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ÖSTLICHE OSTERKERZE

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Der alte Pope des rumänischen Gebirgsdorfes betrachtete kopfschüttelnd sein Meßgewand. Es war fadenscheinig, die Goldfäden längst herausgefallen, die leuchtenden Farben verblaßt. So konnte er bald nicht mehr vor seine Gemeinde treten, um das Wort Gottes zu verkünden. Die Bittprozessionen bei Wind und heißer Sonne haben dem Gewand so zugesetzt, das Einsegnen der Gehöfte neulich am Dreikönigstag, dachte er und seufzte.

Bittprozessionen mußten jetzt hastig und heimlich besorgt werden, wenn der Milizposten betrunken im Wirtshaus saß oder gerade aus dem Dorf gegangen war. Andere Kommunisten gab es in der Gegend nicht, wenn auch manche laut die neue Zeit priesen, weil sie den Kapitalisten ihre gerechte Strafe gebracht habe. Niemand wußte genau, was das bedeutete, denn sie hatten das Wort nie gehört. Kapitalist mußte wohl so etwas wie Antichrist sein, gegen den der Pope sonntags in der Kirche wetterte.

Vor dem Milizunteroffizier mußte man sich in acht nehmen. Er sei strafweise in das Bergdorf versetzt worden, wollte der Gastwirt wissen, und das ließ schon auf mancherlei schließen. Ghitza — so hieß der Milizposten — hatte weder Frau noch Kind, stellte den Bauernmädchen nach, und die Weiber raunten sich hinter ängstlich vorgehaltenen Händen allerlei Schreckhaftes über seine Zuchtlosigkeit zw. Er war ein kurznackiger, untersetzter Mann, dunkelhaarig wie alle Rumänen aus dem Alt-reich jenseits der Karpaten. Sein Gesicht lief beim kleinsten Anlaß blaurot an. „Allesamt laß ich euch abführen und einsperren! Oder meint ihr, das könnte ich nicht?“ brüllte er oft, wenn er Zuika trank. Die Bauern glaubten wohl, daß er dazu imstande sei. „Abführen... einsperren!“ Ängstlich wiederholten sie die Worte und waren darauf bedacht, ihn nicht zu erzürnen. Wenn Ghitza sagte: „Bittprozessionen mit Singsang sind vom neuen Regime nicht gerne gesehen“ und dabei die Stirne runzelte, so waren Bittprozessionen mit Singsang eben nur hinter seinem Rücken möglich.

Der Pope war ein alter Mann, dem Leben schon abgewandt, auf ihn machten derlei Drohungen keinen Eindruck. Er versah seit fast 50 Jahren sein Amt als Seelsorger und wußte, daß jeder einmal klein wurde — früher oder später. Auch mit Ghitza würde es nicht anders sein, wenn er noch so viel fluchte, großtat und gegen die Gebote der Kirche lebte.

Der Greis zuckte die Achseln und betastete weiter sein Meßgewand: „Hier fehlt ein ganzes Stück vom Kreuze Christi! Wo bin ich denn nur hängengeblieben? Oh, ich weiß ...“ Ärgerlich zuckte es im Runzelgesicht, „an der Dornenhecke bei diesem elenden Nichifor, der so faul ist, daß er nicht einmal einen Lattenzaun um sein Anwesen zieht Als ob es hier kein Tannenholz gäbe! Er brauchte nur in den Wald zu gehen; aber lieber schläft er, der Nichifor, und vertrödelt die Zeit. Übrigens ... habe ich ihn nicht neulich mit dem Blaurock von der Miliz gesehen? Hinter der Scheunenwand des Gastwirts haben sie miteinander getuschelt. Ach, was haben wir hier schon zw befürchten! Arme Gebirgsbauern, die kaum das Nötigste zum Leben haben“!

Der Alte wischte mit dem Handrücken über seine Knollennase, die, von blauen Äderchen durchzogen, seinen Hang zum Apfelschnaps verriet, und legte das Meßgewand nieder. Die Worte seiner Frau fielen ihm ein: „Glaubst du, daß das heilige Kleid noch bis zu meinem Begräbnis halten wird?“ Vor jedem Gottesdienst hatte die Kranke daran gestickt, Blumen und Ornamente immer wieder sorgsam unterlegt und die schadhaften Stellen ausgebessert. Nun lag sie schon seit Jahren im engen Kirchhof; nur die dunklen, steifen Efeublätter wuchsen, die etwas von der Traurigkeit des Ortes hatten.

Der Dorfgeistliche war zeitlebens ein fröhlicher Mensch gewesen, und die Ehe, kinderlos und ohne Freude, hatte nichts Gutes in seinem Leben bedeutet. Gott habe sie selig, die Frau mit dem blassen Gesicht und der greinenden Stimme! Fast schien es ihm, als hörte er sie jetzt noch: „Axente... dieser Landregen! Meine Hühner werden krank!“ — „Axente... diese Hitze! Mein Gemüsegarten vertrocknet!“ — Axente dies, Axente das! Er scheuchte den Gedanken an die Frau wie eine lästige Wespe fort, die doch immer wieder kam und ihn mit dem feinen Stachel des Selbstvorwurfs stach, bis er böse wurde und zu ihr 6agte: „Jetzt ist es aber genug! Ein anderer Mann hätte auch nicht mehr Geduld gehabt... Auch ein Pope ist kein Heiliger.“ Die Wespe summte weg und meinte noch schadenfroh: „Das

Meßgewand hat sie dir doch imrrr instand gehalten. Jetzt sieh zu, wie du Gottesdienste hältst! Die Osterwoche ist nicht mehr weit!“

Die Osterwoche! Etwas mußte geschehen! Einer Bäuerin konnte eT den Ornat nicht zum Flicken geben; die Weiber des Dorfes waren ungeschickt in diesen Dingen, nur gewöhnt, das grobe Zeug aus der Wolle ihrer Schafe auf dem Handwebstuhl anzufertigen. Außerdem — das heilige Kleid in den Händen einer Dörflerin? Nein, das nahm dem Kirohengewaind etwas von seiner Weihe, seinem Geheimnis, seiner Kraft! „Seht das Gewand des Popen!“ würde sie zu den Nachbarinnen sagen und dreist daran fingern. „Wie zerrissen es ist!“ Bei der Beichte würde sie die geflickten Stellen wiedererkennen, wenn sie, vor ihm kniend, ihre Sünden gegen dias siebente Gebot gestand, beim heiligen Abendmahl mit kritischem Blick die ausgefranste Borte mustern: „Auch hier muß es geflickt werden!“ Nein, eine solche Entwürdigung durfte er seinem Ornat nicht zumuten.

Ich muß zum Bischof gehen, vielleicht gibt er mir ein neues. Gleich morgen früh will ich in die Stadt!

Dieser Gedanke machte zuversichtlich. Der Pope goß sich ein Glas mit Apfelschnaps halbvoll und setzte sich zufrieden in seine nach Osten gelegene Stubenecke. Ikonen hingen dort, mit getrockneten Reseden geschmückt, und das Ewige Licht in der Ampel brannte davor. Er musterte das Bild mit den 40 Heiligen, die, hintereinander gestaffelt, zum Himmel blickten, aus dem eine Taube herabschwebte. Die Gesichter, einander völlig gleich, wurden nach hinten zu immer kleiner, bis sie ganz in einer blauen Landschaft verschwammen. „Morgen gehe ich zum Bischof“, teilte er ihnen mit. „Und wenn mir der Lümmel von der Miliz nachspioniert, so schlagt ihn zu Boden, ihr guten Heiligen! Du, Spiridon, der du die Sarazenen auf die Lanze genommen hast, und du, Nicodim — ihr werdet doch noch mit so einem Kommunisten fertigwerden! Oder nicht?“

Auf dem Herd siedete das Wasser im kupfernen Kaffeetöpf-chen mit dem langen Stiel, sprang zischend über die Ränder, und die roten Augen des Feuers sahen lustig durch die Sprünge und Ritzen der Eisenplatte.

Am nächsten Morgen fegte der Südwind über die Höhen. Parinte Axente nickte den 40 Heiligen zu, schlug flüchtig drei Kreuze, wie es zu Beginn einer Wanderung Brauch, löschte das Feuer im Herd und verrammelte sein Haus von außen. Dann stapfte er durch den wässerigen Schnee.

Im Wald war es noch dämmerig. Der Föhn fauchte in den Wipfeln der hohen Tannen und wirbelte letzten gefrorenen Schnee durch die Luft, Aus den Tälern stieg der Orgelton des Frühlings, und es roch nach Regen. Der Weg war aufgeweicht, und der alte Mann glitt mehrmals aus. Seine Soutane war lehmbespritzt und klatschte schwer um die mageren Beine. Er hielt das Bündel mit dem alten Meßgewand sorgsam hoch.

„Bei der Lichtung will ich verschnaufen und im alten Hegerhaus ein wenig rasten“, murmelte er. Der Weg führte steil bergab. Immer mehr Birken drängten sich zwischen die Tannen, braune Troddeln hingen an tropfenden Zweigen von Haselnuß und Jungbuche, Schwarzamseln flöteten, Wiesel und Hamster raschelten durchs Fallaub.

Der Greis blieb stehen und nahm die Fellmütze ab. Der Wind verfing sich in seinem weißen Haar und trieb es hoch; doch es war nicht der kalte Bergwind, sondern ein lauer Talwind, der den bitteren Geruch von geackerter Erde, jungem Erlengebüsch und sumpfigen Wiesen mitbrachte. Schnepfen strichen mit knarrendem Ruf vorbei, der Lichtung zu.

Dort fiel ein Schuß. Erstaunt blieb der Pope stehen. Jäger gab es schon lange keine mehr, der Besitz einer'Schußwaffe war verboten — nur ein Uniformierter konnte geschossen haben!

Parinte Axente zögerte einen Augenblick, setzte dann aber seinen Weg entschlossen fort.

Das halbzerfallene Hegerhaus glich einem braunen, verwitterten Baumstamm und hob sich kaum vom Waldrand ab. Doch aus dem Schornstein stieg Rauch, und Singen drang aus dem Fenster, brach dann jäh ab. Aus der Tür trat der Milizunteroffizier und sah dem Näherkommenden entgegen. Er knöpfte seinen Uniformrock zu und fragte barsch: „Was suchst du hier?“

Sein Gesicht war gedunsen, Fuselgeruch wehte aus seinem Munde. Die Rechte hielt ein Gewehr — eine jener kurzen russischen Waffen. Sie paßte wenig zu dem Frühlingstag im wispernden, raunenden Wald, in dem die Hoffnung keimenden Lebens lag. Österlich würde sich bald die Welt ringsum schmücken, die wilden Apfelbäume blühen und alles Lebendige die Auferstehung feiern. In dieser Zeit durfte kein Schuß die Stille zerreißen. Der Pope antwortete nicht, sah nur in stillem Vorwurf auf die tote Schnepfe, die mit zerfetzten Flügeln blutig am Boden lag.

„Was geht dich dlas an? Scher dich ins Dorf zurück! Willst mir wohl nachspionieren?“ Die Stimme klang heiser vor Wut, „Was hast du da?“ Ghitza nahm das Bündel und zog das Meßgewand hervor. Es glitzerte auf dem Moos und trockenen Falllaub. „Was willst du mit dem Plunder?“ Er stocherte mit dem Gewehrlauf darin herum und schob es verächtlich beiseite.

„Heiliger Nicodim! Nimm ihn auf deine Lanze!“ betete der Pope.

Der Milizposten zuckte zusammen, doch dann fuchtelte er mit dem Schießprügel: „Ich knall dir eins auf, wenn du nicht auf der Stelle verschwindest!“

„Gib mir mein Meßgewand!“

Ghitza hob es hoch und schwenkte es wie eine Fahne. „Verlang' es doch von deinen Heiligen!“ spottete er.

Der Pope wurde dunkelrot vor Zorn und haschte darnach — doch der Milizposten wirbelte den Ornat weiter durch die Luft.

Die Tür öffnete sich einen Spalt, und ein sehr junges Mädchen sah verstört auf die Szene. Parinte Axente hatte sie erkannt. Es war Chivutza, die Tochter eines Schafhirten. „Mein Meßgewand!“ stammelte er. sF“

„Geh schont Sonst...“ Ghitza zielte auf den Popen, und das Mädchen gab ihm mit zitternden Händen ein Zeichen, den Unteroffizier nicht weiter zu reizen.

