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Caux — einmal anders

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Woher kommt es, daß es viele verschiedene und einander widersprechende „Stimmen um Caux“ gibt? Wie ist es möglich, daß die einen Caux ebenso entschieden bejahen, wie es die anderen ablehnen?

Zum Teil finden diese verschiedenen Auffassungen gewiß ihre Erklärung in der Verschiedenheit der Temperamente und Charaktere; zwangsläufig ergeben sie sich aber, je nachdem man die Bewegung vom dogmatischen oder pastoraltheologischen Gesichtspunkt aus betrachtet, beziehungsweise sie bloß als religiös-moralisches oder auch als politisches Phänomen ansieht. Dazu kommt noch, daß es die Fülle der Geschehnisse und Begegnungen auch dem, der die Gabe der Unterscheidung besitzt, nicht leicht machte, über das Vordergründige hinaus zu den tieferen Antrieben der Bewegung vorzustoßen.

Die Einladung, durch die die meisten Österreicher erst von der Oxfordgruppenbewegung erfuhren, lautete auf drei bis vier Wochen kostenlosen Aufenthalt in der Schweiz; man versicherte uns, es handle sich um eine Veranstaltung mit ausschließlich religiösen und ethischen Zielen bei Ausschaltung jeder Politik. Die Eingeladenen sollten keine anderen Pflichten haben, als die Oxfordgruppejnbewegung kennenzulernen und täglich etwa zwei Stunden Arbeit in Haus, Küche oder Garten zu leisten, weil diese Zusammenarbeit das gegenseitige Kennenlernen wesentlich fördere. Dies schien den eingeladenen Österreichern, die verschiedenen Berufen, Gesellschaftsschichten, Parteien und religiösen Bekenntnissen angehörten, durchaus annehrfibar.

Der herzliche Empfang und die gastliche Aufnahme,' die uns von Menschen aus allen Kontinenten zuteil wurden, versetzten uns in eine neue Welt. Dazu kam, daß von allen SprecheAAdie den verschiedensten Lebenskreisen Völkern angehörten, immer wieder afff Macht des Gebetes, die Notwendigkeit^ der Lebensänderung und die Pflicht, najh dem Willen Gottes zu leben, besonders f herausgestellt und absolute Ehrlichkeit, Reinheit, Selbstlosigkeit und Liebe als die Richtschnur des christlichen Lebens bezeichnet wurden.

Wenn das dem Katholiken auch durchaus vertraute Begriffe sind, so machte es doch einen tiefen Eindruck, daß all dies in solcher Öffentlichkeit und mit Leidenschaft und Uberzeugung vorgebracht wurde. Und hierin mag der Grund liegen, warum auch manche Katholiken der Bewegung Sympathien entgegenbringen und in ihr eine nachahmenswerte Methode des religiösen Apostolats sehen. Mitbestimrflend für ihre Einstellung waren wohl auch/rfe Begegnungen mit Idealisten der Bewegung, die oftmals eine Rein-*heit der Gesinnung und eine Opferbereitschaft für die Idee an den Tag legen, die selbst eifrige und sehr innerliche Katholiken beschämen könnten. Entscheidend für ein endgültiges Urteil sind aber nicht die Idealisten, sondern der Wurzelboden einer Bewegung.

Die Oxfordgruppenbewegung will nach ihrer eigenen Aussage keine neue Religion, keine neue Moral, keine neue Sekte, auch keine „Überreligion“ sein, sondern eine Bewegung zur Intensivierung des Christentums aller Konfessionen. Der Katholik soll durch die Oxfordmethode ein besserer Katholik, der Protestant ein besserer Protestant werden. Beide sollen innerhalb ihrer Kirche aktive, apostolische Christen werden. Das klingt nicht schlecht. Aber hier stellen sich bereits die Probleme ein, die es begreiflich erscheinen lassen, daß sich unter denen, die die Oxfordgruppenbewegung ablehnen, führende Katholiken und Protestanten befinden.

Dr. Frank Buchmann, der Führer der Bewegung, ehemals protestantischer Pfarrer, knüpft nach seinen eigenen Worten bewußt tn die ersten Kapitel der Apostelgeschichte an, lenkt den Blick aber vor allem auf die Berichte über das Wirken des Heiligen Geistes, der nach seiner Auffassung das Leben der ersten Christen ausschließlich führte.

Hier aber erhebt sich sofort die Frage: Kann eine Bewegung eine wirkliche Aktivierung des Christentums anbahnen, die den Satz „Der Geist weht, wo will“ isoliert, als die Methode empfiehlt und seine innere Verklammerung mit Dogma, Sakrament, Gesetz und Hierarchie übergeht? Wird nicht vielmehr wieder einmal der Versuch gemacht, zu den charismatischen Ursprüngen zurückzukehren und dabei übersehen, daß der Heilige Geist seither 2000 Jahre in der Kirche und ihren Institutionen lebendig weitergewirkt hat?

