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Peter Anich, der STERNSUCHER

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14. Fortsetzung

Man kann doch das eine tftn und braucht das andere nicht lassen. Ich an deiner Stelle käme mit meinem Gewissen schon zurecht. Du bist der Bauer, du hast es deshalb schwerer als die gelehrten Herrn in der Stadt. Aber wenn du aus deinem Pfund nur so viel herauswirtschaftest, als dir der Herrgott Zeit und Gelegenheit gibt, so kann er dir darum doch nicht bös sein. Und wenn er es nicht ist, darfst du nicht noch gestrenger mit dir umgehn.“

Uber sein Antlitz flog ein leichtes Lachen. „Wenn du ein Mannsbild gern hast, Leni“, fragte er langsam, „willst du es dann ganz gern haben, oder bloß ein bisserl?“

„Das laß“, sagte sie hastig, „das hat damit nichts zu schaffen, das laß!“ Sie trat wieder an den Herd.

„Ja, wir wollen es auch lassen, dies und das andere“, sagte Peter.

So schwiegen sie auch die nächsten Tage hin, denn er war noch nicht so weit, daß er mehr darüber sagen konnte.

Die Mutter fühlte sich in jenen Tagen seltsam erfrisdit. Sie konnte sich jetzt selber aufrichten und ein Stündchen im Nachtgewand neben dem Bett sitzen. Nur gehen konnte sie noch nicht, denn das linke Bein schmerzte sie ärger denn zuvor. Und eines Morgens war eine bis dahin rote und empfindliche Stelle aufgebrochen, so daß das Fleisch häßlich zutage trat und ein schwarzer Saft aus der Wunde rann. Leni rief in ihrer Angst die Bötin herbei, die sich auf solche Wunden verstand. Die Alte entschied denn auch sogleich, die Krankheit habe sich aus dem Körper in das Bein verzogen und gehe nun mit dem Blute ab. Das Leben der Anichin sei gerettet, denn für die Wunde habe sie ein grünes Pflaster, von einem alten Hirten im Kühtai hinten, das alle schlechten Säfte rasch aus der Wunde ziehe, diese selbst aber sauber heile.

War nun die Salbe ihrer heilsamen Kraft beraubt, denn der Hirt im Kühtai war vor zehn Jahren verstorben, und es gab keinen Menschen, dem er sein Geheimnis vererbt hatte, oder erforderte das Gift im Körpsr der Anichmutter eine andere Salbe, wie die Bötin in den nächsten Wochen meinte, kurz, die Wunde verheilte wohl, aber eine neue, bösere brach daneben auf. Die Bötin konnte freilich vorbringen, die Beinwunde der Anichmutter habe sich nicht wie gewöhnlich bloß aus schlechten Blutsäften gebildet, sondern sie schreibe sich von einer fremdländisdien Krankheit her, die der Erzeuger der grünen Salbe noch nicht gekannt habe. Der Kräutler in Innsbruck neben der Ottoburg koche aber eine noch bessere Salbe. Sie selbst habe sie noch nicht erprobt, doch in Kematen drunten Wunder über diese Medizin gehört. Es sei auch wahrhaftig eine Wundersalbe aus dreiunddreißig heilsamen Almkräutern gebraut und mit dem echten Thyrsenöle aus Seefeld vermischt. Der Innsbrucker Kräutler v habe sie eben auch eigens für die neuartige Krankheit erfunden. Diese Salbe habe jedoch ihre Heilkraft nur, solange sie frisch sei. Wenn der Bauer es wünsche, gehe sie in den nächsten Tagen nach Innsbruck hinunter und besorge ein Büchslein voll. Jetzt, wo der Weg allenthalben wieder trocken sei, liege ihr nichts an einem so weiten Gang, sie komme nur nicht wie in ihren jüngeren Jahren mit einem Tage zurecht und müsse daher den Lohn für zwei Tage und eine Nächtigung fordern.

„Wenn es für die Mutter ist, liegt mir auch nichts an einem zehnfachen Lohn“, sagte Peter, „aber ich denk, es geht rascher, wenn ich mir die Salbe selber besorge. Ich bin in einem Tag hin und zurück, und die Bötin nimmt das Geld für den guten Ratschlag.“

Als die Bötin dann aus dem Haus war und er in die Küdie hinunterkam, blickte ihn Leni mit großen feuchten Augen an.