Axente mußte gehorchen und erreichte zitternd sein Haus. So etwas war ihm in seiner langen Tätigkeit als Dorfgeistlicher noch nie zugestoßen. Wie sollte er in der nächsten Zeit Gottesdienste halten? Er wachte die ganze Nacht und ließ die Holzperlen des Rosenkranzes durch die Finger gleiten.

Als es tagte, eilte er wieder durch den Wald und suchte auf der Lichtung nach seinem Meßgewand. Doch sosehr er sich auch mühte — er fand keine Spur davon zwischen Laub und jungem Gras und auch im Hegerhaus nicht. Schließlich ging er, als es Abend wurde, wieder ins Dorf.

Doch da — was lag vor seiner Schwelle? Das Bündel mit dem Meßgewand! Er raffte es rasch zusammen und trug es ins Haus, breitete den Ornat auf dem Tisch aus und sah mit Erstaunen, daß er sorgsam gestopft und hergerichtet war. Eine leuchtende gestickte Blume bedeckte eine schadhafte Stelle, und der silberne Strahlenkranz war mit silbernen Kügelchen verziert. Wer mochte das so säuberlich getan haben? Etwa die kleine Chivutza, die allein den schimpflichen Vorgang vor dem Hegerhaus mitangesehen hatte?

Die Karwoche kam mit stürmischen Winden, tiefe Wolken hingen an den Bergen, und Neuschnee deckte das junge Gras der Almen Das rechte Wetter für Buße in der Leidenszeit des Herrn! 1

Unter den Bäuerinnen, die in dler Beichte ihr Gewissen von der Last der Vergehen gegen die Gebote befreien wollten, war auch Chivutza. „Er ist nicht schlecht, der Ghitza!“ verteidigte sie den Mann, der sie immer wieder zur Sünde verführt hatte. „Er hat nur so große Angst vor der Partei, und deshalb ...“ Sie weinte und huschte davon.

Am Karsamstag zerteilten sich die Wolken, es wurde wieder warm, und als der Pope dann nach der Auferstehungsnacht vor die Kirche trat und das Kreuz gegen Osten hob, begannen die Vögel ihren schüchternen Morgengesang, und hellroter Sonnenschein lag auf den Berglehnen.

„Christus ist auferstanden!“

Die Bauern antworteten andächtig: „Wahrhaftig! Er ist auferstanden!“

Axente segnete die Osterkuchen und gefärbten Eier, schwenkte Weihrauchfaß und Weihwasserwedel nach den vier Himmelsrichtungen, löschte die Kerzen, als sich die Gläubigen entfernten. Nur die Osterkerze blieb vor dem dreiteiligen Altar brennen, falls noch jemand das Licht davon nehmen wollte.

Er war müde nach der Liturgie, welche die ganze Nacht gedauert hatte; doch der Morgen war so schön, daß er noch einen Gang am Dorfrand entlang machen wollte. Tief atmete der Pope die reine Frühlingsluft und dachte voll Dankbarkeit daran, daß sein altes Meßgewand auch dieses Osterfest bestanden hatte. Vielleicht würde es ihm — da es Chivutza so schön hergerichtet hatte — dienen, solange er noch lebt, und der Gang in die Stadt zum Bischof überflüssig sein.

Nach einer Weile kehrte er um, den Sinn noch ganz voll guter Gedanken — da sah er den Milizunteroffizier herankommen. Er erschrak. Der Pfad war schmal; ihre Schultern mußten sich fast berühren...

„Christus ist auferstanden!“ sagte der Dorfgeistliche leise. Ghitza nickte und sah scheu zu Boden. Er hielt seinen halbgeöffneten Uniformrock mit der Hand zu, als wollte er etwas darunter verbergen, und ging rasch weiter.

Der Pope hob den Kopf und sah ihm lächelnd nach. „Also doch! Es riecht nach verbranntem Tuch. Auch er trägt eine brennende Osterkerze heim!“

(Copyright by Kalmer, London)

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