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Der Laie in der Kirche

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Wir begrüßten es mit großer Freude, als im Jahre 1940, den Bedürfnissen und Forderungen der Zeit entsprechend, das „Theologische Laienjahr“ ins Leben gerufen wurde. Es war das eine zweijährige, in Abendkursen ermöglichte systematische Schulung entsprechend vorgebildeter Laien in allen Fächern der katholischen Glaubenswissenschaft. Auf das wesentlichste zusammengedrängt, wurden uns hier vpn erlesenen Fachleuten Vorlesungen geboten, die uns Grundlage, Aufbau und Zusammenschau der katholischen Glaubenswahrheiten sowie deren Auswertung vermittelten. Unser sachliches Wissen vermehrte sich, tiefere Einsichten in die Geheimnisse des Glaubens wuchsen uns zu und eine immer stärkere, achtungsvollere Liebe zum Gegenstande war unser persönlicher Gewinn, als wir nach bestandener Prüfung unsere Zeugnisse erhielten. Diese aber sollten bestätigen, daß wir jetzt, mit geistigem Rüstzeug ausgestattet, befähigte Arbeiter im Weinberg des Reiches Gottes waren. Als solche bekämet! wir die „missio canonica“, die bischöfliche Sendung.

Wohin waren wir aber gesendet und wozu? Bei gelegentlichen Gesprächen mit Andersgläubigen oder Ungläubigen sollten wir klärende, aufschlußreiche Antworten geben und bei Angriffen unseren Glauben würdig verteidigen können; Suchenden sollten wir Wege weisen, ihren ersten Schritten einen Boden bieten und ihrer Sehnsudit die Heimat ersdiließen können; in den Pfarren sollten wir die Einzelschulung von Konvertiten und Revertiten übernehmen und so den Pfarrer entlasten; helfende Führung der Jugendgruppen tat not;' und sdiließlich — oder richtiger ernstlich! — sollten wir selbst, durch das nun tiefere Wissen angeeifert und verpflichtet, das Leben eines Christen führen und so in der Bemühung christlicher Lebenshaltung unsere nächste Umgebung für Christus und die Kirche werben.

Bald durfte ich einer Konvertitin Unterricht erteilen. Wir saßen in einer Ecke meines Zimmers und Fragen und Antworten schlugen die Brücken. Aus den Bezirken des Täglichen und Gewohnten, durch Hemmungen und Schwierigkeiten des Außen-und Innenlebens hindurch, tastete der Zug des suchenden Herzens nach der Wahrheit; die Sehnsucht, die — aus dem Dunkel einer unklar gewußten Knechtschaft .rein diesseitigen Daseins heraus — nach Licht und Weite verlangte, fand Befreiung in der Lehre Christi und den Weg zu ihrer Verwirklichung.

Die in die Wirklichkeit umgesetzte Lehre der Liebe war von Anfang an unser Ziel. Denn unser Unterricht blieb niemals innerhalb der Grenzen des Mehr- und Besserwissens, noch der Einsicht und des Erkennens für sich. Wie wäre dies auch möglich gewesen? Wir saßen einander ja nicht bloß als Lehrende* und Hörende, sondern als Menschen gegenüber und sprachen von Frau zu Frau. Es gab da gar keine Frage, die nicht zugleich in das persönliche Leben schnitt; keinen Anspruch der Liebe, die nicht zwingend die Innenwelt der Frau berührt und sie bereitet hätte zu reicherem Geben; keine Forderung glitt ab; alles traf die lebendige, empfindsame Mitte der eigenen, gerade aktuellen Situation und löste Entscheidungen aus, die, weniger durch das verstandesmäßig erweckte Gewissen als aus der ureigenen Kraft fraulicher Hingebung, für den weiteren Fortschritt im Glauben nicht unfruchtbar blieben. Was floß da nicht alles in den Unterricht hinein! Wie so manch eine Sdiwierigkeit des blutwarmen Lebens drängte nach oben und rang nach Lösung! Um wie vieles mehr aber noch strömte aus der Fülle der Frohbotschaft in das Flußbett des Lebens zurück! Denn der Bezug zwischen dem Erkennen und dem Leben ermangelt nie. Und später, als das Geheimnis des heiligen Meßopfers schon ehrfürchtig aufgenommen und mitopfernd beantwortet werden konnte, gingen wir nach unserer „Unterrichtsstunde“ in die Abendmesse, die, damals als Gemeinschaftsmesse gefeiert, von Stufe zu Stufe das Ziel tätigen Mitlebens und eines wirklichen Mitvollzuges wurde; so mündete das vorher gehörte und im Herzen erfaßte Schriftwort im vollen, zentralen Wirken Christi, der in der Kirche lebt.

Nach Jahresfrist konnte die Herangereifte getauft und in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden; sie empfing in der Mitternachtsmette — wir knieten Schulter an Schulter — zum erstenmal den Herrn in Brotgestalt. Wie freute sie sich auf Sein Kommen, den sie selbst als d e n Weg und d i e Liebe erkannte!

