6534492-1946_08_15.jpg
Digital In Arbeit

Peter Anich, der STERNSUCHER

Werbung
Werbung
Werbung

tl. Fortsetzung

„Aach über die Leute wollte ich dir noch fett Wörtlein sagen. Laß sie reden und bereden und bleib ihnen deshalb doch ein guter Nachbar. Sie wissen es nicht anders, und wenn sie gegen alles sind, das aus ihrer Art gerät, dann ist das nicht das Schlimmste, Peter. Es ist etwas Großes um Stand und Braach. Sie hüten ihn. Das noch Größere aber mag sich auch dagegen durchsetzen, sofern es wirklich das Größere ist. Auch mich haben sie als einen Zugereisten und Handwerker viele Jahre lang mißachtet und später, da der Hof längst mein war, als einen Luftzauberer und üblen Burschen verschrien, einen, der sich für Geld auch dem Teufel verschreibt. Heut zweifelt keiner mehr von diesen Leuten, daß auch ich hie her gehöre und daß unsere Felder, wenn auch nicht die größten, doch die besten sind. Anno 33 beim Aufgebot hat keiner feiner ins Schwarze getroffen als ich. Dir, Peter, wird es nicht anders ergehn. Der eine denkt, bald er eine Kegelkugel in Händen hält, an den nächsten Sonntag und an alle neune, wieder einer aber, das sind die seltenen, an Himmel und Erde. Daran ändert man nichts.“

„Ich habe es auch bisher so gehalten“, sagte Peter, „und von heute ab will ich es mit vollem Wissen so halten, Vater.“ Es blinkten aber die ersten Sterne draußen durch das pfeilschnelle Gewölk.

„Und noch eines, Peter“, begann der Vater neuerlich nach einer Weile, „es ist das schwerste von alledem, was wir heute zu bereden haben, aber ich kann mit dir darüber reden, weil du in diesen Tagen ein Mann geworden bist. Ob du ein Weib nimmst oder unbeweibt bleiben willst, ich rede dir auch in diesem Punkt nichts drein. Der Hof will und braucht eines, gar wenn die Schwestern einmal heiraten und die Mutter nicht mehr ist. Das muß man sich ganz ruhig vorstellen. Es ist ja auch nicht schrecklich, daß es so ist. Aber ich will dich auch des Hofes wegen nicht antreiben oder dir gar ein Mädchen empfehlen. Mancher Bauer denkt da anders, gar wenn er nur einen Buben und den Hof selber mit Mühen erworben hat. Ich bin da vielleicht nicht bäurisch genug. Ich weiß es nicht, es beschwert auch nicht mein Gewissen. Ich habe , gelernt, daß einer auch in seinem Beruf fortschreiten kann, und wenn ich noch weiter muß, dann ist auch das eben ein Wegstück mehr auf meiner Pilgerschaft. Ich hänge auch nicht so sehr am Erworbenen, als ich daran hängen sollte. Eines nur, Peter, wenn du ein Weib nimmst, dann soll es so sein, daß du sie als einen Engel abbilden könntest.“

„Wie du die Mutter als einen Engel gebildet hast.“

„So hat sie es dir erzählt“, sagte der Bauer langsam, „wann hat sie es dir er-* zählt?“

„An jenem Abend nach dem Turm.“

„Sie hat recht getan, sie ist immer vernünftiger als ich. Auch mir hat sie an jenem Abend den rechten Weg gewiesen. Hör es noch an, auch das darf ich dir heute anver-traun: Wir waren nicht immer einig über unseren Buben. Solange ich denk, waren wir nicht einig. Wie du noch klein warst, hab ich dir alles durchgehn lassen und die Mu*ter hätte mich gestrenger gewünscht. Damals dachte ich: er soll einmal tun und leisten, was mir versagt geblieben ist. Viele Väter denken so. Ich hab mich deshalb über dein Sinnieren und deine Seltsamkeiten gefreut und dich noch dazu aufgemuntert. Später freilich ist mir recht bang um dich gewesen, wie dein Sinnieren und Fragen und Träumen kein Ende fand; das Brett auf dem Birnbaum, die ewige Fragerei und Leserei. Da bekam ich es nun zu hören, ich hätte dich als Bub ja dazu ermuntert. Ich wußte auch, daß, es meine Schuld war, und aus dieser Schuld heraus ward ich härter zu dir, als es ein Vater sein durfte. Die Mutter aber nahm sich deiner Schwachheit an. Die Geschichte mit der Marie hat das ihrige dazu getan. Auch über die Marie müssen wir morgen noch reden, Peter. Heute weiß ich, daß du meine Gedanken erfüllen wirst, noch mehr weiß ich, daß einem oft, was man

Bekämpft un3 als eine Schuld ansieht, doch nor ein Segen ist und ein großes Glück. Du machst es mir ja so leicht, mein Peter.“

„Was mach ich dem Vater leicht?“ Der Bub wandte sich ab.

„Mein Gewissen, mein ferneres Leben und was man einem Vater eben leicht machen kann. Es hart auch anders kommen können. Ich weiß es, aber weil es nicht anders gekommen ist, deshalb will ich mein Leben ein gesegnetes heißen, sofern man das von seinem Leben sagen darf.“

Er stand aber dann auf und sagte, es sei nun Zeit, daß sie zu Bett gingen. Morgen müßten sie alle miteinander zeitig auf und den versäumten halben Tag einholen. Auch warte der Weizen schon auf die Sense, ■ das Jahr sei ja gesegnet wie kaum eines zuvor.

Peter trat in den Garten hinaus. In der kühlen- Nacht aber überfiel es ihn, als müsse er dem Vater nacheilen und ihn halten, immer nur seine Hände halten. Er bezwang jedoch die tiefe Angst und horchte in den Sturm hinaus. Der hatte das Gewölk vertrieben und herrschte nun allein über die Erde und die blankenj die flimmernden Sterne. Seit der Nacht auf dem Turm hatte Peter nicht mehr den Birnbaum bestiegen. Jetzt schwang er sich von Ast zu Ast, dem Sturm preisgegeben wie die Äste und Zweige und Blätter um ihn. Er versank aber, sobald er aufblickte, in die unheimlich flimmernde Welt und war ein Teil ihres Atems und dabei so geborgen in eine Nähe, in eine Stimme, die er Vater nannte, und er ließ sich von dem Baume wiegen und tragen.

Später hörte er unten seinen Namen rufen. Er stieg vom Baume und fand die kleine Leni. Sie hatte das Kopftuch um die Schultern geschlagen und zitterte vor Kälte. „Hast du den großen Stern fallen gesehn, über der Hohen Munde?“ fragte sie. Er hatte ihn nicht gesehn, und sie verwunderte sich sehr darüber, da er dodi nach den Sternen ausgewesen war. „Ich bin auch nicht der Sterne wegen aVif dem Baume gewesen“, sagte er.

' Sie nickte: „Was hast du vorhin mit dem Vater so lange geredet“, sagte sie leise, „er ist krank“. Dann weinte sie.

„Nein, er ist nicht krank“, sagte Peter. „Muß denn einer krank sein, wenn er einmal ganz glücklich ist? Was er mir gesagt hat, will ich dir später einmal erzählen. Ich habe auch lange Jahre darauf warten müssen.

„Dann ist es gut. Es wird so sein wie du es sagst.“

Er zog das frierende Kind an sich, und sie gingen ins Haus und in ihre Schlafkammern.

Sooft er dann in der Nacht aus dem Schlafe schrak, sagte er sich das alles selber zum Tröste vor und beruhigte damit auch sein klopfendes Herz. So schlief er denn noch ruhig, als der Vater längst tot in der Kammer nebenan lag. Auch die Mutter merkte das Unglück erst, als sie sich angekleidet hatte.

6. Kapitel

Nach dem Begräbnis saßen sie im Anich-hause beim Leichenschmaus, die Nachbarn und Anrainer aus der Völsesgasse, der Herr Kurat und die Leichenträger, der alte Vorbeter und die Bötin. Auch ein Vetter der Mutter, ein gewisser Kramer; er war aus Götzens und seines Zeichens Flachseinkäufer. Er benahm sich unter den Bauersleuten hochnäsig genug, sein Sohn aber redete leicht und anmaßend, wie einer nur reden kann, der aus der Stadt kommt und angefüllt ist mit neuen und gewichtigen Dingen. Der alte Hueber fehlte auch diesmal nicht, so, als bedürfe man wie in allen Unglücksfällen seines Rates. Nur die Marie war nicht gekommen, obgleich die Bötin allein ihretwegen nach Innsbruck gelaufen war. Sie habe schon zehn Jahre keinen Vater mehr, dies war ihre Post gewesen, und der nunmehr Verstorbene könne deshalb auch nicht mehr ihr leiblicher Vater sein. Die Bötin berichtete auch, daß das junge Weib allein in einer schmutzigen Stube hause und ärger gealtert sei als selbst die Anichmutter in den letzten Tagen.

Die in der Stube beisammensaßen — die anderen Gäste füllten das Haus bis in die letzte Kammer —, redeten untereinander den Hinterbliebenen, aber auch sich selbst zum Tröste, 3er ÄnichVater habe wohl “das schönste Sterben gehabt. Hatten sie ihn doch noch am Tag vorher als einen rüstigen Mann auf der Wiese gesehn, Und wenn auch dieser einen etwas müderen Gang, .jener eine auffällig milde Art zu reden als Vorboten des nahen Endes deutete und der Kirchebner jetzt zum erstenmal von jener jähen Atemnot berichtete, die ihn, den Älteren, am Sonntag so sehr erschreckt hatte: die Kunde vom Tode des Anichbauern war doch wie ein Blitz unter sie gefahren, ja in den guten Nachreden, die sie für ihn hatten, lag auch ein wenig von jener Erleichterung, die jeder spürt, den eben dieser Blitz diesmal noch verschont hat.

Peter schwieg unter den Gästen, und als die Gebete beendet waren und die Schmauserei begann, stahl er sich aus der Stube. Er trat in den Garten hinaus und setzte sich auf den Bretterstoß, und es war ihm, da er nun -allein dasaß, ein wenig leichter ums Herz. Die Hühner kreischten, ab und zu muhte ein Ochs im Stall, aus dem Hause aber kamen Stimmen. Er wünschte die Nacht herbei und fürchtete sich doch vor ihr.

Nach einer Stunde etwa kam die Kathi mit dem jungen Kramer und der Vroni in den Garten. Sie bemerkten den Sitzenden erst nicht, denn die Kathi zeigte den beiden jungen Leuten den Stall und die Kirschbäume neben dem Hause. Peter rührte sich aber auch nicht, als sie näher kamen.

Die Kathi fiel denn auch, als sie ihn entdeckten, über ihn her. Es sei doch keine Art, die Gäste so allein zu lassen und für sich zu sinnieren. Das rufe den Vater nicht mehr ins Leben zurück, verärgere aber die Leute, die doch auch seinethalber gekommen seien. Er Isei von jetzt ab kein Sterngucker und Spintisierer, - sondern der Anichbauer. Wenn er künftig, der strengen Zucht ledig, gegen jeden Brauch und alles bäuerliche Herkommen leben wolle, so brauche er doch nicht am Begräbnistag des Vaters damit beginnen. Das Gered der Leute sei doch weder ihm noch dem Hofe von Nutzen.

„Ich bin der Anichbauer“, sagte Peter, „alles andere hat jetzt ein Ende.“ Mehr sagte er nicht. Der junge Kramer pflichtete ihm sogleich lebhaft bei. Die Totenschmäuse seien eine längst überlebte Sache und paßten nicht in eine aufgeklärte Zeit. Es werde dabei weniger des Toten als der guten Bissen gedacht. Peter aber sei nach allem, was man ihm nachsage, viel zu gut für das Dorf und werde nun, wo er freie Hand habe, gewiß nach seinen besonderen Kenntnissen -und Fähigkeiten handeln.

„Uber diesen Punkt habe ich mit meinen seligen Vater in den letzten Tagen viel gesprochen“, sagte Peter und blickte anv dem jungen Kramer vorbei, „wir haben aber anders geredet. Es ist auch nicht meine Absicht, zu tun, was der Vater meint. Er kennt die Pflichten eines Bauern nicht, denn er ist keiner.“

Peter begriff nun nicht, daß die Schwester ihm noch ärger Vorwurf machte. Es sei auch besser, er bleibe heraußen hocken, so brauchten sie sich wenigstens nicht seiner ungehobelten Art zu schämen. Sie aber wolle ihm die Pflichten des Bauern abnehmen und der Freundschaft das Haus zeigen.

Die drei verließen- ihn, doch nach einer Weile kam Vroni allein zurück. „Du redest immer seltsam“, sagte sie und setzte sich zu ihm auf die Bretter, „bald wie ein reicher Bauer, bald wieder gegen jeden Brauch. Darfst didi nicht wundern, wenn die Leut sagen: dein Vater hat es mit seinem Buben nicht leicht gehabt.“

„Sagen sie das?“ Er brach ein Stück Rinde ab und warf es in den Hof.

„Ich denke, sie werden es bald sagen“, Vroni wurde rot, „aber wenn so viel Leut bei der Leich sind wie heut, aus Zirl und Kematen, aus Götzens und Sellrain und aus Gries, wie bei dem größten Bauern nicht, da hat auch der“ einzige Sohn seine Pflichten. Die Kathi hat schon recht.“

„Warum zeigst du mir nicht den Hof?“ setzte sie rasch hinzu.

Peter sprang auf. Sie sahen nach den Birnen und Äpfeln„ die bereits im Laube leuchteten, gingen zwischen den Beeten des kleinen Gemüsegartens hin und her und tiefer in die Gartenwiese hinein. Das Mädchen hatte für jedes Ding ein passendes Wort und oft auch einen trefflichen Rat. „Ich tat“, sagte sie, „die alten schlechttragenden Bäum ausschlagen und neue setzen, aber nicht so dicht beisamm, auch mehr Blumen, wo sie doch in Oberperfuß so gut gedeihn.“ Auch die Hecken gefielen ihr nicht. Peter merkte aber bald, daß sie mit den Augen zumeist nach den Birnbäumen aus war, und er wußte auch, weshalb. Endlich standen sie unter seinem Baum. Das Mädchen blickte in das Astwerk, entdeckte die Sitzbank und lachte. „Das Brett tat ich an deiner Stell jetzt herunternehmen. Die Leut würden dich deshalb loben.“

„Ich will es auch tun.“ Peter blickte das Mädchen an. „Ich will noch ein übriges tun. Nicht wegen der Leute, sondern weil ich es so für gut finde. Es tut mir nur weh, daß du es und als erste verlangst, Vroni.“

Über und über rot stand sie vor ihm und stammelte etwas von Ratschlägen und wie sie ihm doch nur in diesen schweren Tagen helfen wolle. Er aber schritt ihr voran dem Hause zu.

Als die Leichengäste längst das Haus verlassen hatten, jedes Ding wieder auf seinem Platze stand und die Schwestern zu Bett gegangen wären, sagte die Mutter zu ihm: „Ich hab dich begriffen, Peter, und dich auch dem alten Hueber und dem Herrn Kuraten gegenüber verteidigt, aber was ist zwischen der Vroni und dir gewesen? Ich weiß, daß du jetzt keinen Kopf für ein Frauenzimmer hast, doch sie hat geweint, wie sie mir die Hand gegeben hat, und sie hat nicht um unseren Vater geweint.“

„Wie soll ich wissen, über wen di Vroni geweint hat!“ sa(gte Peter.

(Fortsetzung folgt.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung