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Die österreichische Frau von 1945

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Dies erfuhr ich: Denn nie, sterblichen Meistern gleich, Habt Ihr Himmlischen, alles Erhaltenden, Daß ich wüßte, mit Vorsicht Mich des ebenen Pfades geführt.

Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen; Daß er, kräftig genährt, danken für alles lerne Und verstehe die Freiheit,^ ' ■ - - .

Nein, es war kein ebener Weg, den die österreichische Frau in den letzten zehn und zwölf Jahren geführt wurde. Wer diese Frau richtig verstehen und werten will, der muß wissen, wie es 1933 um sie stand und wo sie heute, steht. •

193,3 ' fuhren . unsere schönen, begabten Schauspielerinnen mit ihrem Steyr zur Probe. Vor kurzem sah ich eine bekannte Schauspielerin, wie sie in einem Kinderwagen einen schweren Rucksack alter Erdäpfel vor sich herschob. — 1933 war es die wundersamste Entspannung für die berufstätige Akademikerin, abends in einem Konzertsaal klassischer Musik zu lauschen. Heute trägt sie an jedem freien Abend aus einem ausgebombten Hause Reste ihrer Habe in schweren Packen *heim in die Untermietwohnung zu ihren alten Eltern. — 1933 verlebte die junge verheiratete Wienerin den glücklichsten Sommer am Millstätter See. 1945 schleppt die junge Witwe, so oft es ihr möglich ist, Holz heim aus dem Wienerwald, ihre mageren, müden Kinder mahnend und tröstend mit sich führend. — 1933^ deckte die junge Bäuerin singend den reichen Tisch für ihre Erntearbeiter und freute sich ihres kräftigen Zuspruchs zu den guten Speisen. Heute vergeht sie auf den Feldern vor unendlicher Arbeitslast, und daheim rückt die alte Großmutter ein paar halbvolle Geschirre am Herd herum. Warum dieser Weg?

Es ist' ja doch so gewesen, daß wir uns alle, um mit Rilke zu sprechen, sehr verläßlich in dieser Welt zu Hause dürikten. Es

wir ja auch alles so wohl daraufhin eingerichtet. Nichts fehlte, was der verwöhnte bürgerliche Mensch wünschen mochte: der fixe auskömmliche Monatsgehalt und das Sparkassebuch, das behagliche Heim und gute Freunde, das. Weekendhäuschen und die Sommerreise, das Abonnement in Burg, Oper und Konzertsaal: Das Leben erschien nach allen Seiten gesichert und gut und eben. Sogar Religion und Vaterland waren als Sicherheitsfaktoren in diese Lebensrechnung hineingebaut: der Herrgott war es uns schließlich schuldig, ein anständiges und fleißiges und sparsames lieben mit guten Tagen zu belohnen, und das Vaterland war der unverrückbare Rahmen für ein beruhigtes,, sich in die Zukunft spannendes Streben.

Dann kamen plötzlich schwere Umsturztage. Mag es 1934 oder 1938 gewesen sein, für die österreichische Frau brachten sie die gleichen bitteren Erfahrungen. Wenn der Mann, die Frau wegen politischer Bedenklichkeit über Nacht aus dem Dienst entlassen, vielleicht sogar von der Gestapo geholt worden war, dann war man über Nacht zum Paria geworden; die besten Freunde zogen sich zurück, die guten Bekannten entpuppten sich als erbarmungslose Angeber. Dem gutmütigen, vertrauenden österreichischen Menschen zeigte sich damals die ganze Niedertracht menschlicher Feigheit und die Wertlosigkeit aller oberflächlichen Beziehungen. Die Jahre nach 1938 brachten Tage voll Sorge und Nächte von Angst. Die Vorladungen zur Gestapo, die Nachrichten über Freunde in einem Konzentrationslager, die Einberufungen der Söhne zu einem wahnsinnigen Krieg, das ständige Gefühl der Unsicherheit, des Bedroht- und Umlauertseins waren schwerste Erprobungen für die Tapferkeit der österreichischen Frau, die in einem unerhörten Standhalten jede Verwundung ertrug; auch Verwundungen, die bis in die Herzmitte reichten: wenn der Sohn fiel und der Mann im Konzentrationslager dahingemartert starb.

Denn noch immer hatte die österreichische. Frau den Lebensboden, in dem sie wurzelte, ihr Heim. Im Laufe des letzten Kriegsjahres verlor sie auch dieses. Wer niemals — allein und ohne Hilfe — im Schutt wühlend, die letzten armen Überbleibsel seiner Habe suchte, wer niemals lange Nächte im staubdurchsetzten Kleide auf dem geringen Notbett in einer Ecke seiner zu Trümmern gehauenen Wohnung grübelte, wer nicht nach, kurzem Schlaf inmitten der grauenhaften Zerstörung aufwachte und laut aufweinte, der hat nicht die letzte Tragik dieser Jahre ausgelebt.

Es war unbewußt und bewußt gewahrte Verbindung zu den Reserven tieferen Lebens, die der österreichischen Frau die Kraft gab, diese Verwundungen zu ertragen und zu überwinden. Die einen hielt die unbändige Liebe zu Heimatboden und Vaterland, die andern ein unbeirrbares Pflichtgefühl oder eine trotzige Widerstandskraft, von Grenzlandahnen ererbt und bewahrt. Wieder andere holten aus Philosophie und Geschichte den Glauben an eine ewige Gerechtigkeit im Weltgeschehen. In den meisten rauschte die tiefe Gläubigkeit frommer Mütter auf und sie begriffen, daß einem die Menschen nicht mehr antun können, als Gott erlaubt. In einem letzten Wagnis stellten sie sich hinein in die absolute Verfügungsgewalt ihres Ä>t-tes. Allen den schwergeprüften österreichischen Frauen aber, ob gläubig oder ungläubig, passiv das Leid ertragend oder denkend seinem Sinn nachspürend, war eines gemeinsam: die große weibliche Haltung-des Sich-selbst-Auslöschens und des Hingegebenseins an' anderer Menschen Glück. Sie durften sie nicht im Stiche lassen, weder die unmündigen Kinder noch die alten Eltern, weder die Söhne im Krieg noch die Männer in den Konzentrationslagern. Für sie mußte man weiterleben, für sie mußte man wenigstens wieder einen Winkel schaffen, der Heim war.

Und das ist die österreichische Frau von 1945: mit allem Leid genährt, ist sie ein wissender, ein freier Mensch geworden, der nun aufbrechen kann, wohin er will. Wie könnte sie heute inmitten von Ruinen, inmitten tausendfacher Entbehrungen leben, wie könnte sie den Mut zu neuem Anfang haben, hätten die „Himmlischen“ sie nicht gerade diesen Weg geführt?

Die österreichische Frau ist arm geworden. Ihre Armut ist die, die das Evangelium selig preist. Es ist das innere Sich-weggehoben-Haben von allem Besitz, der verlorenging im Bombenkrachen und Brandgeprassel oder in Koffern und Kisten unnützbar liegt. Aber die Österreicherin weiß heute um die wunderbare * Erziehungskraft der Armut, um die köstliche Freiheit, die Einfachheit und Genügsamkeit schenken. Die Zeiten großer Armut, die vor uns liegen, schrecken sie nicht. Nun kommt ihr zugute der die kleinen Dinge umfassende' Sinn für Sparsamkeit, den sie von Müttern und Größmüttern ererbt hat. Sie hat schon zu sparen begonnen, als sie im Schutt ihres Heimes suchte S und wertlose Dinge als brauchbar mit einem wehen Lächeln beiseite legte. Und dazu ihre unbändige Freude an der Arbeit, die alles Leid vergessen macht, am Wiedereinrichten und Zusammentragen, am Schaffendürfen und Sorgenkönnen für andere. Sie sind .Österreichs beste Zukunftsbürgschaft, die findigen Frauenhirne und die festen Frauenhände!

Dazu hat die österreichische Frau gelernt, G ed u 1 d zu haben. Sieben lange Jahre hat sie auf Erlösung gewartet. Das sind viele verzagte Tage und graue Wochen gewesen. In ganz Europa mögen Frauen sehnsüchtig auf das Ende des Krieges gewartet haben. Die Österreicherin hat am längsten und heißesten gewartet. Aber die unbeugsame Festigkeit ihres Hoffens hat sie nicht getäuscht. Sie hat das Dante-Wort an sich erfahren: Die Zeit, die weise Geberin aller Dinge, ist gerecht. Sie wartet heute wieder und weiß, es kann in diesem kleinen Lande nur langsam besser werden.

