6540794-1946_39_15.jpg
Digital In Arbeit

Peter Anich, der STERNSUCHER

Werbung
Werbung
Werbung

42. Fortsetzung

Es war aber schon spät geworden, und die Vroni hieß den neuen Knecht die alte Uhr auf einen Schlitten schnallen und bis gegen Sellrain mit dem Peter gehn. Weiterhin bedurfte dieser der Hilfe nicht. Sie hatten aber bereits den Hof verlassen, als Peter noch einmal zurückkam. „Wie soll ich dir aber dann den Schlitten zurückstellen?“ fragte er.

„Solang noch der Schnee liegt“, sagte sie ernsthaft, „später tat es schwierig sein. Denn zur Hochzeit von der Leni werd ich ja nicht kommen dürfen, wie mein Mann bei-samm ist.“

„Ja“, sagte Peter, „ich will dir auch die Uhr bald zurückbringen, daß du es leichter trägst. Mehr kann ich ja jetzt nicht für dich tun.“

„Jetzt freilich nicht“, sagte die Vroni. , Aber als Peter von ihr ging und dem Schlitten nacheilte, war es ihm, als habe er doch noch eine Menge zu sagen vergessen.

In den nächsten Wochen verließ Peter kaum die Stube. Er schnitzelte und hämmerte und drechselte stundenlang, und wenn ihm die Hände zitterten, rechnete er den Sternen t nach, und wenn die Hände wieder ruhig waren, riß er die Sternbilder auf die Kugel. Die Tiere gelangen ihm vor allem. Er nutzte jetzt auch kaum mehr die Vorlagen, denn er find, daß er die Figuren besser traf, wenn er sie frei hinzeichnete, so wie er sie während der anderen Arbeit sich ausgedacht hatte. Sie fügten sich auch leichter an die Rundung. Auch den Franz ließ er jetzt nicht ein. Nur der Hörtnagl kam des öftern, dann saßen sie gar einen halben Tag beisammen und werkten miteinander.

Es kamen die Weihnachtstage, und das alte Uhrengehäuse lehnte immer noch leer in der Ecke, es fiel im Jänner ein böser Frost ein, einer, der den Schnee knirschen ließ und die Stube hell machte vom Widert schein des eisigen Landes, und Peter hatte kaum das Gestell zurechtgezimmert.

Zu Lichtmeß standen auch die neuen Dienstboten ein. Sie brachten Grüße mit. Der Eglauerbauer ruhe nun bereits an die drei Wochen im Grabe. Die Vroni aber wirtschafte mit ihren beiden Kindern schlecht und recht. Sie habe freilich einige Angst vor dem Frühjahr, ob sie die große Wirtschaft auch allein leisten könne. Und was es mit der Uhr sei, ließ sie fragen.

Die jungen Leute fügten sich gut in die Wirtschaft. Sie hatten jetzt auch Zeit und Muße, daß sie sich angewöhnen konnten. Leni kam kaum von ihrer Näharbeit weg, auch die Mutter half mit, sobald sie auf war, und das kalte klare Wetter tat ihr wohl. Stundenlang saß dann auch der Franz bei den Frauen, denn die Hochzeit war für Walpurga festgelegt. Das alte Uhrengehäuse aber stand noch immer leer in der Ecke. Wie die einzelnen Rädchen nun ineinandergreifen mußten, sollten sie den Horizont auch richtig bewegen, das ahnte Peter bereits, nur bedurfte er vor allem, ehe er die Rädchen nun auch wenigstens einmal in Holz anfertigen konnte, der Uhr selbst, des allgemeinen Antriebes, eines Antriebes, der auf die Sekunde genau lief. Ehe er den nicht gefunden hatte, konnte er aber auch die alte Uhr nicht zusammensetzen.

Am Samstag, ehe die jungen Brautleute zum erstenmal aufgeboten wurden, nahm sich Peter einen rechten Mut und fragte den Professor. Er habe eine alte sehr künstliche Uhr daheim, sagte er, und wenn er sie wieder instand setze, dann wolle er sie doch so instand setzen, daß sie künftig ohne Fehl laufe. Dazu bedürfe es aber des besten Werkes, das es in der Welt gebe, eines, das haargenau mit den wirklichen Sekunden und den Zeiten des Mondes und der Sonne zusammenstimme. Keine künstliche, für den Uhrenkasten zurechtgerichtete Zeit brauche er, sondern die wahre, die reine, die himmlische.

Herr von Weinhardt ließ sich die alte Uhr genau beschreiben, so als vergewissere er sich, daß es tatsächlich um diese Uhr gehe und nicht am Ende gar um ein anderes kunstvolles Werk, dann brachte er ein Büchlein aus seiner Bibliothek. Darin war die hugenische Uhr, das Horologium huge-nianum, haargenau beschrieben, jene Uhr, die ein gewisser Hugenius in den Niederlanden erfunden habe und deren Perpendikel genau so lang sei, daß seine Bewegungen mit den Sekundenminuten der wirklichen Zeit übereinstimmten. Dieser Hugenius habe überdies auch die Ringgestalt des Saturnanhanges entdeckt und gefunden, daß das Licht sich in Wellen bewege, er habe also schon ein Anrecht darauf, daß sein Pendel, die gerühmteste Entdeckung, die unter seinem Namen laufe, an einem Himmelsglobus den gebührenden Platz finde. „Nur kann ich mir nicht vorstellen, wozu du es brauchst und wie du es anbringen willst“, setzte er rasch hinzu.

Dem Peter war, als säße ihm ein Gespenst gegenüber. „Ich hab wahrhaftig eine alte Uhr daheim“, stammelte er, „sie gehört einer bekannten Bäuerin in Gries oben. Ich bring sie dir das nächste Mal mit, auf dem Schlitten bring ich sie mit, wenn du es nicht glaubst. Jetzt ist sie noch ganz auseinandergenommen, aber wenn sie zusammengesetzt ist, bring ich sie mit.“

„Ich glaub dir schon“, sagte Herr von Weinhart ernsthaft, „ich hätte mir nur ganz schön vorgestellt, wenn deine Himmelskugel sich auch nach einem Uhrwerk beweecn tat. Aber das ist zu viel gefordert. Auch müßte das dann ein riesiger Globus sein. Der war nicht deine Aufgabe.“

Peter schwieg, aber jetzt hüpfte ihm wieder das Herz.

„Überdies“, der Pater schlug ein anderes Buch auf, „hab ich gestern' bei Herrn Gottsched eine seltsame Stelle gelesen. Dieser Gottsched ist kein Physiker oder auch nur ein Mathematiker, aber für dein Deutsch könntest schon aus seinen Schriften etwas lernen. Es gibt keinen besseren Sprachkünstler in Deutschland. Der schreibt da nun in einer Schrift von einem Bauern. Johann Ludwig heißt der Mann und stammt aus Rosebude bei Dresden. Dieser Bauer hat sich ohne welchen Lehrer die mathematischen Anfangsgründe nach einem Büchlein von Professor Wolff angeeignet. Er konnte auf alle Fragen aus dem Buche behend und richtig antworten, steht da. Herr

Gottsched verwundert sich sehr über diesen Bauern. Was tat Herr Gottsched sagen, wenn er um den Anich Peter wüßte?“

Als Peter an jenem Abend heimkehrte, fand er die Mutter allein in der Küche. Die Leni sei müd und schon schlafen gegangen, sagte sie. Und die Dienstboten? „Die haben heut aufgekündigt. Die Leni hat sie auch gleich fortgeschickt. Der Bursch ist nach Innsbruck hinunter und die Dirn wieder heim nach Gries. Ich hab ihr auch gleidi den Schlitten für die Vroni mitgeben.“

Peter legte das Büchlein über die hugenische Uhr auf den Tisch. „Und weshalb haben sie uns aufgekündigt?“

„Die Leut haben sie abgeredet.“

„Meinetwegen hat man sie abgeredet.“

Die Mutter schwieg, dann sagte sie: „Braucht der Peter nicht um solche Leut lang weinen. Auch vor der Sonnenuhr haben die Leut so dahergeredet. Der Franz war auch schon beim Kuraten“, sagte sie dann sehr rasch, „und hat das morgige Aufgebot wieder abbestellt.“

„Der Franz hat das selber getan?“ Jetzt litt es ihn nicht mehr auf der Bank. Er rannte ans Fenster und auf den Flur hinius. Dann kehrte er langsam zurück und nahm die Mutter bei der Hand und legte se.nen Kopf auf ihre Schulter.

