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Unterhaltung üker Jas Brottaclcen

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Der wunderbar süß-nährende Duft frisch ge-backenen Brotes, der uns plötzlich von irgendwoher anwehte, hatte mich angeregt, zu Renate zu sagen: „Wenn du Brot backen könntest...“ Ich konnte nicht viel mehr sagen. Ein heftiger, mich im Innersten bestürzender, ja verletzender Schwall von Worten überfiel mich.

Ich muß vorausschicken, daß Renate, die mir zur Seite schreitet, ein feiner Mensch ist, ein im Geistigen etwas überzüchteter Mensch, sie hat hohe Schulen absolviert, hat viele Jahre statt eine Jugend in vitaler Freude zu genießen und zu erleben, Dinge lernen müssen, die sie, ohne daß sie es merkte, immer mehr entfernten von der Quelle und Schönheit ursprünglicher Kräfte. Sie hat dank einer nicht ganz unglücklichen Erziehung doch ihre Kindlichkeit bewahrt, ihren offenen Blick für die lieblichen Dinge der Natur, für das begreifliche Naturgeschehen, ihr Herz wurde nicht abgetötet vor den Leiden der Kreatur; aus den Stunden mit den Werken hervorragender Schriftsteller hat sie die vielverzweigten Hintergründe hinter allem Leben schauen gelernt, sie ziert die Raschheit des Handelns, wo es zu retten gilt, sie liebt das, was ihr nicht weh tut, was ihr nicht fremd gegenübersteht. — Aber sie ist doch ein feiner Mensch geworden, der die Ruhe liebt, den Segen der Einsamkeit, die fruchtbare und liebenswürdige Landschaft. Lind das sind ja durchaus Vorzüge, die wir an einer Frau lieben müssen, die gerade so selten sind: daß eine umfassende Bildung eine gewisse Natürlichkeit nicht ersticken konnte, daß gerade die tiefere Erfassung der Natur sie zu deren verfeinerter Beobachtung geführt hat. — Und dennoch diese heftige Abwehr. „Das ist doch Unsinn! Keine Frau wird das machen, wo man heutzutage das Brot einfach beim Bäcker bekommt. Das ist euer fruchtloses Anstemmen gegen den Fortschritt der Zivilisation!“

Ich hatte nach der ersten Ueberraschung viele Einwände dagegen. Ich hätte sie nie gehabt, aber ich bin nun verärgert, daß Renate wirklich annehmen konnte, ich verlange dies von ihr, daß sie sich an den Backtrog stelle und unser Brot forme, womöglich jede Woche. Nein, das hätte ich ihr nicht zugemutet; es ärgerte mich, daß sie mich noch so wenig kannte. „In der Großstadt! Das kann man von mir nicht verlangen!“

Und ich wiederhole, ich hätte alles sofort eingesehen, wenn sie mir mit einem Witzwort, mit einer kleinen Ironie begegnet wäre, statt mit den Worten einer messerscharfen Dialektik ihre nur zu vernünftigen Gründe vor mich hinzuschleudern. Wir hätten gelacht — oder wenn sie erklärt hätte: Ja, schade, daß man zu so vielem nicht geschaffen — oder gar, es wäre schön, das Brot selbst zu backen, das wir essen. Aber die Heftigkeit der Abwehr habe ich nicht verstanden. Ich habe mich hinreißen lassen, darauf zu antworten: „Gerade das Brotbacken könnte uns noch retten heutzutage! Verstehe es sinnbildlich und lache nicht! Daß wir wieder zurückfinden zu den einfachen Vorgängen des menschlichen Lebens, die Gaben verwenden zu lernen, die uns offenstehen. Wie viele könnten sich heute ihr Brot um einen billigeren Preis herstellen und Freude gewinnen an dem gewiß viel schmackhafteren, weil selbst zubereiteten Brot. Das ist kein Unsinn“, rede ich mich laut. „Wie viele bauen sich eine Hütte, ein Haus, warum nicht das Brot sich selbst bereiten?“

..Das muß man lernen“, erwidert Renate, „ich kann auch keine Schuhe doppeln. Da müßte ich zu einem Bäcker oder Schuster in die Lehre gehen, wozu lernen die Jungen drei Jahre?“

