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Peter Anich, der STERNSUCHER

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34. Fortsetzung

Das sei richtig gesagt, aber auch nicht. Auch die Herren Studenten blieben ja nicht af einer Hohen Schule und bei nur einem Professor, sie zögen reichlich herum und suchten sich die besten und angenehmsten Professoren, aber am Ende doch immer wieder nur die weite Welt. Und das Kartenmachen werde er in Nürnberg etwa in der Offizin des Herrn Hommann sicher leichter und rascher erlernen denn in Innsbruck. Gar wenn einer in der gelehrten Welt berühmt sein wolle, brauche er die Fremde, soviel wisse auch er. Ein Quentchen Neues und Fremdes genüge dann oft, um einen daheim berühmt zu machen, Leute aber, die stets daheim säßen, täten sich unter den Weitgereisten schwer, auch wenn sie zehnmal mehr Verstand und Fleiß besäßen.

„Meinst du, daß die in Nürnberg einen schöneren Himmel haben als in Oberper-roß?“ fragte Peter dazwischen.

In den nächsten Tagen fand sich der Erhardt auch mit dieser für ihn ganz neuen und sehr seltsamen Entdeckung ab. Ja, das sähe er wohl ein, der Himmel sei das schönste und das höchste Studium auf Erden, und wer den Himmel studiere, brauche auch nicht erst weitmächtig reisen. Ein großes Perspektiv, ein Turm, ein Berg seien da wichtiger, und zum Mond oder zur Milchstraße sei es von Oberperfuß und Nürnberg und Paris gleichweit. Auch gebe es mehr Leute, die vom Himmel lebten, als man gemeinhin glaube. Nicht an die Gottesgelehrten denke er dabei, eher an die Sterndeuter und Kalendermacher, an die Wetterfrösche und Himmelsmesser. Und Peter sei in seiner stillen und bedächtigen Art gewiß der richtige Sternleser. Die höchsten Herrschaften, die allerhöchsten rissen sich um einen guten Astrologen, und ein aufregenderes Land als die Zukunft gebe es in der ganzen Welt nicht. „Nur tat ich dann an deiner Stelle zu einem richtigen .Sterndeuter in die Lehre gehn. Ich erfrag dir auch leicht so einen, wenn du willst.“

Sie saßen aber bei diesem Gespräch in der Küche, und Leni, die eben vom Stall hereingekommen war, ließ vor Neugierde schier das Futter anbrennen. Dabei nickte sie dem Franz zu.

„An die Sterndeuterei hab ich mein Lebtag nie gedacht“, sagte Peter erschrocken, „auch die Leni weiß es. Und wenn ich diese Kunst auch lernen wollte, ich kann doch nichts unternehmen, was mich von daheim fortbringt. Wer soll dann den Hof erhalten?“

„Und wenn die Leni heiratet?“ Franz sagte das sot unvermittelt, daß das Mädchen über und über rot den Häfen vom Feuer riß und aus der Küche lief. „Das hört die Kleine nicht gern“, setzte er hinzu.

„Warum nicht?“ fragte . Peter, denn er glaubte, all das sei doch nur seinetwegen gesaigt, „wir haben vor Jahren, als die Mutter krank wurde, ganz offen davon geredet. Entweder ich oder die Leni, hat es geheißen. Ich bin aber nach Innsbruck gegangen und glaub auch nicht, daß ich jemals werde heiraten, und die Leni, ich wüßte nicht, wen die heiraten tat.“

„Freilich, freilich“, sagte der Franz, „wer kann das auch wissen!“ Auch jetzt aber merkte Peter das Seltsame in des Nachbarn Stimme nicht, so sehr beglückte es ihn, trotz allem, daß er zum erstenmal mit einem fremden Menschen von seinem Geheimnis, von seinen Sternen reden durfte.

Überdies kamen die beiden nadibarlichen Freunde in den nächsten Wochen ein wenig auseinander. Peter schrieb dies den Sachsen zu oder besser der Tatsache, daß der sächsische Kurfürst und König von Polen, im letzten Krieg ein Gegner der Kaiserin und Verbündeter Preußens, sich nunmehr den Kaiserlichen angeschlossen hatte. Der Er-hardtbauer sah nämlich durch dieses neue und für viele überraschende Bündnis die Sache der Kaiserin endgültig gesichert. Der überaus schlaue, doch im letzten Krieg um seinen Vorteil geprellte Sachse wisse genau, wohin sich die Waage des Schicksals nun neigen werde. Peter hingegen brachte die Meinung des Herrn von Weinhart heim, der das neue Bündnis sehr viel weniger erfreulich, ja auf die Dauer schädlich fand. Ein Kurfürst, der, zwischen Österreich und Preußen eingeschlossen, sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite halte, werde aus den gleichen Gründen auch die Kaiserin wiederum im Stiche lasssen, noch mehr, er werde König Friedrich aus seiner Ruhe aufschrecken. Ein kaiserlicher Verbündeter an den Grenzen Preußens sei dem Herrn in Potsdam sicherlich höchst unwillkommen. Diese Meinung gab Peter wieder, er selbst hatte keine eigene. Der Nachbar aber nannte ihn einen Schwarzseher und Angsthasen. Er kenne die Preußen besser, er habe ihnen bei Chotusitz gegenübergestanden. Der Pater aber in Innsbruck verstehe von der hohen Politik und vom Kriegführen weniger als der letzte Rekrut, und es sei überhaupt ein. gefährlicher Mißbrauch des eigenen Verstandes, einem Menschen deshalb in allem zu vertrauen, weil er etwas von den Dreiecken und Kugeln verstehe. Das ertrug wieder Peter schlecht, und sie gerieten an jenem Abend hart aneinander. Die Streitfrage selbst ward indes durch das neue Bündnis zwischen Preußen und Frankreich wenig später zugunsten des Paters entschieden.

Seither sah Peter den Nachbarn nur mehr selten. Nicht daßf der Erhardt das Anidihaus gemieden hätte, aber er kam zumeist, wenn Peter nicht daheim war. Diesen schmerzte es wohl, daß ein Mensch so schlecht eine gegenteilige Meinung ertrug, wo diese dazu so rasch sich als richtig herausgestellt hatte. Er vermißte seine Gesellschaft aber lang nicht mehr so arg, wie dies in den ersten Wodien ihrer Begegnung der Fall gewesen wäre, ja er war nun wieder innerlich recht froh, daß er ungestört arbeiten konnte. Sie waren damals nämlich in der Trigonometrie bei der Berechnung der Kugeldreiecke angelangt.

Dafür war seit dem Gertrudtage, dem Namenstage der Anichmutter, der Kramerschwager wieder häufig Gast im Hause. Um den Flachshandel stand es wieder einmal schlecht. Dazu hatten die Kramerischen in den vorangegangenen guten Jahren sich eine kleine Spinnerei und fünf Webstühle zugelegt, auch ein altes Bürgerhaus angekauft und mit großen Kosten umgebaut. Nun mußten sie die Gehilfen entlassen, die Webstühle standen still, und ein schöner Haufen Schulden bedrückte den guten Mann.

Peter hieß ihn nicht gerade sehr freundlich willkommen. Doch seine Befürchtungen wurden vorerst enttäusdit. Der Schwager bekümmerte sich herzlich wenig um die Weltläufte, er redete auch nicht von fernen Ländern und gebrauchte weiter keine großen Worte, auch sprach er nur mit Achtung von Pater Weinhart. Er erhoffte von diesem Manne eine Besserung des Flachsgeschäftes; den Vorschlag des Ehrhardt, den Pater zu verlassen und in anderen Städten zu studieren, nannte er hellen Wahnsinn. Doch nach einigen Besuchen rückte auch er mit einem, wie er sagte, wohldurchdachten Plan heraus, der Peter in neue Verwirrung trieb, sowenig er auch dagegen vorbringen konnte.

Peter sei auf dem besten Wege, ein tüchtiger Gelehrter zu werden, sagte er eines Tages, das sei schön, das sei gut, das sei sogar herrlich, wenn man seine Lage und all die Schwierigkeiten bedenke, die er zu überwinden habe. Immerhin sei er jedoch kein Professor mit festen Bezügen, auch kein Pater, der Haus und Nahrung und Kleidung gesichert habe und ein geruhsames Leben bis zum Himmel, ja, zu einem noch rascheren und gründlicheren Studium fehle es nach wie vor an dem nötigen Gelde. Vor Jahren hätten sie wohl über diese Frage nachgedacht und, freilich nur höchst unvollkommene, Pläne geschmiedet, nun sei Peter aber in der Gelehrsamkeit weit vorgeschritten, und sein neuer Plan stehe deshalb auf festen Beinen. Man brauche nur etwas finden, was 'dem Volke nutze und in diesen Zeiten gefragt sei, ein Instrument, ein brauchbares bisher noch unbekanntes oder auch bloß verbessertes Gerät für das tägliche Leben, eine Erkenntnis, eine verwertbare Erfahrung aus der Mathematik oder Meßkunst und Peter könne sich zehn Dienstboten halten, zwei Höfe dazukaufen oder in die Stadt übersiedeln und allein nach Herzenslust studieren und der Leni noch eine herrliche Aussteuer bereitstellen, der Mutter aber das längstverdiente sorgenlose Leben. Auch Herr von Weinhart gebe ja mit seiner eigenen Hilfsbereitschaft ein gutes Beispiel ab, nur könne er leicht das nötige Entgelt für sejne Nebenarbeiten verachten, stamme er doch aus einem reichen Geschlechte und habe als Professor und Pater sein gesichertes Auskommen.

Diese Reden von Auskommen und Geld und gesichertem Leben, gar im Zusammenhang mit dem geliebten Professor, klangen Peter just, als sei mitten im schönsten Geläut eine Glocke gesprungen. Auch war er tagelang zu jeder ernsthaften Arbeit unfähig, sosehr bohrten jene Worte in seinem Herzen. Dennoch konnte er dem Schwager nicht unrecht geben. Wenn er daheim blieb und nicht nach Nürnberg ging, nicht einmal nach Innsbruck, und wenn er all das wüste Zeug nur in sich hineinfraß, um einmal den Sternen beizukommen, so brauchte er Geld. Für sich, für die Leni, für die Mutter, für den Hof, und wenn er da Gelernte nun audi •nebenbei und bevor er das Studium abgeschlossen hatte, .verwerten konnte, war das nicht übel. Doch je mehr er dem Schwager nun auch beistimmte, desto weniger wußte er, wie er seine Kenntnis verwerten sollte. Von den Kugeldreiecken und Kegelschnitten nicht zu reden, auch die Rechenkunst schien ihm für so praktische Dinge nicht tauglich zu sein. Eher mochte er Quadranten und Astrolabien herstellen oder verbesserte Visierapparate, doch so viele Meßkünstler, daß er daran verdienen konnte, er und der Schwager, gab es im ganzen Kaiserreich nicht, und die es sich leisten konnten, griffen sidierlich lieber nach den Nürnberger Instrumenten.

Am nächsten Freitagabend aber als Peter sich endlich aus all den verwirrenden Gedanken heraus zu seinen Kugeldreiecken zwang, stürmte der Schwager ins Anidihaus und geradewegs in Peters Kammer. „Ich hab's“, schrie er, „Uhren mußt du machen, Uhren! Nicht mit Perpendikel und Gewichten, keine Federuhren, keine Taschenuhren: Sonnenuhren! Verstehst du nicht? In Innsbruck auf der Burg haben sie eine, und in Stams im Klostergarten eine noch feinere! Jeder Bauer braucht seine Sonnenuhr, und wenn, nur jeder zehnte eine bei dir bestellt! Das gibt dreißig in Oberperfuß allein, fünfzig in Zirl. Du brauchst sie nur zeichnen und berechnen, ich hab schon mit unserm Maler geredet!“

An jenem Abend geleitete Peter den Schwager über Unterperfuß hinaus bis an die ersten Häuser von Zirl. Am liebsten wäre er gleich die Nacht über bei ihm geblieben, doch er hatte die nötigen Bücher und die guten Sachen für Marie nicht bei sich; auf dem Tisch daheim aber lagen die schönsten Kugeldreiecke noch unbezwungen. Es war aber auch allzu schön, allein durch die klare Nacht zu gehn, und als er dann aus dem finsteren Wald in den ungeheuren Himmel hinaustrat, dankte er seinen Sternen, als hätten sie den heimlichsten seiner Wünsche erfüllt.

Am Morgen freilich, auf dem Wege nach Innsbruck, drückten ihn die versäumten Rechnungen. In Kematen war Peter noch zu einem aufrichtigen Geständnis entschlossen, ja er stellte sich die Freude des Professors über den neuen Plan lebhaft vor, hinter Völs jedoch begann er an seiner Zuversicht, ja an der ganzen Sonnenuhrensache überhaupt zu zweifeln. Ein Lehrbub kann nicht zugleich Meister sein, hörte er den Professor schelten, gar ein Sonnenuhrmeister; laß Er die Spielerei und verbeiß Er sich lieber in die Kegelschnitte. Vor Innsbruck aber stritten gar beide Meinungen unentschieden in ihm. Und da weder die Orakelblumen poch die Akazienblätter noch die Knöpfe an seinem Rock eindeutig entschieden, entschloß er sich, schon in der Stadt, zu einer mehr sicheren Schicksalsprobe: Wenn der Professor bös ist, weil ich die Rechnungen nicht mitbring, dann sage ich nichts. Ist er nicht bös, dann will ich die Rede auf die Sonnenuhren bringen. Gleich nach dem Mittagessen, oder vor dem Heimgehn. Zum Abschied reden sich auch solche Dinge leichter.

Der Pater war nicht bös. Er legte ihm bloß einige leichtere Beispiele vor. Nach dem Kolleg aber brachte er ein funkelnagelneues Buch mit. Der Buchhändler habe es gestern zur Ansicht vorgelegt, sagte er, und wenn Peter es braudien könne, reihe er es gern in die Bücherei ein. Viel sei ja aus einer kurzgefaßten Feldmeßkunst für einen so weit vorgeschrittenen Studiosen nicht zu holen, immerhin könne auch der größte Gelehrte aus dem einfältigsten Büchlein etwas lernen, auch das sei eines der Geheimnisse aller Gelehrsamkeit.

Erst beachtete Peter das heue Buch kaum, doch da er es aufschlug, juchzte er und hielt das Titelblatt dem Pater vor die Nase. „Was bin ich doch ein Glückskind!“ rief er aus, „da lies!“

„Richtiger und vermehrter Feldmesser wie auch Sonnen-Uhr-Macher ohne Lehrmeister und ohne Instrumente.“

„Wenn du dir daheim zum Vergnügen eine Sonnenuhr fabrizieren willst“, sagte der Professor verwundert, „hättest es sdion längst versuchen können. So weit bist du immerhin in der Zunft.“ Doch als Peter im Übermaß über diese glücklichste aller Fügungen seinen ganzen Plan umständlich herschwatzte, schüttelte Herr von Weinhart den Kopf. Ein Mensch, der von den Sonnenuhren leben wolle, sei ihm noch nicht untergekommen. Ob er denn etwa für die Betreuung solcher Uhren einen Zins fordere, oder wie er sich das richtige Entgelt vorstelle. Die Bauern hätten doch ihre Hähne daheim und das brüllende Vieh im Stall zu Mittag und den eigenen Hunger im Magen, auch die Frau Sohne selbst über diesem oder jenem Gipfel. Am wenigsten aber begreife er, wie da sein Schwager ein Geschäft wittere, der scheine doch sonst kein dummer Kerl zu sein. Immerhin sei das Entwerfen von Sonnenuhren eine nützliche Übung in den Anfangsgründen der Astronomie, das emsige Beobachten und Auffinden von Polhöhe und -länge meine er, den Umgang mit dem Quadranten. Diese Dingeaber seien auch für den künftigen Feldmesser Peter Anich von Nutzen.

Doch Peter begriff das gewichtige Wort noch nicht, er war allzu glücklich. „Was ich bis heut gelernt hab“, rief er, „mag ja für einen gewöhnlichen Feldmesser nutzbar sein. • Mit den Sternen hat es nichts zu schaffen. Die Sonnenuhr, scheint mir, zeigt die himmlische Zeit. Da braucht .es keine Gewicht-und Räderzahlen, und die Sonne selber ist die Unruh. Kann auch keiner sie vorrichten oder zurückdrehn. Ja, deshalb bin ich damals zu dir nach Innnsbruck gelaufen. Heut weiß ich es'.“

„Wenn du es nur einmal weißt“, sagte der Pater und lachte. Sie ließen aber an jenem Samstag die Kugeldreiecke bleiben und machten sich über den Quadranten her. Auch ein umfänglidies Buch brachte der Professor herbei. Es war schon seine dreißig Jahre alt, doch verhieß es auf vierhundert Seiten eine vollständige Beschreibung der Sonnenuhren und zeigte einen Haufen Stiche, die einen himmlischen Uhrmacher besser leiten konnten denn die ausführlichste Rede. Von den Vertikaluhren war darin die Rede, von den gegen Mittag und den anderen gegen Mitternacht gerichteten, von Meridianuhren, ob sie nun gegen Aufgang oder gegen Niedergang wiesen, von oberen Polaruhren und unteren Polaruhren. (Fortsetzung folgt.)

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