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Digital In Arbeit

Der einzige Roman Fritz Hochwälders

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Vom Hausknecht bis zum ältesten Angestellten wußte jeder, wem man zu gehorchen habe. Hin und wieder unternahm der Chef schüchterne Versuche, sich selbständig zu machen, vergebliche Mühe, Karl Herkens schob demütige Satzperioden, der Chef sah ein und dankte ab, Herkens legte Schriftstücke vor, der Chef unterschrieb, ich weiß ja, daß Sie's gut meinen, Herkens, ich geb' Ihnen ja freie Hand, niemand soll sagen, ich hätt' Sie tyrannisiert, ich weiß. Sie sind ein fähiger Mensch, zugrund gehn wir ohnehin, Sie werdend nicht aufhalten können. Der Chef ging.

Draußen sang ein Straßensänger, ein ganzes Jahr und noch viel mehr, die Liebe nahm kein Ende mehr.

Herkens zog den Schlüssel zu seinem kleinen Privatschrank hervor, sperrte auf, besah seine Bücher, das Material, die Stenogrammhefte.

Einstweilen sei noch demütig.

Beuge dich.

Benütze.

Herkens war Funktionär einer großen sterbenden Partei. Man schätzte in dieser Partei junge Leute, die sich zu fügen verstanden.

Er war Referent in kleinen Sektionsversammlungen. Wälzte Nationalökonomie, politisches Wissen, hatte Tageszeitungen im Subabon-nement, schnitt aus, legte Mappen an, lernte.

Herkens saß im Büro, draußen im Lagerraum arbeiteten die Angestellten, der Chef vertrieb sich die Zeit im Kaffeehaus, wer scharfe Augen hatte, konnte die Firma wackeln sehen.

Die stickige, kleine Wohnung, Elend, unbestimmte Angst, erblich belastet zu sein, übertriebene Sauberkeit, Strebertum.

Vorläufig war Herkens ein lächerlich blutjunger, kaum beachteter Be-ferent.

Aber er war entschlossen, seiner Partei dereinst den Kragen umzudrehen.

TT

Hastig hatte sie den Brief geschrieben, es waren ehrliche, vom Herzen kommende Worte.

Stephansplatz, das große Tor, hoch der Turm, die seltsame Uhr.

Entschuldigen Sie die schlampige Schrift, ich schreibe in der ersten Empfindung, denke, daß* Sie der Richtige für mich sind ,><-&#9632;'

Sie genierte sich, in die Expedition hineinzugehen.

Die Gnädige wird in der Küche warten.

Trag ich den Brief hinein oder nicht?

Expedition, Regale, Fächer, an den Schaltern Leute, die annoncieren wollen, Geld rollte.

Grete gab den Brief ab. Die Chiffre ist drauf. Unter „Zukunft”.

Angenommen, er holt ihn heute noch. Antwortet noch heute. Das wird er aber nicht tun.

Sie ging langsam, das leere Einkaufskörbchen, sie wiegte sich in den Hüften.

&#9830;

„Hör', Käthe, kannst du mir nicht für eine Woche aushelfen? Ich bring es dir nächste Woche aus der Tschechei ... Ich ”bitte dich, Käthe, du hilfst mir aus einer entsetzlichen

Situation ...”

„Ja ... wieviel brauchst du? ...

„Fünfhundert mindestens!”

„Soviel hab ich nicht ...”

„Sicher! Sieh nur nach! Du bekommst es doch bestimmt wieder zurück!”

„Ich glaub' dir ja, Georg! Ich vertrau dir ja ... Helf dir auch riesig gern ... Mein Mann hat einige Hundertschillingnoten im Kleiderschrank versteckt, glaub ich ... Bis Samtag hab' ichs ja wieder ...”

„Süße!”

„Gib acht, bitte!” „Oja...”

Sie stritten häufig, dann flüsterten sie aber, und je heftiger der Streit wurde, umso mehr dämpften sie ihre Stimme, die Wände haben Ohren, zü den Nachbarn drang eher das Zwitschern des Kanarienvogels als der Streit der Eheleute.

Der Vogel war das einzige Lebewesen, welches von der häßlichen Frau Anna Laubenbeck geliebt wurde, und es lag nur in ihrer Natur, daß ihre Liebesbezeigungen sich häufig in Qualen für den Günstling verwandelten.

Sie stand lange vor dem kleinen Käfig, neckte und ärgerte den kleinen Kerl mit einem Stäbchen, und wenn der Vogel mit gesträubten Federn auf seiner Stange saß und blind vor Wut nach dem Stab pickte, freute sie sich und gab ihm unsinnige Koseworte, fuhr fort, ihn zu quälen.

Ihr Antlitz bot dann ein Bild abscheulicher Häßlichkeit, die Freude formte ihre Züge, die schielenden Augen, das mongolisch grobe Ge-

sieht zu einer widerlichen Fratze.

„Sagen Sie dem Kreisleiter ... Wie bitte? - Aber selbstverständlich, ich verzichte auf die Honorierung, es ist Ihnen ja bekannt, daß ich nicht um materieller Vorteile willen ... Ist aber nicb.t notwendig, Herr Doktor! - Ja, leider ... Der Beruf nimmt mir kostbare Zeit weg. Ich muß alles nach Büroschluß wälzen. - Ewig wird's ja nicht so fortgehn ... Ich bin überzeugt, daß ich zum Nutzen der Partei ... Das wäre also Donnerstag, sagen Sie ... wieviele Leute faßt der Saal? - Zweihundert, na also ... Das Thema ist sicherlich sehr aktuell, man kann mit starker Beteiligung rechnen ... Ich habe natürlich bis Donnerstag nicht eine Sekunde Freizeit, ich muß noch in aller Eile Material sammeln ... Nein, keine Angst, ich werde weder Sie noch mich blamieren ... Der soll nur kommen, umso besser ... Das wird ja ein fabelhafter Abend, alle Parteigrößen ... Wir werden ja sehen ... Also vielen Dank, Doktor! Dem Kreisleiter empfehl ich mich bestens! ... Wiederschauen! ...”

&#9830;

Der Portier dienerte. Verbindung mit der Schweiz, jawohl, sofort, wird aber einige Zeit dauern.

Langemann setzte sich in den Korbfauteuil, fühlte mit der Innenfläche der Hand sein glattes Gesicht, wohltuend so fein rasiert zu sein, er besah die Reiseprospekte die auf dem Tisch lagen, ein Auktionskatalog. Möglicherweise ist sie wirklich daheim. Wenn sich niemand meldet kostet das Gespräch nichts. Und wenn es auch was kostet, egal ...

Langemann saß weltmännisch da, wurde auch vom Personal zuvorkommend behandelt, er hatte Geld, das wußten die Leute.

Damals war er als armer Teufel in Wien gewesen, in kurzen Hosen, Weltwanderer bittet um gütige Unterstützung, er hatte wie toll gefochten, öfters zehn Schilling in einer einzigen Wirtschaft.

Oh die schlechten Zeiten!

Durchfroren im Heu, auf einsamer Landstraße im strengen Winter, monatelanges Alleinsein, wandern müssen, einfach ohne Sinn wandern

Der Auktionskatalog ruhte auf seinen Knien, der Zigarettenrauch stieg in die Halle.

Der Portier meinte, es werde ungefähr fünf Minuten dauern.

Vorüber. Die schlechten Jahre hatten ihn nicht untergekriegt, er war zu Geld gekommen.

Die Schienenstränge.

Sein freches Maul half ihm überall weiter. Das Geld glitt ihm durch die Finger.

Die alten Bekannten von damals besuchen. Else und Christi. War schön, damals in der Lobau.

Ist ja nur für einen Tag, morgen muß ich weiter.

Der Portier hob den Hörer, reichte ihn Langemann entgegen. Der, die Zigarette im Mund, nahm ihn, das kantige Antlitz rötete sich schnell.

&#9830;

Die erste Sprosse der Leiter. Das Beferat.

Herkens ging an dem großen Warenhaus vorüber.

Die Pracker bei ihren Obstwagen schrien sich heiser.

Süße Weintrauben!

Herkens blieb stehn, hörte das

Gebrüll. Zuckersüße!

Autostandplatz, Kino, Schuhpalast, Beklame, die Menschen drängten.

Herkens hob die Hand, massierte . die Kehle.

Seine großen dunklen Augen glänzten.

Man kann nur sprechen, wenn man was weiß.

Ich pfeife auf die Wissenschaft, interessiert mich persönlich nicht im geringsten.

Unbehagen.

In ein dumpfiges Zimmer treten, überall Dreck, Unordnung. Werden wir schon deichseln. Zuckersüße Weintrauben! Geld. Macht.

Er stand an der Ecke, die Straßenbahn fuhr, Geläut.

Er wollte in die stille Gasse einbiegen, der Kerl versperrte ihm den Weg.

Herkens lachte, kaufte Weintrauben, picksüße.

Er ging dann langsam, selbstsicher, zupfte die süßen Trauben, immer eine nach der anderen, und er fühlte die bittern Kerne auf der Zunge.

Wir müssen ein Gegenoffert stellen.

Der Chef war einverstanden.

Hell ist es heut hier.

Daheim ist es immer dumpfig.

Herkens saß auf dem Drehsessel, wartete auf das Diktat.

Der Chef räusperte sich.

Die Finger über die Tasten.

Kann blind schreiben, mit allen Fingern.

Im Mittelpunkt des Interesses.

Heute ist Dienstag.

Schreiben Sie!

Herkens nickte stumm.

Wien, den 30. ...

Das Konzept.

Das Beferat.

&#9830;

Sie riegelte die Tür ab, drehte das Licht auf, lehnte sich zwischen Spiegel und Kommode, riß den Brief auf.

Die Gnädige rief.

Einstecken. Nein. Unter die Tu-chent.

Grete kam nach einer Minute zurück.

Gut, daß der Briefträger erst nach dem Einkaufen gekommen ist, was hätte sie der Gnädigen erzählen sollen, die aber hat ihn nicht gesehen, wer war denn so lang bei der Tür? -ein Hausierer, Rüffel, mit einem Hausierer spricht man nicht so lang,

glatt abgelaufen, fein.

Sie suchte den Brief, der war in die Mitte gerutscht, sie warf die Tu-chent aus dem Bett, da lag er mit dem gelben Streifen, Rohrpost.

Sie las langsam. Die Landschule, der Lehrer sah mehr aufs Rechnen, drei Klassen waren zusammengepfercht, der Lehrer mußte turnusweise prügeln.

Erfreut. Lichtblick. Als ich Ihr wertes Schreiben las, dachte ich mir sofort, das ist das Mädchen, welches ich lang ersehnte.

Wenn es Ihnen möglich wäre, heute abend gegen 6 Uhr beim Te-getthoffdenkmal ...

Ludwig Griessmann.

Er heißt Ludwig Griessmann.

Sie ließ den Brief sinken.

Muß so weit laufen. Heut um sechs. Geht das? Weiß nicht ...

Sie schüttelte den Kopf.

Schöne Schrift. Ludwig Griessmann.

Und werde als Kennzeichen drei weiße Rosen ...

Lächeln. Oh die schönen Rosen! Die Jugend welkt bald.

Das stille schwarze Stiegenhaus. Der Schlüsselbund klapperte im Täschchen, Lüh blieb stehen, durch die hohen Fenster sah sie den nächtlichen Himmel, helle jagende Wolken und der weiße Mond. Sie stand und dachte, die Stille wohlig um sie, was kommt dann? Ins Bett sinken und eine Nacht durchwachen, nachdenken, grübeln, wozu das alles. Enttäuschung über Enttäuschung, der Mond schwamm in die Wolken, dunkel, Herbst, der Winter kommt, was wirst du anfangen, frag mich nicht, ich weiß es nicht, kalt, ein Schauer.

Lüh stieg langsam aufwärts, die kühlen Stufen, überlege, was du beginnen willst, so kanns nicht weiter -gehn. Man sollte es ganz ernsthaft in Erwägung ziehn. Sie lachte.

Sterben, Schlechtes Wort, Auslöschen.

&#9830;

Morgen. Sie wird mich weglassen. Sie muß jetzt alles tun was ich will. Sie darf mir nichts verbieten, darf mich nicht anschreien. Sonst sag ich's dem Mann, aber der weiß es schon, aber es war ein großer Skandal, wenn ich was sagen möcht, denn dann müßt er sich erst genieren. Ich bin sonst nicht so, sie war auch immer gut zu mir, nur launisch, aber wenn man so einen Menschen in der Hand hat, tut man mit ihm, was man will. Sie hätt eben vorsichtiger sein müssen. Jetzt ist's zu spät.

Literarisches Fluchtgepäck

Arbeitslose im Wien des Jahres 1933, Strizzis, Schufte und Anständige, .hungernde Dehler, Schauspieler, die nach einem Engagement gieren, Opportunisten, die sich den Nazis anschmeißen, Geschäftemacher, Menschen auf der Suche nach ihrem kleinen privaten Glück -das ist das Personal des Romans „Donnerstag” von Fritz Hochwälder, der mit dessen gleichnamigem Bühnenwerk nur den Titel gemeinsam hat. Der Roman war völlig unbekannt - bis die Writwe, Susanne Hochwälder, das Manuskript unter den Papieren ihres Mannes fand: Literarisches Fluchtgepäck Hochwälders, 1938 in die Schweiz mitgenommen, 1933 vom 22jährigen in Wien geschrieben.

Die Szenen sind kurz, die Ausschnitte aus dem Leben grell, die Sprache ist hart, expressionistisch, abgehackt. Der Roman spielt an drei 'lagen, von Montag bis Mittwoch, alles lebt auf den Donnerstag hin, der alles ändern soll, doch was das sein soll, kann man nur erahnen. Die FURCHE veröffentlicht als erste Zeitung eine Leseprobe aus einem Werk, das alle Voraussetzungen erfüllt, um in die Geschichte der Großstadtromane des 20. Jahrhunderts einzugehen.

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