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Es ist schwindelnd, was man an Gestalten in sich tragt

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Baronin Gabriele Oppenheimer, Tochter von Sophie von Todesco, einer Schwester Josephine von Wertheimsteins, 1854 geboren, starb einsam im Alter von fast 90 Jahren. Ihr Sohn Felix — gleichaltrig mit Hofmannsthal — war schon als Schüler mit diesem befreundet. Er schied 1938, als die Nationalsozialisten sich Österreichs bemächtigten, aus dem Leben. Seine Mutter starb 1943 eines natürlichen Todes, von Max Meli und Elsa Bruck-mann-Cantacuzene durch Intervention bei 'Baidur von Schirach vor der Deportation bewahrt.

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Baronin Gabriele Oppenheimer, Tochter von Sophie von Todesco, einer Schwester Josephine von Wertheimsteins, 1854 geboren, starb einsam im Alter von fast 90 Jahren. Ihr Sohn Felix — gleichaltrig mit Hofmannsthal — war schon als Schüler mit diesem befreundet. Er schied 1938, als die Nationalsozialisten sich Österreichs bemächtigten, aus dem Leben. Seine Mutter starb 1943 eines natürlichen Todes, von Max Meli und Elsa Bruck-mann-Cantacuzene durch Intervention bei 'Baidur von Schirach vor der Deportation bewahrt.

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Im Palais Todesco in der Kärntnerstraße wurden am 28. Februar und am 2. März 1893 Hofmannsthals Verse, Prolog und Epilog „zu den lebenden Bildern im Hause der Baronin Yella Oppenheimer“ gelesen. Es handelte sich um elf Bilder, die hier, weil sie dem Verständnis des lyrischen Werkes dienen, angeführt seien:

Hofmannsthal verbrachte in vielen Jahren seines Lebens viele Wochen bei Yella Oppenheimer auf dem Ramgut in Aussee. Nach dem Kriege schreibt er ihr die für ihn in jener Zeit höchst kennzeichnenden Worte: „Das einsame Selbst, indem es nur einem steilen Zug nach oben, nach innen, folgt, nähert sich Gott, und nichts und niemand bann ihm mehr etwas anhaben. Ich weiß um wie viel schwerer es Ihnen wird und werden muß, diesen Weg zu betreten. Nicht eine verschiedene Denkart hält uns hier auseinander, auch nicht die Verschiedenheit des Alters; denn mit ganz jungen Menschen verglichen, stehen wir beide im gleichen Alter; sondern Schicksal und Angewöhnung sind es, die Ihnen diesen Weg zu sich selber schwerer machen, vieles zieht Sie immer wieder zurück in den Kreislauf anderer Kreaturen. Aber man sollte nichts, keine Verbindung des Blutes, keine Verkettung des Lebens, über dieses reine Verhältnis zu sich selber stellen. Früh sollte man die Menschen lehren, das Ich nicht wichtig, aber ernst zu nehmen!“ Und am 18. November 1925 in einem vom Ramgut kommenden Brief: „Heute war endlich ein heller Tag, mit einer herben klaren Luft wie im März, günstig der Arbeit und günstig dem Spaziergang, da will ich denn einen Gruss schicken und sagen: ich segne das Zimmer, das so gewohnte, die zauberhafte Stille des Hauses, den guten freundlichen Ofen, der immer angezündet ist, das gute freundliche Holz, das immer aufgeschichtet daliegt, das freundliche breite Fenster, das auch an den finster brütenden Nebeltagen (deren zuuiele waren) genug Helle hereinlässt — und mir war auch dieser beispiellos finstere Herbst im Ganzen freundlich und ergiebig — dass aber Sie diesmal nicht da waren, dafür — beinahe seit September — sage ich Dank — es wäre keine mögliche Zeit für Sie gewesen.“

Im folgenden seien einige der schönsten Briefe Hofmannsthal an seine mütterliche Freundin Yella

Oppenheimer zum ersten Male mitgeteilt: ,

Liebe Yella Rodaun 181X11 18 Ihr Brief war gut und lieb, Ihr Geschenk für Pannwitz grossmütig wie immer, ich danke Ihnen sehr für beides. Ich möchte gerne denken, dass Sie Ihre Tage so gut und behaglich als möglich verbringen, sich jeder freundlichen Sonnenstunde (hier ist es fast beständig finster!) jedes freundliehen Landschaftsblickes, jedes freundlich durchwärmten Zimmers und erhellten Sobreibtisohes mit aufgeschlossener Seele freuen. Denn dies sind Wirklichkeiten, in deren Schutz wir uns zu höheren Gütern aufschwingen können — und viele andere ist unwirklich und viele Qualen gleichen 'den vergeblichen Qualen der Schatten in der Unterwelt: Ixion, Sisyphus und Danaiden.

