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Digital In Arbeit

Arbeitergespräche

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Auf dem Redaktionsschreibtisch Hegt ein Manuskript. Ein Arbeiter aus dem Wiener 6. Bezirk hat es gebracht. Er selbst war der Verfasser. Es ist eine tadellos in Masdiin- schrift, fehlerlos stilisierte Arbeit, kein Hochschüler brauchte sich ihrer zu schämen. Sie kommt ans dem Arbeiterleben und äst wichtig. Sie sei im Nachstehenden ohne redaktionelle Zutat wieder, gegeben. „Die Furche“

Wir sind eine Gruppe von zehn Arbeitern, beim Bau eines Betriebssportplatzes beschäftigt. Die Arbeit ist wegen des Terrains schwer und überdies eintönig. Gegen die zeitdehnende Öde hilft dann und wann ein kleines Gespräch hinweg. Zuweilen sind es ernste, schwere Reden.

Es gab eine Zeit, und diese liegt nicht so weit in der Vorkriegszeit zurück, da man in einem solchen Kreis kaum andere Themen anzutreffen vermochte als Essen. Trinken, natürlich Frauengeschichten, dieses und jenes kleine, primitive Vergnügen und schließlich die Politik, primitiv und fast hölzern. Heute ist dies anders, unendlich anders, Weltweiten an Erleben, Erkennen und — Begreifen liegen zwischen diesem Damals und der Gegenwart. Manchmal, während der Frühstücks- oder Mittagspause, sitzen wir in irgendeiner Ecke zusammen und plaudern über dieses und jenes. Die Politik taucht nur ganz selten einmal auf und wird höchstens im Zusammenhang mit einem anderen Thema streifend berührt.

Vor efnigen Tagen verbrachten wir die Mittagspause damit, daß wir uns über das Weltall unterhielten. Zwei oder drei von ur.s haben allerlei darüber gelesen, interessiert sind sie alle. Wir diskutieren die Begriffe „unendlich“ und „endlos“, sprachen über die angenommene Ausdehnung des Weltalls, das unverkennbar Sinnvolle seiner Ordnung und die daraus folgende zwingende Notwendigkeit einer göttlichen Existenz.

Bei dieser Gelegenheit war es der Jüngste von uns an Jahren, aber mit Gedanken, die oft zu einem kaum Vierundzwanzig- jährigen nicht zu passen scheinen, der mir als Ältesten die Frage stellte: „Wie stellst du dir Gott eigentlich vor?“

Dies war ein Kernschuß gewesen. Wenn ich mir jetzt eine Blöße gab, der Frage teilweise auswich oder sie schlecht beantworte, richtete ich in ihm mehr Unheil an als jemals mehr gutgemacht werden konnte.

Ich antwortete: „Das ist falsch, sich Gott — mit unseren Sinnen vorstellen zu wollen. Damit verkleinert man ihn sich zur eigenen Unzulänglichkeit. Alle Vorstellung muß im Materiellen bleiben. Gott kann man nur wissen und wissend fühlen. Aber wenn wir zugeben, daß wir Menschen nicht bloße animalische Maschinen sind, daß in uns Kräfte wirksam sind, die über das rein stofflich Selbst hinausreichen, daß wir uns zu opfern vermögen und zu Begeisterung imstande sind, dann kommen wir, denke ich, Gott schon näher. Wenn wir selber mehr sind als nur Stoff und stoffliche Mechanik und Funktion, dann gibt es eben mehr als nur dies, und dann gibt es dies unendlich groß auch im unendlich Großen. So stelle ich mir Gott vor, das heißt, so weiß ich ihn und so fühle ich ihn wissend. Habe ich mich zu kompliziert ausgedrückt?“

Hans schüttelte den Kopf: „Zu kompliziert nicht, aber red’ jetzt nichts mehr weiter darüber, ich will das zuerst verdauen."

Auch die anderen waren alle nachdenklich. Unser Gespräch schlief ein. Wir alle besitzen nur einfache Volks- und Bürgerschulbildung, die nichr einmal bei allen bis zur letz®n Klasse gediehen ist. Wir sind Arbeiter und sind es dann erst recht, wenn wir mitunter über Dinge und Themen sprechen, die vor einer einzigen Generation vielleicht nur in einen Kreis von Akademikern paßten.