Die österreichische Frau ist klug geworden. Sie sieht die Wirklichkeit so, wie sie ist. Sie sieht die Ruinen und Schutthaufen, die ausgeräumten Magazine und die geplünder ten Geschäftsladen, die leeren Ställe und Scheunen, die abgemagerten Kinder und dig hungernden Greise. Sie weiß, daß es in sol-

. eher Not nur Selbsthilfe gibt und daß jedes Zögern die Sachlage verschlimmert. Sie arbeitete schon, während die Männer noch um das Wie und Wann debattierten. Dazu besitzt sie jene Hochgemutheit des Herzens, die nach Josef Pieper „das Sichspannen des Geistes auf die großen Dinge“ ist. Sie mutet sich große Aufgaben zu: sei es, in verwüsteten Schulen und Büros, in halbzerstörten Spitälern und Werkstätten neu aufzubauen, sei es, vor einer mißbrauchten Jugend alte Ideale und neuen Glauben zu vertreten. Und sie tut es mit einer geradezu herausfordernden Zuversichtlichkeit und mit der gänzlichen Ruhe eines furchtlos gewordenen Herzens.

Die österreichische Frau hat ihren besonderen Scharm, die Heiterkeit des Herzens auch in sieben Jahren bitterer Knechtschaft nicht verloren. Sie hat ihr Lächeln bewahrt beim spionierenden Besuch des Blockleiters und bei stundenlangem Kellersitzen, bei Artilleriebeschuß und beim Besuch plündernder Eindringlinge. Mit der inneren Leichtigkeit dessen, der sich von allem Haben- und Geltenwollen gelöst hat, hat sie sich über alle Verluste hinweggesetzt. Ihr Sinn für Humor verläßt sie auch heute nicht, weder im Gedränge der Stadtbahn noch unter dem harten Druck des Rucksackes. Sie1 versteht es, dem silbernen Rand an jeder schwarzen Wolke fröhlich nachzublicken und sie löst die schwierigste Situation und die verdrießlichsten Herzen mit einem klugen Scherzwort.

Trotz allen Leides, das sie erfahren, ist die österreichische Frau innerlich nicht verhärtet. Zwar hat sie sich die notwendige Kraft des Zürnens erhalten, den Willen nach gerechter Strafe, den auch Thomas von Aquin gutheißt. Sie weiß, um wieder mit Josef Pieper zu reden, „daß die Verbindung der

Zuchtlosigkeit des Genießenwollens mit der faulen Unkraft zu zürnen das Kennmal völliger und hoffnungsloser Entartung“ ist. Das Leid ist . heute Schuldigen gesetzt zur Aufgabe: daran gut und stark und frei zu werden. Aber sie sieht auch, wie unter dem Drucke namenloser Enttäuschung und bitterer Demütigungen guten Menschen neue Quellen aufbrechen und sie reicht barmherzig die Hand dem, der nun in der Tiefe steht und bereuend und sühnend aufwärts sieht. Weiset mich nicht hin auf die Masken, die in Kaffeehäusern tanzen und. vor den Kinos und Kasernen warten! Sie repräsentieren nicht die österreichische Frau oder das öster-reichisdie Mädchen. Sie gehören zu der internationalen Bande der nur sich selbst und dem Vergnügen lebenden Frauen. Ihre Art ist in allen Ländern- ifnd in allen Zeiten zu Hause und Kriegs- und Nachkriegszeiten vermehren ihre Zahl. Sucht die österreichische Frau auf in den Schulen und Kinderheimen, in den Spitälern und Siechenhäusern, sucht sie in Büros und Werkstätten, auf Feldern und Wiesen, in Werkküchen und Geschäftsladen. Seht sie mit schweren Rucksäcken und djen gewichtigen Körben; seht sie mit Wagen und Schaufel: sie arbeitet und rennt und trachtet und zehrt sich auf. Für die ihr anheimgegebenen Menschen, für die ihr aufgetragene Aufgabe: auf daß wieder Heime da seien und zufriedene, satte Menschen darin; auf daß wieder junge Menschen gerade wachsen und alte Menschen in Frieden sterben können; auf daß alter Haß verlösche und gleiche Liebe alle eine; — auf daß Österreich lebe!

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