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Peter Anich, der STERNSUCHER

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35. Fortsetzung

Es waren aber auch winzige Uhren abgebildet, die in einer kleinen Schüssel Platz fanden, auch in Bechern und halben Zylindern, in kleinen Büchsen. Aber auch Tabellen waren abgedruckt, die das Auffinden der nötigen Elemente nach der gemessenen Polhöhe erleichtern konnten, schließlich zeigte ein riesiges Blatt, wie man eine Maueruhr entwerfen, genau berechnen, an die Wand pausen und ausmalen konnte, wahrhaft ohne jeden anderen Lehrmeister als die eigene Geschicklichkeit.

Am nächsten Samstag brachte denn auch Peter nebst der selbstgemessenen Polhöhe von Oberperfuß und einem schön gedrechselten hölzernen Quadranten die erste Uhrenskizze mit. Und wieder Tage später sahen die Leute den Anichbauern über der Haustür die Spalierhölzer entfernen und die Mauer neu verputzen. Der Erhardt stand dabei, die Lern kam ab und zu herausgelaufen, die Anichmutter aber saß in Decken gewickelt auf einem Schemel. Denn es war der erste heiße Tag im Jahr.

Mehr gab es freilich erst in den folgenden Tagen zu betrachten. Der Hörtnagelschmied nahm das Maß für die Eisenstangen, der Schwager aus Imst aber war mit seinem Malermeister angerückt, einem würdigen Bürgersmann mit Bäuchlein und Backenbart, und die Uhr an dem Anichhause war längst eine Sache des ganzen Weilers Völsesgasse geworden, mindestens der Buben. Peter war . freilich, schon während er dem Maler noch angestrengt zusah, merklich still geworden, und er blieb auch gedrückt, als alle das gelungene Werk lobten und der Schatten richtig fiel. Nur dem Schwager gegenüber sagte er zum Abschied, die Uhr zeige gut trotz der schlechten Malerei; keine Linie sei klar ausgezogen die Farben durcheinandergeraten, die Planetenzeichen kaum erkennbar, die Sonne mehr braun als goldengelb, von der Jahreszahl nicht zu reden.

„Ein Hofmaler ist er nicht“, sagte der Schwager, „immerhin der beste Maler im ganzen oberen Inntal. Wenn's dir nicht paßt, mach es selber.“

Sehr bös war der Schwager.

Als die Leni später aber die Sonne einen Tirolerknödel hieß mit feinen Speckstücken drin statt der Augen und des Mundes und als sie meinte, sie selber träfe so eine Sonne wohl besser, aber der Peter bestimmt, und überdies hätten sie doch ausgemacht, daß auch der Name Peter Anich daraufkam, da sagte Peter kein Wort darauf, aber sein Entschluß stand fest.

Am nächsten Samstag brachte er einen Haufen Farben aus Innsbruck mit, und am Montag in aller Frühe hörten sie ihn an der Mauer schlagen und schaben, daß die Leni erschrocken aus dem Haus lief, und als der Erhardt herüberkam, was das heimliche Getue bedeute, da stand bereits die neue Uhr an dem Hause, in freundlichen Farben und klaren Linien, mit erkennbaren Planetenzeichen und dem feingeschriebenen Namens-zug und mit einer Sonne, die selbst ihr himmlisches Urbild mit Neid erfüllen mochte.

Der Franz tanzte um die Leni herum und schrie: „Donner und Gloria, die nächste Uhr malt der Peter auf mein Haus. Zehn Gulden zahl ich dafür.“

Auch der Schwager kam an jenem Morgen. Er kam atemlos, denn die Buben hatten ihm wohl schon von dem neuen noch künstlicheren Werk berichtet. Er stand aber gar nicht lang davor und lief gleich in die Kamnfer. „Jetzt hast du mir das ganze Geschäft verdorben“, keuchte er. „Ich bin herumgerannt, und der Malermeister ist herumgerannt. Er hat dreißig Uhren erreicht, ich keine einzige.“

„Ich tat sie ihm auch niemals anvertraun“, sagte Peter.

„Dann gibt es kein Geschäft für uns. In Zirl nicht, in Unterperfuß und Kematen nicht, und von Oberperfuß red ich nicht einmal.“

; „Ich hab meine Uhr, und die ist wohl-gelungen. Oder ist sie nicht schöner als die alte? Ist auch die Hauptsache, daß der Türken auf meinem Acker gedeiht und mich ernährt.“

„Es ist ein Kreuz“, seufzte der Schwager, „alles kannst du, rechnen und messen, visieren und drechseln, auch noch malen, und alles besser als die andern und in dem Viertel der Zeit. Solche Leute braucht die Welt nicht, will sie nicht gebrauchen, verfolgt, peinigt sie.“ '

„Soll ich deshalb das Rechnen bleiben lassen und das Malen und die Sterne?“

„Mit dir ist nicht zu reden“, sagte der Schwager und ging.

Den ganzen Sommer über kirn nur ab und zu die Kathi auf den Anichhof. Sie erzählte, daß der Schwager einen Weinhandel angefangen habe, aber gut gehe es auch in diesem neuen Geschäfte nicht.

Die Uhr auf dem Erhardthaus gefiel den Leuten noch besser. Auch der Wirt aus Unterperfuß bestellte eine, und bei dieser Sonnenuhr malte Peter Berge und Wiesen und Almen und Wolken unter das Gestirn, so künstlich und leicht, daß kein Fuhrmann vorüberkam, der das neue Ding nicht anstaunte und eine Halbe mehr trank. Auch der Wirt legte seine zehn Gulden auf den Tisch.

Jeter aber schnitt sich in jenen Tagen einen kleinen Holzwürfel zurecht, höhlte ihn sauber aus, und in drei Tagen stand eine handliche Sonnenuhr fix und fertig vor ihm. Die erste brachte er dem Pater. Der stellte sie in einen Glasschrank zu den Erdkugeln aus Nürnberg mit einem Täfelchen daran und zeigte sie den Studenten. Die zweite schickte Peter mit einem Boten an den Schwager. Der ließ durch die Kathi sagen, er freue sich über das zierliche Geschenk und es sei genau das, was er sich immer gewünscht habe, aber zu verdienen sei mit den Sachen ja doch nichts. In die dritte schnitt Peter sauber seinen Namen und stellte sie auf seinen Tisch. Auch wenn sie in der Stube nicht die Stunden anzeigte, sein Herz erfreute sich an ihr, und er trug sie auch oft auf den Acker mit wie das Logarithmenbüchel oder die Trutznachtigall.

Eines Abends sah Peter den Kuraten vorübergehn. Der hochwürdige Herr kam bald den Weg wieder zurück, blickte lange Zeit zur Sonnenuhr hinauf und trat dann rasch ins Haus. Peter rief die Mutter und die Schwester herbei und führte ihn in die Stube. Der Kurat bat Peter aber in die Kammer hinüber, stürzte sich auf die Bücher und Schreibhefte, ließ sich ein Rechenbeispiel erklären und wog das Sonnenührchen in der Hand. Dann bat er Peter, daß er ihn heimzu begleite.

Den Weg über redeten sie viel von Innsbruck und wie alles gekommen war und weiterging. Als sie aber zur Kirche kamen, schritt der Kurat bedächtig zwischen den Gräbern hin, dann zeigte er auf die mächtige leere Südmauer der Kirche. „Ich hab mir immer schon einen Christophorus auf diese leere Wand gewünscht“, sagte er, „bis heut hab ich weder das Geld aufgetrieben noch einen richtigen Maler. Ich denk, eine schöne mächtige Sonnenuhr tat' sich auch nicht schlecht ausnehmen an dieser Wand. Warum sollte die Kirche keine Sonnenuhr haben, schon für die Brodler, die niemals am Sonntag zur rechten Zeit kommen? Das ganze Dorf tat eine Freude haben an dieser Uhr. Hart eigentlich erwartet daß ich den Peter nicht erst lang und breit zu bitten brauch.“

Peter starrte noch immer die herrlich freie Wand an. „Das hätt ich mir nicht einmal zu denken getraut“, sagte er leise.

„Allzuviel Demut “stinkt nach Hoffart“, rief der' Kurat. Er schwieg aber, da er“ die hilflosen Augen des Bauern sah. „Von dir hab ich nichts anders erwartet“, setzte er dann hinzu, „der höchste Ruhm wird einem meist erst im Alter und nicht schon mit dreißig Jahren zuteil. Oder kann sich ein Bauernbub mehr wünschen, als daß man seinen Namen in Ehrfurcht nennen wird, solang diese Kirche steht?“

„Mir ist das nur noch niemals so wichtig vorgekommen“, sagte Peter jetzt und trat prüfend noch weiter in das Gräberfeld zurück, und als er den richtigen Standort gefunden hatte, entdeckte er, daß er neben dem Grabe seines Vaters stand. Ein jähe? Glück schlug in sein Herz.

„Die Spiegl, die Witting, die Hörtnagl, die Ranalter“, sagte der Pfarrer rasch, „alle liegen sie seit zwei- oder dreihundert Jahren auf diesem Freithof. Ein einziger Anich ist darunter, und dieses einzigen Anich einziger Sohn hat sich ein so unvergängliches Denkmal gesetzt. Das werden die Leute in hundert Jahren sagen. Wollen hoffen, daß es nicht der letzte Anich ist.“

„Man kann nicht alles auf der Welt haben“, sagte Peter.

Dann bat ihn der Kurat in den Pfarrhof hinüber. Er brachte Wein, und sie tranken auf das Gelingen des großen Werkes. Der alte Herr war sehr aufgeräumt. Von den alten Zeiten redete er, auch wie er sich damals über den halbwüchsigen Peter erbost habe, nach der Nacht im Kirchturm damals, und über die Bank auf dem Birnbaum. „Nur deinen Vater hab ich nie begriffen, daß er dich nicht geprügelt hat“, setzte er mit mächtigem Lachen hinzu. „Er hätt nur nicht so jäh sterben dürfen, und doch wie sehr hat auch in diesem Fall der Herrgott gewußt, was er tut. Wie schwer war ihn das Sterben angekommen, hätt er es vorausgewußt, seinen Tod und diese Stunde, in der sein Peter ein geachteter Mann werden soll und bald in aller Munde sein wird, aber diesmal rechtschaffen und ohne Nachgeschmack.“

„Ich war dann schon vor zehn Jahren so weit gewesen“, sagte Peter.

„Und heut ein tüchtiger Landmesser.“

„Wer sagt dir denn, daß ich ein Landmesser werden will?“ Peter hatte sich aufgerichtet. Der Kurat stellte den Krug scharf auf den Tisch. „Ich hab's ja gewußt“, sagte er, „der Peter ist nicht d#mm, der Peter kann allerlei, was andere Bauernburschen nicht können, aber Ziel hat er keines. Ein klares, ein unverrückbares Ziel. Oder willst in deinen alten Tagen einmal auf dem Birnbaum sitzen und die Stern anhimmeln, willst du das? Oder Trigonometrie treiben und Logarithmen auswendig hersagen ins Blaue hinein? Dein Vater hätt dich zu einem Landmesser gemacht, das weiß ich; Da brauchte ich ihn erst gar nicht fragen. Dein Vater war bei allen seinen Absonderlichkeiten ein Mann mit einem klaren Ziel. Niemals hätt er sich sonst den Hof erworben Und bei den Oberperfern durchgesetzt.“

„Mein Vater hat mir völlig freie Hand belassen, das weiß ich“, sagte Peter. „Und wenn ich ihm eines schuldig bin, dann, daß ich seinen Hof behalte und ein Bauer bleib.“

Der Kurat setzte jetzt umständlich seine Pfeife in Brand. „Und der heute Vaterstelle an dir vertritt, bei dir muß man trotz deiner dreißig Jahr davon reden, der Professor hat auch nichts mit dir vor? So dumm kann doch ein Professor gar nicht sein, obgleich die Herren durch die Bank keinen Hausverstand haben. Niemals hat er mit dir über deinen Beruf geredet, deinen Beruf, sage ich ausdrücklich, nicht ein Wörtlein angedeutet?“

„Da müßt doch ich etwas davon wissen.“ Auch Peter riß sich jetzt zusammen. „Und wenn er mich einen Feldmesser werden heißt, dann sag ich ihm genau wie dir jetzt, daß es nicht geht.“

Der alte Herr sprang auf und trat mit mächtigen Schritten ans Fenster. „Dann werde ich mit dem Pater reden. Wenn er mich anhört, der hochmütige Herr. Aber ja, alle schaun sie auf einen armen Kuraten herunter, einen, der sich auch um die Menschen bekümmert und nicht bloß um die Regula de tri oder einen Kegelschnitt. Jeden Tag aufs Feld, jeden Abend bis spät über den Büchern hocken, das Gestirn mit wüstem Zeug abmartern, jeden Samstag, wenn die andern Leute die Wochen in den Beinen spüren, drei Stunden nach Innsbruck laufen und drei Stunden wieder heim und dort sich anstopfen lassen wie eine Vogelscheuche. Wie du dreinschaust. Nicht einmal die Hälfte ist der Peter noch. Am letzten Sonntag bei der Predigt ist mir das so recht klar geworden, und ich hab es dem Herrgott gelobt, daß ich mir den Burschen vornehme und Ordnung mache, wo keine Ordnung ist; und wenn es sein muß gegen die anze Universitas und gegen den ganzen Peter.

Oder willst schon mit fünfunddreißig ins Grab? Das heißt sündigen gegen den gott-geschenkten Leib. Ins Narrenhaus kommst noch. Der die schöne Sonnenuhr gemacht hat, ist im Narrenhaus verstorben mit fünf-unddreißig Jahren. So werden die Leute reden, und kein vernünftiger Mann hat ihn davor bewahrt. Nein, das werden sie nicht sagen, wenigstens nicht, soweit es mich angeht.“

„Heiliger Himmel, was soll ich denn tun?“

„Verstand haben!“ Der Kurat setzte sich jetzt wieder zu Tische und tat einen festen Schluck. Er war mit der Wirkung seiner Predigt vorerst zufrieden. „Entscheiden! Mit dreißig kann sich doch ein Mensch entscheiden, ob er Bauer sein will oder ein gelehrter Herr oder ein Feldmesser. Für die Bäuerei hattest nicht studieren brauchen, für einen Gelehrten taugt ein Bauer nicht, das verstehst du noch zu wenig, für einen Landmesser taugt ein gelehrter Bauer ganz herrlich. Daneben kannst du Sonnenuhren fabrizieren oder in die Stern gucken oder heiraten oder nicht heiraten.“

„Auch als Feldmesser müßt ich doch von daheim fort, jetzt, wo die Mutter krank ist und die Leni allein dasteht.'*

„Weil ihr alle miteinander kein Ziel habt, nur Flausen im Kopf. Die Marie und die Leni und die Kathi samt dem Kramer und alle. Es gibt doch auch Dienstboten auf der Welt. Davon weiß der Peter nichts. Und das Geld dafür soll dir der Pater vorstrecken, oder endlich Sdiluß mit der Studiererei machen und dich zu einem Feldmesser in die Lehr geben, zu einem Mann, der die Praxis versteht. Ich werde mit ihm reden. Hättest mich damals gefragt, hätt ich dir gleich den rechten Rat gegeben. Aber fragen, das können die Anichleut nicht. Immer nur der Nase nachlaufen, blind, taub.“

„Dann war ich halt nicht nach Innsbruck kommen. Ich will auch nicht, daß du mit dem Professor redest.“

Der Kurat aber hielt ihn jetzt nidit länger, auch mit dem Erfolg seiner Predigt war er nun höchst unzufrieden.

Den Peter aber sah dann eine Bäuerin über eine halbe Stunde am Grabe des Anichbauern sitzen, und da sie sich neugierig heranschlich, hörte sie ihn laut vor sich hinreden und wieder horchen, just so, als rede er mit dem Toten unter der Erde. Es kam sie das Grausen an.

Als Peter aber dann heimging, kam der Kurat so wie zufällig aus dem Pfarrhof. „Du hast dir wohl noch einmal die Uhr ausgemessen“, sagte er, „das ist recht. Auch der Löwe umkreist seine Beute lange, bis er sie anspringt.“

„Ich habe bloß mit meinem Vater geredet“, sagte Peter1.

Der Kurat tat weiter nicht arg verwundert über diese* Antwort, er vertrat ihm auch nicht den Weg. „Und was hat der selige Herr Vater gesprochen?“ fragte er.

Peter überlegte nicht. „Er meint, wem ich auch kein Löwe sei, eher ein Has, so sollt ich doch bleiben, der ich bin. Ob mich die Leut deshalb mögen oder nicht mögen. Auch auf ein oder zwei Jahre kam es nicht an, ob einer früher in die Erde steigt. Gegenüber der herrlichen Ewigkeit, meint er.“

„Immerhin hat es der Vater leichter gehabt. Er hat seinen Hof einem Buben hinterlassen.“

„Darin hat, er es leichter gehabt, aber er meint auch, wenn einer einmal alles über die .Stern weiß, dann kann er ohnedies nicht mehr wissen und lernen in der Welt, nicht Schöneres und Höheres, meint er. Und dazu wird die Zeit schon noch langen.“

„Ja, wenn einer einen solchen Ratgeber und Fürsprecher hat.“ Der Kurat wandte sich ab. Doch während der andere seinen Weg fortsetzte, rief er ihm noch nach: „Die Sonnenuhr aber mach Er mir bald, ehe das schlechte Wetter kommt.“ Peter nickte.

„Und bezahlen kann ich dir nichts, das weißt du doch.“

„Ich hätt auch keinen Kreuzer verlangt“, sagte Peter und ging.

(Fortsetzung folgt.)

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