„Ja“, sagte er, „ich will es tun, nicht morgen, wohl aber am Montag. Am Sonntag zuvor habe ich noch einen wichtigen Weg. Er ist nicht weniger weit als jener nach Innsbruck, aber sdiwieriger, was das Steigen betrifft und die Sache, um die es geht.“ Ob er doch noch einmal nach Kühtai hinauf die alte Salbe suchen wolle.

„Nicht ganz so weit, nur nach Gries zum Kirchebner will ich und die Vroni fragen, ob sie Anichbäucrin werden will.“

Da sprang ihm die Schwester wieder an den Hals und hüpfte, daß die Häfen auf den Brettern sprangen, und ihre Freude währte eine gute Weile, ehe sie wieder nachdenklich ward. Daß er diesen Weg noch vorher unternehme, das begreife sie. Wenn er erst das Wort der Vroni habe, brauche er sich vor Innsbruck nicht mehr fürchten. Ja, das begreife sie, und sie hielte es an seiner Stelle, als ein Mannsbild, nidit anders. Eine andere Frage sei freilich, ob das Vronele jetzt so rasch bei der Hand sei. Man habe wohl in den letzten Jahren nichts mehr von ihr vernommen, freilich audi nicht, daß sie mit einem anderen Burschen gehe, oder bereits einen Mann genommen habe. Nur sei die Vroni keine, die länger unverheiratet bleibe, als dies nötig sei. Sie habe auch keinen Peter zum Bruder.

So redeten sie noch eine Weile, und, die Schwester wog alle Gründe für und gegen ein Gelingen, schließlich ward sie in dem einen Gedanken wieder ruhig, daß es einen zweiten Peter ja auf der Welt nicht gebe und daß sie sich ein Mädchen, das einen solchen Werber nicht erhören wollte, nicht vorstellen könne. Diesen Gedanken behielt sie aber für sich. Sie hatte auch den Bruder seit des Vaters Tod nicht so heiter gesehen, und sie wußte jetzt, daß ihre eigene Freude nicht allein von dem Jawort der kleinen Vroni abhing, sondern von alledem, was nun wieder in dem Bruder vorging, selbst wenn er nichts darüber verriet, ja wenn er sich, genau besehen, auch nidit viel anders benahm, als die Tage vorher.

Als der Sonntag herankam, madite sich Peter, wie einst mit dem Vater, so zeitig auf den Weg, daß er in Seilrain die Messe hören konnte. Es war aber diesmal über den Kalkkögeln kaum hell, .und der späte Mond hing breit und windschief im Himmel. Peter begrüßte ihn wie einen langentbehrten Freund, und es besdiäftigte ihn die Frage ein gutes Stück Weg, weshalb der zunehmende Mond, auch wenn er längst über das erste Viertel hinaus sich der vollen Scheibe näherte, lieblich herniederblicke, der abnehmende jedoch uneben, ja häßlich anzuschauen war. Sicherlich hatte es der abendlidie Mond leiditer, stieg er doch als ein Ankündiger naher Ruhe und schöner Träume, als ein geruhsames überirdisches Schlußzeichen eines irdischen Tages in den Himmel. Der abnehmende, der morgendliche war leidit frostig und hart wie der junge Tag, vor dem er als ein Bote ging, ein bald schon verlöschendes, ein ausgedientes Licht, das vor der Sonne nidit bestehen konnte, schreckhaft, böse wie jedes Ende. Diese Erklärung befriedigte jedoch Peter nicht. Vielleicht, dachte er, liegt es daran, daß wir den zunehmenden Mond nur hodi am Himmel und in geringer Größe erblicken, während das abnehmende Gestirn auf den Kuppen und Wäldern aufruht und uns größer erscheint, als es dem menschlichen Auge gefällig ist; es ist aber sicherlich auch nicht das nämliche, ob die halbe Scheibe sich nach links oder nadi rechts rundet, das Geheimnis des Kreises spricht hier mit, das aller runden Dinge. Er empfand es plötzlich so schmerzlich stark wie noch nie zuvor, jetzt nach vielen Jahren zum erstenmal und so gar nicht wie irgendeinen alten kindischen Gedanken. Und wie in seinen alten Tagen griff er nach seinem Schreibbüchlein, doch er trug es nicht bei sich.

Und da er über seine so leichtfertige Hand sich ärgerte, erschrak er zugleich tief, daß er da nach Gries hinauf stieg, zu den Kirchebnerischen, zum Vronele, und den Weg über den Geheimnissen des angenehmen und des unangenehmen Halbkreises nachhing, als sei zwischen seinem ersten und dem nun vor ihm liegenden Besuch nur eine Nacht verflogen, höchstens eine Woche. Die Vroni aber wußte es gewiß besser, sie hatte die Jahre gezählt, wenn sie noch zählte, diese fremden, langen Jahre, wie es ungenutzt verflossene nun .einmal sind. Er hatte — jetzt spradi sein Gewissen, als habe es die Tage her gründlich geschlafen — noch nie einen Weg leichtfertiger ,

angetreten, so recht als ein halbwüchsiger Bursche, der sich allein auf sein Glück verläßt, auf einen rechten Gedanken zur rediten Zeit,

Ein solcher kam ihm denn auch, ehe er es sich versah. Er konnte dodi ruhig vorgeben, daß er bloß der Mutter wegen nach Kühtai gehe und im Vorübergehn eben audi bei den alten Freunden zukehre. Machte dann die Vroni ein freudiges Ge-sidit, und baten sie ihn fröhlich zu Gaste, dann konnte er sich alles geruhsam ansehn und auch die rechte Frage zur rechten Stunde und Gelegenheit stellen. War das Mädchen frostig oder gar wiederum spöttisch, dann konnte er sogleich ein Stück weiter gegen Kühtai wandern. Er brauchte dann auch erst nicht fürchten, daß seine immerhin seltsame Werbung am Ende noch ins Gered käme.

Peter kam diesmal knapp zur Predigt und stellte sich hinter den Torpfeiler. Es kümmerte sich auch niemand um ihn. Doch als er die Stimme des alten Kuraten wieder hörte, da spürte er seinen Vater so nahe bei sich, wie auch an jenem Sonntag vor acht Jahren nicht, als er ihn noch leiblich hinter sich gewußt hatte. Er durfte auch mitten unter den Kirchleuten mit ihm reden, ohne irgendwelche Angst, ohne ein Mißverstehen, wie mit sidi selber. Es brauchte nicht etwa vieler Worte noch einer besonderen Frage, er stand bloß still und hielt sein Herz offen. Von solchem unmäßigen Glück ließ er sich tragen wie von dem Getön der nun anhebenden Orgel und dem Auf und Ab des Leutegesanges. Und da er selber das Meßlied mitsang, war er dabei doch nicht einen Augenblick ohne den Vater, und er wußte, wie nun der Selige alles lenken werde und die Stunde recht gewählt sei.

Peter verließ dann als erster die Kirche. Doch bereits auf der Brücke hielt er im Eilen inne und trat abseits, daß das Gebraus des Wildwassers nidit seine innere Stimme störe. Es war ihm nämlich, als beriefe ihn der Vater noch einmal in die Ortschaft und unter die Leute, denen er entflohen war, zurück. Dieser Ruf überraschte ihn auch weiter nicht. War er damals mit dem Vater nadi der Messe im Wirtshaus eingekehrt, so durfte er sich jetzt, wo er mit Bedacht den nämlichen Weg ging, nicht einfadi vorbeistehlen.

Der Tisch in der Fensternische, an dem sie vor acht Jahren gesessen hatten, war noch frei, und er nahm dies als ein Anzeichen dafür, daß er wirklich seines Vaters Stimme vernommen habe. Es waren zumeist fremde Gesichter in der Stube, und ein fremder junger Mann, wohl der Sohn des Wirtes, brachte ihm Speck und Wein. Als ihn aber der erste Bekannte, der Bub eines Häuslers, der vor fünf Jahren aus Oberperfuß zugezogen war, laut begrüßte und andere nun vernahmen, der junge Anich-bauer sei unter ihnen, überfielen sie ihn mit Fragen, ja er saß bald wahrhaftig in ihrer Mitte, als sei er nach langer Reise aus einem fremden Lande heimgekehrt. Sie lobten den Vater, sprachen von seinem jähen Sterben, fragten nach der kranken Mutter und ob der Schwager in Zirl sein Haus bereits unter Dach habe, ob die Leni bereits versprodien sei und wie sie fürder die Wirtschaft führen wollten, wo doch die Arbeit in den neuen Zeiten nicht geringer und nur weniger erträglich geworden sei. Auch was er um den Streit in Hall wisse, fragten sie ihn, ob der Professor Weinhart . in Innsbruck mit seinem Kampf um eine Verbesserung der Salzförderung durchdringen werde und ob wenigstens das Salz billiger werde. Denn sie meinten, einer, der ein paar Stunden näher an Innsbruck hause, wisse audi über die Dinge der großen Welt mehr als sie im Graben. Endlich fiel auch die Frage, ob Peter im Seilrain Besorgungen habe, oder ob er weiter wolle, vielleicht bis nach Gries hinauf.

