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Peter Anich, der STERNSUCHER

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21. Fortsetzung

Peter trat nun schon sehr viel sicherer an die Schaukästen heran. Da lagen nun freilich Dinge hinter Glas, die er kaum geträumt, geschweige auch nur dm hellen Tage gedacht hatte, so überaus künstlich warefi sie gefügt, so seltsam und dunkel in ihrer Form und Art. Manches Ding schien allein ein Gewirr von messingenen Scheiben und Platten und Bogen, darunter stand dann etwa das Wort: Astrolabium. Andere wiederum waren sehr zierlich anzusehn, und bei einem dieser kleineren Instrumente tat Peter wahrhaftig einen gemessenen Juchzer: Auf einer Messingplatte waren zwei schön geschweifte Plättchen angebracht, auch sie aus Messing und mit Ziffern und Maßstrichen versehen. Als er nun die Plättchen genau untersuchte, da wußte er auch sogleich, daß einer mit diesem Ding wunderbar visieren konnte. Die ihm zugekehrte Platte war mit drei Löchern versehen, die ungleich groß senkrecht untereinander gebohrt waren, die ihm abgekehrte, ein wenig kleinere, mit einem schmalen Sehschlitz. Genau so hatte er sein Visierinstrument geplant, freilich erst einmal aus Holz und kaum so fein und zierlich gearbeitet, auch statt der drei Löcher einen Schlitz. Sicherlich hatten auch diese Löcher eine für ihn noch uner-gründbare Bedeutung.

Er merkte sich diese Tatsache als Verbesserung im Schädel vor, seine Augen hatten jedoch bereits einen kleinen Globus erspäht, ein uraltes vergilbtes Ding, an dem man die Länder und Meere und gar die Städte kaum mehr ablesen konnte, so gelb und schmutzig war die pergamentene Erdrinde bereits. Darunter aber stand auf einem eingeschweiften Mes-singplättchen: „Erdapfel des Martin Behaim zu Nürnberg“. Es ging Peter aber wenig darum, wer dieser Behaim war und ob der Erdapfel zu Nürnberg gefertigt worden oder zu Augsburg, nur wie er auf dem Gestell ruhte und sich leicht drehen ließ, die zierlichen Schrauben und Schräubchen, der eiserne Ring rund um die Kugelmitte: das erregte seine Aufmerksamkeit.

Als Peter sich umwandte, stand freilich eine noch größere und künstlichere Kugel vor ihm. Er erkannte in ihr nach den feingestochenen Zeichnungen und Bildern sogleich eine wirkliche Himmelskugel, die erste, vor der er nun stehen, die er betasten durfte. Da lag der Krebs breithingestreckt, bäumte sich der Stier, sprang ein fein gezeichneter Widder, zielte der Jäger mit geschmeidigem Bogen nach dem Skorpion. Ach, es verging ihm schier der Mut, wenn er diese feingestrichelte, dabei zarte Malerei besah und die vielen, die unzählbaren, doch sicherlich genau bestimmten Punkte und Pünktchen dazwischen. Er klopfte vorsichtig an die Oberfläche und merkte, daß die Kugel aus Holz gebaut und mit Papier überzogen war, ein Papier, das freilich wie Pergament hersah. Unbegreiflich war ihm bloß, wie der Meister das Papier wohl geschnitten haben mochte, daß es sich schier nahtlos an die Kugel fügte.

Doch auch diese Frage konnte er nur bei sich vermerken, denn da er jetzt die Augen hob, stand er vor einem seltsam verdrehten und auf den ersten Blick verwirrenden Instrument, das ihn aber sogleich wahrhaftig begeisterte wie kein anderes im Zimmer. Zwischen großen und kleinen Kugeln, Scheiben und Bogen und Röhren stand es mächtig aufgebaut vor ihm in gebührendem Abstand von all diesen geringeren Dingen und sichtlich auf dem Ehrenplatz der Sammlung, über alle Maßen prächtig stand es da. Auch dieses Instrument war, wie auf dem Schildchen darunter stand, ein Astrolabium und von einem Andreas Klinger in der Stadt Nürnberg erbaut, es war aber auch auf den ersten Blick so recht das, was sich Peter unter einem künstlichen Meßinstrument vorgestellt hatte. Er zog denn auch, da er eine ganze Weile staunend davorgestanden hatte, sein Büchlein aus der Tasche und zeichnete mit der Bleifeder, was sich ihm darbot. Den hölzernen Fuß konnte er sich freilich feiner gedrechselt vorstellen, aber Herr Klinger in Nürnberg war ja kein Drechsler, dafür wohl ein gewaltiger Meßkünstler gewesen. Eine hohe Messingstange mit allerlei noch schwer zu deutenden Schrauben und Hebeln, sichtlich dazu bestimmt, daß man die einzelnen, durch Gelenke verbundenen Teile des Fußes in jede

gewünschte Stellung bringen und in der dann nötigen Lage fixieren konnte. Dieser Metallfuß lief in eine messingene Kugel aus, diese Kugel aber ruhte wieder inmitten eines Metallringes, der wohl zwei Fuß maß und mit Gradstrichen deutlich versehen war. Durch gekreuzte Querbalken mit der Kugel verbunden und über dem Gradkreise nach allen Richtungen schwenkbar aber stand da eine mächtige, dabei zierliche Visierstange mit drei auf das feinste gearbeiteten Visieren hintereinander, zwei an den Enden der ungleich langen Arme, das dritte in der Mitte der Stangen dort, wo der Kreisring auf der Kugel aufsaß. Was sich also anfänglich als ein rechtes Durcheinander dargeboten hatte, erwies sich beim Zeichnen als eine gar einfache und durchaus zweckmäßige Sache, und, wie es nun sauber mit wenigen und zarten Strichen in dem Büchlein stand, fehlte wohl kein wichtiger Teil. Bloß die Visiere sah Peter noch nicht deutlich genug. Er stieg nun auf einen Stuhl, so daß er in gleicher Flöhe mit dem köstlichen Instrument stand und auch die Glaswand ihn kaum mehr behinderte. Das Visier am kürzeren Armende und das in der Mitte, beide waren wiederum einfache Sehschlitze, jedoch durch einen haardünnen Draht in der halben Höhe des Schlitzes noch quergeteilt, so daß das Auge beim Durchblicken leicht den rechten festen Stand bekam und auch festhalten konnte. Das dritte Visier aber war mit zehn Löchern versehen. Weshalb der Meister in Nürnberg just zehn gewählt hatte, war Peter freilich unerfindlich, immerhin war jener ein Meister, also hatten sicherlich auch die zehn Löcher ihren Sinn.

Ein anderes stellte freilich die Kunst des Nürnbergers auf eine schwere Probe. So wie das Instrument da vor Peter stand, glich es sicherlich jenem, das der Vater in den letzten Tagen seines Lebens sich ausgedacht hatte, es war nur künstlicher und wohl auch sachgerechter gebaut. Kaum aber war es jenes Instrument, das sich Peter auf dem Herweg vor Kematen ausgedacht hatte. Man konnte damit allen Schrauben und Einstellmöglichkeiten zum Trotz klar nur in der Ebene visieren, dies freilich sehr genau, und der in einzelne Gelenke aufgeteilte, feingefügte, durch Schrauben und Schwenkeisen verstellbare Fuß war sicherlich eine Entdeckung, die auch einen weiteren Weg gelohnt hätte als den von Oberperfuß nach Innsbruck. Ein Instrument für Höhenmessungen war es jedoch nicht. Dazu bedurfte es eines zweiten gleichfalls sdiwenkbaren und fixierbaren Bogens, der auf dem ersten Kreise senkrecht aufstand und nach allen Seiten hin verschoben werden konnte wie die Visierlatte selbst. Noch hatte Peter keine ausreichende Vorstellung, wie dieser senkrechte Bogen mit den* Visieren zusammenspielen konnte und ob er nicht auch einer eigenen Visierplatte für die Höhenmessungen bedurfte. Er zeichnete jedoch, wie es seine Gewohnheit war, was er sidi da ausdachte, sogleich in sein Büchlein. Drei Seiten hintereinander verbrauchte er, ohne daß er an die rechte Lösung dieser sehr verwickelten Frage stieß, ja am Ende erschien ihm ein solch gemeinsames Instrument eher ein rechtes Unding, wie wohl auch der Nürnberger Meister erkannt hatte. Wer da die Höhen und Flächen messen wollte, mußte eben zwei solche Instrumente mit sich führen, und auch das dünkte ihn nicht so schlimm.

„Was will der Bauer da?“

Peter erschrak vor der hellen Stimme in seinem Rücken, sprang vom Sessel und stand vor dem Professor. Mit dem Büchlein fuhr er rasch unter den Rock. Auch der Alte schoß jetzt wie ein Löwe auf ihn los. Die beiden Studiosi aber standen in der Tür und grinsten. Der Professor tat einen mächtigen Schritt heran und griff zornglühend wie wohl weiland der Erzengel vor dem Paradies nach der Hand, die das Schreibbüchlein hielt. „Was hat Er in Seiner Hand?“ schrie er, „her damit!“

Als er dann das Büchlein vor sich hatte, schlug er sogleich die kaum fertigen Skizzen auf, denn die Bleifeder lag noch darin, überflog die Seiten, blickte den Eindringling an und fragte noch immer scharf genug: „Was Er da herinnen sucht, frag ich Ihn!“

„Du bist doch der Professor, der die Stern und den Himmel kennt“, sagte Peter.

„Und aus welcher Ursach will Er 'das wissen?“ Der Pater blickte noch einmal in das Büchlein, dann auf das Astrolabium und wieder auf die Zeichnungen, und als er seine Augen nun auf dem seltsamen Bäuerlein ruhen ließ, lag kein Schatten mehr auf seinem schmalen Gesicht. Doch ehe Peter antworten konnte, er hätte sich jetzt schon viel leichter geredet, fuhr der Professor den Alten an: „Wie kann Ei- den Bauern allein im Kabinett lassen?“

Der Mann beteuerte, daß er den Eindringling wohl zweimal scharf hinausgewiesen habe, doch entweder sei der Kerl blöde oder eben dickschädlig, wie die Bauern nun einmal seien, und er hätte schon noch Gewalt angewandt, daran aber habe ihn der Professor verhindert.

,\Und weshalb hat Er den Befehl meines Famulus nicht sogleich befolgt?“

Peter tat jetzt einen tiefen Atemzug. „Wenn ich schon umsonst vom Mittelgebirg hereinlauf und den Professor nicht fragen darf, obgleich er im Nebenzimmer sitzt, und ich heut wieder heim muß, so hab ich mir wenigstens die Instrumente angesehn und etliches abgezeichnet, was ich brauchen kann. Jetzt weißt du's, einen anderen Grund hab ich nicht.“

„Und woher ist Er gewandert?“

„Aus Oberperfuß.“

„Das heißt Er weit gewandert?“

Die Burschen kicherten.

„Wenn einer zwanzig Jahr gewartet hat, ist es weit genug.“

Jetzt platzten die Burschen heraus. Der Professor aber rief ihnen ein scharfes Silentium zu und sagte zu Peter: „Komm Er in meine Stube!“ Er ging ihm auch sogleidi voraus und schloß rasch die Tür. Dann legte er das Sdireibbüchlein auf den Tisch, blieb aber selber stehn. „Red Er schon, was Er auf dem Herzen hat!“ Peter kam auch jetzt zu keiner Antwort, denn der Professor ergriff das Büchlein wieder, zeigte auf die erste Skizze und sagte: Unser Astrolabium hat Er gut getroffen, was aber will Er mit dem übrigen Gekritzel?“

„Nichts“, sagte Peter, „ich dachte bloß, es müßte auch ein Instrument geben, mit dem man in der Fläche und in der Höhe zugleich vermessen kann. Ein solches gibt es aber wohl nicht und kann es nicht geben, sonst hättest du es längst in deinem Kasten stehn.“

„So, so“, sagte der Pater, „ich will aber jetzt endlich wissen, wozu Er diese Instrumente konterfeit? Will Er sie vielleicht daheim nachmachen? Glaubt Er, das macht sich so leicht wie ein Dreschflegel?“

„Ein guter Dreschflegel ist auch nicht ganz leicht zu schnitzen“, sagte Peter, „aber ich getrau mir auf meiner Drehbank daheim so ein Instrument schon zu fertigen. Vorerst aus Eichenholz und später aus Messing. Soweit aber bin ich noch nicht.“

„Und wo hat Er das Zeichnen gelernt?“

„Daheim.“

„In Oberperfuß gibt es einen so guten Zeichenmeister?“

„Einen Zeichenmeister hart ich schon gebrauchen können“, sagte Peter rasch. Er redete sich jetzt leicht, audi blickten seine Augen wieder klar in die Gelehrtenstube. Einen Erdapfel entdeckten sie, der gewiß kein Apfel mehr genannt werden konnte, so umfänglich stand er in der Ecke, herrlich anzusehen in seiner mächtigen Gestalt, in der zierlichen Form der blinkenden Messingteile. An der Wand über dem Globus aber hing eine Landkarte, auch sie umfänglicher als die vorhin geschaute und, das sah Peter schon von weitem, dichter mit Strichen und Schrift bedeckt, wohl auch genauer gemessen und gezeichnet. Die Gläserkasten an den Wänden standen freilich noch halbleer, nur der breite Tisch war mit Büchern und Schriften überdeckt, und mitten drin lag das Rohr zwischen Zirkeln und Gradmessern und Linealen. Durch das Fenster aber blickten heimatlich die Kalkwände des Nordgebirges.

Der Professor ließ sich in den Stuhl nieder. „Also wozu braucht Er das Astrolabium? will ich wissen. Will Er Seinen Acker neu vermessen, hat Ihm eine Lawine die Grenzsteine verschüttet, streitet Er mit dem Nachbarn, oder meint Er, man kann damit das Wetter machen?“

„Solche Karten kann man damit machen“, Peter deutete auf die Landtafel, „bessere vielleicht. Denn die du draußen hängen hast, ist alles andere als genau gemacht, wenigstens was die Gegend um Oberperfuß betrifft.“

„So, so,“ sagte der Professor lachend, „ist auch schon vor über hundert Jahren aufgenommen. Heut machen wir bessere Karten. Doch sag Er, hat Er leicht eine solche Burgk-lehnertafel daheim, daß Er sie so genau studiert hat? Es gibt nur mehr wenige Stücke im Land.“

„Ich hab bloß die draußen hängende angesehn.“

„Zum erstenmal?“

„Das merkt einer doch gleich.“

Die Augen des Paters blickten spitzbübisch. „Nun, bei meinen Herrn Studenten braucht das immer eine gute Weile. Setz Er sich doch endlich.“

„Du sagst, sie machen heut bessere Karten“, sagte Peter noch im Niedersitzen, „weshalb hängst du dann nicht die besseren auf, wenn du welche hast?“

Der Pater lachte jetzt hell heraus. „Er meint, wir hätten sie noch nicht. Das stimmt und stimmt auch nicht. Ein Stückerl haben wir, doch der Meister, der diese Kunst jetzt vor allen anderen beherrscht, ist leider seit zwei Jahren krank, so kommt die ganze Sache nicht vom Fleck.

Fortsetzung folgt

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