Wenn eine Bewegung eine völlige Verlagerung des Schwergewichtes'von der Institution auf das Charisma versucht, beschwört sie damit die Gefahr der Aushöhlung des kirchlichen Denkens herauf. Diese Gefahr wird dadurch nicht geringer, daß die Oxfordgruppenbewegung sich darauf beschränkt, nur eine „Methode“ anzubieten, die in das innere Leben der Kirche nicht eingreifen will.

Um der Einwirkung des Heiligen Geistes teilhaftig zu werden, empfiehlt Frank Buchmann, mehrmals im Tag „Stille Zeit“ zu halten,- die eigentlich der Kern der Oxfordmethode ist. Es gibt wohl kaum einen Seelenführer, der nicht Gleiches empfiehlt. Die Katholiken verstehen unter „Stiller Zeit“ die Zeit der Sammlung, des Gebetes — die Oxfordgruppenbewegung jedoch versteht darunter die Zeit, in der der Heilige Geist unmittelbar in der Seele wirkt und ihr bis ins einzelne gehende Weisungen erteilt; sie glaubt an eine ständige „inspiratio directa et privata“. Gewiß, auch der Katholik weiß um das Wirken des Heiligen Geistes in der Seele des Begnadeten, er weiß aber auch, daß Dogma und Gesetz, Lehramt und Sakrament dieser Lehre erst den Platz anweisen, der ihr gebührt.

Die Oxfordgruppenbewegung empfiehlt als den Weg zur Erkenntnis des göttlichen Willens, stets auf die inspiratio privata zu hören, und rät ihren Mitgliedern, diese „Führungen“ des Heiligen Geistes in einem Büchlein niederzuschreiben. Dadurch wird aber, selbst wenn diese Weisungen des Geistes von Gleichgesinnten geprüft werden, einem religiösen Subjektivismus Tür und Tor geöffnet, der das objektive Gefüge der Religion bedrohen muß. Man vergegenwärtige sich bloß die Konsequenzen, wenn gewisse Schichten unserer Kirchenbesucher(-innen) angeeifert würden, ihre Privatoffenbarungen niederzuschreiben und sie zu befolgen!

Gewiß, es gibt immer und überall Menschen, die den geistigen Inhalt einer Lehre nicht zu erfassen vermögen und dem Äußerlichen verhaftet bleiben. Und von solchen wird dannj w#nn sie eben in Caux sind, der Heilige Geist befragt — es seien hier einige Vorkommnisse angeführt —, wie man am besten Kürbisse putzt oder warum die Waschmaschine steckengeblieben ist. Bedenklicher ist es allerdings schon, wenn der Arzt mit dem Patienten „Stille Zeit“ hält und ihn dann fragt, was ihm der Heilige Geist als Heilmitteil empfohlen habe, oder wenn der Heilige Geist wegen einer Landpartie befragt wird; oder wenn die Eingebung, mit dem Rad 35 Kilometer zu fahren und dann den ersten entgegenkommenden Menschen anzusprechen, als,echte insperatio angesehen wird.

Das sind nicht mehr Ausnahmen, sondern das ist der Durchschnitt! Wie ist das möglich? Ein Katholik würde die meisten Fälle mit Hilfe des praktischen Hausverstandes lösen. Er hat eben ein größeres Vertraueji zur menschlichen Natur! Das “st auch verständlich, denn nach katholischer Auffassung hat die Erbsünde den Verstand des Menschen nur getrübt und den Willen geschwächt — aber nach der Lehre, die das Denken des Oxfordkreises letztlich bestimmt, ist die menschliche Natur nicht nur gestört, sondern zerstört; die natürlichen Verstandes- und Willenskräfte sind zu religiösen Akten unfähig. Was liegt dann näher, als alles Heil von Gott allein zu erwarten und Gottes Wort in passiver Bereitschaft anzunehmen. So wird der ausschließliche Supra-naturalismus der Oxfordgruppenbewegung verständlich, der der Natur keine Rolle im religiösen Akt mehr zubilligt. Und darum ruft man dort im letzten den Heiligen Geist bei jeder Kleinigkeit zu Hilfe und erwartet von ihm die konkretesten Weisungen.

Weist man die Führer der Bewegung auf diese Gefahren hin, so erhält man stets die Antwort, daß nur der „gewandelte“ Mensch die „Stille Zeit“ richtig verstehen könne. Daher sieht Caux auch seine Hauptaufgabe darin, durch Wort und Beispiel diese Lebensänderung zu bewirken. „Change is the way“.

Angehörige von christlichen Kirchen, die die Beichte nicht kennen, bekunden oftmals, wie das jüngste religiöse Schrifttum beweist, eine große Sehnsucht nach einer seelischen Aussprache und einem Schuldbekenntnis. Die Oxfordgruppenbewegung will diesem Verlangen Rechnung tragen und nähert sich daher der katholischen Beichte. Aber sie sieht sie nur von ihrer humanen Seite. Es ist sicher eine der verdienstvollen Taten der Bewegung, daß sie die Menschen, mit denen sie in Fühlung kommt, zu einem ehrlichen, sauberen, selbstlosen und hilfsbereiten Leben anleitet. Nun meint Dr. Buchmann, daß der beste Weg hiezu die selbstlose Aufschließung der eigenen Seele gegenüber dem Ringenden sei, weil dieser dadurch zur Selbstbekenntnis und damit zur Selbstbefreiung ermutigt werde. Ein durchaus großer Gedanke. Aber er setzt hohe Einfühlungsgabe, Takt, Verschwiegenheit und seelische Reife bei dem „hörenden Bruder“ voraus. Darum ist in der katholischen Kirche nur den Priestern die Verwaltung des Beichtsakräments anvertraut und die Pflicht des Sigillums schwer auf die Seele gebunden. Wohin aber muß es führen, wenn die rein psychologische Seite der Beichte — also eine Beichte ohne Lossprechung! — kultiviert wird und zudem noch von Menschen, die oftmals keine Gewähr für die Erfordernisse einer solchen Aufgabe bieten? Es ist kein Zweifel, daß reife und erwachsene Menschen einander in einer sehr tiefen Weise helfen können; aber was wird aus einer solchen Idee, wenn junge Menschen, die noch kaum der Pubertät entwachsen sind, sich gegenseitig ihre Verfehlungen gegen das sechste Gebot bekennen, und zwar nicht nur der „Gattung“ nach, sondern “in allen Einzelheiten? Welch ungesunde Atmosphäre kann entstehen, wenn hier nicht mehr Amt und Sakrament eine Aufgabe heiligen und schützen! Es war für unser Empfinden auch befremdend, Menschen vor Fremden über die intimsten Geheimnisse des Ehelebens sprechen zu hören, selbst wenn dies in der guten Absicht geschah, andere zu ähnlichen Konfessionen zu ermutigen.

Vielleicht ist der Österreicher in diesen Dingen besonders feinfühlig und zurückhaltend. Seine seelische Anlage macht ihn jedenfalls auch empfindlich gegen jede Form eines zwar gutgemeinten, aber allzu gewollten Bekehrungseifers, bei dem man die Absicht zu deutlich merkte und darum verstimmt wurde. So verloren die meisten die Freude an der Sache und bekamen trotz der Annehmlichkeiten Heimweh nach den Ruinen und dem schmalen Mittagessen, weil zu viel schmerzliche Erinnerungen in ihnen wach wurden. Eine weitere Erschwerung war es für uns, daß das religiöse Wollen in Caux mit Politik und recht materiellen Interessen auf das engste verknüpft wurde. Immer kehrte der Ruf wieder: Gewinnt eure Arbeiter für die moralische Aufrüstung und der Ertrag der englischen Kohlengruben wird um 20 Prozent steigen. Wie nützlich ist diese Religion!

Die gastfreundliche Aufnahme legte uns Rücksicht auf. Aber wir entschieden uns doch für ein klares, offenes Wort. Die meisten Katholiken unter den Österreichern standen nach zweiwöchiger gewissenhafter Prüfung in Opposition, weil sie enttäuscht waren. Der österreichische Sprecher brachte dies in seiner Abschiedsrede auch zum Ausdruck, indem er nach einem Dank für all das Gute, das die Österreicher erfahren hatten, im Namen der absoluten Ehrlichkeit darauf hinwies, daß das Schicksal einer religiösen Bewegung immer davon abhängt, ob die Ehre Gottes ihr ausschließliches Ziel ist. In Caux hatte man aber oft den Eindruck, das nicht das „Reich Gottes“ gesucht wurde, sondern „alles übrige, das dazugegeben wird“.

Unsere Haltung ist die Frucht von vielen Leidensjahren, in denen wir erkannt haben, daß es nicht genügt, wenn sich der einzelne ändert; auch die Gemeinschaft muß es tun. Selbst die Kirche übt unbarmherzige Kritik an sich selber, und weiß, daß sie sich nur demütig Gott zur Lösung der Zeitnöte anbieten kann. Die Oxfordgemeinschaft, die Anspruch auf absolute Selbstlosigkeit erhebt, darf daher niemals behaupten, sie wisse die Antwort auf alle Fragen, also den Plan Gottes.

Wenn schließlich die Oxfordbewegung die Wichtigkeit der Versöhnung in der Familie, zwischen den Klassen und Völkern erkannt hat, dann muß sie im Geiste der absoluten Liebe auch alles daransetzen, den Frieden zwischen dem Osten und dem Westen mit allen Mitteln zu fördern. Erst das gute Verstehen zwischen den westlichen und östlichen Völkern würde den Kreis der großen Menschheitsfamilie wirklich schließen. Es fiel auf, daß diese wichtige Erkenntnis in den Gesprächen von Caux keinen Platz fand.

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