Denn wenige von all denen, und seien sie noch so gutgesinnt für den Arbeiter, die aber nicht täglich mit ihm leben, leiden, sprechen und denken, wissen es ganz, welche unglaublich große Veränderung der Arbeiter gerade im Verlauf des letzten Jahr zehnts durch gemacht hat. Er ist ja nicht mehr der kleine Mensch des engen Kreises. Man sagt, daß Reisen bilde. Der Arbeiter ist aber in dem vergangenen Krieg nicht nur durch eine halbe W eit 0er äußeren Erscheinungen, sondern durch eine ganze Welt innerer Erscheinungen gereist. Mit zuckendem Herzen, aufgewühlter Seele und vom Grauen bis zu visionärer Stärke ausgeweitetem Blick hat er tausend Gegenden durchschritten und dabei selbst noch in den Stunden kleiner, zitternder Angst Gedanken gedacht und Empfindungen gefühlt, von denen er früher nichts wußte. In aller anstürmenden Unmenschlichkeit riß das tiefste Menschliche in ihm auf.

Und das Fernsein von der Heimat und allem, was er liebte, weckte die Sehnsucht auf. Die Sehnsucht aber läuterte seine Fähigkeit, wünschend das Schöne zu schauen und zu Verschönern und Verklären überhaupt. Er lernte denken über das eigene Leben und faßte Vorsätze, es besser, wertvoller und sinnvoller zu leben, wenn ihm das Glü zuteil werden sollte, wieder gesund zurückkehren zu dürfen. Nur verhalt- mäßig Wenige von uns dachten da an rein sinnlichen Genuß.

Daher also eine seelische und geistige Aufgeschlossenheit der

Arbeiterschaft gerade in ihren besten und wervollsten Teilen, die viel zuwenig beachtet und von so manchen zur Menschenführung bestimmten Männern entweder nicht voll verstanden wird oder die man zu rein parteipolitischen Zwecken auszunützen bestrebt ist. Besonders aber der junge, intelligente Arbeiter merkt dies, macht sich seine sehr selbständigen Gedanken darüber und lehnt sich sogar auf dagegen.

Dies zeigte mir wieder einmal mein junger Kamerad mit einer teils erfreuenden, teils betrübenden Deutlichkeit.

Weil er so richtig der Typ des jungen Arbeiters von heute ist und ich in ihm daher den Menschen von morgen sehe, wende ich ihm besondere Aufmerksamkeit zu. Denn wenn ich auch fast zwanzig Jahre älter bin, fühle ich mich doch genug stark der Zukunft verbunden, um mit den jungen Menschen zu leben. Ihre Probleme nimmt mein Gewissen in seine Verantwortung auf.

Also fiel es mir auch auf, daß mein Freund heute nachdenklicher war als sonst und um den Mund einen kleinen, ärgerlichen Zug hatte. Er redete wenig und selten und war mit seinen Gedanken oft sichtlich weit fort. Ich fragte ihn vorsichtig, was mit ihm los sei.

Er zuckte die Achseln: „Ich hab’ gestern am Abend im Radio einen Vortrag gehört, einen Vortrag über den Jungarbeiter von heut e.“

„Ach, und da warst du nicht einverstanden mit dem, was gesagt wurde?"

Hans wurde lebhafter: „Nicht nur nicht einverstanden! — Jetzt ziehen sie auch schon den Problemen eine — eine Zwangsjacke an!"

„Willst du mir das nicht genauer erklären?"

Er setzte sich gerader, straffer hin und in seine hellen Augen kam ein fast streitsüchtiges Funkeln: „Also, da will ich dir zuerst in ein paar Schlag worten den Inhalt dieses Vortrages über den Jungarbeiter sagen: Schlechte Ernährung! — Unverständnis gegenüber der Demokratie! — Krieg und Faschismus! — Moralische Defekte wie nach jedem Krieg! — Und daraus flickt man die Zwangsjacke für unser .Problem' zusammen."

Nun lächelte auch ich ein wenig: „Wie du weißt, hab ich für Schlagworte weniger als nichts übrig. Aber du mußt mir die Sache mit der Zwangsjacke doch noch näher erklären!"

