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Digital In Arbeit

Auf dem Veitsberg

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5. Fortsetzung

Das gibt Laufereien ums Holz und Arbeit genug, daß ich nicht zum Nachdenken komme, weder über den Knaben noch über mein Gefühl zu Liesl, denn um die Wahrheit zu sagen, ersteres ist im Schwinden und letzteres wieder im Wachsen.

Ich habe den Auslauf ausgemessen und abgesteckt. Ich nehme an, daß ein Schwein klug genug ist, die Grenzen anzuerkennen und nicht gegen die Hürden mit Gewalt loszugehen. An den Eckpfeilern wird Susi sich zu kratzen versuchen, sonst wird sie zufrieden sein mit der vergrößerten Freiheit.

Geistige Beschäftigung habe ich keine als mein Lesebuch, und zwar studiere ich jetzt die Sprichwörter.

Für treffende Sprichwörter habe ich immer etwas übrig gehabt. Da steht zum Beispiel: „Nachher ist jeder klug.“ Lange schon habe ich ein Sprichwort für diese Wahrheit gesucht. Es ist treffend, kurz, nur eines fehlt ihm: Es müßte ein bildhafter Vengleich enthalten oder angedeutet sein. Auf jeden Fall will ich es mir merken. Ein anderes Wort hat mir besser gefallen, wahrscheinlich Lauras willen. „Wer die Geiß anbindet, muß sie hüten.“ Vermutlich ist damit gemeint, wer eine Geiß anbindet, muß auf sie achtgeben, daß sie sich nicht mit dem Strick erwürgt. Eine alte Form des Sprichwortes von Freunden in der Not fand ich. Es heißt: „Wohl dem, der Freunde hat, weh dem, der ihrer bedarf.“

Aber die Freude an dieser Spielerei hielt nicht lange an, da begann sich wieder alles in mir nach einer andern Seite hin zu wenden. Ich sagte mir, ich käme am leichtesten drüber hinweg, wenn ich mich gleich in etwas Festes einließe. Daß ich nicht allein bleiben kann,-ist klar. Maria kann mir nicht den Vorwurf machen, daß ich zuerst eine andere gehabt hätte, bevor ich mit ihr brach. Das Bild des Knaben, das mich bedrückt hat, wird immer blasser. So bin ich, oberflächlich und vergeßlich für unangenehm^ Wahrheiten. Das ist immer ein Fehler von mir gewesen, daß ich mich schnell für etwas Schönes begeistert habe und zu überstürzten Entscheidungen hinreißen ließ. Nach einem schrecklichen Hin-und Herschwanken griff ich zur Feder und schrieb diesen Brief:

„Gnädige Frau, seit Sie weggefahren sind suche ich Sie. Mir ist es unangenehm, daß ich Unter diesen Umständen mit Ihnen zusammengetroffen bin, aber ich bin nicht mehr Herr über mich, ich bin

Ihnen rettungslos verfallen. Ich glaube nicht gegen den Geist des Toten zu handeln, wenn ich es Ihnen offen gestehe. Fortan wird mein Leben mit dem Ihren verkettet sein, ganz gleich, ob sie mein Gefühl erwidern können oder nicht. Ich war daran, Ihnen Hals über Kopf nachzufahren. Weil meine Wirtin bei der kranken Tochter aushelfen muß, habe ich es aufgeschoben. Aber ich fühle, daß die sozialen Bedenken nicht groß genug sind, um mich länger aufzuhalten. Schreiben Sie mir, bitte, gleich. Ich zittere auf eine Antwort.

P. S. Das soll keine Drohung sein, aber wenn Sie mir nicht antworten, werden Sie mich in den nächsten Tagen vor Ihrer Tür wartend finden.“

Aus Angst, daß mich etwas vom Fortschicken abhalten könnte, lief ich mit dem Brief gleich ins Dorf und gab ihn auf. Dann war ich am Ende mit meiner Weisheit und wartete immerzu. Ich hatte keine Freude mit meinem Pferch, aber es war das einzige, was ich tun konnte, arbeiten, arbeiten. Ich aß wenig und vernachläßigte die Tiere. Beim Läuten vermied ich es, den Knaben Veit anzusehen. Ich schirmte mich gegen alle Bedenken ab. Ich hätte die Hölle um dieses lockenden Himmels willen auf mich genommen.