An Gries käme er diesmal nur vorbei, sagte Peter, er wolle heute noch nach Kühtai hinüber und dort etwas besorgen. Er sagte nicht was, so daß sie die Ausrede nicht merkten. Sie fragten aber audi weiter nicht darnach und nur einer meinte, beim Kirdiebner werde er doch nicht einfach

vorbeilaufen, ohne der Vroni einen schönen guten Tag zu sagen, in acht Tagen sei ja ihre Hodizeit. Sic heirate ihren Schwager, den Eglauer, einen jungen Witwer mit drei kleinen Kindern, jetzt, wo ihre Schwester an der Grippe verstorben sei. Das Vronele habe ja schon immer auf den Schwager ge-v spitzt, und er sei auch ein prächtiger Mann. Das alles aber werde er ja sicher besser wissen, als es ihm einer sagen könne.

„Freilich, freilich“, sagte Peter langsam, „wie sollte idi das nicht wissen. Wir sind ja in der Freundsdiaft.“

„Einen anderen hätt die Vroni auch nicht genommen“, rief ein anderer drein, „hat sich auch lang genug bedacht, diese stolze Person.“

Peter sagte nun zu allem, was sie nodi über die Vroni und den Witwer vorbrachten, ja, ja, so sei es wohl, dann aber stand er auf, sagte, er habe noch einen weiten Weg vor sidi, bezahlte und ging.

Bei der Brücke aber, als er sicher war, daß ihm kein Seilrainer mehr nachblicken konnte, ließ er den Weg nadi Gries links laufen und stieg rasch wieder nach St. Quirin hinauf. Erst weit außerhalb des Ortes setzte er sich auf einem Holzstoß in die Sonne. Eine gute Stunde hockte er dort, eh er heimzu weiterging.

Die Schwester machte große Augen, als sie ihn so zeitig heimkommen sah. „Bist ihr vielleicht auf dem Weg begegnet?“ fragte sie.

„Sie heiratet nächste Woche“, sagte er, „ihren Schwager, den Eglauer mit drei kleinen. Kindern heiratet sie. Unser Vater hat mich gut geleitet und keinen Schritt zuviel tun lassen. Jetzt will er, daß ich morgen zeitig früh nach Innsbruck gehe, ganz zeitig, Leni, denn morgen muß ich auch das meinige verrichten, und das braucht Zeit.“

Die Schwester redete kein Wort mehr' über die Vroni. Sie fragte auch nicht, auf welche Art der Vater ihn beraten habe. Sie rüstete den Tragkorb, tat ein schönes Stück Geselchtes hinein und einen Laib frisches Brot, dazu drei Schmalzkrapfen von zu Mittag und eine fußlange Speckseite und. ein Schock Eier. Später steckte sie auch noch ein Fläschchen Enzianschnaps dazu und eine Flasche Zirler Wein. Es sei auch etwas für die arme Marie dabei, meinte sie, da er den Korb hob, falls er Zeit erübrige für einen Sprung nach Hötting hinaus. Peter nahm das alte Rechenbüchlein aus der Truhe, eine Bleifcder und was er an losen beschriebenen und unbeschriebenen Blättern besaß. Auch tat er einen Gulden in seineYi Beutel. Für einen Tag lange das Geld, sagte er, und länger bleibe er der Mutter wegen doch nicht fort. Dann ging er zeitig zu Bett, denn er war so müde und so sehr ohne jeglichen faßbaren Gedanken, als hätte er den Weg nach Kühtai und zurück in einem Lauf hinter sich gebracht.

(Fortsetzung folgt)

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