Mein junger Kamerad nickte: „Natürlich. Also paß auf. Daß wir nicht so genährt sind, wie es notwendig war’, das wissen wir, aber die Sache übertreibt man gern ein wenig, um Sachen zu entschuldigen oder anzuklagen, die früher einmal genau so geschehen sind. Mit dem Essen wie jetzt könnt’ ich noch ein paar Jahre drauskommen und würde deswegen weder dümmer werden noch stehlen geh'n. Mit dem Schlagwort .schlechte Ernährung' stellt man uns zuerst einmal als schwächlich hin. Und dann kommt gleich .Unverständnis gegenüber der Demokratie'. Es stimmt, daß wir die Demokratie vor dem zweiten Weltkrieg nicht unmittelbar miterlebt haben, aber eben weil wir doch auch eine Menge von ihr gehört und gelesen haben, gehen wir an die Demokratie zuerst einmal ziemlich vorsichtig heran. Ideal war sie doch wirklich keines. Eine Menge Leute haben ihre Parteidiktatur mit ihr gemeint. Was hernach gekommen ist, das nennt man .Krieg und Faschismus'. Der Krieg hat uns der Demokratie nicht weiter entfremdet, denn mit Politik haben sich vielleicht jene befaßt, die daheimgeblieben waren und die Berufspolitiker, wir aber, die wir Soldaten waren, unsere Politik hat darin bestanden, daß wir den Tod haben vorbeigeben lassen, manchmal auf ihn gewartet haben, und daß wir, jeder auf seine Art, mit dem Heimweh fertiggeworden sind. Nebenbei haben wir uns angeschaut, was der Krieg jeweils von der Welt übriggelassen hat und haben dann und wann, in stillerer Zeit, davon geträumt, daß der Krieg aus ist und wir wieder daheim sind. Wenn einmal ein sogenannter politischer Schulungsvortrag vrar, so ist uns das, was uns da erzählt worden ist, so fremd und unwirklich vorgekommen, daß es dann in der ganzen Kompagnie nur geheißen hat: ,Kameraden, heut’ ist Märchenstunde“. Wir stehen deswegen der Demokratie gar nicht fremd gegenüber. Wir stellen uns einen Staat vor, in dem freie Meinung herrscht, aber mit Manier und Anständigkeit. Wer recht hat, der hat recht, ob er zur blauen, grünen, roten oder gelben Partei gehört. Atrf jeden Fall und in erster Linie: au dem Volk und für das Volk! Kein politisches Theater, damit die Leute auf all das vergessen, was man ihnen schuldig bleibt. Ja — nur her mit einer Demokratie! Wenn die Demokratie richtig ist, dann werden schon wir sie richtig behandeln. Aber nicht uns vorwerfen, daß wir der Demokratie mit Unverständnis gegenüberstehen, während in Wirklichkeit das, was man uns derzeit vorsetzt oder vorsetzen kann, selber noch gar keine Demokratie ist. Und was die ,Moralischen Defekte“ anlangt: von zehn jungen Leuten sind neune oder zumindest adite tagsüber .fleißig bei der Arbeit, und in ihrer Freizeit rasten sie sidi daheim ans oder geh’n schlicht und bescheiden in ein Kino oder auf einen Sportplatz. Von denen siehst du fast nichts. Ein und denselben Sdilurf aber kannst zwanzigmal an einem einzigen Tag sehen, und drum schaut es so aus, als wären die so überwältigend viel. Ist ja gar nicht wahr! Wir jungen Arbeiter, wenn wir erst einmal wissen, daß wieder eine sichere Zukunft vor uns ist, daß wirrIli"’eTn e m sic heren eigenen Heim-und für dieses eigene Heim arbeiten, dann wird man sehen, daß wir gar kein .Problem“ sind, wie man es hinstellt. Problem in einer Zwangsjacke, sondern eben junge Menschen, die sich ihr Stückerl Welt anständig und vernünftig einrichten wollen.“

Mein Kamerad hatte sich zuletzt in hitzigen Eifer hineingeredet. Wenn er in jugendlichem Überschwang manches vielleicht auch ein wenig auf die Spitze getrieben hatte, so wohnte seinen Worten doch eine überzeugungskräftige Wahrheit inne. Er hatte als junger Arbeiter für die jungen Arbeiter gesprochen. Und wenn auch noch nicht alle so weit sind wie er, so doch schon viele, sehr viele — ich kann es bezeugen —, und dies sind zugleich jene, auf die es heute schon und noch mehr in der Zukunft ankommt. Ihnen ist die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden, und bei ihnen wird man sich davor hüten müssen, in politischer Beziehung etwas vor sie hinzustellen, was nicht edit und wahr ist.

Denn sie können die beste und schönste Hoffnung für die Demokratie sein, aber auch, wenn diese sich ihrer nicht würdig erweist, ihre größte Gefahr!

Mittlerweilen war es ein Uhr geworden und wir mußten wieder an die Arbeit gehen. Nachmittag redeten wir beide nur wenig. Uns beschäftigt viel —... K.

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