Ich möchte zu der gegenwärtigen Lage das folgende auszusprechen versuchen: unser Glück ist weit weniger von den tatsächlichen Umständen abhängig, die wir viel im Auge haben und mit gewichtigen Ausdrücken bezeichnen: von den politischen, materiellen, rechtlichen

— als von den Gedanken und Apprehensionen die wir uns über die mögliche zukünftige Gestaltung dieser Dinge machen. Tatsächlich sind diese Gedanken das wirkliche Übel, ihre schwärmende Menge, ihre Wirrnis, der Zwang ihres Ablaufs; und diese Gedanken unter uns zu kriegen, uns ihnen zu entreissen, nie in ihnen zu schwelgen — beständig ihnen das höhere Wirkliche entgegenzustellen — dies scheint mir die wahre Aufgabe der Selbstrettung.

Ein Wesen, das sich im schönen Gleichgewicht erhält, ist mir und sicher auch einem höheren Auge — lieblicher als ein zerrütteter gequälter Wohltäter der Menschheit, gar nicht zu reden freilich von dem zerrütteten gequälten Selbstsüchtigen

— dessen gleichen es zu viele gibt. Uns geht es gut. Für den Augenblick und nächste Wochen haben wir noch Licht für zwei Zimmer am Abend, das ist die Hauptsache — würden noch die Theater und Concerte geöffnet, die mir — Oper besonders — eine sehr grosse Recreation sind — so wüßte ich für mich und die nächste Umgebung wenig zu wünschen. — Hört man einen Menschen wie Georg Franckenstein erzählen, was er in einer Landschaft allein innerhalb weniger Monate sehen musste — im Kaukasus — ganze Landstriche verhungernder Menschen, grässlich ausgeplünderte und todte Städte

— so treten die hiesigen Übel zurück und das uns gefallene Schicksal erscheint noch immer sehr milde. Also haben Sie gute Tage, vielleicht wird man in vier fuenf Wochen mit gutem Gewissen die Freude haben Sie hierher zurückzurufen

Ihr Hugo

P. S. Haben Sie nie daran gedacht sich Pannwitz für einen halben Tag einzuladen? Uberwiegt doch die Furcht vor seinen Besonderheiten?

Neubeuern a. Inn Oberbaiern 91VIII (1920)

Liebe Yella

oft und geradewegs übers Tiroler Gebirge hin gehen meine Gedanken liebevollen Weg zu Ihnen — wieder aus einer Nachbarschaft — so mit dem Hauch des guten Sommerwin-des heuer, wie voriges Jahr mit den schweren von Westen ziehenden Wolken und mir ist als teilte ich jetzt

Anläßlich des 100. Geburtstages von Hugo von Hofmannsthal wurde über dem Hauptportal des Theaters in der Josefstadt ein Medaillon (Halbrelief) angebracht, das nach der im Todesjahr des Dichters (1929) entstandenen Büste von Rudolf Schmidt angefertigt worden ist

Photo: Ernst Hausknost die Sonne u. abends den Sternenschein mit Ihnen Wie damals den Regen. Im Juli schrieb mir Gerty ein paar Worte über Sie die mich sehr rührten: Wie Sie guter Laune wären unter den jungen Wesen, die um Sie waren — und wie man fühlt dass Sie immer zu wenig Jugend um sich gehabt hatten. Liebe Yella, mögen wir uns gut wiedersehen u. Ihnen meine Gesellschaft manchmal Freude bereiten.

Mir geht es so gut, als Sie irgend denken können. Die innere Fülle ist so gross, dass es nur schwer wird, sie zu bändigen — die Spannung so stark, dass es der guten klugen Gegenwart Ottonies, der friedvollen schön gelagerten Innlandschaft bedarf, um mit Rosen und Wäldern, Bergschatten und stillen halbdunklen Stunden das Feuer immer wieder zu decken und zu stillen — damit es in langsamer Glut das Brauchbare schaffe, nicht in wildem Aufbrennen nichts als Asche zurücklasse. War ich je ein Dichter so bin ich es seit meinem vierzigsten Lebensjahr erst recht, bin iehs heute nicht, so war ichs nie.

Es ist eine so schwere als schöne Arbeit der ich mich vor allem hingebe, der ich immer die guten Morgenstunden bis zum Mittag einräume; aber viele andere naschen mit von dem Blut — es ist schwindelnd, was man an Gestalten und Schicksalen in sich trägt. — Ich bin hier bis zum 17 ten, dann vom 18 ten bis 24 ten in Salzburg Oesterr. Hof wo wir, wenn das Wetter keinen zu üblen Streich spielt, den Jedermann vor der Domfa?ade auf den Stufen des Domes spielen werden, ein schöner Gedanke so Reinhardts als des der Dichtkunst zugeneigten Erz-bischofs.

Auf Wiedersehen!

Ihr Hugo

Ramsau Sonntag den 5 ten VIII 1923 Ich glaube wirklich, es sind Ihre Wünsche, gute liebe Freundin, die mir immer wieder das gute Wetter heraufführen, nach dem schwülen das kühle, nach dem verdunkelten das helle, und solche herrlich durchsichtige von einem sanften kühlen Wind durchstrichene Tage wie den heutigen. Denn an ganzen Regentagen ist wirklich mein kleiner Verschlag hier ungut, weil er dann ausser seiner Enge noch eine gewisse Finsternis fühlen lässt; es würden da die fünfzehn Stunden des Alleinseins plötzlich zuviel werden und auch die Gesellschaft von Frau von Sevigne und die unermüdliche Grazie mit der sie ihrer Tochter, Frau von Grignan, Complimente macht, würde vielleicht gegen Abend ein wenig zu monoton werden — aber von dem allen ist nicht die Rede, es ist eigentlich immerfort schön, man kann zwischen der Arbeit, die ernst ist und doch eine ganz andere Concentration fordert, als manches was man zu anderen Zeiten gemacht hat und machen wird (es ist der fünfte Act des „Turmes“ — nicht eigentlich der letzte Text, aber doch hoffe ich der vorletzte) immer wieder an den schönen Abhängen dieses Tales herumgehen, es führen da und dort Fusswege von einem Gehöfte zum andern, bis hoch hinauf g9gen die Dachsteinwände ziehen sich kleine Kornfelder, und junge Schafe, schwarz und weiss, weiden auf den Hängen zur Musik die das Wasser macht, das in hölzernen Röhren pfeilschnell hinun-terschiesst.

Eine gewisse Stunde ist nicht ganz leicht zu verbringen; die nach dem sehr frühen Nachtmahl, von dem man schon um halb acht aufsteht, bis zu jenem Augenblick um 'U9 wo man mit Anstand seine zwei Kerzen anzünden und sich in Gesellschaft von Frau von Sevigne oder in anderer — ins Bett legen kann. — Wie hübsoh wäre es, wenn man zu dieser Dämmerstunde, die sehr nach einem Gespräch verlangt, sich miteinander unterhalten könnte. Und Ihre Begegnungen dort! Wie gut es mit zwei Namen ein ganzes Inferno gezeichnet! Diese Menschen, mit denen, wie schon der „Schwierige“ sagt, man sich nicht begegnen kann, ohne in un-abnseh-toare, un-ent-wirr-bare Missverständnisse zu verfallen! Alles wird da zur Canfusion. Wenn sie einen fragen: Wie gehts Ihnen? und man antwortet ihnen: Gut! oder Schlecht! — so ist ja auf jeden Fall die Confusion schon fertig. Denn in keinem Fall bedeutet das gut oder das schlecht, das was die darunter zu verstehen glauben — und so geht es fort und der gordische Knoten Ist fertig. —

Von Ottonie hatte ich einen wirklich bezaubernden Brief, in dem sie den plötzlichen Tod einer von ihr sehr geliebten, an ihr unendlich hängenden (aber leidenden und den Tod mit klarer Sehnsucht herwünschenden) Sdhwester erzählt — und mit so viel Herz und ich muss es sagen, Heiterkeit, erzählt, und wunderbar von diesem zu ihrer Freude an ihrem Haus, ihren Blumen und ihrem Kind übergeht. Und dabei hat sie in diesen 10 Jahren den Mann, den Vater, drei Brüder, die Schwiegereltern und zwei sehr geliebte Schwäger sterben sehen. Ein schönes, tapferes und heiteres Herz ist schon die wunderbarste Schöpfung Gottes. — Wenn Sie so gut sind, mir wieder zu schreiben, dann bitte nach Aussee wohin ich in dieser Woche zurückgehe.

Ihr Hugo P. S. Nun habe ich wieder nicht rechtzeitig nach Oatolica geschrieben. Sind Sie so weit in Verbindung um viele liebe Grüsse von mir (auch an Franz) zu übermitteln?

Lenzer Heide in Graubünden Parkhotel 30 Juli 1924 Liebe gute Yella betrübend Sieht mich aus einer Schweizer Zeitung die Nachricht vom Tode Busonis an, und der Versuch einer fremden, ungeschickten Feder, ihn zu würdigen. Was kann man an einem Künstlerleben „würdigen“. Wie dunkel ist unser aller Leben, wie dunkel uns selber. Der schmerzvolle Blick, mit dem Sie heute die Erinnerung an das ganze Leben dieses Menschen umfassen, ihn als Knaben vor sich sehen, als Jüngling, als Mann — der würdigt

ihn — aber es lässt sich in Worte nicht zerlegen.

Ich habe ihn einmal spielen gehört — mit Ihnen; ihn sonst nicht gekannt, ausser durch Sie. So führt mich die Nachricht wieder und nur auf Sie zurück. Möge es Ihnen im Augenblick fast hätte ich gesagt freundlicher gehen als mir. Aber da hatte ich unrecht. Möge es Ihnen nur eben so freundlich gehen. Denn ich habe — obwohl auch dieser von meinen sonderbaren physischen Abhängigkeiten dictierte Aufenthalt mir wieder unlieb, ja die Landschaft so unlieb ist, dass ich kaum einen Schritt ins Freie tue, durch Burck-hardts Gesellschaft, durch sein freundliches Aushalten bei mir viele gute und gehaltvolle Stunden. Ich lese wieder mit einem lebhaften Anteil, der mir durch viele Monate abhanden gekommen war — und wenn gleich ein eigentlich producti-ver Zustand nicht erreicht ist, so doch vielleicht eine Art von Vorzustand. Vielleicht auch — darauf bringt mich auch Burckhardt — verlange ich zu viel von solchen Aufenthalten; gebe der Acclimati-sierung und dem allen zu wenig Zeit; begehre mir zu schnell nach Aussee zurück — wohin zurückzukehren doch Gerty beinahe angstvoll mir abrät.

Es liegt ein so sonderbarer Widersinn darin, dass jede Art von Landschaft, die mich anzieht, meine Einbildungskraft belebt und beglückt,

— mir durch die Beschaffenheit der Luft verboten ist; dass jede von denen, wo die Luft mir den freien Gebrauch meines Denkvermögens, ein leichtes Denken und Erinnern gestattet, mich von meinem höheren Leben nicht ganz abtrennt — wie zur Strafe (aber wofür?) mich karg traurig und fremd umgibt — keine aber karger und fremder als diese hier. Ich habe durch ein Telegramm angefragt ob vielleicht in der Fusch ein Zimmer frei ist. Geben Sie doch eine kurze Nachricht — an die Aus-seer Adresse

Ihrem Hugo Bad Aussee 28/X 28

Liebe Yella

vor ein paar Tagen gegen Abend

— aber es war noch halbhell, und überm Grundlsee der Mond im Aufsteigen, ging ich mit Carl Burckhardt ums ganze Ramgut, vor dem verschlossenen Haus dann blieben wir stehen. Unglaublich sprechend kann die Miene eines solchen Hauses in einem besonderem Augenblick vor einem stehen. Die Mansarden, jede ein so bestimmter Raum für sich, die Türen, führend zu den wohlvertrauten gewölbten Gängen, das Dach — mir war als wäre es Ihr Angesicht, das mich ansehe.

So neulich auch von innen. Ich ging hinunter aus Ihrem Salon einen Band Shakespeare zu nehmen, stiess einen Laden auf, das Föhnlicht erfüllte wie flutend das Zimmer, und darin eine solche Fülle von Gestalten und Gesichtern, dass mir fast Angst wurde.

Schröder, die gute Else (Gurlitt), Meli, der unheimliche Pannwitz, Wiegand, Wolde, den ich nie mehr sehe, Heymel, der so lange todt ist, Schröders Schwester Clärchen — alle waren auf einmal da — die ganz Fernen umso lebendiger. Das Zimmer ist unzers'tört, das farbige Föhnlicht machte alle Farben aufleuchten. Ich wollte in das kleine vertäfelte Zimmer hineinschauen, das war aber angefüllt mit Möbeln. — Mein kleines Zimmer habe ich wieder sehr lieb, fast ist es mir noch lieber als das frühere, durch die grosse Einfachheit, die weisse Wand, der brave Ofen, die kleine Chaiselongue, alles ist mir lieb. Die Bäume stehen ums Haus, die drei Lärchen, immer schöner, blassgrün im Vergilben, die zwei Eichen, zu denen noch immer die Häher fliegen — oben beim Tennisplatz die Eschen u. Silberpappeln. Sie stehen alle da, als wüssten sie von allem u. von nichts. Schreiben Sie mir bald wieder ein paar Zeilen Ihr Hugo

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