunternehmungen als mitverantwortliche Teilhaber der vollbrachten Leistung fühlen dürfen; daß ungehindert Verbände gegründet werden können, durch welche das Gesellschaftsleben ausgeprägter und fruchtbarer wird; daß endlich alle in angemessenem Umfang an den Gütern der Kultur und Bildung teilhaben können.

Gleichgewicht zwischen den beiden Formen des staatlichen Eingreifens

Das allgemeine Wohl verlangt aber ein zweifaches: einmal die Festlegung und Wahrung, dann aber auch die Förderung der Rechte des einzelnen. Hier jedoch ist mit wacher Sorgfalt darauf zu achten, daß beide Funktionen sich weise ergänzen. So muß vermieden werden, daß durch die Uberbetonung des Rechtsschutzes zugunsten bestimmter Personen oder Personenkreise privilegierte Gruppen entstehen; und daß man auch nicht, indem man auf die Förderung der bürgerlichen Rechte ausgeht, zugleich in absurder Weise ihre wirkliche Ausübung verhindert. Denn dies muß immer festgehalten werden: Die Sorge des Staates für die Wirtschaft, so weit und tief sie auch in das Gemeinschaftsleben eingreift, muß dennoch dergestalt sein, daß sie den Raum der Privatinitiative der einzelnen nicht nur nicht einschränkt, sondern vielmehr ausweitet, allerdings so, daß die wesendichen Rechte jeder menschlichen Person gewahrt bleiben.

Daran müssen sich auch die verschiedenen Bemühungen halten, die von den Staatsbehörden in der Absicht unternommen werden, daß die Bürger leichter sowohl ihre Rechte gebrauchen wie auch in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ihren Pflichten nachkommen können.

Struktur und Funktion der öffentlichen Gewalt

Im übrigen kann nicht ein für allemal entschieden werden, welche Staatsform die geeignetere sei oder durch welche Maßnahmen die Behörden ihre Aufgaben angemessener erfüllen können in bezug auf die Gesetzgebung, die öffentliche Verwaltung und die Rechtsprechung.

Um tatsächlich festzustellen, in welcher Form ein Staat regiert werden und wie er seine Aufgaben erfüllen soll, müssen vielmehr der augenblickhche Zustand und die Lage eines jeden Volkes in Betracht gezogen werden, die je nach Ort und Zeit verschieden sind. Wir meinen aber,

es entspricht der Menschennatur, wenn das Zusammenleben der Menschen so gestaltet wird, daß es auf jener dreifachen Ordnung beruht, die den drei hauptsächlichen Aufgaben der Staatsgewalt gut entsprechen dürfte; denn in einem solchen Staate sind nicht nur die Obliegenheiten der Behörden, sondern auch die Beziehungen zwischen Bürgern und den Trägern der Hoheitsgewalt rechtlich umschrieben. Gewiß gibt dies den Bürgern in der Wahrung ihrer Rechte wie auch in der Erfüllung ihrer Pflichten einen bestimmten Schutz.

Damit jedoch eine solche rechtliche und politische Staatsordnung den erwarteten Nutzen bringe, fordert es die Natur der Sache, daß die Behörden so ihres Amtes walten und die auftretenden Schwierigkeiten mit geeigneten Verfügungen und Mitteln beheben, daß diese mit ihren Aufgaben und mit der jeweiligen Lage des Staates übereinstimmen. Ebenso ist erforderlich, daß bei der ständig sich verändernden Lage die staatlichen Gesetzgeber bei ihrem Vorangehen weder die sittlichen Gebote noch die staatlichen Gesetze noch die Interessen des Gemeinwohls jemals außer aucht lassen. Und wie es den Verwaltungsorganen obliegt, in genauer Kenntnis der Gesetze und nach sorgfältiger Erwägung der Begleitumstände alles dem Rechte gemäß zu regeln, so müssen die Richter mit menschlicher Geradheit, aber frei von aller Parteilichkeit, jedem zu seinem Recht verhelfen. Die Ordnung der Dinge verlangt sodann, daß die einzelnen Bürger nicht minder als die verschiedenen Körperschaften gesetzlich entsprechend gesichert seien, wenn sie Rechte zu behaupten und Pflichten zu erfüllen haben, ob es sich nun um die Beziehungen der Bürger untereinander oder um ihr Verhältnis zu den Behörden handelt.

Rechtsordnung und sittliches Gewissen

Es kann keinem Zweifel unterhegen, daß die Rechtsordnimg eines Staates, die mit den Geboten der moralischen Ordnung und mit einer entsprechenden, fortgeschrittenen Reife der politischen Gemeinschaft im Einklang steht, in hohem Maße zur Verwirklichung des Allgemeinwohls beiträgt.

Doch ist in unseren Tagen das Gesellschaftsleben so mannigfach, so vielfältig und so drängend, daß die rechtliche Ordnung, wenn auch mit großer Klugheit und vorausschauender Umsicht ausgearbeitet, den bestehenden Notwendigkeiten häufig nicht gewachsen scheint.

Überdies sind die Beziehungen zwischen den einzelnen Bürgern wie die der Bürger und Verbände zu den Behörden und schließlich die Beziehungen zwischen den verschiedenen Behörden innerhalb des Staatswesens zuweilen so heikel und schwierig, daß sie sich nicht in genauen Rechtsbestimmungen festlegen lassen. Wenn in solchen Fällen, wie die Sache selbst es erfordert, die Staatslenker die gegebene Rechtsordnung — sowohl in sich selbst wie auch in ihren tieferen Grundlagen — unversehrt bewahren wollen, wenn sie aufgeschlossen sein wollen für die wesenthchen Forderungen des sozialen Lebens, wenn sie die Gesetze an die Gegebenheiten und Gebräuche des heutigen Lebens anpassen und die neuen Probleme lösen wollen, dann müssen sie selbst klare Begriffe haben über Natur und Umfang ihrer Aufgaben; und sie müssen eine solche geistige Ausgeglichenheit und Rechtschaffenheit und so viel praktischen Sinn und Ausdauer des Willens besitzen, daß sie unverzüglich erfassen, was geschehen muß, und dies rechtzeitig und tatkräftig durchführen.

Teilnahme der Bürger am öffentlichen Leben

Daß es den Menschen gestattet ist, am öffentlichen Leben aktiv teilzunehmen, ist ein Vorrecht ihrer Würde als Personen, auch wenn sie die Teilnahme selbst nur in den Formen betätigen können, die dem Zustande des Staatswesens entsprechen, dessen Glieder sie sind.

Aus der Teilnahme am öffentlichen Leben ergeben sich neue, sehr weitgehende und nützliche Möglichkeiten. Auf diese Weise kommen die leitenden Beamten häufiger in Berührung und ins Gespräch mit den Bürgern und können somit leichter erfahren, was zum Gemeinwohl beiträgt. Zudem verhindert die regelmäßige Ablösung der Staatsbeamten eine Überalterung der Behörden und sorgt für deren Erneuerung zum Fortschritt der menschlichen Gesellschaft.

Zeichen der Zeit

In der heutigen Zeit begegnet man bei der rechtlichen Organisation der politischen Gemeinschaften in erster Linie der Forderung, daß in klaren und bestimmten Sätzen eine Zusammenfassung der den Menschen eigenen Grundrechte ausgearbeitet wird, die nicht selten in die Staatsverfassung selbst aufgenommen wird.

Ferner wird gefordert, daß in exakter juristischer Form die Verfassung eines jeden Staates festgelegt wird. Darin soll angegeben werden, auf welche Weise die Lenker des

Staates ernannt werden, durch welches Band sie untereinander verknüpft sind, wofür sie zuständig sind, und schließlich, auf welche Art und Weise sie zu handeln verpflichtet sind.

Schließlich wird gefordert, daß hinsichtlich von Recht und Pflicht die Beziehungen festgelegt werden, die zwischen den Bürgern und den Staatsbehörden gelten sollen; daß deutlich als ihre Hauptaufgabe betont werde, die Rechte und Obliegenheiten der Bürger anzuerkennen, zu achten, harmonisch miteinander in Einklang zu bringen, zu schützen und zur Förderung anzuspornen.

Gewiß kann die Ansicht jener nicht gebilligt werden, die behaupten, der Wille einzelner Menschen oder von Gemeinschaften wäre die erste und einzige Quelle, woraus die Rechte und Pflichten kommen und woraus sich sowohl die Verpflichtung der Verfassungen wie auch die Autorität der Staatslenker ergebe.

