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Digital In Arbeit

Musik fiel hernieder in reichen Kaskaden

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Franz Michael fuhr heim, die Tasche voller Bücher, den Kopf voller Gedanken. Es war so seltsam nach fünfjähriger Pause dort wieder anzufangen, wo er vor der Einberufung aufgehört hatte. Archäologie und orientalische Sprachen. Der Universitätsbetrieb in den stark mitgenommenen Räumen wirkte ernüchternd nach der Kriegsfahrt durch Frankreich, Griechenland, Afrika. Die Grabungen, die er einst als junger Student bei Bet Safafa mitdurchführen durfte, waren auch erheblich interessanter gewesen als ihre Auswertung jetzt am Tisch des Seminars. Gleichviel, er würde zurückfinden zu geregelter Arbeit und um die Erreichung seines Zieles war ihm nicht bange. Welches Zieles eigentlich? Ja, welches Zieles — — —?

Unter diesen Gedanken schaute er auf und sah geradewegs hinein in' das reizvolle Antlitz einer jungen Frau. Das zartgetönte Oval belebten stahlgraue Augen, sie schickten Lichter über ein kluges, bewegliches Gesicht, die leicht gewölbten Backenknochen, die feine kühne Nase, den ausdrucksvollen Mund. Auf dem dunklen Haar saß ein kleiner grüner Turm, aus dem ein brauner Schleier herabwallte wie der Rahmen um ein kostbares Bild. Die junge Frau sprach zu einem Gegenüber von ihrem Beruf, ihren Plänen; anscheinend handelte es sich um Bildentwürfe zur Bühnengestaltung. Auch ihr war nicht bange um die Arbeit, die Zukunft, obwohl eine sichere Grundlage noch nicht vorhanden zu sein schien. Dann mündete das Gespräch in eine Diskussion über die Kostümbeschaffung für ein nahe bevorstehendes Künstlerfest. Die junge Frau besaß viel Charme, Franz Michael entging das keineswegs, aber sie bewies auch Geist und Witz, schließlich erklärte sie ihrem Gegenüber wie schön es sei, Wenn man einmal unter ganz veränderter Gestalt rückhaltlos man selber sei.

Franz Michael verließ die Stadtbahn, er schied mit einem gewissen Bedauern von der Künstlerin und mußte sich gestehen, daß seine Gedanken erheblich die Richtung geändert hatten.

Heimgekommen las er zerstreut in seinen Skripten, er nahm das vor, dann jenes, bis er in dem Koffer zu kramen anfing, der alle möglichen jetzt nicht gebrauchten Dinge enthielt. Ja, da war das Gewand, das er damals im Bazar von Gerasa erstanden hatte: Turban und Musselinschleier, der rosenfarbige Burnus und die bauschige blaue Hose.

Im Künstlerhause schoben sich die Menschen durch märchenhaft anmutende Kulissen. Von den Wänden, den Lustern sprang es in lodernden Farben als Band und Girlande, als Figur und Malerei. Hier blinkte es silbern, dort schwellte es violett, da drüben ahnte man den Wald der Heimat, in der Tiefe dunkelte afrikanischer Busch. Es wölkte der Atem froh tanzender Paare. Bald dufteten Ambra und bald Reseden. Musik fiel hernieder in reichen Kaskaden, in aller Augen verknisterte Rausch. Im Augenblick blühten verlorene Jahre, denn Jubel brach auf, hier warteten Lockung, Erfüllung, Genuß.

Franz Michael reihte sich ein in die tanzenden Gruppen, bald schwebte er mit einem Pagen, einer Bäuerin, einer Odaliske. Es war angenehm sich der Melodie zu überlassen, sich im Rhythmus zu finden und zu verlieren. Sein arabisches Kostüm, die mit Nußöl gefärbte Haut, sein scharfes Profil zogen die Frauen an. Wie zufällig verwickelten sie sich in dem sdiön gefalteten herabwallenden Schleier. Er aber löste sie nach kurzem Tanze wieder aus seinen Armen; noch hatte er die nicht gefunden, der diese Ballnacht gehören sollte.

