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GENOVEVA

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Es ist ein seltsam Auf und Nieder, wie mancher, der einst stolz auf eignem Felde schritt, in leinen Kindern nun in Demut weiterdient, und mancher, der in der Fron der anderen müd ergraut, in seinen Kindern frei auf eignem Felde schreitet. E' w'f.r, wohl immer o, trotz allen guten Worten, trotz dem Begehren mancher Zeit, den Knecht dem Herren gleichzustellen: dienen war unsäglich schwerer. Es wird wohl immer ,o sein. •

Diese' unsichtbare Last empfand auch die junge Magd Genoveva. Aber nicht o, daß sie unwillig nach der Sichel langte oder mit den Kühen scholt, nein“, diese Schwere lastete trotz ihres stets frohen Sinnes und Lächelns von anderen ungeahnt in ihrem Herzen. Sie wurde zum bangen Schatten, wenn Genoveva auf dem Stroh ihrer Kammer sich zur Ruhe legte, des Vaters und der kommenden Zeit gedachte. Aber ein junges Herz kämpft tapfer alles Dunkle nieder, gleicht es doch der zum Licht perlenden Quelle, die aus den Höhen nie versiegender Schönheit, gläubig der Wunder, die die noch unbekannte Ferne verheißt, ins Tal stürzt. Wartet doch die Vermählung mit dem Flusse, dem Starken, Stürmenden, Tragenden und Ersehnten. Blühte doch auch in ihrem Herzen trotz der Schwere des Magdseins die Blume, die nieverwelkend den Menschen aller Zeiten und Zonen blüht. Wie auch könnte der Mensch seine Bahn beginnen ohne das helle Gestirn dieser Sonne. Was in dieser Sonne, keimt und reift oder welkt und verdorrt, wird zur Ernte seines Herzens.

Ihr sonntägiges Gewand, der breite, dunkle Hut mit den Bändern, der schwarze, weite Kittel, über den sich blauseidig die Schürze legte, der enggeknöpfte Leib mit den bauschigen Ärmeln, alles war dem Herrn zuliebe festlich angetan, zuliebe auch dem einen, der, eines reichen Herren Sohn, sich ihr zugesellen wird, wenn die Andacht vorüber. Sie hatte nichts von ihm, wie andere Mädchen von ihrem Liebsten Bild und Briefe und manch buntes Ding haben mochten. Nur die Knospe , einer wilden Rose, umrankt von dürren Blättern, die in ihrer Truhe welkte, war Her heimliche, oft gelesene und oft geschaute Brief und Siegel ihrer Liebe. Wie schön im Ahnen kommenden Glücks ward da ihr kindlich ernstes Angesicht. Wenn jemand glaubte, er liebe, wie noch nie ein Mensch geliebt, o Torheitl Wußte er um die stille, verborgene Liebe der Magd Genoveva? Leuchteten nicht dort im einsamen Schrofgestein der Kare, im Schatten der Berge die lieblichsten Blumen? War es nicht beseligend und bedrückend zugleich, so zu lieben und nur eine Magd zu sein? Auf einem Hofe dienend, der selbst arm, von Steinmauern umgürtet, im steten Kampf mit dem Berge lag. Aber gerade aus diesem, vom Jahreslauf bestimmten Ringen um Saat und Ernte, um Vieh und Haus, wuchs in den verschlossenen Herzen der gottnahen Menschen eine seltene, unüberwindliche Kraft, eine äußerliche Härte, die sich oft in Augenblicken schicksalhafter Gestaltung stolz und abgewandt vom alltäglichen Gejammer um Verlorenes und Mißglücktes, schied.

Genoveva wußte, daß der Weg ins Tal weit war und manch andere Quelle sich denselben Zielen zugesellen würde. Doch nie könnte sie zu anderen darüber sprechen. Er hatte sie, die Genoveva Simonlehner, unter all den anderen erwählt, die arme Magd den Erbenden vorgezogen, es durch den Druck seines Armes und die damals kaum erblühte Rose besiegelt. Und so mußte es bleiben. Dies war für Genoveva Gesetz und unabänderliche Fügung. Denn — es ist wohl so mit Menschen ihrer Art — sie liebte nur einmal, wie ja auch die nun verwelkte Rose nur einmal blühte. Andere mögen die Glut unter der Asche ihrer Träume noch einmal oder immer wieder entfachen und sich am dürftigen Flämmchen wärmen, Genoveva war entschlossen, diese eine Flamme zu hüten. Es war nicht so, daß sie an dies alles dachte, es lag ja kein Schatten auf ihrem Wege. Nur unbewußt ahnte sie, daß nie ein anderer an Veits Stelle treten würde, sie ahnte, daß niemand von denen, die etwa mitzureden hatten, mit dieser Verbindung einverstanden sein würde. Aber noch wußte niemand davon.

In der Kirche fand ihn ihr Auge, kaum vom Altar abgewandt, gleich im ersten Blick. In ihrer jäh auflodernden und verblassenden Röte, im Leuchten ihrer kindlich reinen Augen und dem Lächeln ihrer Lippen war sie schön, daß mancher Bursche sich ihr zuwandte und des Gebetes vergaß. Aber Genoveva war ganz Andadit und mit wirklich innerer Anteilnahme, bittenden und gläubigen Herzens.

Gleich vor der Kirche tat sich ihr alter Vater zu ihr. „Geh mit, Vevi,“ bat er, „es ist soviel Zeitlang allein.“ Der Vater! Früh gebeugt von den Torheiten eines leidenschaftlichen Herzens, wohl auch von der Liebe zum blauen Enzian und den rotflammenden Beeren der Eberesche in Form von köstlichen Selbstgebrannten Destillaten, die so recht das träge werdende Blut aufmuntern und den mit mancherlei Reue und Sorgen beschwerten Geist froh und leicht machen, als wäre es eine Lust zu leben. Der Vater! Weißgrau die langen Haarsträhnen an den Schläfen, Liebe und eine nie vergehende Traurigkeit in den noch hellen blauen Augen, etwas ungepflegt und verworren der Bart, gewiß trotz seines Alters und seiner gebeugten Haltung ein stolzer Mann. Ein Einsamer, der seine kindliche Freude, neben seiner Tochter zu gehen, nicht verbergen konnte. Wie Genoveva Mühe hatte, ihre Unruhe und Enttäuschung zu verbergen und doch wieder froh war, ihren Vater wieder einmal zu sehen! So gingen sie durch das Dorf. Beim Krämer bat er sie, ein wenig zu warten, was sie ja so gerne tat, denn der Veit suchte sie schon. Und während der. alte Simonlehner seine Flasche füllen ließ und gleich als Vorschuß einen Schluck nahm, sagte der Veit so im Vorbeigehen zur Genoveva: „Schön bist heute wieder, Vevi, gelt, kommst nadimittags zum Marterl!“ Und fort war er. Sie war noch ganz verwirrt, selig, alles um sie herum war ihr so unwirklich fremd, kaum daß die vertrauten Bilder in ihr Bewußtsein drangen. Sie sah sich schon beim Marterl, Veit an ihrer Seite, die Hände ineinander gelegt, die Blicke versunken ins Tal und in die schimmernde Weite ihrer Träume. So stand sie im Dorfplatz, da kam der Vater wieder, ihm voran der Atem des Enzians. Auch seine Augen waren versonnen und beseligt wie vor vierzig Jahren, denn es ist wohl so, daß dem Menschen immer eine kleine Seligkeit bleibt, ja daß das Herz alle Freuden durchkostet, um zur sdiönsten und besdieiden-sten, zum Glück des Zufriedenseins mit sich und der Welt zurechtzufinden. „Aber Vater!“ Ach, wozu dem alten Vater Vorwürfe madien, er ließ ja doch nicht davon, ebensowenig wie sie von ihtem Veit lassen würde.

Sie gingen mitsammen die Dorfstraße hinab, auf sdiwankender Brüdce über den Bach zum jenseitigen Berghang. Dort oben lagen verstreut zwischen Wald und Feld Dutzende von Höfen im dunklen Kleide der Jahrhunderte. Immer höher stiegen sie bergan, bis der Wald, auf Geröllhalden entstanden, allem Fleiß der rodenden Vorfahren ein Halt gebot. Einer dieser Höfe, die breite Flanke des Hanges beherrschend, war der Hof ihres Vaters gewesen. Gewesen!

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