In dieser Zeit erhielt ich von Hugo einen Brief. Was er schrieb — und er schrieb nicht viel — war überholt. Längst hatte ich andere Schmerzen. Ich antwortete ihm nicht, denn er hätte wahrscheinlich versucht, mich abzuhalten und in so einem Zustand ist jeder ein Feind, der sich einem in den Weg stellt.

Es kamen zwei Regentage, die mich nicht weiterarbeiten ließen. Ich versuchte es mit meinem Lesebuch und wollte Gedichte wiederholen, welche ich als Kind auswendig gelernt hatte, doch ich gab es auf. Ich hatte keine Freude daran. Ich nahm das Kochbuch und blätterte drin. Bäckereien wollte ich probieren, ich hatte Süßigkeiten lange entbehren müssen und hatte ein Bedürfnis danach. Ich glaubte nicht, daß es mir gelingen würde, weil ich ähnliches noch nicht versucht hatte. Doch es kam etwas Genießbares heraus, nur eine Platte wurde zu braun. Ich ließ alle Hausgenossen kosten, den Rest hob ich auf.

Ich suchte nach einer andern Innenarbeit und reinigte und putzte Küche, Kammer und Stube, heute sage ich, in Erwartung des Gastes. Im stillen wartete ich wie ein Kind darauf, daß sie wie damals ins Haus treten und meinen Namen rufen würde.

Jetzt konnte ich auch schon wieder so nebenbei an den kranken Knaben denken, ohne daß es mich beeindruckt hätte. Man muß sich damit abfinden, daß Lust und Leid im Leben io eng beisammen liegen. Ich bin überempfindlich. Lächerlich, andere essen ruhig das Fleisch von bekannten Tieren und es macht ihnen nichts, ein Schwein in einem zu engen Stall hausen zu wissen. Ich bin nicht schuld am Unglück ds Knaben, ich bin nicht schuld an dieser Weltordnung, von der mir einiges zusagt, anderes nicht.

Ich_ habe mich in der Kirche umgesehen und Winkel durchstöbert, in die ich noch nicht gekommen war. Auf dem Chor steht eine uralte kleine Orgel, die nur einige Töne von sich gibt, welche einen fremdartigen anheimelnden Glanz haben. Verstaubt wird sie sein, vielleicht sind einige Schnüre gerissen, man müßte einmal nachsehen, der' Blasbalg wird Löcher haben. Meine Kenntnisse von diesen Dingen sind nicht groß, aber wenn man sich drüber macht, kann es kein Kunststück sein, Ich habe das schon öfter erfahren.

Ich bemühe mich, eine klare Vorstellung von Liesl zu bekommen. Wie sieht sie- aus? Sie hat dunkle Haare, dunkel ist auch ihre Haut; für eine Frau ist sie eher groß als klein, man kann nicht sagen, daß sie hager ist, sie neigt mehr zum Gegenteil. Sie hat gute Umsangsformen, wahrscheinlich war sie vor ihrer Ehe in einem Büro oder Geschäft, wo man darauf Wert legte. Hat sie etwas Heroisches? Gewiß nicht, aber etwas Gutes, das genügt mir. Ich kann mir vorstellen, daß ich ruhig, ja behaglich mit ihr leben könnte. Das Jähe. Leidenschaftliche meiner Frau hat sie nicht. Aber was ist damit gesagt? Es ist so, als wollte man eine Landschaft beschreiben und sagt, viel Grün sei drinnen, etwas Rot und Braun, alles gedämpft. Was ist es. was uns einen Menschen sympathisch macht? Etwas Sichtbar-Unsichtbares, das wir fühlen, aber nicht fassen können, die Ausstrahlung seines Wesens. Um ganz ehrlich zu sein, mir fehlt nach den Schwierigkeiten mit Maria einfach die Frau, mit der ich leben könnte. Ich liebe nicht wie ein Jüngling, der in den Wolken schwebt, sondern als Mann von Fleisch und Blut.

Hemmungen habe ich eigentlich keine. Mit Maria bin ich fertig. Ich habe nicht mehr die Kraft, das weitemiführen, wovon wir beide genug haben. Ich will an die Vergangenheit nicht denken, wir gehen uns gegenseitig auf die Nerven. Hugo hat selbst gesagt, es hat keinen Sinn, wenn wir so weiterleben. Wir haben nicht die Pflicht, uns zu ruinieren. Das muß jeder einsehen. Wir sind — in diesem Zusammenhang zum Glück — kinderlos, das vereinfacht alles, obwohl da natürlich auch Dinge dahinter liegen, die zum Zusammenbruch unserer Ehe geführt haben. Aber daran will ich nicht mehr denken. Weltanschaulich bin ich nicht gebunden, mein Christentum ist das des liberalen Europäers. Kirchenchristentum ist mir fremd, war schon meinen Eltern fremd. Auf etwas anderes habe ich mich nicht festgelegt.

Wenn ich so weiterarbeite, ist mein Pferch bald fertig. Ich freue mich schon so auf den Augenblick, wo Susi ihr gutes Gesicht zum Türchen herausstrecken wird und den Schritt in die Sonne macht. Ich werde mich daneben ins Gras legen und ihr zusehen und glücklich sein bei ihrem Glücke.

Ich war gerade dabei, die Seiten höher an den Pfeiler zu befestigen, als der Briefträger vor mir stand und mir einen einge-' schriebenen Brief überreichte. Zu dumm, ich zitterte, als ich den Empfang unterschreiben mußte. Ich redete mich auf den schweren Hammer aus. Gleichgültig legte ich den Brief ins Gras und beschwerte ihn mit der Axt, daß er nicht fortfliegen konnte. Als der Mann den Berg hinunter verschwand, riß ich bebend den Brief auf. Es war Liesls Handschrift.

„Es tut mir leid, daß Sie meinetwegen in Unruhe gestürzt worden sind, aber ich denke jetzt nicht dran, irgendeine Verbindung einzugehen, die Wunde ist noch zu frisch. Bitte, schlagen Sie sich das Ganze aus dem Kopf, es ist besser für uns beide.“

Der schöne Traum war zerronnen. Ich schalt mich einen Toren, ein Kind. Wie hatte ich es auch so ungeschickt anpacken können. Konnte JA auf mein Schreiben erwarten, daß sie antworten würde: „Ich liebe Dich. Ewig Deine Liesl.“ Meine Niedergeschlagenheit war grenzenlos. So wie ich war, setzte ich mach ins Gras, hielt den Brief in der Hand und starrte in die weite Landschaft hinaus, ohne etwas wahrzunehmen. Ich saß da wie ein geschlagenes Kind und war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Nur das eine verstand ich, daß sie nein gesagt hatte, daß sie nichts von meinem Traum wissen wollte. Die ganze Zeit her war mir dies ein Berg der Seligkeiten gewesen, jetzt war er für mich ein Berg der Unseligkeit, ein Ort der Verbannung, was mir zuerst noch Freude gemacht hatte, ward mir zum Überdruß. Hätte ich jetzt nur laufen können, ich wäre wieder so toll herumgelaufen , wie vor kurzem, ich war von einer Unruhe in eine größere gekommen.

So verbrachte ich zwei Tage. Dann ging ich wieder zu meinem Pferch und vollendete ihn. Ach, wie ganz anders hatte ich mir die Eröffnungsfeierlichkeit vorgestellt. Ich war mit dem Gehege und dem Türchen fertig, ich prüfte noch einmal alles, dann öffnete ich das Loch und wartete, daß Susi herauskommen würde.

(Fortsetzung folgt)

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