Wie notwendig die damals Glückliche diese starke, wirksame Bindung mit der ewigen Liebe schon in kürzester Frist haben sollte, ahnte sie zunächst noch nicht. Drei Wochen später erfuhr sie es jäh. Sie verlor alles, was sie außer der Realität dieser Bindung und ihrer jungen Gottesliebe besaß. Von ihrer Tagesarbeit heimgekehrt, fand sie in der Finsternis des eisigen Winterabends nur mehr die Stelle, an der ihr Heim morgens nodi stand; ihre Mutter, von stürzenden Mauerteilen tödlich verletzt, lag im Krankenhaus und erlangte das verlorene Bewußtsein nicht wieder.

Es war das eine harte Probe. — eine menschlich unverständliche Erstlingsgabe Gottes, dem heimgefund#nen Kinde bereitet. Aber der Glaube der also Geprüften hielt stand. Unter Tränen, jedoch hingebend, empfing sie den Herrn des Lebens auch in diesen Tagen und der Tod verlor seine Bitterkeit, weil das Wissen um die Auferstehung gesiegt und alle Schmerzen in die Frucht des Kreuzes hineingewandelt hatte. — Wir trugen die Spannung dieser Prüfung gemeinsam; was gesagt, geholfen oder geschenkt werden konnte, das gesdiah in der einfachen, lebensnahen Art der Frau.

Nach dem beendeten Krieg, als der Religionsunterricht in den Schulen wieder aufgenommen werden konnte, wurde der Priester-, beziehungsweise Katechetenmangel erst recht fühlbar. Der Ruf der lehrenden Kirche wandte sich an den Laien; er durfte das neue Arbeitsfeld betreten. •

Zu Beginn meiner übernommenen Tätigkeit in Volksschulen mußte ich mich in die neue Aufgabe erst hineinfinden. Nicht die Masse, noch das Methodische machten Schwierigkeiten; ich kannte den schulmäßigen Unterricht schon aus der Praxis von früher her. Was bedadit und gelöst werden mußte, war die Situation des Jahres 1945. Die seelische Lage des Kindes, die von hier und den Verhältnissen des elterlichen Hauses heraus gesehen und verstanden werden mußte, war eine neue. Viele der Kinder kamen aus einer vollständig gottfremden oder gottfeindlichen Umgebung. Manch einer der 14jährigen Buben verdiente durch gelegentliche Dienste am nahen Bahnhof bereits selbständig Geld oder Lebensmittel, einzelne betrieben sogar Schwarzhandel. Diese Jugendlichen hatten von vornherein kein Interesse am ReRgion'suBterricht! Ein wenig schon denkend und dazu verhetze und verbildet, hatten sie einfach keine Grundlage für die innere Aufnahme eines Gegenstandes, der Forderungen an ihr Gewissen, stellte. Jeden anderen Gegenstand könnte man wollen und durchset7.cn -*- den Glauben nicht. Glaube ist ja Leben tmd noch daz% inneres Leben! Ohne eine Anknüpfung aus der Erfahrungswelt des Bekannten gab, es hier keinen Ausgangspunkt. Aus Erlebnissen der inneren Erfahrung (soweit bei Volksschulkindern überhaupt vorhanden mußten Brücken gesucht und gewagt werden. Aber wie? Als Frau konnte ich nur aus der Erfahrungswelt der Frau ' schöpfen und das, was zu geben war, wiederum in einer selbstverständlichen, fraulichen Art bieten, sollte es echt und ehrlich sein.

Grundsätzlich fragte ich mich aber: Ist Religion (als Uncerrichtsgegenstand innerhalb, des Schulwesens) gleichzustellen mit anderen Fächern, die nach methodischen Gesetzen erlernt werden, oder ist Religion etwas ganz anderes und deshalb auch *ls Unterrichtsgegenstand unter ejinep anderen Gesichtspunkt zu stellen?

Rechnen, Schreiben, Physik oder Philosophie — jeder Gegenstand, ob in niederen oder höheren Stufen vorgetragen, wird durch den Verstand erfaßt und je nach Begabung ausgewertet. Die Heilslehre wird nicht durch den Verstand allein,- sondern im wesentlichen durch das Gnadenwirken Gottes erfaßt. „Niemand kommt zum Vater, den der Vater nicht zieht.“ Also befinden wir uns hier auf einer ganz anderen Ebene. Selbstverständlich ist die Kenntnis der Materie Vorbedingung, aber kein letztes Ziel. Denn auch die Generationen unserer Eltern und Großeltern haben einen geregelten, im Gegenstande vielleicht hochwertigen Religionsunterricht gehabt und sind doch die Generationen des Abfalls und der Lauheit, des Taufscheinchristentums geworden. Warum? Gründe und Zusammenhänge könnte man nennen, Wurzeln des Übels wären er-forsdibar, aber doch nur vom Blickpunkt des Mensdien her. Der Glaube aber ist Geheimnis. Wollen wir Herzen dem Glauben erschließen, können wir nidits anderes, als der Gnade die Wege bereiten, lebendig, aus dem Brennpunkt des eigenen gläubigen Lebens heraus. Leben entzündet sch ja nur an Leben! Und versucht man, Klarheit in ein Chaos, Licht in eine Dunkelheit zu bringen, so gelingt es am besten durch das Licht des eigenen, hell gewordenen Auges.

