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Albert Einstein-zu Hause

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„Mein Herr, da fehlt noch'n Sechser“, sagte der Berliner Straßenbahnschaffner nicht ohne Vorwurf zu dem anscheinend allzu Verwegenen im wallenden grauen Haar, dessen salopper Anzug immerhin auf eine Fahrgeldhinterziehung schließen ließ. Dieser in tiefes Denken Versunkene kehrte leicht erschrocken in die Wirklichkeit des peinlichen Augenblicks zurück, ohne zu ahnen, daß er bereits über seine Zahlgrenze hinausgefahren war. „Da fehlt doch noch'n Sechser!“ wiederholte der Schaffner nun ungeduldiger. Ein wenig verlegen ob des Verdachts suchte der Angeredete den fehlenden Sechser hervor, indem er mit dem Zeigefinger gegen die Stirn wies. „Ja, ja, Kopfrechnen schwach.“ — Es war Albert Einstein, der große Physiker.

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„Mein Herr, da fehlt noch'n Sechser“, sagte der Berliner Straßenbahnschaffner nicht ohne Vorwurf zu dem anscheinend allzu Verwegenen im wallenden grauen Haar, dessen salopper Anzug immerhin auf eine Fahrgeldhinterziehung schließen ließ. Dieser in tiefes Denken Versunkene kehrte leicht erschrocken in die Wirklichkeit des peinlichen Augenblicks zurück, ohne zu ahnen, daß er bereits über seine Zahlgrenze hinausgefahren war. „Da fehlt doch noch'n Sechser!“ wiederholte der Schaffner nun ungeduldiger. Ein wenig verlegen ob des Verdachts suchte der Angeredete den fehlenden Sechser hervor, indem er mit dem Zeigefinger gegen die Stirn wies. „Ja, ja, Kopfrechnen schwach.“ — Es war Albert Einstein, der große Physiker.

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Diese Anekdote ging damals in Berlin von Mund zu Mund. Da wir mit der Familie Einstein durch unmittelbare Nachbarschaft nahe befreundet waren, erfuhren wir bald durch seine Tochter Margot, daß diese Begebenheit in der Elektrischen durchaus keine Anekdote sei, sich nur ein wenig anders zugetragen habe. Er war nämlich an jenem Tage, nachdem er nichtsahnend die Nachzahlung geleistet hatte — wieder in seine Arbeit versunken — bis an die ferne Endstation gefahren und kam erst am späten Nachmittag zu Fuß nach Hause, wo er mit Unruhe erwartet wurde. „Man kann ihn wirklich nicht allein gehen lassen, denn ein Mietsauto besteigt er nicht mehr, seitdem ein pfiffiger Berliner Chauffeur einmal verschiedene Umwege mit ihm gefahren ist, damit die Meßuhr einen höheren Fahrpreis anzeige.“ Lieber benutzte er seitdem die langsame Straßenbahn, weil, wie er meinte, diese nur auf vorgezeichneten Geleisen fährt und ihm, den immer in seine geistige Welt Verstrickten, kein Aufpassen auferlegt und Übervorteilung beim Fahrpreis ausschließt. Und da mußte ihm, dem Sparsamen, der es auch in der Wissenschaft so haargenau nahm, dies passieren! Auch zu Hause war man immer ein wenig besorgt um ihn, da er sich oftmals zu vergessen schien und durch seine Umgebung in den Tag zurückgerufen werden mußte. Als er eines Abends vor dem Schlafengehen noch ein Bad nehmern wollte, nach Verlauf einer Stunde aber nicht wieder erschien und es ganz still im Badezimmer geworden war, öffnete seine Frau besorgt die Tür. Da lag er in Gedanken versunken in der Wanne und fuhr wie aus einem Traum empor! „Ach, ich dachte, ich säße am Schreibtisch...“

Dieser im Kosmos beheimatete Geist fühlt sich in seiner schöpferischen Stunde dem Weltall näher als der Erde. Sind seine geistigen Errungenschaften für den Laien auch schwer verständlich, so bleibt zu sagen, daß er die an das Altertum anknüpfende wissenschaftliche Reihe der Koper-rrikus, Galilei, Newton, Gauß usw., fortsetzt.

Nur ungern hatte sich der große Gelehrte von Zürich getrennt, als er die Berufung zum Leiter des Kai-ser-Wilhelm-Instituts für Physik nach Berlin erhielt. Er glaubte, in der Schweiz die größtmögliche Freiheit für sein Fach gefunden zu haben und hatte Sorge, das kaiserliche Berlin könnte ihm diese Freiheil nehmen. So blieb er trotz seiner Ubersiedlung nach Berlin Bürger der Schweiz, wo er, obwohl in Ulm geboren, sich hatte naturalisieren lassen, um allen militärischen unc politischen Zwang zu umgehen. In Berlin erkannte er bald, daß sein Bedenken sich nicht bestätigten Diese Stadt war stolz darauf, der Gelehrten von Weltruf in ihrer Mauern zu wissen, so daß man ihr in seiner Arbeitsruhe durch konventionelle Verpflichtungen nicht aufstörte.

Als stiller Bürger wollte er -unerkannt leben. Zum Leidwesen sein Frau bezog er eine einfache Etagenwohnung in Schöneberg. Da wir de: öfteren im Hause Einstein zu Gas war-n, wurden wir Zeugen manche: nicht alltäglicher Vorgänge.

Menschlich beanspruchte der innerlich so einfache Mann wegen seiner ungewöhnlichen wissenschaftlichen Leistungen nicht die allergeringste Sonderstellung. Wer ihm einmal persönlich nähergekommen war, dem erschloß sich unerwartet der Mensch Einstein, in dem Güte und Humor sich paarten. Erholung von seiner Arbeit bedeutet ihm das Geigenspiel ohne Zuhörer. Als ihn dennoch der Lustspieldichter Molnar lachend dabei überraschte, wies ihn Einstein zurecht: „Warum lachen Sie, Molnar? Ich lache auch nicht in Ihren Lustspielen.“

Es waren seltsame Umstände, unter denen auch ich ihn eines Tages hören sollte: Seine Frau hatte sich in den Kopf gesetzt, er müsse etwas für arme Studenten tun und bei einem in der Wohnung veranstalteten Wohltätigkeitskonzert auf der Geige mitwirken. Nicht leichten Herzens gab er schließlich ihrem Drängen nach, obwohl seine Frau von ihm verlangte, der „Leute wegen“ bei dieser Feierlichkeit den Cutaway anzulegen.

So begrüßte er denn die eintretenden Philanthropen pflichtschuldig an der Tür des Musikraums mit Handschlag (das war in der im Vorraum geleisteten „Spende nach Belieben“ mit drin). Dabei murmelte er ein kaum hörbares „sehr freundlich“ oder „danke sehr“, das aber bald ganz verstummte. Dann setzte er sich plötzlich nach seinem Pult ab, um seine Geige zu stimmen, so daß die letzten Ankömmlinge um den berühmten Händedruck zu kurz kamen.

Deutlich erkennbar war, daß er sich die Krawatte nicht selbst gebunden hatte; sie rutschte auch bald zur Seite, und man fühlte nicht ohne eigene Beklemmung, wie unglücklich er sich beim Spielen in seinem engen und ungewohnten Aufputz vorkam. Zwischen, zwei Sätzen einer Sonate warf der Gepeinigte ärgerlich den Cut auf einen Stuhl und spielte verkniffenen Gesichts in Hemdsärmeln weiter. Es war ein trostloser Anblick. Ich schlich mich still aus dem Zuhörerkreis. — Am nächsten Morgen besuchte uns die Tochter und sagte, ich hätte gut daran getan, vorzeitig zu gehen. „Das Konzert endete“, wie sie erzählte, „völlig unprogramm-mäßig. Nach der Pause war Albert (so nannte sie den Vater) verschwunden und nicht mehr aufzufinden. Erst als alle unbefriedigten Wohltäter enttäuscht gegangen waren, entdeckten wir ihn hinter dem großen Küchenherd auf dem Boden liegend, wo er die Zeit über in stiller Konzentration gearbeitet hatte.“

Als er sich nun von seinem harten Lager erhoben und überrascht erkannte, welche Aufregung sein Verschwinden hervorgerufen, schüttelte er den Kopf: Die Zuhörer seien ihm wie neugierige Affen im Käfig vorgekommen, die erstaunt ein Menschenexemplar anglotzen. So hatte er also allen eine gründliche Lehre erteilen wollen. — Er war durchaus nicht der „zerstreute sich selbst vergessende Professor“ gewesen, den die Neugierigen in ihm vermuteten, als sie auf so ungewöhnliche Art verabschiedet waren. Vielmehr hatte sich der Gesammelte durch Befreiung vom privaten Ich die Zeit erobert, die man seinem Tage abgestohlen. (Störe mir nicht meine Kreise, sagte Archimedes.) In dem unbelauschten Versteck hinter dem Herd hatte sein der höchsten Wissenschaft zugewandter Geist ungestört zu höherer Intuition vorstoßen können — das harte Lager und seine Umwelt vergessend. *

Ein bequemer Ehemann war der Eigengesetzliche natürlich nicht und konnte es auch seinem ganzen inneren Gefüge nach nicht sein. Bei seiner Abwendung von jeglicher gesellschaftlichen Gepflogenheit bedeuteten ihm feststehende Bindungen unsichtbare Fessein. Indessen hätte in ihrer unablässigen Besorgtheit eine andere Frau kaum besser zu diesem unbürgerlichen Denker gepaßt. Eines aber beschäftigte sie als Mutter. Sie verriet mir einmal bedrückt, daß er, der für sich so Bedürfnislose, der jeden Pfennig zweimal umdrehe, dazu neige, Mammutbeträge auf dem Papier von heute auf morgen durch einen Federstrich zu übermachen, wenn es um größere Wohltätigkeitsfragen ging. Sie hätte schon vergeblich ihn zu überreden versucht, ein Haus zu erwerben, damit die Töchter später gesichert seien. In mütterlicher Fürsorge legte sie mir nahe, ihren Mann doch einmal gesprächsweise von solcher Notwendigkeit zu überzeugen, weil er in diesen Dingen so weltfremd sei. Eines Tages bat Einstein mich, beim nächsten Besuch einmal die seit ihrer Kindheit uns nahestehende Niddy Impekoven mitzubringen, wenn sie seiner Einladung folgen wolle. Nicht nur ihr in Bach und Beethoven wurzelnder Tanz hatte ihn angezogen; seine Tochter, die sich mit Erfolg bildhauerisch betätigte, hatte die vor 1933 in Berlin große Triumphe feiernde Künstlerin in unserem Hause in zwei Tänzen modelliert: als „Münchner Kaffeewärmer“ und in der „Chaconne“ von Bach. Einstein wollte ihr beim Tee nun einmal länger gegenübersitzen, um die Begabung der Tochter, die auf einer Berliner Kunstausstellung mit diesen beiden Plastiken erste Beachtung gefunden hatte, am Modell abzuschätzen. Auf dem Tisch standen jetzt zu der vereinbarten Teestunde die beiden Skulpturen, und Einstein betrachtete während der Unterhaltung lebhaft bald seine Tischnachbarin, bald die Arbeiten seiner Tochter, dann nickte er ihr beifällig zu. Es wurde ein angeregter Nachmittag. Da ich indessen fühlte, daß der Gastgeber des näheren in die Kunst des Tanzes eingeführt werden wollte, und Niddy nicht gewohnt war, über ihre tänzerischen Intuitionen auszusagen, brachte ich das Gespräch auf Heinrich von Kleists Abhandlung „Über das Marionettentheater“. Es ist darin von dem in gerader Linie bewegten Schwerpunkt der Tanzbewegumgen die Rede. Diese Ausführunigen waren bei der Betrachtung der Kunst der Impekoven nicht ohne verbindenden Reiz. Einstein horchte auf, verwundert, daß ein Dichter das Grundelement dieses Kunstzweiges nach einem physikalischen Gesetz interpretiert hatte. So fuhr ich fort in der Folgerung des Dichters, daß die Linie, die den Schwerpunkt bestimme, nichts anderes sei, als der Weg der Seele des Tänzers. Im Marionettentheater habe also, so deute Kleist, der Maschinist an seinem Faden keinen anderen Punkt in seiner Gewalt als den Schwerpunkt, so daß die Glieder lediglich pendelnd dem Gesetz der Schwere folgen. Da die Puppen aber antigrav seien, wüßten sie nichts von der Trägheit der Materie, weil die Kraft, die sie hebt, größer ist als jene, die sie an die Erde fesselt. Und das eben sei der absolute Tanz.

Einstein war entzückt. Das sei eine geradezu unerhörte Kunsttheorie und um so bewundernswerter, als zu Kleists Zeiten der Tanz noch nicht die Vollendung der Gegenwart erreicht gehabt habe, wie seine Tischnachbarin sie repräsentierte. Er machte den Versuch, den Schwerpunkt der Skulpturen zu bestimmen, nicht ohne der Tänzerin Gutes zu sagen, daß sie — wie der Dichter in seiner Abhandlung — die Erde beim Tanz scheinbar nie mit beiden Füßen berühre.

Um dem Tischgespräch seinerseits eine neue Wendung zu geben, las der Gastgeber eine psychologisch fesselnde Erzählung aus Japan vor. Es schien ihm dabei zugleich ein Bedürfnis zu sein, der kleinen Tafelrunde seine Sympathie für das wache japanische Volk nahezubringen, das ihm vor dem Kriege einen so spontanen Empfang in Tokio bereitet hatte. Hierüber erzählte Frau Einsteta einmal, daß sie dort die aufregendsten Augenblicke an der Seite ihres Mannes erlebt habe. Als man nämlich auf der Fahrt zum kaiserlichen Palast ihm zujubelte und sie sich — da er ein so mißvergnügtes Gesicht aufsetzte — für ihn nach beiden Seiten verneigte, habe er sie heftig am Arm zurückgezogen und ihr streng bedeutet: diese Ovation gelte weder ihr noch ihm, sondern allein dem Geist.

Beim Abschied bekam Niddy Impekoven noch eine seltsame Eloge zu hören: „Der Nachmittag war so besonders schön, weil Sie ka Äff geworden sind.“ Dann wandte er sich abschiednehmend an mich und erklärte: „Sie waren so oft Gast meines Hauses, warum haben Sie mich noch niemals zu sich eingeladen?“ „Sie sind ein Fürst, Herr Professor. Sie sagen sich an.“

Schon wenige Tage später meldete er sich zu meiner Freude in Begleitung seiner Frau zu einem ersten Besuch an. Schon als er eintrat und die Skulpturen seiner Tochter auf dem Gesims des Schrankes erblickte, knüpfte er gleich lebhaft an die frühere Unterhaltung an. „Jene Tanzmatinee, die ich auf Margots Veranlassung besucht hatte, war mir zum musikalischen Erlebnis geworden. Ich ahnte bis dahin nicht, daß intuitive menschliche Bewegungen so die Musik als Kunst verkörpern könnten. Dies Unnennbare erfreute mich gleichzeitig für Margot, die dieses neue Kunstschaffen so berauscht hatte, daß sie es ins Bildnerische zu übertragen versuchte.“ Dann nahm er die von seiner Tochter geformte Madonna vom Schrank und betrachtete sie mit einem zustimmenden Lächeln. (Es ist übrigens ein Abguß der Madonnenplastik, die heute in einer Nische des Klosterhofes von Fiesole mit dem Hinweis auf die Schöpferin steht: „ftgiia del grande scienziato Alberto Einstein.“) Es sei bei Margot, fuhr Einstein fort, eine seltsame Erscheinung: dieser Seitensprung ins absolut Christliche und daneben ihre jiddischen Lieder zur Laute, denen sie ebenso leidenschaftlich anhängt. Dieser inbrünstige Madonnenkult paßt zu ihrer weiblich-religiösen Entwicklung, jeder müsse sich mit eigener Verantwortung für das Ganze erfüllen, das Dogma sei nicht von Belang. Ihn halte man in Berlin für einen Atheisten. Bisweilen komme er sich aber frommer vor, als die Leute, die zu bestimmter Stunde das Gesangbuch unterm Arm in die Kirche tragen. Sein zeitweiliges Gotterstaunen spiele sich fern von der Erde ab. Er selber glaube, was er sehe: das Harmonische im Unendlichen.

(Später kleidete er einmal sein einfaches Glaubensbekenntnis in die Worte: „Ich glaube nicht, daß Gott mit dem Weltall Würfel spielt. Das kosmische Erlebnis der Religion ist das stärkste und edelste Motiv naturwissenschaftlicher Forschung.“) Aufgeräumt wechselte er das Thema. „Stellen Sie sich vor, eine amerikanische Universität hat mir für die zwölf handgeschriebenen Seiten umfassende Urschrift der .Relativitätstheorie' eine halbe Million geboten. Dies Angebot macht mir schwere Stunden. Geist kann man nicht verkaufen, wie etwa persönliches Eigentum.“

Ich folgerte kühn: „Herr Professor, der Geist Ihrer Theorie ist doch längst in die Wissenschaft eingegangen und wirkt dort fort; denn jene zwölf Seiten sind eine Urschrift dessen, was in allen Bibliotheken längst abgedruckt ist, so daß der geistige Inhalt ja bereits zum wissenschaft-I liehen Allgemeingut gehört. Sie ver-j kaufen also nicht mehr Geist an ! sich, sondern lediglich den ersten in ; die Wissenschaft eingegangenen Originalniederschlag davon. Keiner wird es Ihnen verübeln können, wenn Sie sich einen besonderen Liebhaberwert vergüten lassen. Sie könnten die erste Niederschrift verbrennen, und der Geist an sich bleibt unberaubt.“

Der Gelehrte blickte sinnend auf und schien einen Augenblick über diese Beweisführung ein wenig stutzig zu werden. „Ihre schlüssige Argumentation wollte mir fast einleuchten“, sagte er. „Aber solch Abstrakten hat für mich nur relative Bedeutung, ohne mir Ruhe zu bringen. Durch meine ganze Jugend zieht sich der rote Faden, jede Mark zu verantworten: das war schwer,denn ich hatte nur wenige davon. Wieviel Kraft müßte ich künftig darauf verdenken, um mit solchen Geldchamborasso hauszuhalten und überhaupt fertig zu werden; die Zeit habe ich nicht.“

Bei diesem großen Mann bestand ein eltsamer Widerspruch zwischen Sparsamkeit und Schenken, der zu einem einheitlichen Begriff in ihm wurde, im hergebrachten Sinne aber weder Geiz noch Verschwendung war und in eigener Bedürfnislosigkeit seinen Ursprung hatte. Er war einer, der Entbehrungen und Wünsche nicht kannte, jedenfalls nicht laut werden ließ. Den Becher des Diogenes hat er bereits fortgeworfen. — Immerhin schien mir darüber der günstige Augenblick gekommen, Frau Einsteins Wunsch unauffällig anzubringen:

„Wie wär's denn, Herr Professor, um keine Scherereien mit dem Geld zu haben, wenn Sie vom Honorar einen Betrag für ein Häuschen für sich und Ihre Familie abzweigen, um nicht mehr im Häusermeer arbeiten zu brauchen... ?“

„Oho“, lachte er schalkhaft auf, Jetzt aber fangen Sie an, bestellte Arbeit meiner Frau zu liefern.“ Und da wir mit Leugnen an seinem Verdacht schwerlich vorbeigekommen wären, stimmten wir halb entlarvt, halb belustigt in das Gelächter mit ein.

„Ich will Ihnen sagen, warum ich lieber in meiner Etage bleibe. Wenn mein biederer Hausbesitzer mir anbietet, daß er den Turm des Mietshauses für meine wissenschaftlichen Zwecke zu einem Observatorium ausbauen würde, und er damit der Ehre weiter teilhaftig bliebe, mich als Mieter zu behalten, wenn also einer dieser Berliner Hauswirte, die sonst mit allen Wassern getauft sind, eine solche Hochachtung vor dem Geist bezeigt, so habe ich das zu respektieren und den Mann nicht zu enttäuschen.“

Die Probleme um den Verkauf der Originalniederschrift sollten übrigens bald — noch während seiner Vortragsreise in Amerika — eine überraschende Lösung finden. Als er nach den Staaten unterwegs war, sandte Frau Einstein, um seiner Ver-grämung ein Ende zu bereiten, das Dokument spontan als Geschenk ihres Mannes an die Universität Jerusalem. Da sie unser Bedenken über diesen so selbständigen Entschluß gespürt hatte, ihren Mann vor die vollendete Tatsache zu stellen, erschien sie einige Tage später mit seinem Brief, der folgenden Passus enthielt: „Du hast mir damit den größten Lebensdienst erwiesen, und ich fühle, daß Du zu mir gehörst.“ Was bei seinem nicht gerade ausgeprägten Familiensinn bedeutungsvoll war.

Zur Rundung seines Bildes sei noch die kleine Geschichte von dem Frack erwähnt, den Frau Einstein mit allem Zubehör in einem Handkoffer ihm nach Amerika mitgegeben hatte. Dort wurden Einstein ungewöhnliche Ehrungen zuteil. Als sie nach seiner Rückkehr den Koffer wieder öffnete, mußte sie entdecken, wie besonders fürsorglich alles zusammengelegt war und fragte ihn, wem wohl die liebevolle Hand gehöre, die ihm dabei geholfen habe. „Dir“, erklärte der Heimgekehrte lakonisch. „Ich habe den ganzen Plunder gar nicht erst ausgepackt, sondern die offiziellen Festvorträge an den Universitäten gehalten, wie ich ging und stand.“

1933 siedelte Einstein nach Amerika und lehrte bis zu seinem Tode 1955 an der Universität Princeton. Als zu Beginn des zweiten Weltkrieges in den Vereinigten Staaten bekannt wurde, daß auf Grund der von dem Atomforscher Hahn entdeckten Kernspaltung des Urans Hitler an einer kriegsbeendenden Atombombe arbeiten ließ, wies Einstein durch einen Brief an den Präsidenten Roosevelt auf die katastrophale Wirkung hin, die eine solche in Amerika noch nicht entwickelte Bombe anrichten würde. Er führte aus, daß das Element Uran in unmittelbarer Zukunft zu einer neuen und bedeutenden Energiequelle entwickelt werden könne: „... Eine einzige Bombe dieser Art, in einem Hafen zur Explosion gebracht, vermag sehr wohl den ganzen Hafen und seine Umgebung zu vernichten.“ Hitlers angeordnete Arbeiten an der Atombombe erreichten ihr Ziel bis zum Ende des zweiten Weltkrieges nicht. Aber obwohl seit Mai 1945 nur das abgekämpfte Japan noch nicht niedergezwungen und seine Waffen-streckung nur eine Frage der Zeit war, probierte Amerika am 6. und 9. August bedenkenlos seine Atombombe über Hiroshima und Nagasaki aus.

Ihre Wirkung war unsäglich und erschütterte die Welt. Die Verantwortung traf allein die politische Führung, nicht die Wissenschaft. Dennoch blieb Einstein bis zu seinem Tode von einem schweren seelischen Druck nicht frei. War er von zweiter Hand auch an der Herstellung dieser Waffe als Schutz gegen Hitler beteiligt, so ließ ihre unnötige Anwendung das Verantwortungsgefühl der Sieger vermissen, weil die Kriegsentscheidung bereits offenbar war. — Einstein blieb tiefbesorgt bis an sein Lebensende ein unermüdlicher Warner. Zudem liebte er Japan. Wenn aus Hiroshima noch ein letztes Heil für die Menschen erwachsen kann, so wäre es dies eine: daß der gegenwärtige kalte Krieg sich nie mehr in einen echten wandelt. Auch die künftige Siegermacht würde wissen, daß sie am Ende von dem Zerstörungskeim, der Blut und Erde der Völker vergiftet, selbst ergriffen und heimgesucht werden kann. Die Natur schlägt zurück. „... bis ins dritte und vierte Glied.“ Das war auch der Glaube des betagten Albert Einstein.

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