Wie umständlich ist das alles! „Renate, meine Mutter hat nicht soviel gelernt. Ich weiß freilich nicht zu sagen, wie sie es erfaßt hat, vielleicht von einer Nachbarin? Eines Tages, es war im Weltkrieg, wir Kinder hatten Hunger, das Brot war rationiert, weißes Weizenmehl aus dem Handel verschwunden, aber Brorraehl gab es noch. Andere haben auf das Brotmehl verzichtet, weil sie doch %iicht viel und Schmackhaftes damit zu bereiten wußten. Aber unsere Mutter hatte einfach Brot gemacht. Ich erinnere mich noch, daß wir das frische .Dampfet', den Sauerteig, vom Bäcker holen mußten, daß Vater vor Freude an neuer Betätigung ein schönes •Schwingerl' oder .Simperl', ein aus Stroh geflochtenes Körbchen, vom Markt brachte, wie Mutter den Teig, oft mit seiner Hilfe, knetete und walkte — und wir dann auf dem Schulweg, das .Schwingerl' mit der nackten Brotgestalt auf dem Kopf, zum Bäcker trugen. Wir mußten uns dabei gerade halten und es tat uns gut. Die Rechte hielt den Bücherpack und die Unke das Simperl auf dem Kopf fest. Wenn wir dann das fertige Brot wieder abholten, wir hatten ein paar Kreuzer für das Backen bezahlt, welch eine panische Neugierde! Wie ist es heute geraten, wenn es nur nicht sitzengeblieben oder die Rinde zersprungen ist! Wenn wir dann die braunglänzende Rinde bestaunten, mit dem ersten Scherzel, das uns Mutter herunterschnitt, den wunderbaren Duft des frischen Brotes einatmeten, den Duft der wogenden Kornfelder in der flimmerheißen Sommerlandschaft, da gestanden wir gern, daß es uns sehr verlockt hatte, schon auf dem Weg an dem Brot zu knabbern und alle Schuld den Mäusen des Bäckers zuzuschieben, die der biedere, redliche Handwerker nie bei sich gelitten hätte.“

All das war so köstlich, daß ich es nie in meinem Leben missen wollte, daß mir die Erinnerung jetzt noch holde Augenblicke beschert, und da sich diese Gewohnheit, Brot zu bereiten, in unserer Familie nach den Tagen des Krieges bis heute erhalten hat, tut es mir leid, daß ich nicht öfter die Reise antreten kann, um von diesem herrlichen Brot zu essen. Wenn Renate erklärt, daß diese Arbeit des Brotbereitens für zwei Menschen unsinnig und unwirtschaftlich ist, so kann ich ihr entgegnen, daß sich dieses Brot durch Wochen frisch und vollsaftig erhielt und daß meine Bauern in Oberösterreich gleich zwanzig und noch mehr solcher Laibe für mehrere Wochen buken und nur ganz selten ein wenig Schimmel die letzten Laibe überzog, wenn sie nicht gut aufbewahrt waren. „Ich weiß, Renate, du verachtest nicht diese Tätigkeit, nicht den Handwerker und den Bauer, das wäre wirklich Unsinn, so etwas zu glauben, ich liebe ja an dir. daß du nichts gleich verachtest, und dein Mitfühlen mit den anderen...“ Ich sehe ihre Hand, die alles Lob abwehrt. „Aber, ich kann es doch wirklieh nicht“, sagt sie (sie glaubt also noch immer, ich könnte es verlangen), „sieh, meine schwachen Arme!“

„Alles das“, antworte ich dann milder gestimmt, „ist vielleicht wahr, aber das Brot kneten könnte ja ich.“ — „Das wäre das Richtige“, meint sie ironisch.

Anderes bewegt mich tief. Daß Renate ebenfalls zu den Menschen zählt, die schon vor jedem Plan und neuen Unternehmen ihre eigene

Der weibliche Backenbart

Von VICTOR A U B U R TI N

Die neueste Mode in Paris ist jetzt, daß die Damen Backenbärte tragen. Schon vor mehreren Wochen kündeten einige Zeitungen so etwas an, und gestern bei der Generalprobe des Vaude-villetheaters, wo das Allerfeinste immer zuerst gezeig! wird, konnte man diese interessante neue Erfindung beobachten. Fast alle Theaterbesucherinnen hatten ihr braunes oder blondes Haar so angeordnet, daß vor dem Ohr eine große Strähne die Backe entlang herunterlief. Bei einigen bedeckte diese Strähne die halbe Backe, und das war dann ein ganz richtiger Kotelettenbart, wie er vor langen Jahrzehnten einmal Mode gewesen war, allerdings damals bei den Männern.

Diese neue Tracht sieht sehr lieblich und reizend aus, und es liegt kein Grund vor, sich darüber zu ärgern oder zu wundern. Schließlich muß man sich sagen, daß den Damen, die nun mit allen Moden und Einfällen so allmählich rund herum sind, nichts mehr anderes übrig blieb, als einmal auch Backenbärte zu tragen. Nasenringe, vergoldete Fingernägel und künstliche Gesichtswarzen hatten wir ja bereits; die Damen trugen Culs de Paris, Schinkenärmel und Glockenröcke; sie zogen den Bauch ein und streckten ihn wieder vor; sie trugen die Haare hoch in einem Lockenturm oder platt angelegt, wie die gute CIco de Merode gelehrt hatte; sie führten als Halsschmuck lebendige Schmetterlinge mit sich herum und lebendige Schildkröten, die an einem silbernen Kettchen befestigt waren: und in der Markuskirche von Venedig sah ich einmal eine junge Engländerin, die trug auf ihrer schönen Schulter einen jener spitznasigen Halbaffen, die von den Zoologen Makis oder Lemuren genannt werden. All das ersannen die Damen, um uns Männern merkwürdiger und liebenswürdiger zu erscheinen. Warum sollen wir die holdseligen Geschöpfe hindern, Backenbärte zu tragen, wenn sie wirklich glauben, daß sie dadurch begehrenswerter werden?

Vorläufig bestreiten sie die Backenbärte noch aus ihren eigenen Haaren, die einfach heruntergestrichen oder heruntergekämmt werden. Die Barte sind also noch klein und leicht, und die Schönen ähneln so den romantischen Dichtern und Geigenvirtuosen aus den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Aber es ist leider vi befürchten, daß die Damen, wie sie nun einmal sind, in dieser Richtung weitergehen und sich demnächst ihre Barte ebenso aus falschen Haaren anlegen und ausbauen, wie sie schon mit ihren Hauptfrisuren tun. Dann würden sie bald zu regelrechten Voll- und Knasterbärten übergehen, und das könnte doch seine recht bedenklichen Folgen haben. Denn wenn unsere jungen Mädchen aussehen wie der alte Darwin oder wie Andreas Hofer, so könnten wir Männer in unserer Zärtlichkeit doch vielleicht etwas zurückhaltender sein.

Llnmöelkhkeit setzen, den Weg mit unzähligen Gründen sich vorher verstellen, das Werk unmöglich machen, ehe es geleistet wird. Nein, das begreife ich nicht. Ich habe dieselben Studien hinter mir wie Renate, aber mich würde es locken, wie es mich zwang, einen Garten zu pflegen, Most zu pressen, Früchte einzukochen und auch Brot backen, wenn ich nur Zeit dazu fände.

„Du bist doch nicht böse, Renate, weil ich dir das sage?“

„Ich weiß doch, daß du Brotbacken nie von mir verlangt hättest!“ antwortet sie unter vergebendem Lächeln. „Vor dem Verhungern würde ich dich auch damit retten Wenn es sein müßte...“

„Warum hast du mir dann so temperamentvoll erwidert?“

„Weil ich weiß, daß dir jede Widersetzung mehr nützt als Zustimmung!“

„Immer nicht“, widerspreche ich schwermütig. „Aber es wäre wert, darüber ein paar Worte zu schreiben.“

„Das wußte ich doch, daß aus dem Brotbacken schließlich noch ein Feuilleton entstehen würde. Siehst du, das ist deine Arbeit, die dir gemäße, die Sache des Intellektuellen, das hast du gelernt, mit ein wenig Begabung stehst du ihr auch gegenüber. Siehst du, das ist dein Brotbacken!“

„Jetzt entgegnest du mir schon wieder und läßt mich heftig werden. Ich schreibe das alles nieder, weil mir wirklich so ums Herz ist, weil ich glühe vor Bedürfnis, das alles auszusagen, wie schön ein wirkliches Verhältnis zur Natur und;zum einfachen Leben ist. Das weißt du doch alles!“

„So?“ sieht mich Renate augenzwinkernd an.

Aber nun weiß ich es; es heißt: Das weiß ich alles, jawohl, mein Lieber, aber man muß es dir nicht immer gleich sagen. Aber diesmal will ich dich in unserer Unterhaltung über das Brotbacken nicht zum Aeußersten treiben. Die kleine Befreiung deines Herzens genügt für heute.

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