Einmal, zu Beginn des Schuljahres, kam mir im Religionsunterricht der Zufall zu Hilfe, um gleich die wichtigste Frage des menschlichen Lebens als eine religiöse Frage auszuwerten; wir haben sie dann vom Herzen her erarbeiten können.

Am Praterstern unten wurden Leichen exhumiert. Ich kam gerade vorüber, sah meine Schüler dabei stehen und stellte mich au ihnen. Und erlebte die Fras um das Geheimnis der letzten Dinge selbst neu, in der Nüchternheit der Zeit und des handgreiflichen Geschehens, mitten im Straßenlärm. Noch mit dem Geruch der Verwesung in der Nase, kamen wir in die Klasse. Ich erzählte den anderen kleinweise, mit dem Schauer, der mir noch in allen Gliedern steckte, was ich soeben sah: Wie der mit der Erde fast verwachsene Leichnam mittels eines zufällig in der Nähe liegenden Drahtes der elektrischen Straßenbahnleitung, der ihm unter der Rumpfmitte durchgezogen wurde, nur schwer gelöst und gehoben werden konnte; der tote Leib machte, so verwest und ohnmächtig wie er war, noch groteske Turnübungen; wie ein übergroßer, zerfetzter Hampelmann sah er aus, als er so mit den Hüften hoch und den Beinen und dem Kopfe nach abwärts hing. Die Nerven der Buben waren gespannt, also gingen sie gedanklich mit. „Seht, der Mann im Arbeiterkittel, dessen Schädel dann vom Hals gebrochen und abgefallen war, was hatte dieser Mann vom Leben gehabt? Vermutlich eine arme Kindheit wie Ihr; die Mühe des Lernens in der Schule wie Ihr; dann die Lehrzeit an einem vielleicht harten Arbeitsplatz; später die eigene Familie, für die er sorgen mußte; die Not des Krieges und — dieses Ende!.Hat sich das Leben für ihn gelohnt?“ — „Nein!“ sagten die Buben. „Ihr habt recht. Wenn das Leben mit dem Tode wirklich aus wäre, wenn der verweste Leib wirklich das endgültige Ende wäre, dann lohnte sich sein Leben wirklich nicht. — Aber wie, wenn der ausgegrabene Mann da unten am Praterstern Euer Vater gewesen wäre? Wenn Ihr selbst vor seinem unkenntlichen Leichnam stündet? Ihr würdet in dem Armseligen, das da zurück blieb, noch nach Eurem Vater suchen, nach dem Menschen, der Euch geliebt hat und der so bekannt und traut war wie das eigene Leben selbst. Ihr würdet suchen nach seinen Zügen, nach seiner Güte, nach seiner Eigenart. Wohin wäre schließlich all dieses Wirkliche, Kostbare gekommen? Seine Liebe, alles, was er für uns war, das verwest doch nicht?! Unser Empfinden wehrt sich mit Recht gegen das Nichts, das da unser Liebstes, Nächstes verschlungen haben sollte!“ Und so kamen wir zur Frage nach der Seele und ihrer Unsterblichkeit — und jeder der Buben wollte doch lieber glauben, als nicht glauben.

Und jetzt, am Ende des Schuljahres, frage ich mich neuerlich und stelle die Frage grundsätzlich: Ist die Frau als Katechet am Platz? Ist sie wirklich Ersatz für die Priesterkatecheten?

In ihrer Art und für den Volks- und Hauptschulunterricht kann sie es sicherlich sein. Denn so wie die Mutter die geeignete, ja prädestinierte Hüterin und Erzieherin ihrer Kinder auch im Religiösen ist (der grundlegendste und nachhaltigste Einfluß für das spätere Glaubensleben des Kindes wurzelt ja im Boden der ersten von der Mutter her empfangenen Eindrücke!), so muß die mütterliche Geistigkeit, muß die aus der Kraft des Glaubens lebendige Frau auch fähig und berufen sein, Kinderseelen für Gott zu wecken, ihr Leben zu hüten und zu pflegen und sie dem Licht der Wahrheit immer voller zu erschließen — in mütterlicher Treue und mit mütterlichem Instinkt.

So darf die Frau in der Kirche heute als Lehrende mitarbeiten, in mütterlicher Verbundenheit und Verantwortung. Ihr persönliches Leben darf Zielscheibe, aber auch Spiegelbild dessen sein, was sie lehrt. In ihrem natürlichen, unverbildeten Sinn für die Wirklichkeit aber weiß sie: alles, was sie tut, was ihr gelingt oder fruchtlos bleibt, liegt in Gottes Hand. Ihm dient sie — als Laie in der Kirche — in ihrem Gewissen so ernst wie in ihrem neuen, durch die Not und den Ernst der Zeiten bedingten Stand.

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