„Er hat es getan, daß du deine Himmelskugel vollenden kannst. Schon nach zwei Tagen ist es ja losgegangen. Wir haben dir nur nicht das Herz schwer gemacht. Nur eine Bitte hat die Leni an didi: du darfst dich nicht beirren lassen und kein Wort darüber reden. Sie hat ein Recht auf diese Bitte. Wenn die Kugel fertig ist, werden sie dann heiraten. Es wird schon gehn. Alles in deinem Leben ist bis jetzt noch gut abgelaufen.“

Am Walpurgatag war das hugenische Pendel fertig. Es hielt die Zeit auf die Viertelsekunde im Tag. Auch das Geheimnis, wie er die Eisenkerne mit dünnem Messing überzog, besaß Peter nun. Der Hörtnagl kam kaum aus dem Haus. Nur daß die Dirn gleich den Schlitten und ohne die Uhr mitgenommen hatte, bedrückte Peter schwer, und was sie jetzt oben in Gries über ihn und über die Seinen denken mochten. Dazwischen stach er die Sternbilder mit der Feder, am Skorpion allein arbeitete er eine Woche.

Erst zu Georg war er mit den Bildern fertig. Es fehlte auch kaum ein Stern mehr auf der Kugel, und alle wichtigen hatten ihre Namen schön dabei. Die Kugel lief nun an den Zahnrädern und das Ticken des Pendels war ihm die allerliebste Musik. Noch kam es ab und zu zum Stenn, dann sprang Peter mitten in der Nacht aus dem Bett und bastelte bis in die Frühe hinein, bis auch die Leni drüben die Suppe kochte und sie auf den Acker gingen. Jeden Tag ging er nun mit, und zwischen den Feldern draußen verschwand auch wieder die Müdigkeit aus seinen Beinen. Er durfte nur nicht lange irgendwo sitzen. Dann fielen die Gedanken über ihn wie hungrige Heuschrecken, und wenn er aufstand, wankte er wie ein alter Mann. Oft dachte er jetzt an den Vater und wie rasch der rüstige Mann verstorben war. Auch er war die Tage vor seinem Tod so müd gewesen und so voller Gedanken.

Und einmal, es war in den ersten Maitagen, wünschte sich Peter einen raschen Tod. Seine Gedanken waren nun Herr über ihn. Wenn er an das letzte, das Triebwerk für Mond und Sonne und Sterne denken wollte, stand doch immer wieder ein riesiger Tubus vor ihm, ein selbsjtgebautes Rohr mit selbstgeschliffenen großen Linsen, auf dem Birnbaum angebracht über seiner Bank. Und wenn er dann vor seine Kugel hintrat, sah er doch nur eine ungleich größere, eine, die die Sterne innen aufgemalt hatte und hohl war, so daß die Leute in ihr den Himmel betrachten mochten, wie er wirklich hersah, kein irdisches Abbild bloß, keine umgekehrte Kugel, nein, die himmlische Herrlichkeit selbst. Und er wußte auch bereits, • wie er die Sterne leuchtbar machen wollte, und wie sie dann wandern würden über den Köpfen und die Sonne mitten unter ihnen mit besonderer Kraft und der Mond und alle Wandelsterne. Er überdeckte die fertige Kugel mit einem Tuch. Es grauste ihm vor dem eigenen Werk, so viel besser und schöner stand es nun in seinem Kopf.

Am Pankraztag fügte sich endlich das letzte Rad in das kleine Werk. Es war das hundertste, das er der Reihe nach geschnitten und wieder verworfen hatte. Und vierzehn Tage später waren alle Rädchen aus Messing ineinandergefügt, die der huge-nischen Uhr und die andern des kleinen Triebwerkes über dem Polstern. Sie zeigten die Zeiten der Sonne, des Mondes und der Fixsterne an. Und da er die Uhr in Bewegung 'setzte, lief sie und kam nicht zum Stehn, solange er den Globus bei sich hatte. Er deckte ihn auch jetzt nicht mehr zu.

Am Donnerstag nach Pfingsten sah Peter den jungen Blasius vorübergehn. Er rief ihn ins Haus. „Da“, sagte er und zeigte auf die Kugel. Der Blasius ging dreimal um das Gestell herum, dann besah er die künstlichen Bilder und las einen Stern nach dem andern ab, soweit er sie erreichen konnte, es waren ja um jene Stunde just die unbekannteren obenauf, dann schneuzte er sich kräftig.