Da leuchtete es türkisgrün und fliederfarben vor ihm auf. Eine kühne Farbenkomposition in einem Gedicht aus Spitzen und Taft. Das Kostüm nach der Mode des Ancien Siecle mit einem Cul de Paris umhüllte ein entzückendes Geschöpf. Blitzartig fiel ihm die Künstlerin aus der Stadtbahn ein. Zwar war sie es nicht bei näherem Zuschauen, aber die oder keine wollte er heute Abend erobern. Zwei kluge graue Augen unter einer schön geschwungenen Stirn konnte er gerade noch sehen, dann war sie entschwebt. Er folgte der fliederfarbenen Wolke, lauerte ihr auf, fing sie ab und schon legte er den Arm um sie. Er schaute auf sie nieder, die Spitzen waren echt, die Seide, der Türkis an ihrer Hand so echt wie sein' arabisches Gewand. Das Gesicht atmete Lebensfreude und Bewegung und die Gewißheit: mir gehört der Tag. Sie mußte sehr jung sein, denn in den Mund fiel noch keine Formung, um die Nasenwurzel standen so weiche Linien wie bei einem kleinen Mädchen. Augen und Stirn waren zeitlos, geschlechtslos, wunsch-und begierdefrei und erweckten auch in ihm nichts anderes als Dankbarkeit, ein so heiles Geschöpf zu sehen.

Endlich war es Franz Michael gelungen, das Mädchen ganz in seinen Bannkreis zu ziehen. Er tanzte mit ihr viele, viele Male und schattenhaft zogen an ihm vorüber seine Abenteuer in der Fremde, sein Landsknechtgebaren in Bars und Tavernen in Frankreich, Griechenland und Afrika.

Dann setzte er sich mit ihr in einen Winkel, hüllte sie in die weiße Fahne des weichen Musselins, lehnte sie an seine Schulter und in der Tracht des arabischen Häuptlings erstand die phantastische Zeit seiner Studienfahrt zwischen Damaskus und Jerusalem. Er schaute auf sein Mädchen, und in die Wolke von Lavendel, die ihrem Gewand entströmte, mischte sich der Duft der Pinien vom Berge Karmel. Er sah sich dort stehen zwischen blühenden Orangen und schwer duftenden Kamelien. Unter ihm rauschte das Meer, der Himmel spannte sich türkisblau. Es war eine Schönheit ferner und unwirklicher Art gewesen, in der seine Wanderlust und Entdeckerfreude seltsam verwandelt wurden.

Er sprach hinab zu dem fremden Mädchen von dem Ritt hinein in die Wüste. Sie schwankten auf den Kamelen mehr als bei der Fahrt über den Ozean. Schaudernd gedachte er des stoßenden, unruhigen Ganges seines Tieres und der dadurch hervorgerufenen Seekrankheit. Heiß ging der Wüstenwind, das grelle Licht drang in alle Poren, mit schmerzenden Gliedern sanken sie aus den Sätteln, als sie endlich die Palmcnpflanzung mit Brunnen, Blumen und weißen Häusern ereicht hatten.

Unvergeßlich in ihrer wunderbaren Schönheit die Nacht auf dem Dache eines solchen Hauses. Es schienen die Sterne mit ihrem glühenden Flimmern zu kreisen, zu leben, als wollten sie sich herniederstürzen im Taumel flammender Begeisterung. Und er wußte, als wäre es gestern, daß ihm im Herzen erklungen war: „aufgefahren in den Himmel, wo er sitzet zur Rechten des Vaters.“ Er hatte gelauscht, gebetet, gewartet, es war ihm gewesen, als müßten die Sterne verrinnen in ein ungeheures Feuer, in ein Licht ohnegleichen, aus dem Er treten müßte — Er, der Heiland der Welt, der Herr dieser und aller Herrlichkeit.

Und er sprach und sprach. Er fühlte, wie sie gespannt lauschte, wie seine wachsende Erregung in sie überging.

Er schilderte, wie die Mohammedaner zum Frühlingsfeste nach Jerusalem gezogen waren. Eine singende, betende Schar. An der Spitze eine dumpfe Musik, erzeugt mit Tamburin, Dudelsack und eisernen Kastag-netten, ein rhythmisches Wiegen und Schreiten. Als aus der Stadt der Gebetsruf des Muezzin ertönte, fielen sie nieder wie gemäht. Das Gesicht am Boden, nach Osten gewendet, lagen sie minutenlang wie tot und neuerlich erhoben sie sich zum Schreiten, Singen und zu ihrem eigenartig dumpf getrommelten Gebet.

Und noch am selben Abend stand er in Jerusalem, wo die Juden aus dem Osten wohnen, und sah beklommen zu, wie sich alte Männer bei den Händen faßten und mit zum Himmel erhobenem Blick singend einen Reigen tanzten. Auf ihren Häuptern schwankten pelzverbrämte Kappen, die gestreiften und schwarzen Kaftane wehten wie Flügel, die Silberbärte flatterten im Abendwind. Es war der Ausdruck der Passahfreude bei den Chassidim, Mystikern aus Polen und Rußland. Aus diesem Tanze brach eine Hingerissenheit, die ihn erschreckte, es war ihm damals, als hätte sich die Erde geöffnet und schon versunkenen Geistern wäre erlaubt worden noch einmal zu mitternächtlicher Stunde heraufzusteigen ans irdische Licht.

Ein namenloses Heimweh hatte ihn damals befallen in der Stunde zwischen Tag und Nacht in dem Lande, wo es keine Dämmerung gibt. Und plötzlich waren Glocken erklungen, denn die Christen feierten Ostern. „Alleluja, alleluja, allehija.

Landate Dominum omnes gentes —--“

„Ihr Völker alle lobt den Herrn.“

Das Mädchen saß neben ihm, die Arme um die Knie geschlungen, ihr Blick ging weit in die Ferne, in ihrem Antlitz rührte sich kein Muskel.

Und er fuhr fort: „nach dem Sabbath, beim Morgengrauen des ersten Wochentages, kam Maria Magdalena mit der anderen Maria, um nach dem Grabe zu sehen.“

Und wieder blickte er das Mädchen an. Wie viele Jahre hatte er nicht dieses Verses, seiner Herkunft, seiner Bedeutung gedacht? Und er saß hier in einem Ballsaale mit einem fremden Mädchen im fremden Gewand und war doch ganz er selbst, er selbst schien ihm, wie seit vielen Jahren nicht.

Das Mädchen sah ihn an, ergriff seinen Arm: „Was bist du für ein Diditer. Wie kannst du Märchen erfinden. Geh, erzähle noch mehr. Dein Traumland ist so schön, wo es Völker gibt, die in die Stadt ziehen, um Gott zu loben. Gibt es denn Gott, den man loben kann?“

Franz Michael zuckte zusammen. Auf einmal fror ihn, er sah die ausgebrannte Festfreude um sich, den leeren erloschenen Saal, die Musik war erstorben. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn: Dichter — Traumland — ob es Gott gibt — —l

Mit ihm zusammen erhob sich das Mädchen, der Türkis schimmerte aa der Hand, die sie auf seinen Arm legte. Sie war blaß und übernächtig, die Locken zerdrückt, dennoch hatte sie auch jetzt ein feines, klares Gesicht. Ja, die Augen, die Stirn waren zeitlos, geschlechtslos, wünsch- und begierdefrei, auch frei von der Sehnsucht, das Unendliche zu fassen. Ein heiles, noch in sich ruhendes Menschenkind. Fragend sah sie ihn an, unbefangen erfreut. Er blickte zu ihr hinab, zögerte einen Augenblick. Dann neigte er sich über die Hand mit dem Türkis.

Während Franz Michael daheim die Schminke entfernte, schlug es Dreiviertelsechs. Er folgte einem Antrieb, den er seit Jahren nicht gespürt hatte, nahm Hut und Mantel und ging wieder die Stiege hinab.

Als der Priester das Aschenkreuz auf seine Stirne zeichnete, berührte ihn dies wie Windhauch vom Berge Karmel, Wiederkehr vergessener Erinnerung.

„Bedenke, o Mensch; Staub bist du und kehrst zum Staube zurück.“ Bedenke, o Mensch — zum Staube — das Ziel — alleluja — ihr Völker alle — alleluja — bedenke, o Mensch — laudate Dominum — lobt den Herrn--—

So fiel er in Schlaf.

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