Die erwähnten Bestrebungen bezeugen deutlich, daß die Menschen in unserer Zeit sich immer mehr ihrer eigenen Würde bewußt und sich dadurch angetrieben fühlen, aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen und zu fordern, daß die eigenen, unverletzlichen Rechte in der Verfassung des Staates festgehalten werden. Überdies fordern die Menschen heute noch, daß die Staatsbehörden gemäß den in der Verfassung festgelegten Richtlinien gewählt werden und daß sie ihre Ämter in den dort bestimmten Grenzen ausüben.

III.

BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN POLITISCHEN GEMEINSCHAFTEN

Träger von Rechten und Pflichten

Was Unsere Vorgänger oftmals gelehrt haben, das wollen auch Wir nun mit Unserer Autorität bekräftigen: Es bestehen zwischen den Nationen gegenseitige Rechte und Pflichten. Deshalb sollen auch ihre Beziehungen von den Richdinien der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der tatkräftigen Einheit und der Freiheit bestimmt werden. Das gleiche Naturgesetz, das die Lebensbeziehungen unter den einzelnen Bürgern regelt, soll auch die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Staaten leiten.

Dies ist leicht zu begreifen, wenn man bedenkt, daß die Staatslenker keineswegs ihre Würde einbüßen, wenn sie so im Namen und für die Interessen dieser ihrer Gemeinschaft arbeiten; darum ist es ihnen nicht erlaubt, dem sie verpflichtenden Naturgesetz, das die Grundregel der Sittlichkeit selbst ist, untreu zu werden.

Im übrigen ist es ganz undenkbar, daß Menschen gezwungen werden können, ihr Menschsein aufzugeben, weil sie mit der Leitung des Staates beauftragt sind. Haben sie doch im Gegenteil gerade deshalb den Rang dieser höchsten Würde erlangt, weil sie in Anbetracht ihrer ausgezeichneten Geistesgaben und Anlagen als die vortrefflichsten Glieder des Staates befunden wurden.

Es folgt auch schon aus der moralischen Ordnung selbst, daß die bürgerliche Gemeinschaft der Menschen einer Autorität bedarf, durch die sie geleitet wird, und daß die Autorität nicht gegen die Ordnung selbst gekehrt werden kann; dann würde sie sofort hinfällig werden, da ihr das Fundament entzogen wäre. Dies ist die Mahnung Gottes selbst: Höret nun, ihr Könige, und merket wohl, lernet, ihr Richter der Enden der Erde! Lauschet, ihr Herrscher über die Volksmenge, die ihr euch brüstet mit Völkermassen! Denn vom Herrn ward euch die Macht gegeben und die Herrschaft vom Höchsten, der eure Werke prüfen und eure Pläne untersuchen wird.

Auch hinsichtlich der Regelung der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Staaten muß die Autorität für die Förderung des Gemeinwohls aller eintreten, da sie doch in erster Linie zu diesem Zweck eingesetzt ist.

Zu den obersten Gesetzen des Gemeinwohls gehört aber, daß die moralische Ordnung anerkannt und ihre Gebote unverletzt bewahrt werden. Die rechte Ordnung unter den Staaten muß aufgebaut sein auf dem unerschütterlichen und unverrückbaren Felsen eines Sittengesetzes, das vom Schöpfer selbst durch die Ordnung der Natur erlassen und unaustilgbar in die Herzen der Menschen eingeschrieben ist ... Wie ein Leuchtturm muß es mit dem Strahl seiner Grundsätze allen menschlichen und staatlichen Bemühungen die Richtung weisen. Seine Mahnungen sowie heilsamen und wohltätigen Warnsignale müssen alle befolgen, wollen sie nicht Arbeit und Mühe zur Aufrichtung einer Neuordnung von vornherein zu einem Schiffbruch auf stürmischer See verurteilen.

In der Wahrheit

Die wechselseitigen Beziehungen der politischen Gemeinschaften untereinander müssen von der Wahrheit geleitet sein. Die Wahrheit verlangt aber, daß es darin keine

Diskriminierung der Rassen geben darf; denn das Prinzip muß anerkannt werden, daß alle politischen Gemeinschaften durch die Würde der Natur untereinander gleichgestellt sind. Jeder hat also das Recht auf das Dasein, auf Entfaltung, auf den Besitz der dazu notwendigen Mittel und auch darauf, daß er in der Verwirklichung alles dessen auch die Verantwortung übernimmt. Desgleichen kann er rechtmäßig verlangen, daß er in gutem Rufe stehe und daß ihm die gebührende Ehre erwiesen wird.

Die Erfahrung lehrt, daß die Menschen sehr häufig und auch in hohem Maße voneinander verschieden sind an Wissen, Tugend, Geisteskraft und an Besitz äußerer Güter. Daraus kann aber niemals ein gerechter Grund abgeleitet werden, daß diejenigen, die den übrigen überlegen sind, diese irgendwie von sich abhängig machen; vielmehr haben sie die größere, auf alle einzelnen sich erstreckende Verpflichtung, den anderen zu der durch gegenseitiges Bemühen zu erringenden Vollkommenheit zu verhelfen.

So kann es vorkommen, daß auch unter den Nationen die einen den anderen voraus sind an wissenschaftlichem Fortschritt, an menschlicher Kultur und an wirtschaftlicher Entwicklung. Doch diese Vorzüge erlauben es ihnen keineswegs, in ungerechter Weise andere zu beherrschen, sondern sollen ihnen vielmehr ein Ansporn sein, mehr zum gemeinsamen Fortschritt der Völker beizutragen.

Die Menschen können ihrer Natur nach den anderen nicht überlegen sein, da alle mit der gleichen Würde der Natur ausgezeichnet sind. Folglich unterscheiden sich auch die staatlichen Gemeinschaften nicht voneinander hinsichtlich der ihnen durch die Natur gegebenen Würde; die einzelnen Staaten gleichen nämlich einem Körper, dessen Glieder die Menschen sind. Im übrigen darf hier nicht vergessen werden, daß die Völker in allem, was irgendwie die Würde ihres Namens betrifft, äußerst empfindsam sind, und zwar mit Recht.

Ferner gebietet die Wahrheit, daß man sich bei den vielfältigen Initiativen, die durch den Fortschritt der modernen Technik in den Publikationsmitteln ermöglicht wurden, von vornehmer Sachlichkeit leiten lasse, eine Haltung, durch die die gegenseitige Kenntnis der Völker gefördert wird. Dies schließt nicht aus, daß es für die Völker gerechtfertigt ist, die positiven Seiten ihres Lebens ^dap .rechte Licht zu rücken. Abzulehnen sind jedoch jgne Formen der Nachrichtengebung, durch die unter Mißachtung der Gebote der Wahrheit und Gerechtigkeit der Ruf eines Volkes verletzt wird.

In Gerechtigkeit

Die gegenseitigen Beziehungen der Staaten müssen gemäß den Forderungen der Gerechtigkeit geregelt werden. Dies bedeutet, daß die beiderseitigen Rechte und Pflichten anerkannt und erfüllt werden.

Die Staaten haben das Recht auf Dasein, auf Entfaltung und Erwerb der für ihren Fortschritt notwendigen Mittel wie| auch das Recht, dabei die Erstbeteüigten zu sein sowie ihren guten Ruf und die ihnen gebührenden Ehren zu sichern. Daraus folgt, daß die Staaten in gleicher Weise verpflichtet sind, diese Rechte im einzelnen zu achten und alles zu unterlassen, was eine Verletzung derselben bedeuten könnte. Wie nämlich die Menschen in ihren Privatangelegenheiten ihren eigenen Vorteil nicht zum Schaden anderer suchen dürfen, so dürfen auch die Staaten nicht — wenn sie nicht ein Verbrechen begehen wollen — einen solchen Zuwachs erstreben, durch den anderen Nationen Unrecht zugefügt oder sie ungerecht bedrückt würden. Hier scheint das Wort des heiligen Augustinus zutreffend: Ist die Gerechtigkeit fort, was sind dann die Reiche anderes als große Räubereien:

Es kann natürlich vorkommen, wie es auch tatsächlich geschieht, daß die Vorteile und Interessen, welche die politischen Gemeinschaften für sich zu gewinnen suchen, einander widerstreiten. Die daraus entstehenden Gegensätze sollen aber nicht mit Waffengewalt und nicht mit Trüg und List gelöst werden, sondern, wie es sich für Menschen geziemt, in gegenseitigem Einvernehmen durch reifliche, sachliche Überlegungen und durch unparteiische Schlichtung.

Die Behandlung der Minderheiten

Hierher gehört im besonderen jene Tendenz, die seit dem 19. Jahrhundert sich im Staatsleben überall verbreitete und zunahm. Sie besteht darin, daß die Menschen gleicher Abstammung selbständig und zu einer Nation vereint sein wollen. Dies kann jedoch aus verschiedenen Gründen nicht immer durchgeführt werden, und daraus ergibt sich die Tatsache, daß völkische Minderheiten innerhalb des Gebietes einer anderen Nation festgehalten werden und dann schwerwiegende Fragen aufwerfen.

Hierzu muß offen gesagt werden: Was immer gegen

diese Völker zur Unterdrückung der Lebenskraft und des Wachstums ihres Stammes unternommen wird, ist eine schwere Verletzung der Gerechtigkeit, und dies um so mehr, wenn derartige Versuche auf die Ausrottung des Stammes selbst abzielen.

Hingegen entspricht es vollkommen den Geboten der Gerechtigkeit, wenn die Staatslenker sich tatkräftig bemühen, die Lebensbedingungen der Minderheiten zu heben, namentlich in dem, was deren Sprache, Kultur, Herkommen und Gebräuche sowie wirtschaftliche Unternehmungen und Initiativen betrifft.

Dennoch muß hervorgehoben werden, daß die Minderheiten — sei es als Folge einer Reaktion auf ihre gegenwärtige Lage oder wegen geschichtlicher Ereignisse — nicht selten dazu neigen, die Besonderheiten ihres Stammes ungebührlich hervorzuheben, und zwar so sehr, daß sie selbst die menschlichen Werte, die allen eigen sind, so herabmindern, als ob das Gute der Menschheitsfamilie dem Wohl ihres eigenen Stammes dienen müsse, nicht aber umgekehrt. Es entspricht aber der gesunden Vernunft, daß diese Bürger auch die Vorteile anerkennen, die ihnen aus ihrer eigenartigen Lage erwachsen; daß nämlich der tägliche Umgang mit Bürgern einer anderen Kultur nicht wenig beiträgt zur Vervollkommnung ihres Geistes und Gemütes, da sie allmählich die Tugenden des anderen Stammes sich in steigendem Maße aneignen. Doch dies wird nur dann eintreten, wenn die Minderheiten eine gewisse Gemeinschaft mit den sie umgebenden Völkern eingehen und an deren Gebräuchen und Einrichtungen teilzunehmen suchen, nicht aber, wenn sie Zwistigkeiten säen, die unzählige Verluste verursachen und den Fortschritt der Nationen aufhalten.

Tätige Solidarität

Da die gegenseitigen Beziehungen der Staaten gemäß der Wahrheit und Gerechtigkeit geregelt werden sollen, müssen sie auch durch eine tätige Einigung der Kräfte und Bestrebungen gefördert werden. Dies kann durch wechselseitige vielfältige Zusammenarbeit erreicht werden, wie es in unserer Zeit fruchtbar geschieht auf dem Gebiete der Wirtschaft, der Sozialarbeit, der Politik, der Kultur, des Gesundheitswesens und des Sportes. Diesbezüglich müssen wir uns vor Augen halten, daß die Staatsgewalt ihrer Natur nach nicht dazu eingesetzt ist, die Menschen nur innerhalb der Grenzen der jeweiligen politischen Gemeinschaft zusammenzuschließen, sondern vor allem' für das Gemeinwohl des Staates, das von dem der ganzen Menschheitsfamilie nicht getrennt werden kann.

Dies bedeutet, daß die einzelnen bürgerlichen Gemeinschaften in der Wahrung ihrer Interessen einander nicht nur nicht schaden dürfen, sondern auch mit Rat und Tat sich zusammentun sollen, wenn die Anstrengungen der einzelnen Staaten die gewünschten Ziele nicht erreichen können. In diesem Falle muß man sehr darauf achten, daß die Vorteile, die sich für die einen Staaten ergeben, den anderen nicht mehr Schaden als Nutzen bringen.

Auch das universelle Gemeinwohl verlangt, daß in jeder einzelnen Nation der Austausch jeglicher Art zwischen den Bürgern und den Körperschaften gefördert werde. Denn da es in vielen Teilen der Erde Volksgruppen gibt, die der Abstammung nach mehr oder weniger voneinander verschieden sind, muß man Vorsorge treffen, daß nicht die Glieder des einen Volkes am Umgang mit denen des anderen Volkes gehindert werden. Dies wäre in offenem Widerspruch zu einer Zeit wie der unsrigen, in der die Entfernungen unter den Völkern beinahe aufgehoben sind. Es darf auch nicht übersehen werden, daß die Menschen eines jeden Stammes neben ihren eigenen Anlagen, die sie von den anderen unterscheiden, auch mit anderen gemeinsame und wichtige Eigenschaften, zumal im Bereich der geistigen Werte, besitzen, durch die sie immer mehr Fortschritte machen und sich vervollkommnen können. Sie haben also das Recht und die Pflicht, ihr Leben in Gemeinschaft mit den übrigen zu verbringen.

Gleichgewicht zwischen Bevölkerung, Land und Kapitalien

Es ist allgemein bekannt, daß mancherorts auf Erden ein ungleiches Verhältnis zwischen der Ausdehnung des bestellbaren Landes und der Zahl der Einwohner besteht, anderswo zwischen den Bodenschätzen und den zur Verfügung stehenden Mitteln zu rascher Verwertung. Daraus entspringt die Notwendigkeit, von den Völkern eine Zusammenarbeit zu verlangen zum Zweck eines leichteren Austausches der Güter, der Kapitalien und der menschlichen Arbeitskräfte.

Hier halten Wir es für angebracht, daß, soweit möglich, das Kapital die Arbeit suche, nicht aber die Arbeit das Kapital. Auf diese Weise wird vielen die Möglichkeit einer Vermögensmehrung geboten, ohne daß sie gezwungen sind, mit großem Kummer ihre Heimat zu verlassen,

einen anderen Wohnsitz zu suchen, in einer neuen Lage sich zurechtzufinden und neue Beziehungen aufzunehmen.

Das Problem der politischen Flüchtlinge

Da Wir durch Gottes Anregung gegenüber allen Menschen insgesamt die Gesinnungen väterlicher Liebe hegen, betrachten Wir mit großem Schmerz das Los derer, die aus politischen Gründen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Viele und unglaubliche Leiden begleiten ja ständig die große, in unserer Zeit wahrlich ungezählte Menge der Flüchtlinge.

Diese Erscheinung zeigt, daß die Regierungen gewisser Nationen die Grenzen der gerechten Freiheit allzusehr einengen, in deren Bereich es den einzelnen gestattet wäre, ein menschenwürdiges Leben zu führen. In solchen Staaten wird zuweilen sogar das Recht auf Freiheit in Frage gestellt oder auch ganz genommen. Wenn dies gegeschieht, wird die rechte Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft völlig umgestürzt; denn die Staatsgewalt ist ihrer Natur nach zum Schutz des Wohles der Gemeinschaft bestimmt, dessen Grundforderung ist, die rechten Grenzen der Freiheit anzuerkennen und ihre Rechte zu sichern.

Deshalb ist es angezeigt, an dieser Stelle daran zu erinnern, daß solche Flüchdinge mit der Würde einer Person ausgestattet sind und daß ihnen die Rechte einer Person zuerkannt werden müssen. Diese Rechte können die Flüchdinge dadurch, daß sie des Bürgerrechtes ihrer politischen Gemeinschaft beraubt wurden, nicht verlieren.

Zu den Rechten der menschlichen Person gehört auch, sich in jene politische Gemeinschaft einzureihen, in der man hofft, besser für sich und die eigene Familie sorgen zu können. Deshalb ist es Pflicht der Staatslenker, ankommende Fremde aufzunehmen und, soweit es das wahre Wohl ihrer Gemeinschaft zuläßt, der Absicht derer entgegenzukommen, die sich vielleicht der Gesellschaft neu eingliedern wollen.

Bei dieser Gelegenheit billigen und loben Wir daher öffentlich alle jene Initiativen, die im Einklang mit den Grundsätzen der brüderlichen Verbundenheit und der chrisdichen Liebe sich zum Ziele setzen, die Mühsal derer zu lindern, die aus ihrer Heimat anderswohin auszuwandern gezwungen sind.

Und Wir möchten nicht unterlassen, alle rechtschaffenen Menschen lobend hinzuweisen auf jene internationalen Einrichtungen, die auf diesem wichtigen Gebiet alle Kräfte einsetzen.

Abrüstung

Anderseits sehen Wir nicht ohne großen Schmerz, daß in den wirtschaftlich gut entwickelten Staaten ungeheure Kriegsrüstungen geschaffen wurden und noch geschaffen werden und daß dafür die größten geistigen und materiellen Güter aufgewendet wurden. So kommt es, daß während die Bürger dieser Nationen keine geringen Lasten zu tragen haben, andere Staaten, die sich wirtschaftlich und sozial entwickeln sollten, der notwendigen Hilfeleistungen entbehren.

Als rechtfertigenden Grund für diese militärische Rüstung pflegt man anzugeben, daß unter den gegenwärtigen Umständen der Friede nur durch das Gleichgewicht der Rüstungen gesichert werden kann. Die militärische Rüstung, die irgendwo besteht, hat also zur Folge, daß auch anderswo das Streben nach Mehrung der Waffen zunimmt. Und wenn eine Nation mit Atomwaffen ausgerüstet ist, gibt dies anderen Nationen Anlaß, daß auch sie sich solche Waffen mit gleicher Zerstörungskraft zu verschaffen suchen.

Infolgedessen befinden sich die Völker beständig in Furcht, als ob ein Sturm sie bedrohe, der jeden Augenblick mit erschreckender Gewalt losbrechen könne. Und das nicht ohne Grund, denn an Waffen fehlt es tatsächlich nicht. Wenn es auch kaum glaublich ist, daß es Menschen gibt, die es wagen möchten, die Verantwortung für die Vernichtung und das Leid auf sich zu nehmen, die ein Krieg im Gefolge hat, so kann man doch nicht leugnen, daß unversehens und unerwartet ein Kriegsbrand entstehen kann. Und wenn auch die ungeheure militärische Rüstung heute die Menschen davon abschrecken dürfte, einen Krieg zu beginnen, so ist dennoch zu fürchten, daß die schon für Kriegszwecke unternommenen Kernwaffen-Experimente, wenn sie nicht aufhören, die verschiedenen Arten des Lebens auf Erden in schwere Gefahr bringen.

Deshalb fordern Gerechtigkeit, gesunde Vernunft und Sinn für die Menschenwürde dringend, daß der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört; daß ferner die in verschiedenen Staaten bereits zur Verfügung stehenden Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig vermindert werden; daß Atomwaffen untersagt werden; und daß endlich alle nach Vereinbarung zu einer entsprechenden Abrüstung mit

wirksamer gegenseitiger Kontrolle gelangen. Es ist mit allen Kräften zu verhindern — mahnte Unser Vorgänger seligen Andenkens Pius XII. — daß das Grauen eines Weltkrieges mit seiner wirtschaftlichen Not, seinem sozialen Elend und seinen sittlichen Verirrungen zum drittenmal über die Menschheit komme.

Dennoch müssen alle davon überzeugt sein, daß die Einschränkung der Kriegsrüstungen, ihre wirksame Herabminderung oder gar völlige Beseitigung so gut wie unmöglich sind, wenn man nicht zu einer allumfassenden Abrüstung schreitet, das heißt, wenn sich nicht alle einmütig und aufrichtig Mühe geben, daß die Furcht und die angstvolle Erwartung eines Krieges aus den Herzen gebannt werde. Dies fordert aber, daß an die Stelle des obersten Gesetzes, worauf der Friede sich heute stützt, ein ganz anderes Gesetz gestellt werde, wodurch bestimmt wird, daß der wahre Friede unter den Völkern nicht durch die Gleichheit des militärischen Apparates, sondern nur durch gegenseitiges Vertrauen fest und sicher bestehen kann. Wir meinen, daß dies geschehen kann. Noch mehr: Wir meinen, daß es sich um eine Sache handelt, die nicht nur von den Gesetzen der gesunden Vernunft befohlen wird, sondern auch höchst wünschenswert und überaus segensreich wäre.

Zunächst handelt es sich um eine Sache, die von der Vernunft befohlen ist. Demi wie alle wissen oder wenigstens wissen sollen, müssen die gegenseitigen Beziehungen der Staaten, ebenso wie die der einzelnen Menschen, nicht durch Waffengewalt, sondern nach den Gesetzen der gesunden Vernunft, also nach den Gesetzen der Wahrheit, Gerechtigkeit und der tätigen Solidarität geregelt werden.

Das aber sollte man erstreben. In der Tat, wer hätte nicht den brennenden Wunsch, daß des Krieges Unheil abgewendet, der Friede aber unversehrt bewahrt und täglich mehr gefestigt werde'

Endlich ist der Friede von höchstem Nutzen für alle: für die einzelnen Menschen, für den häuslichen Herd, für die Völker und schließlich für die gesamte Menschheitsfamilie. Diesbezüglich hallt in unseren Ohren noch die mahnende Stimme Unseres Vorgängers Pius XII. nach: Nichts ist verloren mit dem Frieden, aber alles kann verloren sein mit einem Kriege!

Wir, die Wir auf Erden die Stelle Jesu Christi, des Welterlösers und des Urhebers des Friedens, vertreten und, von väterlicher Liebe gegenüber allen Menschen angetrieben, den brennenden Wunsch der ganzen Menschheits-familie deuten, Wir halten es für Unsere Aufgabe, alle Menschen und besonders jene, die den Staat lenken, zu bitten und zu beschwören, keine Sorge und keine Mühe zu scheuen, bis endlich der menschlichen Dinge Lauf mit des Menschen Vernunft und Würde übereinstimmt.

In den Beratungen der Männer, die durch ihre Stellung und Autorität hervorragen, soll gründlich geprüft werden, wie auf der ganzen Welt die gegenseitigen Beziehungen der Staaten in menschlicherem Gleichgewicht neu zu gestalten sind; Wir meinen ein Gleichgewicht, das auf gegenseitigem Vertrauen, auf aufrichtigen Verträgen und auf unverletzlichen Vereinbarungen gegründet ist. Aber diese Frage soll so von allen Seiten erwogen werden, daß eine Grundlage gefunden wird, auf der freundschafdiche, feste und nützliche Bündnisse entstehen können.

Was Uns betrifft, so unterlassen Wir es nicht, Gott zu bitten, daß er durch seine himmlische Kraft diesen Arbeiten Erfolg verleihe und sie fruchtbar mache.

In Freiheit

Dazu kommt, daß die gegenseitigen Beziehungen der politischen Gemeinschaften in Freiheit zu ordnen sind. Das heißt, daß keine Nation das Recht hat, irgend etwas zu tun, wodurch sie andere ungerechterweise unterdrückt oder sich ohne Befugnis in deren Angelegenheiten einmischt. Es ist vielmehr notwendig, daß alle den anderen helfen, damit diese sich mehr und mehr ihrer Pflichten bewußt werden, damit sie an neue Unternehmungen Hand anlegen und selbst auf allen Gebieten Fortschritte machen.

Der Aufstieg der Staaten im Entwicklungsstadium

Da alle Menschen durch das gemeinsame Band des Ursprungs, der christlichen Erlösung und der höchsten Bestimmung untereinander verbunden sind und dazu berufen, eine einzige christliche Familie zu bilden, haben Wir in der Enzyklika Mater et Magistra die wirtschaftlich vollentwickelten Staaten ermahnt, jenen Völkern, deren wirtschaftliche Entwicklung sich noch im Aufbau befindet, alle nur mögliche Hilfe zu leisten.

Nicht ohne großen inneren Trost erkennen Wir heute an, daß diese Mahnungen weitgehend angenommen worden sind, und Wir hegen die Hoffnung, daß sie inZukunft noch weiter aufgegriffen werden, damit die bedürftigeren Völker auf wirtschaftlichem Gebiete bald so weit voran-

schreiten, daß ihre Bewohner ein Leben führen können, das der Menschenwürde entspricht.

Und doch muß man sich immer wieder vor Augen halten, daß man jenen Völkern so zu Hilfe kommen muß, daß sie ihre Freiheit unversehrt wahren können. Auch müssen sie wissen, daß bei diesem wirtschaftlichen Fortschritt und sozialen Aufstieg ihnen selbst die erste Verantwortung zukommt, und daß sie dabei die Hauptarbeit leisten müssen.

Deshalb hat Unser Vorgänger seligen Angedenkens Pius XII. weise gelehrt: Die Neuordnung der Dinge, die sich auf die Normen der Sittlichkeit gründet, verbietet eindeutig, die Freiheit, Unversehrtheit und Sicherheit anderer Nationen zu verletzen, wie immer auch ihre Größe sei und die Möglichkeit, sich zu schützen. Wenn es auch unvermeidlich ist, daß die größeren Staaten auf Grund ihres größeren Reichtums und ihrer Macht die Richtung angeben für die Wirtschaftsgemeinschaft mit den kleineren Staaten, kann dennoch diesen kleineren und auch den übrigen Staaten unter Wahrung des Gemeinwohls nicht das Recht genommen werden, den Staat frei zu verwalten und bei Konflikten zwischen den Nationen neutral zu bleiben, wie es das Natur- und das Völkerrecht zugestehen. Ebenso haben die kleineren Staaten das Recht, die Entwicklung ihrer Wirtschaft zu schützen. Denn nur, wenn diese Rechte sichergestellt sind, können die kleineren Nationen in angemessener Weise das Allgemeinwohl und zugleich das Gedeihen ihrer Bewohner fördern, sowohl in äußeren Gütern wie in den geistigen Dingen.

Daher ist es notwendig, daß die blühenderen Staaten bei der Hilfeleistung für die bedürftigeren die besonderen Eigenarten eines jeden Volkes und die von ihren Vorfahren überkommenen Bräuche unbedingt achten. Ebenso müssen sie sich vor jeder Absicht hüten, eine Vorherrschaft auszuüben. Wenn sie sich daran halten, werden sie einen wertvollen Beitrag für den Zusammenschluß aller Staaten leisten. In diesem sollen die Einzelstaaten im Bewußtsein ihrer Pflichten in entsprechender Weise nach dem Wohlstand aller anderen Völker streben.

Zeichen der Zeit

Mehr und mehr verbreitet sich in unseren Tagen die Überzeugung unter den Menschen, daß die Streitigkeiten, die unter Umständen zwischen den Völkern entstehen, nicht durch Waffengewalt, sondern durch Verhandlungen beizulegen sind.

Freilich gestehen Wir, daß diese Überzeugung meist von der schrecklichen Zerstörungsgewalt der modernen Waffen herrührt, von der Furcht vor dem Unheil grausamer Vernichtung der Menschheit, die diese Art von Waffen herbeiführen kann. Deshalb ist unser Atomzeitalter nicht davon überzeugt, daß der Krieg das geeignete Mittel sei, um verletzte Rechte wiederherzustellen.

Leider sehen Wir jedoch Völker, die der Furcht als dem gleichsam höchsten Gesetz verfallen sind und deshalb größte Summen für die Rüstung ausgeben. Sie erklären — und es ist kein Grund vorhanden, warum Wir ihnen nicht glauben sollten —, daß sie dabei nicht die Absicht haben, andere anzugreifen, sondern sie von einem Angriff abzuschrecken.

Trotz allem ist zu hoffen, daß die Völker durch wechselseitige Beziehungen und Verhandlungen die Bande der menschlichen Natur besser anerkennen, durch die sie gegenseitig verbunden sein sollen. Sie mögen einsehen, daß es zu den hauptsächlichen Pflichten der menschlichen Natur gehört, darauf hinzuwirken, daß die Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen und den Völkern nicht von der Furcht, sondern von der Liebe bestimmt sind, denn der Liebe ist es vor allem eigen, die Menschen zu einer aufrichtigen und vielfachen Zusammenarbeit zu führen, aus der so viele materielle und geistige Güter hervorsprießen.

IV.

BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN EINZELNEN POLITISCHEN GEMEINSCHAFTEN UND DER VÖLKERGEMEINSCHAFT

Gegenseitige Abhängigkeit der politischen Gemeinschaften

Da die neueren Fortschritte der Wissenschaften und der Technik das menschliche Verhalten sehr stark beeinflußt haben, veranlassen sie die Menschen der ganzen Welt, sich zu immer größerer Zusammenarbeit zu verbinden und sich immer mehr zusammenzuschließen.

Tatsächlich hat sich heute der Austausch von Dingen, Ideen und Menschen stark vermehrt. Die gegenseitigen Beziehungen zwischen den einzelnen, den Familien und den Zwischenverbänden, die verschiedenen Nationen angehören, sind stark angewachsen, und auch die Fühlungnahme zwischen verschiedenen Staatsoberhäuptern ist häufiger geworden. Indessen wird die Wirtschaft der

einen Staaten von Tag zu Tag mehr mit der Wirtschaft der anderen verflochten, und zwar so sehr, daß aus diesem Zusammenschluß gewissermaßen eine Wirtschaftsgemeinschaft der ganzen Welt entsteht. Schließlich hängen sozialer Fortschritt, Ordnung, Sicherheit und Ruhe jedes einzelnen Staates notwendig mit dem Fortschritt aller übrigen Nationen zusammen. Unter diesen Voraussetzungen ist es klar, daß die einzelnen Staaten, wenn sie von den übrigen getrennt sind, durchaus nicht in der Lage sind, ihre Interessen wahrzunehmen und sich entsprechend zu entwickeln, da der Wohlstand und der Fortschritt des einen Staates aus dem Wohlstand und dem Fortschritt aller anderen folgt und diesen zugleich mitbewirkt.

Ungenügen der gegenwärtigen Organisationen jür das universelle Allgemeinwohl

Kein Zeitalter wird die Einheit der menschlichen Gemeinschaft zerstören, da diese aus Menschen besteht, die gleichberechtigt an der naturgegebenen Würde teilhaben. Daraus entspringt die dringende, durch die Natur des Menschen gegebene Notwendigkeit, daß in entsprechender Weise ein Gemeinwohl angestrebt wird, das universell ist und die gesamte Menschheitsfamilie angeht.

In den vergangenen Zeiten komiten die Staatslenker hinreichend für das universeile Gemeinwohl sorgen. Sie suchten es zu erreichen durch Diplomaten, durch Zusammenkünfte und Gespräche auf höchster Ebene und durch Abschluß von Konventionen und Verträgen, durch Mittel und Wege also, die durch das Naturrecht, durch das Völkerrecht oder das internationale Recht vorgegeben waren.

In unseren Tagen aber haben die gegenseitigen Beziehungen der Staaten große Veränderungen erfahren. Denn das gemeinsame Wohl aller Völker wirft einerseits Fragen von höchster Bedeutung auf, die schwierig und äußerst dringlich sind, besonders was die Wahrung der Sicherheit und des Friedens der ganzen Welt angeht; andererseits können die Lenker der einzelnen Nationen, da sie unter sich gleichberechtigt sind und obgleich sie sehr viele Kongresse veranstalten und ihre Anstrengungen vervielfältigen, um geeignetere Rechtsmittel zu finden, die Probleme doch nicht in genügender Weise lösen; nicht daß es ihnen am guten Willen oder an Unternehmungsgeist fehlt, sondern ihre Autorität verfügt nicht Über die nötige Mae&t.

Deshalb sind bei dem Zustand der heutigen Menschheit sowohl die staatliche Organisation als auch der Einfluß, über welchen die Staatsgewalt bei allen Nationen des Erdkreises verfügt, als ungenügend anzusehen, um das gemeinsame Wohl aller Völker zu fördern.

Beziehungen zwischen dem Wesen des Gemeinwohles und dem Aufbau und der Wirksamkeit der öffentlichen Gewalt

Wer vollends aufmerksam einerseits das innere Wesen des Allgemeinwohles und andererseits Natur und Wirksamkeit der öffentlichen Gewalt bedenkt, sieht sehr deutlich, daß zwischen beiden eine notwendige Übereinstimmung besteht. Denn wie die moralische Ordnung die öffentliche Gewalt erfordert zur Förderung des Allgemeinwohls im Zusammenleben, so fordert sie auch, daß die öffentliche Gewalt dies wirklich durchführen kann. Daher kommt es, daß die zivilen Einrichtungen — in denen die öffentliche Gewalt Gestalt annimmt, wirkt und ihr Ziel verfolgt — so angelegt und von solcher Wirksamkeit sind, daß sie zum Gemeinwohl führen können auf Wegen und Weisen, welche dem jeweiligen Zustand der Dinge entsprechen.

Da aber heute das allgemeine Wohl der Völker Fragen aufwirft, die alle Nationen der Welt betreffen; da diese Fragen nur durch eine öffentliche Gewalt geklärt werden können, deren Macht und Organisation und deren Mittel einen dementsprechenden Umfang haben, und da ihre Wirksamkeit sich somit über den ganzen Erdkreis erstrecken soll, so folgt daraus vor allem, daß die moralische Ordnung es erheischt, daß eine universale öffentliche Gewalt eingesetzt werden muß.

Die öffentliche Gewalt durch gemeinsames Übereinkommen eingesetzt und nicht aufgezwungen

Diese allgemeine öffentliche Gewalt, deren Macht überall auf Erden Geltung haben soll und deren Mittel in geeigneter Weise zu einem universellen Allgemeinwohl führen sollen, muß freilich durch Übereinkunft allerVölker begründet und nicht gewaltsam eingesetzt werden. Wenn diese Autorität wirksam ihres Amtes walten soll, kann dies nur dadurch geschehen, daß sie allen ohne jede Parteilichkeit gegenübersteht und bestrebt ist, das allgemeine Wohl aller Völker zu fördern. Denn wenn diese allgemeine Autorität von den mächtigeren Nationen gewaltsam eingesetzt würde, wäre mit Recht zu fürchten, daß

lie entweder nur den Interessen einiger weniger dienen oder nur von einer einzigen Nation abhängen würde; und so wären Kraft und Wirksamkeit ihres Handelns in Gefahr. Denn wenn die Nationen untereinander auch sehr verschieden sind, was die wirtschaftliche Entwicklung und ihre mihtärische Macht angeht, so sind sie doch sehr darauf bedacht, ihre Rechtsgleichheit und Vorzüge ihrer Lebensgewohnheiten zu wahren. Deshalb unterstehen politische Gemeinschaften nicht zu Unrecht nur unwillig einer Gewalt, die ihnen entweder aufgebürdet wurde oder die sie nicht mitbegründet haben oder der sie sich nicht freiwillig gebeugt haben.

Das universale Allgemeinwohl und die Rechte der Person

Wie das Allgemeinwohl der einzelnen Staaten nicht umschrieben werden kann ohne Rücksicht auf die menschliche Person, so auch nicht das universelle Allgemeinwohl aller Staaten zusammen. Deshalb muß die öffentliche Gewalt einer Weltgemeinschaft ganz besonders darauf achten, daß die Rechte der menschlichen Person anerkannt und ihnen die geschuldete Ehre zuted wird, daß sie unverletzlich sind und gefördert werden. Das kann sie gegebenenfalls entweder durch sich selbst bewerkstelligen oder durch Schaffung von solchen Lebensbedingungen auf der ganzen Welt, mit deren Hilfe die Lenker der Einzelstaaten leichter ihre Aufgabe erfüllen können.

Das Subsidiaritätsprinzip

Wie m den Einzelstaaten die Beziehungen zwischen der öffentlichen Gewalt und den einzelnen Menschen, den Famüien und den Verbänden durch das Subsidiaritätsprinzip gelenkt und geordnet werden müssen, so müssen durch dieses Prinzip auch jene Beziehungen geregelt werden, welche zwischen der Weltgemeinschaft und der öffentlichen Autorität der einzelnen Nationen bestehen. Denn dieser Weltgemeinschaft kommt als besondere Aufgabe zu, jene Fragen zu überdenken und zu entscheiden, die sich in bezug auf das universelle Allgemeinwohl ergeben und entweder wirtschaftliche, soziale und politische oder auch kulturelle Dinge betreffen; Fragen, die wegen ihres Umfanges, wegen ihres weitverflochtenen Zusammenhangs und ihrer Dringlichkeit als zu schwierig angesehen werden müssen, als daß sie von den Lenkern der Einzelstaaten glücklich gelöst werden könnten.

:Es^jst natürhch'nichtAilfgabe dieser universalen Auto* ritäti den Machtbereich der Einzelstaaten einzuschränken oder ihre Angelegenheiten an sich zu ziehen. Sie muß im Gegenteil darnach streben, daß sich auf der ganzen Welt ein derartiger Zustand herausbilde, in dem nicht nur die öffentliche Gewalt jeder einzelnen Nation, sondern auch die einzelnen Menschen und die Verbände ihre Angelegenheiten in größerer Sicherheit erledigen, ihre Pflichten erfüllen und ihre Rechte ausüben können.

Zeichen der Zeit

Wie allen bekannt ist, wurde am 26. Juni 1945 die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) gegründet, der in der Folgezeit kleinere Institutionen beigefügt wurden, die sich aus bevollmächtigten Mitgliedern verschiedener Nationen zusammensetzen. Ihnen sind große und weltumspannende Aufgaben übertragen, die sie im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, erzieherischen und hygienischen Bereich erfüllen sollen. Ferner stellen sich die Vereinten Nationen als Hauptaufgabe, den Frieden unter den Völkern zu schützen und zu festigen sowie freundschaftliche Beziehungen unter ihnen zu pflegen und zu entwickeln, die auf den Grundsätzen der Gleichheit, der gegenseitigen Hochachtung und der vielfältigen Zusammenarbeit auf allen Gebieten menschlichen Zusammenlebens gründen.

Ein Akt von höchster Bedeutung ist die Allgemeine Erklärung über die Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde. In der Präambel dieser Erklärung wird versichert, daß alle Völker und Nationen in erster Linie darnach trachten müssen, daß alle Rechte und Formen der Freiheit, die in der Erklärung beschrieben sind, tatsächlich anerkannt und unverletzt gewahrt werden.

Gegenüber einigen Kapiteln dieser Erklärung sind Einwände und begründete Zurückhaltung geäußert worden. Aber nichtsdestoweniger ist diese Erklärung gleichsam als Stufe und als Zugang zu der zu schaffenden rechtlichen und politischen Ordnung aller Völker auf der Welt zu betrachten. Denn durch sie wird die Würde der Person, die allen Menschen unbedingt zukommt, feierlich anerkannt sowie jedem Menschen seine Rechte zugesprochen, wie zum Beispiel die Wahrheit frei zu suchen, den Normen der Rechtschaffenheit zu folgen, die Pflichten der Gerechtigkeit auszuüben und ein menschenwürdiges Dasein zu führen. Darüber hinaus werden noch andere

Rechte gefordert, die mit den erwähnten in Zusammenhang stehen.

Es ist daher zu wünschen, daß die Vereinten Nationen immer mehr dazu kommen, ihre Verfassung und die geeigneten Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, der Weite und der Vortrefflichkeit ihrer Aufgaben anzupassen, damit bald die Zeit komme, in der diese Versammlung die Rechte der menschlichen Person wirksam schützen kann. Rechte, die deswegen allgemein, unverletzlich und unveränderlich sind, weil sie unmittelbar aus der Würde der menschlichen Person entspringen. Und das um so mehr, weil die Menschen heutzutage in ihrer Nation mehr im öffentlichen Leben stehen, mit lebhafterem Interesse die Anliegen aller Völker ununterbrochen verfolgen und sich immer mehr bewußt sind, daß sie als lebendige Glieder zur allgemeinen Menschheitsfamihe gehören.

V.

PASTORALE WEISUNGEN

Pflicht, am öffentlichen Leben teilzunehmen

Nochmals ermahnen Wir Unsere Söhne, sie möchten sich für die Verwaltung der öffendichen Aufgaben einsatzbereit zur Verfügung stellen und mitwirken, das Wohl der gesamten Menschheit und der eigenen politischen Gemeinschaft zu fördern. Ebenso sollen sie im Licht des Glaubens und in der Kraft der Liebe es sich angelegen sein lassen, daß die wirtschaftlichen, sozialen, dem Unterricht und der Kultur dienenden Einrichtungen — weit davon entfernt, den Menschen Hindernisse zu bereiten — ihnen vielmehr helfen, sich im Bereich des Natürlichen wie des Übernatürlichen zu vervollkommnen.

Zuständigkeit im Wissen, in technischer Befähigung und beruflicher Erfahrung

Es genügt nicht, vom Glauben erleuchtet zu sein und beseelt vom Wunsch, Gutes zu tun, um eine Kultur mit gesunden Grundsätzen zu durchdringen und sie im Geiste des Evangeliums zu beleben. Zu solchem Zweck ist es notwendig, sich in ihre Einrichtungen einzureihen und mit Erfolg von innen her zu wirken.

Da die gegenwärtige profane Kultur sich jedoch am stärksten durch Lehren und Erfindungen auf dem Gebiet der Technik abzeichnet, kann natürlich niemand in den öffeAthcheffi-E^ wenner, ajyeht

über reiches Wissen, technisches Können und berufliche Erfahrung verfügt.

Das Handeln als Einheit von Elementen des Wissens, der Technik und des eigenen Faches mit religiösen Werten

Wir möchten alsdann darauf hinweisen, daß wissenschaftliche Zuständigkeit, technische Fähigkeit, berufliche Erfahrung, so notwendig sie sind, keineswegs als genügend erachtet werden können, wenn man dem alltäglichen Zusammenleben eine menschenwürdige Form geben will. Muß doch solch eine Form auf der Wahrheit beruhen, von der Gerechtigkeit geprägt sein, ihre Kraft aus der gegenseitigen Liebe schöpfen und dem freien Tun Raum gewähren.

Sollen die Menschen zur Verwirklichung dieser Grundsätze gelangen, müssen sie darauf hinarbeiten, daß sie in ihrem Tim die jedem Ding eigenen Gesetze und die einer jeden Natur angepaßten Methoden berücksichtigen; daß sie sodann ihr Handeln nach den sittlichen Vorschriften richten und sich deshalb verhalten wie der, der sein Recht ausübt oder seiner Pflicht nachkommt. Ja, auch das verlangt vernünftige Erwägung, daß der Mensch, die auf unser Heil abzielenden fürsorgenden Weisungen und Gebote Gottes gewissenhaft befolgend, seine wissenschaftliche, technische Fachbetätigung mit seiner inneren Vervollkommnung zur Einheit verbinde.

Kein Zwiespalt zwischen Glauben und Leben

In den Völkern mit alter christlicher Kultur weisen gegenwärtig die profanen Einrichtungen eingestandenermaßen einen hohen Grad wissenschaftlich-technischen Fortschrittes auf und verfügen über einen Reichtum von Vorrichtungen zur Verwirklichung aller möglichen Ziele; aber von chrisdichem Hauch und Antrieb sind sie oft wenig durchdrungen.

Man fragt sich jedoch mit Recht, wie das kommen konnte, da zur Herbeiführung jenes Zustandes*olche nicht wenig beigetragen haben und beitragen, die sich als Christen bekennen und tatsächlich ihr Leben wenigstens teüweise der christhehen Norm angleichen. Der Grund dafür liegt wohl darin, daß ihr Handeln keinen Zusammenhang mit ihrem Glauben aufweist. Für sie gilt also das Gebot der Einheit von Geist und Charakter, daß in ihrem Handeln das Licht des Glaubens und die Kraft der Liebe vereint herrschen mögen.

Gleicher Fortschritt in der religiösen Bildung

Wenn in den Christen der Glaube vom Handeln so oft absteht, wird es auch daher rühren, daß sie in christlicher Lebensführung und christlicher Lehre nicht genügend gebildet sind. Zu oft und allenthalben geschieht es, daß für die religiöse und profane Ausbildung nicht gleichermaßen Sorge getragen wird und, während man wissenschaftlich sehr gebildet ist, die Kennmisse in Religion über den Elementarunterricht gemeinhin nicht hinausgehen. Der Religionsunterricht der Jugend muß also notwendig umfassend sein, ständig fortgesetzt und ertedt werden, daß religiöse Bildung und sittliche Festigung gleichen Schritt halten mit der Erwerbung von Wissen und der ständig sich vervollkommnenden Technik. Die Jugend soll auch eingeführt werden in die Methoden, nach denen sie ihre Aufgaben erfüllen kann.

Anhaltende Bereitschaft

Es dürfte zweckmäßig sein, hier darauf aufmerksam zu machen, wie schwer es ist, das Verhältnis zwischen dem wirklichen Leben und dem objektiven Standpunkt von Recht und Gerechtigkeit genau zu erfassen, also zuverlässig den Grad und die Formen zu umschreiben, in denen die theoretischen Grundsätze und Weisungen dem gegenwärtigen Stand des Gesellschaftslebens anzupassen sind.

Die Bestimmung dieses Grades und dieser Form ist um so schwieriger, als unsere Zeit, in der jeder einzelne zum Allgemeinwohl beitragen muß, von einem besonders starken Dynamismus erfaßt ist. Da deshalb täglich zu prüfen ist, wie die einzelnen Vorgänge am besten den Grundsätzen der Gerechtigkeit anzupassen sind, dürfen Unsere Söhne gewiß nicht glauben, nachlassen und sich mit dem Erreichten zufriedengeben zu können.

Ein jeder soll vielmehr bedenken, daß, was sie bisher getan haben, nicht genügt, daß sie vielmehr noch größere und praktischere Anstrengungen machen müssen auf dem Gebiet des Produktionswesens, der Gewerkschaften, der beruflichen Genossenschaften, des öffentlichen Versicherungswesens, der Förderung der Kultur, der Rechtspflege, der Regierungssysteme, des Gesundheitswesens, des Sports und dergleichen. Das alles verlangt unsere Zeit des Atoms und des Einbruchs in den Weltraum, Zeitalter, in dem die Menschheit ihren neuen Weg von grenzenloser Weite schon begonnen hat. , “

Beziehungen zwischen Katholiken und Nichtkathöliken auf dein wirtschaftlichen, sozialen und politischen Sektor

Die von Uns gezogenen Richtlinien ergeben sich aus der Natur der Dinge selbst und sehr oft aus dem Naturrecht. So kommt es häufig vor, daß die Katholiken in vielfacher Form mit Christen, die vom Apostolischen Stuhl getrennt sind, oder mit Nichtchristen zusammenarbeiten, in denen jedoch vernünftiges Denken waltet und die Menschen von natürlicher Wohlanständigkeit sind. Ist dies der Fall, so sollen die Katholiken darauf achten, sich selbst immer treu zu bleiben und nicht zu jenen halben Verhaltungsregeln herabzusteigen, durch welche die Reinheit der Religion oder der Sitten Schaden leidet. Ebenso gilt aber auch: Sie sollen die Meinung der anderen Seite mit echtem Wohlwollen, sachlich und selbstlos prüfen und bereit sein, mit vereinten Kräften zu schaffen, was seiner Natur nach gut ist oder zum Guten gewendet werden kann.

Man möge ferner immer unterscheiden zwischen dem Irrtum und den Irrenden, auch wenn es sich um solche handelt, die im Irrtum oder in ungenügender Kenntnis über Dinge der religiös-sittlichen Werte befangen sind. Denn der dem Irrtum Verfallene hört nicht auf, Mensch zu sein, und verliert nie seine persönliche Würde, die doch immer geachtet werden muß. In der Natur des Menschen geht auch nie die Fähigkeit verloren, sich vom Irrtum freizumachen und die Wahrheit zu suchen. Hierin fehlt dem Menschen auch nie die Hüfe der göttlichen Vorsehung. Wenn heute also jemand der Klarheit des Glaubens ermangelt oder zu falschen Lehren abgewichen ist, kann es sein, daß er später, von Gottes Licht erleuchtet, die Wahrheit umfaßt. Wenn nämlich Gläubige profaner Belange wegen mit solchen in Verbindung stehen, die überhaupt nicht oder, weü im Irrtum, nicht richtig glauben, so können sie ihnen Anlaß oder Antrieb sein, für die Wahrheit gewonnen zu werden.

Von daher gesehen ist es ungerecht, bestimmte Bewegungen, die sich mit wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, mit der geistigen Ausbüdung oder der zweckmäßigen Ordnung der Staaten befassen, einfach zu identifizieren mit bestimmten philosophischen Lehrmeinungen über das Wesen, den Ursprung, über Ziel und Zweck der Welt und des Menschen, auch wenn jene Bewegungen von solchen Auffassungen her entstanden und geleitet sind.

Während der wissenschaftliche Begriff, wenn er einmal festgelegt ist, nicht mehr geändert werden kann, unterhegen doch diese Bewegungen notwendig den Veränderungen der jeweiligen Situation. Wer könnte übrigens leugnen, daß in solchen Bewegungen, soweit sie sich den Gesetzen einer geordneten Vernunft anpassen und die gerechten Forderungen der menschlichen Person berücksichtigen, etwas Gutes und Anerkennens wertes sich findet?

Daher kann der Fall eintreten, daß Konferenzen über den Gebrauch bestimmter Dinge, die bisher unter keiner Rücksicht sinnvoll waren oder erschienen, jetzt wirklich fruchtbringend sind oder es morgen sein können. Das Urteil jedoch, ob man jetzt schon soweit gekommen sei oder nicht, die Entscheidung, mit welchen Mitteln man wahren Nutzen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich, in dem der Lehrmeinungen oder auch der öffentlichen Verwaltung erreichen könne, dieses Urteil steht allein der Klugheit zu, der Leiterin aller menschlichen Eigenschaften, von denen das Leben des eüizelnen und der Gemeinschaft bestimmt wird. Soweit es sich um Angelegenheiten der Katholiken handelt, wird die Entscheidung über Dinge dieser Art vornehmlich bei den Männern liegen, die in der politischen Gemeinschaft und in diesem Problembereich die erste Rolle spielen. Allerdings müssen sie immer auf die Grundsätze des Naturrechts achten, sich nach der Soziallehre der Kirche richten und in Übereinstimmung mit den Richtlinien des kirchlichen Lehramts stehen. In der Tat darf niemand außer acht lassen, daß es Recht und Pflicht der Kirche ist, nicht nur die Glaubens- und Sittenlehre treu zu bewahren, ihre Autorität vielmehr auch im Bereich diesseitiger Dinge einzusetzen, wenn nämlich die Anwendung der kirchlichen Lehre auf konkrete Fälle zur Entscheidung steht.

Stufenweise Entwicklung

Tatsächlich fehlt es angesichts der Verhältnisse, die nur wenig oder überhaupt nicht den Grundsätzen der Gerechtigkeit entsprechen, nicht an solchen, die darauf brennen, alles neu zu ordnen, und die so stürmisch vorangehen wollen, daß ihr Tun einer Revolution gleichkäme.

Sie mögen sich stets vor Augen halten, daß naturnotwendig alles Sein und Wachsen sich stufenweise vollzieht. Man kann deshalb auch menschliche Einrichtungen nur verbessern, wenn man von innen her und behutsam vorgeht. Dies hat Unser Vorgänger Pius XII. folgendermaßen erklärt: Wahres Heil und Gerechtigkeit liegen nicht im Umsturz der alten Ordnung, sondern in einer gutbegründeten Entwicklung. Gewalttätigkeit hat stets zerstörend gewirkt, nicht aber aufgebaut; die Leidenschaften werden entflammt, niemals gemäßigt. Zügel-losigkeit läßt nur Haß und Ruinen entstehen; weit davon entfernt, die Streitenden miteinander zu versöhnen, zwingt sie die Menschen und die politischen Parteien, über den von der Zwietracht verschuldeten Trümmern die alte Aufgabe mit größter Anstrengung wieder von vorne zu beginnen.

Eine gewaltige Aufgabe

Allen Menschen guten Willens ist hier eine große Aufgabe gestellt: unter dem Leitstern der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Liebe und der Freiheit in der menschlichen Gesellschaft neue Wege der gegenseitigen Beziehungen zu finden; Beziehungen der einzelnen untereinander; zwischen den Einzelnen und den Verbänden; der politischen Gemeinschaften untereinander; schließlich einerseits Beziehungen unter den einzelnen, den Familien, den gesellschaftspolitischen Organismen, den Staaten, anderseits dieser aller zur Gemeinschaft aller Menschen in der Welt. Ein solches Werk ist gewiß außerordentlich be-

deutsam, da aus ihm der wahre Friede nach der gottgewollten Ordnung erwachsen kann.

An diese Männer, gewiß zu wenige angesichts der Not, doch hochverdient um die menschliche Gemeinschaft, soll Unser öffentliches Lob ergehen, verbunden mit der herzlichen Einladung, alle Kraft an jenes glückverheißende Unternehmen zu setzen. Zugleich hoffen Wir, daß viele andere, vor allem gläubige Christen, gedrängt von Pflichtbewußtsein und Liebe, sich zu ihnen gesellen. Für alle, die sich zu Christus bekennen, ziemt es sich besonders, in die menschliche Gesellschaft Licht und Liebe zu tragen, wie Sauerteig in der Masse zu wirken. Dies wird um so mehr der Fall sein, je enger sich das Herz eines jeden an Gott bindet.

Denn es wird gewiß kein Friede in der menschlichen Gesellschaft herrschen, wenn er nicht zuerst im Herzen

jedes einzelnen Wohnung nimmt, wenn nicht jeder in sich die gottgewollte Ordnung wahrt. Deshalb stellt der heilige Augustinus an den Menschen die Frage: Will dein Geist fähig sein, deine Leidenschaften zu besiegen Er ordne sich selbst dem Höheren unter und mache das Niedere sich Untertan. Dann wird in dir ein wahrer, sicherer und geordneter Friede herrschen. Wie sieht diese Friedensordnung aus? Gott herrscht über die Seele, die Seele aber beherrscht den Leib. Eine bessere Ordnung gibt es nicht.

Der Friedensfürst

Was Wir bisher über die Fragen ausgeführt haben, die die menschliche Gesellschaft gegenwärtig so beunruhigen und die mit dem Fortschritt der Menschheitsfamilie eng zusammenhängen, hat Unserem Herzen jene starke Sehnsucht eingegeben, von der ja alle Menschen guten Willens entflammt sind: daß auf dieser Erde der Friede gesichert werde.

Da Wir — wenn auch in aller Bescheidenheit — der Stellvertreter dessen sind, den der Prophet in göttlicher Sehergabe den Friedensfürsten genannt hat, halten Wir es für Unsere heilige Pflicht, Unsere sorgenden Überlegungen und Unsere ganze Kraft der Förderung dieses allumfassenden Gutes zu weihen. Der Friede muß jedoch ein leeres Wort bleiben, wenn er sich nicht in jenem Ordnungsgefüge entwickelt, das Wir voller Hoffnung mit diesem Rundschreiben in den Umrissen angedeutet haben: Wir memen ein Ordnungsgefüge, das m der Wahrheit gegründet, nach den Richtlinien der Gerechtigkeit erbaut, von lebendiger Liebe erfüllt ist und sich schließlich in der Freiheit verwirklicht

Es handelt sich hier um eine so hohe und bedeutende Aufgabe, daß ein Mensch — sei er auch höchsten Lobes würdig und vom besten Willen beseelt — sie nie erfüllen könnte, wenn er sich nur auf seine eigene Kraft verließe. Daß die menschliche Gesellschaft soweit als möglich ein Abbild des Gottesreiches werde, dazu braucht es dringend der göttlichen Hilfe.

Es ziemt sich, in diesen heiligen Tagen das flehentliche Gebet an den zu richten, der in Seinem bitteren Leiden und Sterben nicht nur unsere Schuld, den Quell der Zwietracht, des Elends und der Ungerechtigkeiten, getilgt, sondern auch durch Sein Blut das Menschengeschlecht mit Seinem himmlischen Vater versöhnt hat: Er selbst ist ja unser Friede, Er hat das Getrennte vereint... und so kam Er, euch, den Fernen wie auch den Nahen, den Frieden kundzutun .

Auch in der heiligen Liturgie dieser Ostertage hören wir dieselbe Botschaft: Nach Seiner Auferstehung stand unser Herr Jesu inmitten Seiner Jünger und sprach: „Der Friede sei mit euch, alleluja.“ Da freuten sich die Jünger, weil sie den Herrn sahen. Christus selbst hat uns ja den Frieden geschenkt und zum Vermächtnis gegeben: Den Frieden hinterlasse Ich euch, Meinen Frieden gebe Ich euch.

Diesen uns vom göttlichen Erlöser gebrachten Frieden müssen wir von Ihm in eindringlichem Gebet erbitten. Christus möge von den menschlichen Herzen entfernen, was immer den Frieden gefährdet; Er möge alle zu Zeugen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der brüderlichen Liebe machen. Er möge auch den Sinn der Regierenden erleuchten, daß^sie mit gedeihlichem Wohlstand ihren Bürgern auch das schöne Geschenk des Friedens sichern. Endhch möge Christus selbst den Willen aller Menschen entzünden, daß sie die Schranken zerbrechen, die die einen von den anderen trennen; daß sie die Bande gegenseitiger Liebe festigen, einander besser verstehen; daß sie schließlich allen verzeihen, die ihnen Unrecht getan haben. So werden unter Gottes Führung und Schutz alle Völker sich in brüderlicher Weise umarmen, und in ihnen wird immer der ersehnte Friede herrschen.

Zum Schluß wünschen Wir, ehrwürdige Brüder, daß dieser Friede zu der euch anvertrauten Herde gelange, zum Nutzen “o: allem jener, die der Hilfe und des Schutzes besonders bedürfen. So erteilen Wir euch, den Welt- und Ordenspriestern, den gottgeweihten Männern und Frauen, allen Christgläubigen, namentlich denen, welche Unseren Ermahnungen hochherzig Folge leisten, in väterlicher Liebe den apostolischen Segen. Allen Menschen guten Willens aber, an die sich dieser Unser Brief ebenfalls richten will, erflehen Wir Heil und Segen von Gott dem Allmächtigen.

Gegeben zu Rom bei St. Peter, am Gründonnerstag, dem 11. April 1963, im fünften Jahr Unseres Pontifikates.

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