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Digital In Arbeit

GENOVEVA

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Die Tage stiegen und sanken, sie wiesen ihm und seinem Bruder Paul in streng geordneter Gesetzmäßigkeit das übervolle Maß an Arbeit, den leeren, nimmer sich erfüllenden Traum an mütterlicher Liebe zu. Einige Male noch besuchte er den alten Simonlehner, bis ihm die Mutter auch dies verbot.

So ehr Genoveva mit überirdischer Liebe an Veit hing, ihre Kinder, in denen er doch weiterlebte, waren ihr fremd geworden. Ihre Liebe, verinnerlicht, gelöst von irdischem Begehren, hob sich über alle hemmenden Begebnisse, alle Sorgen und Pflichten. Die Kinder aber blieben erdgebunden* Wirklichkeit. Die Tage, die im Schrofgestein der Unholden erstarben, neigten sich, als ob sie nie gewesen wären. Was sie einst beglückte, wovon sie sann und träumte, es ruhte für immer im steinernen Schoß der Berge. Wie auch hätte sie, im Erwachen, in der Fron des Tages, im Sinnen des Abends immer die starren, den Himmel zerreißenden Zacken der Unholden im Blick, anders sein können. Mußte sie, deren Seele nimmer wiederkehrte, um auch noch am Fels das Leuchten und die selige Nähe des Himmels zu schauen, nicht durch dieses tägliche Bild beeindruckt verhärten. Wie Kulissen unter stets wechselnder Beleuchtung schoben sich die beilscharfen, gezackten Kämme der Unholden von West nach Ost, einer den anderen cberragend, ein grauschwarzer Wall gegen den heiteren lächelnden Süden. Und wie sich die Wolken in diesen messerscharfen Graten und Spitzen verfingen und hängenblieben, verfing sich in ihnen ihr Gram und blieb tagaus, tagrin, im Blick. Denn, was ist alle Schönheit der Erde, wenn das behauende Auge nidit beseelt ist von der Harmonie der menschlichen Natur?

Und doch keimte, umgeben von dieser frostigen Kühle, im Herzen Peteys der Same, der da ewig kreist. Nicht die Stille friedlicher Jahre ließ die herzenumrankende Blume vor den Augen der Menschen am Berge erblühen, im Dröhnen des Krieges, im weithin leuchtenden Fanal seiner Zerstörung, tat sich ihre Blüte auf und blieb, als der Krieg ihn rief, auch den andern nicht mehr verborgen. „Barbele“, bat er abschiednehmend, „schau auch auf die Mutter. Ich habe ihr gesagt, daß wir beide zusammengehören.“ „Ist es ihr wohl recht, Peter“, frug sie zagend. „Ich weiß es nicht“, erwiderte er verlegen, sie sagte nichts dazu.

Peter und Paul traten vor ihre Mutter, um Abschied zu nehmen. Sie standen im Flur, es war ein stürmischer Herbsttag. Keines sprach. Eine eigentümliche Stille be-drüdtte sie. Genoveva zögert, mit sich selbst im Streit, den Scheidtnden mit guten mütterlichen Worten den schweren Gang zu erleichtern. Sie ahnte, einer von ihnen würde nidit wiederkehren. Schon wollte sie zuerst Paul umarmen und dem Peter sagen, daß ihr das Barbele redit war, als ein Windstoß die Haustüre zuschlug. In der Finsternis-erinnerte sie sich jäh des Augenblicks, da sie Veit tot im Heu liegen sah. Jede zarte Regung war im Zeitmaß eines Herzschlags von der Wucht der steinernen Jahre, die sie um den Toten vergrämte, überschattet. Lebendig, gegenwärtig wurde die Stunde wieder, da sie ihn im Heu im Arm hielt. Sie reichte den Söhnen die Hand und sagte: „Geht, und ... kommt wieder.“ Schwer rangen sich die letzten Worte von ihren Lippen. Sie stieg die Stufen empor und war allein.

Die Brüder ständen noch in der Dunkelheit des Flurs und ihrer Jugend. Paul wollte hinaufstürmen und alles ihnen angetane Unrecht, alle Qual ihrer Jahre ihr zum Vorwurf machen. Peter hielt ihn zurück: „Laß sein Paul, weiß Gott, ob's nicht die letzten Worte wären . .. Komm!“ Sie gingen über den Hof in die Scheune. Paul betastete mit seinen Händen die Vorräte an Heu, Stroh, Korn und Flachs. Von der Tenne stiegen sie hinunter in den Stall, strichen über den Rücken der Tiere und füllten die Barren mit Futter. Den Schafen streuten sie Leck in den Trog. Vielfältig stiegen die Erinnerungen auf, gab es doch nichts, keine Stätte, kein Gerät, kein glänzendes, trauriges Tierauge, das ihnen nicht vertraut war. Wie vieles wäre noch zu tun gewesen, harrte noch der Arbeit ihrer Hände. Da hingen die Sensen, unter deren Schnitt die würzigen Gräser und Kräuter fielen, war nun die Zeit an ihnen.. .? Sie traten wieder in den Hof,' im harzigen Geruch des Holzes atmeten sie wieder die Tage in den Wäldern, in den Steilrießen. Wohin sie schauten, erstanden Kindheit und Jugend. Nebelsdileier jagte der Wind über die Stoppelfelder, kahl, verschwommen und düster ragten die stumpfen Äste der entlaubten Esche aus dem wallenden Grau. Einst war der Wipfel dieses Baumes ihr stolzer Thron gewesen und alles um sie her war ihnen' zu eigen und Untertan. Die Rauchfeuer des Herbstes stiegen wieder auf und das Bild des Vaters krönte die Erinnerungen. Noch einmal sahen sie zu den das Haus umsäumenden Gang, der Wind spielte mit den Blüten der Geranien. Aber die Mutter sahen sie nicht mehr. Die Mutter! Alles friedliche Gedenken fiel wieder auf den sonnenlosen Grund ihrer Seele und mit den Wolken vom Berge zogen sie dahin, in den Krieg .

Genoveva war allein. Sie sah den Söhnen nach, wie sie langsam hangab schritten und im Wald ihren Blicken entschwanden. So waren alle von ihr gegangen, die am Kreise ihres Lebens schufen. Und doch war dieser Kreis noch halboffen bis zur Rundung. Er glich einer Schale, übervoll der Bitterkeit, die niemand an die Lippen hob. Die am Tisch der Zeit und des Daseins stehenblieb. Unruhig ging sie durch die Stuben, durch alle Räume des Hofes und wieder zurück in den Flur. Sie war allein wie nie zuvor. Hätte ein Mensch in dieser Stunde einen Blick in ihr Auge, in den Abgrund ihrer Seele getan, er wäre schaudernd zurückgewichen. Sie setzte ich auf die Stufe der Stiege, legte die Hände ineinander. Was war sie noch, ein dürrer Span am z*r-spellten Stamm. Die Sturm rüttelt am losen Holz, die Treppe knarrte. Heulend jagte der Wind über das Dach. Das Gebälk stöhnte, die Jahrhunderte erwachten. Ein schleichender Schritt chlapfte über die Stiege. Genoveva sprang auf, ihr Blick lohte dem Schritt entgegen, der sich wieder entfernte. Sie trat in die dämmerige Stube und erschrak vor dem müden Schlag der alten Uhr. Lebendig Wesen knisterte im toten Holz, das ewige Licht flackerte. Dies war die Stunde, da si ich selbst erkannte.

Sie sah, wie im Zwielicht des Herrgottswinkels sich ein Schatten zum Umriß einer Betenden gestaltete. Das Geständnis einer Schuld tropfte in mühsam abgerungenen Worten in die Stille. Ein Weib, da das Antlitz eines fremden Manne im Herzen trug, bekannte ihre Schande. Sie flehte, erlöse mich, lösch au alles Fremde, gib mir die nimmer endende Liebe zu den Meinen, laß ihn wiederkehren ...

Genoveva verdeckte ihr /ftigesicht. Schritte wurden wieder lebendig, eine Türe schlug zu.

Sie sah ein irres Weib am Scheunentor, um das ein Kind spielend die Stunde verträumte. Das Bildnis des Alten, der im goldenen Boden am Feuer hockte und die letzte Glut zusammenscharrte, trat vor ihr Auge. Im pochenden Hämmern ihres Blutes, das mit vernichtender Gewalt alle gestauten Hemmnisse überflutete, das aus der Sdtattenwelt des Unterirdischen hervorbrach und das zärtlich gehegte Phantom einer Liebe in die Welt der Wirklichkeit mitriß, erkannte sie sich selber wieder. Ihre Seele, heimgekehrt von den Toten, rief nach den Lebenden. Sie stieß das Fenster auf, die Söhne waren weit. In den Unholden lösten ich die Wolken, die Schrofen erglühten im Widerschein einer päten Sonne. Regen schlug ihr der Wind ins Gesicht. ' •. „Veit“, agte ie, „dein Sterben hat meinen frohen Sinn verwirrt.“ Sie stand vor den leeren Betten der Söhne. „O Gott! Wa5 tat ich!“ Sie fiel nieder und weinte in die Kissen und die Tränen erlösten sie. So kam die Nacht. „Was tat ich“, schluchzte sie und die alte Uhr rasselte die Zeit. Die nimmer wiederkehrende, nimmer gutzumachende harte Zeit. Kinder waren sie noch gewesen, als sie sich von ihnen wandte. Ihre Kinder. Seine Kinder. Ach, wie rasch staut ein wildes Hochwasser die gute Erde und überschwemmt die grünenden Ufer des Lebens mit rauhem Schotter. Welche Flut der Tränen kann da Werk eine Augenblicks wieder lösen. Wer vermag es, ein Herz zu bewahren, wer kennt die Grenzen der Liebe und die des Leides?

Und noch einmal weitete ihre Seele die Schwingen, um wieder zu den Toten zurückzukehren. Ihr Blick erlosch den freundlichen Bildern des Tages. Es war, als man ihr agte, da^ 'nr Söhn Paul nicht wiederkomme. Doch Barbele und der alte Vater bannten in ihrer Liebe dies zaroe Gebilde, diesen Hauch vom Anfang der Schöpfung bis zur Gegenwart, in dem die Sünden der Väter im Geschick des fernen Enkels sich verströmen, zu bleiben. Und sie ertrug den Tod des wiedergelicbten Sohnes als Sühne, die durch das Glück des Heimkehrenden gemildert wurde.

Der alte Lenz übergab Peter und Barbele den Hof der Simonlehner. Und der Vater durfte e noch erleben, mit dem Enkel über die eigenen Leiten zu lahmen. Ein Simonlehner war es wieder, einer der Seinen. Der Kreia, durch seine Torheit und Schwäche zerrissen, fügte sich zusammen und neigte ich der Vollendung. Und es neigte Genoveva, die liebende Mutter kommender Geschlechter, für ein Weile fremd gewesen auf väterlichem Hofe, versonnen und versöhnt mit dem Walten eine wunderlichen Schicksals ins Tal schauend, ihr Haupt vor den Toten, die da unten, mitten in der Wieg der Berge, ruhten. Sie alle, die der Erde wiedergegeben waren, schufen, lebendig geblieben in ihr, an ihrem Geschick. Gegenwärtig blieb ihr Geist in den Stuben und Ställen, auf den Fluren und im goldenen Boden. Jeder/Balken, jeder Stein, jeder Zaun, den sie gefügt, zeugte von der fortwirkenden Kraft ihrer Liebe zu den Ihren und zur Heimat. Diese erd- und gottnahen Mensdien der Berge bewahrten in ihrer Schlichtheit und Größe, in ihrem oft harten sündigen Herzen das Gebot der Ahnen und sie rangen einst, gleich ihr, mit ihrem Gott. Mag auch der rastlos menschlich Fortschritt der arbeitenden Hand alle Mühe und alles Schwere abnehmen, ja selbst den Geist in stumpfer seelenloser Tätigkeit ertöten, die Enkel dieser Toten, die ihrer Erde treu bleiben, werden noch wie in nie vergehender Zeit mit der Hand und dem Ochsengespann ihren Pflug über die Hänge führen und am Webstuhl sitzen, wenn der Geist der neuen Zeit läng sich selbst vernichtete. Die Armut ihrer Hütten und ihrer Knechte, das karge Wort und das rauhe Kleid wird Gott wohlgefälliger sein als ein Leben im Uberfluß, das über die millionenfache Not der anderen hinwegsieht.

Und Genoveva, die dienende Magd Got-^ res, neigte ihr Haupt vor dem Ewigen. Nicht die Steine, die du von den Fluren aufhebst, sind es, auf die er sieht, die Steine nur zählt er, die du von deinem verschütteten Herzen nimmst, daß es in Liebe zu allen wieder auferstehe. Und nicht die Asche wiegt er, die aus dem vergänglichen Bau unserer unerfüllten Träume und unseres Begehrens zurückbleibt, d i e Asche nur, in der ein Herz in tätiger Liebe für andere verglühte, wird dereinst wieder zur ewigen Flamme. (£nde)

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