„Morgen ist Freitag“, sagte Peter, „da wollen wir die Kugel nach Innsbruck bringen. Wenn wir zu Mittag abmarschieren und in Völs nächtigen, sind wir am Samstag früh beim Professor. Das geht doch?“

„Ja, das kann schon so gehn“, sagte Blasius. Er redete sich noch immer schwer, „aber wenn du wieder eine solche Kugel machst, dann laß mich mithelfen. Ich will es lernen. Alles will ich lernen, was du kannst.“

\„Mit der Rechenkunst allein ist es nicht getan, man muß auch die Stern gern haben. Du schaust dich um, daß wir morgen nach dem Mittagessen vier Burschen haben. Vielleicht kann einer von deinen Brüdern mithelfen und du, das sind schon zwei. Meinst du, daß du noch zwei andere dafür auftreibst? Jeder kriegt zwei Gulden als Trägerlohn. Getraust du dir, die Burschen zu finden?“

„Wenn sie erst sehn, was du da gemacht hast, kommen sie alle, aus dem ganzen Dorf kommen sie.“ Blasius umkreiste den Globus noch immer. „Aber wie sollen die vier das Ding tragen? Jeder bei einem Fuß? Das bricht, denk ich, leicht auseinander.“

„Ach“, sagte Peter, „da hab ich auf die Tragbahr vergessen.“ Er war ehrlich verzweifelt.

Der Blasius erbot sich indes sogleich. Bis zum Mittag sei die Bahre da, oder sonst ein schönes Gestell. Er nahm auch gleich die Maße der Kugel ab. Und wegen der zwei Gulden sei es nidit, sie gingen auch allein, er wenigstens und sein größerer Bruder und der Spiegl Karl vielleicht und der Polten Franzi. Seine anderen Brüder seien leider zu schwach.

„Aber einer könnt mir nach Zirl laufen und meinen Schwager für morgen einladen. Er soll kommen, wenn er die fertige Kugel noch sehen will. Auch wenn du beim Kuraten vorbeikommst.“

„Den hätt ich auch ohne dich gerufen.“

Der Schwager kam indes noch am gleichen Abend. Er verreise am Freitag, sagte er, aber die Neugier hatte ihn wohl nidit ruhen lassen. Und da er nun einmal da war, kamen auch die andern mit ihm, die Mutter und die Leni und der Franz, und es dauerte nicht lang, da war auch der Kurat unter ihnen. Sie alle erblickten die Wunderkugel zum erstenmal in ihrer Vollkommenheit, und sie taten gleich dem Blasius, schweigend und feierlich umschritten sie das Gestell und suchten die Sterne ab und fragten nach der Uhr und nach den Rädern und wie da alles litfe, und fragten, wie viele Sterne darauf -r?rzeichnet seien. Es waren aber gezählte achtzehnhundertzweiundsechzig Sterne und sechsundsiebzig Sternbilder.

Der Schwager hatte auch zwei große Flaschen Wein mitgebracht, den tranken sie dann und ließen die Kugel und den Peter leben. Sie nannten ihn Meister, und der Kurat hielt eine mächtige Rede, und die Leni wischte sich die Tränen ab, und die Mutter saß mit geschlossenen Augen dabei. Peter aber wußte am wenigsten unter allen, was da geredet ward, er wußte nur, daß ihm sehr viel leichter ums Herz war, und doch nicht so leicht, wie er es sich vorgestellt hatte. Er begriff nur alles noch nicht ganz.

Die Nacht über aber ließ er die Lampe brennen, daß er, sobald er die Augen auftat, die Kugel vor sich sah, denn er wußte noch nicht, wie alles weitergehen sollte, wenn sie nicht mehr in der Stube stand.

Am nächsten Tag fuhr die Leni in aller Früh um Futter. Dann blieben sie daheim. Es war ein klarer, ein strahlender Tag. Nur über dem Wettersteinberg zogen didie, dunkle Wolken. Schon lang eh noch die Suppe am Tisdi stand, kamen die Burschen angerückt. Der Blasius, sein älterer Bruder, der Florian, der Spiegl Karl und der Polten Franzi. Diese beiden standen langmächttg vor dem Hause herum, ehe sie eintraten. Doch als sie das künstliche Werk erblickten, zogen sie nicht weiter herum. Man hätt die Kugel doch noch einen Tag, einen Sonntag über im Wirtshaus zur Schau stellen müssen, meinte der Spiegl. Auch sie fragten um die Zahl der Sterne und der Räder und wie alles gedrechselt, gehämmert und beschrieben sei. Später rückte auch der Hörtnagl an. Er hatte sich feiertäglich gekleidet. Auf dem Wiesenzaun vor dem Hause hockten die Kinder aus der Völsesgasse wie die Spatzen. Auch solche aus Ranggen waren dabei und aus den anderen Weilern, und viele Burschen standen herum und. Dirnen, manche sahen auch die Sonnenuhr zum erstenmal. Die Leni aber hatte für jeden Träger und für den Peter Geselchtes und Speck und ein paar Schmalzkrapfen gepackt. Ein ganzer Tragkorb voll von guten Sachen stand da bereit. Ihn sollte der Peter tragen.

(Fortsetzung folgt)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung